Lasst uns offen sein für Gottes geheimnisvolle und wunderbare Gegenwart

Wir sollen die Wahrheit des Evangeliums andern nicht wie mit einem nassen Lappen um die Ohren hauen, sondern sie wie mit einem Mantel mit ihr einhüllen

Predigttext: Kolosser 1,24-27
Kirche / Ort: Neuendettelsau
Datum: 06.01.2006
Kirchenjahr: Epiphanias
Autor/in: Dr. Hermann Vorländer

Predigttext: Kolosser 1,24-27 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung von 1984)

(24) Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde. (25) Ihr Diener bin ich geworden durch das Amt, das Gott mir gegeben hat, dass ich euch sein Wort reichlich predigen soll, (26) nämlich das Geheimnis, das verborgen war seit ewigen Zeiten und Geschlechtern, nun aber ist es offenbart seinen Heiligen, (27) denen Gott kundtun wollte, was der herrliche Reichtum dieses Geheimnisses unter den Heiden ist, nämlich Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.

Exegetische und homiletische Überlegungen

Im Mittelpunkt des Gottesdienstes an Epiphanias steht traditionell der Auftrag der Kirche zur Mission. Die Weisen kamen aus aller Welt, um das Kind in der Krippe anzubeten. Der Predigttext aus Kolosser 1,24-27 wurde ausgewählt, weil er vom Offenbarwerden des Wortes Gottes in Christus und seiner Verkündigung unter allen Völkern handelt. In der Lutherbibel trägt er die Überschrift „Das Amt des Apostels unter den Heiden“.

Zum Text

Der Kolosserbrief stammt wahrscheinlich von einem Schüler des Paulus, der viele Gedanken seines Lehrers aufnimmt und selbstständig weiterführt. Er schreibt an die Gemeinde in Kolossä, in die offensichtlich gnostisch-synkretistische Lehren eingedrungen waren. Man kann sie mit der heutigen Esoterik vergleichen. Einige kritisierten das kosmologische Defizit im Christentum und versuchten eine Synthese zwischen gnostischer Weltsicht und Evangelium herzustellen. Ihnen schleudert der Apostel sein „solus Christus“ entgegen. Unserem Abschnitt geht der berühmte Christushymnus (V.15-20) voraus, der Christus als die Mitte der Schöpfung und der Geschichte preist. Als Übergang wird in V.21-23 die Beziehung des kosmischen Christus zur Gemeinde hergestellt. Nun entfaltet der Apostel sein Verständnis seines Amtes. V.24 betont das Leiden als einen wesentlichen Teil des apostolischen Amtes, das der Apostel freudig auf sich nimmt (vgl. Röm 8,35f; 1Kor 4,9-13; 2Kor 11,23-33). In den Kommentaren wird die Frage behandelt, ob die Leiden des Apostels ersetzen, was an den Leiden Christi noch fehlt, ob eine mystische Verbundenheit oder die stellvertretende Kraft des Leidens gemeint sei. „Vermutlich kreuzen sich in dem gedrängten Ausdruck zwei Gedanken: - Der Apostel vertritt Christus in der Welt, indem er für die Kirche leidet. - Er bringt das Werk Christi zur Vollendung, indem er Christus als Ganzen, d.h. als den Gestorbenen und Auferstandenen verkündet.“ (Conzelmann, 188) Das Heilswerk Christi bedarf keiner Ergänzung, aber es kommt in der Predigt zur Sprache, die dadurch Teil des Heilsgeschehens wird. Auch mag im Hintergrund die jüdische Vorstellung stehen, wonach dem Kommen des Messias eine Zeit des Leidens vorausgeht (vgl. Mk 13 u.a.). In dem Leiden des Apostels (vgl. den Bezug auf seine Gefangenschaft in 4,3.18) um seines Amtes willen setzen sich die „Leiden Christi“ fort. V.25 besagt, dass der Apostel seine Botschaft nicht aus eigener Vollmacht verkündet, sondern dass Gott ihm dieses „Amt“ (oikonomia) verliehen hat. Er soll Gottes Wort „vermehren“ (plärosai), d.h. zur Fülle bringen, indem er es allen Völkern weitergibt (vgl. Röm 1,5). In V.26 wird das Evangelium als ein „Geheimnis“ (mysterion) beschrieben, das bisher verborgen, nun aber offenbar ist, allerdings nur den „Heiligen“. Mit den „Heiligen“ sind „weder die Engel noch nur ein begrenzter Kreis von Charismatikern gemeint, sondern die Gläubigen“ (Lohse, 120) In V.27 erreicht der Abschnitt seinen Höhepunkt mit der Beschreibung des Inhalts des Offenbarungsgeheimnisses, nämlich „Christus in euch“. Christus selbst ist in der Gemeinde gegenwärtig und verkörpert die „Hoffnung der Herrlichkeit“. „Damit ist zweifellos nicht die pneumatische Einwohnung des Herrn in den Herzen der Gläubigen gemeint, sondern der unter den Völkern gepredigte Christus, der inmitten seiner Gemeinde verkündigte Herr.“ (Lohse, 121f) Diese Botschaft soll allen Völkern verkündigt werden.

Zur Predigt

Mit Mission ist der Auftrag der Kirche gemeint, die Botschaft von Jesus Christus durch Wort und Tat, Verkündigung und Dienst weiterzugeben. Sie beginnt im eigenen Land und reicht bis an den Enden der Erde. In vier Schritten entfaltet der Apostel sein missionarisches Programm: - Wer die Botschaft Jesu ernst nimmt, muss zum Leiden bereit sein. Leiden kann vielfältige Gestalt haben, bei uns in Form von Belächelt werden, in anderen Ländern durch Verfolgung und Benachteiligung. (V.24) - Wir verkündigen das Evangelium nicht aus eigener Vollmacht, sondern im Auftrag Gottes. Wir sollen sein Wort vermehren und zur Fülle bringen. (V.25) - Die Gestalt Jesu ist ein Geheimnis, mit dem wir ein Leben lang ringen. Gott zeigt sich im Kommen seines Sohnes, das wir an Weihnachten gefeiert haben. Doch bleibt er geheimnisvoll verborgen unter der Decke der Geschichte. (V.26) - Gott hat uns in seinem Evangelium einen herrlichen Reichtum anvertraut, nämlich die heilvolle Gegenwart seines Sohnes: „Christus in euch“. Wir dürfen seine Gegenwart im Gottesdienst feiern und diesen kost baren Schatz in die Welt hinaustragen. So erfüllen wir unsern missionarischen Auftrag. (V.27)

Literatur:

E. Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, MeyerK, 1968.- H. Conzelmann, Der Brief an die Kolosser, NTD, 1981.- H. Vorländer, (Predigthilfe zu Kolosser 1,24-27 zum Fest der Erscheinung des Herrn/Epiphanias), in: DtPfrbl., Heft 11, 2005, S. 591.

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Liebe Gemeinde!

Im Mittelpunkt des heutigen Epiphaniasfestes steht traditionell der Auftrag der Kirche zur Mission. Das vorhin gehörte Evangelium nach Matthäus berichtet, dass die Weisen aus aller Herren Länder kamen, um das Kind in der Krippe anzubeten. In unserem heutigen Predigttext entfaltet Paulus sein Verständnis seiner Berufung zum Heidenmissionar, denn das von ihm verkündigte Evangelium von Jesus Christus sprengte von Anfang an alle Grenzen von Kultur, Religion und Volk. Dies machte die revolutionäre Kraft aus, die bald Menschen in allen Teilen der damaligen Welt in ihren Bann zog.

Das missionarische Amt des Apostels und die Mission heute

Paulus schreibt an die Gemeinde in Kolossä in Kleinasien. Zu ihr gehören Menschen, die nach Orientierung suchten. Andere Religionen drangen in die Gemeinde ein. Anhänger einer Art esoterischer Bewegung proklamierten Askese, mystische Versenkung oder ethischen Rigorismus. Die Lehre und Autorität des Apostels wurden in Frage gestellt. Zugleich sah sich der römische Staat durch die wachsende Zahl von Christen in seiner Macht bedroht und verfolgte die Christen blutig. So war es wichtig, dass der Apostel klarstellte, welches Amt er ausübt und was der Inhalt seiner Verkündigung ist. Deshalb entfaltet er in unserm Abschnitt sein missionarisches Programm, das nicht nur für seine Zeit, sondern auch für unsere Zeit von Bedeutung ist.

(V.24) Zum Amt des Apostels gehört das Leiden. Ja, er freut sich über sein Leiden. Denn wer die Botschaft Jesu Christi weiter trägt, muss bereit sein, die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Ein Jünger steht nicht über seinem Meister. Er nimmt nicht nur dessen Lehren auf, sondern nimmt auch sein Schicksal auf sich. Paulus musste das am eigenen Leibe verspüren, denn er hat selbst viele Jahre im Gefängnis verbracht und starb schließlich den Märtyrertod. Bei uns in Deutschland müssen Christen nicht leiden. Hier gilt die Kirche als anerkannte Institution. Aber vielleicht wird mancher belächelt in seiner Firma, weil er sich zur Kirche hält und in ihr mitarbeitet. Ein bisschen Kirche ist ja ganz schön, aber nicht zu viel. Wer konsequent seinen Glauben lebt, der erfährt Beglückung und Leiden zugleich. Er leidet an seinen eigenen Grenzen. Er vertritt unbequeme Ansichten und eckt an. Er leidet an dem immer mehr um sich greifenden Materialismus und der Oberflächlichkeit vieler Menschen.

In vielen Ländern müssen Christen um ihres Glaubens willen leiden. Dies gilt z.B. für die Türkei, wo kürzlich der erste Neubau einer Kirche seit fast hundert Jahren genehmigt wurde. Auch in anderen islamischen Ländern müssen Christen mit Nachteilen rechnen. Sie müssen auf Karriere verzichten und zum Leiden bereit sein.

Mission ist für viele immer noch ein schwieriges Gebiet. Vielfach wird sie in engem Zusammenhang mit dem Kolonialismus gesehen. Gewiss gab es da unheilvolle Allianzen, jedoch nicht überall. Der japanische Theologe Kosuke Koyama fordert, dass Mission heute „in der Art und Weise Jesu Christi“ geschehen müsse. Dies bedeutet, in einer Haltung der Liebe und des Respekts die Botschaft Christi weiterzugeben, der dafür mit seinem Leben bezahlt hat. Wir sollen die Wahrheit des Evangeliums andern nicht wie mit einem nassen Lappen um die Ohren hauen, sondern sie wie mit einem Mantel mit ihr einhüllen.

Zum missionarischen Amt gehört, „das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mit zu leiden“, wie Dietrich Bonhoeffer in seinen ergreifenden Briefen aus dem Gefängnis während des 2. Weltkriegs schrieb. In unserer Zeit hat der katholische Theologe Hans Küng den in Jesus sichtbaren Gott so charakterisiert: „Er ist ein Gott, der als Mitbetroffener neben den Menschen steht, ein Gott solidarisch mit den Menschen, nicht ein Angst machender, theokratischer Gott ´von oben`, sondern ein menschenfreundlicher, mit leidender Gott, ´mit uns unten´.“ So setzen sich die Leiden Christi im Leiden des Apostels und seiner Gemeinde fort.

Wir verkündigen das Evangelium nicht aus eigener Vollmacht

(V.25) Wir verkündigen das Evangelium nicht aus eigener Vollmacht, sondern im Auftrag Gottes. Wie der Apostel sollen auch wir das Wort Gottes reichlich predigen, vermehren – wie es wörtlich heißt, d. h. das Maß voll machen. Das Evangelium kann nicht genug verkündigt werden. Wir sind Diener, nicht Herren des Wortes Gottes. Es ist uns anvertraut. Wir sind Mitarbeitende in seiner Mission und erfüllen seinen Auftrag. Das haben Missionare getan, die von Deutschland in viele Länder Afrikas oder Asiens gingen und noch gehen. Sie wollten das Evangelium nicht für sich behalten, sondern es denen weitergeben, die es noch nicht kannten. Mission beginnt nicht erst in fernen Ländern, sondern bereits hier vor der Haustür. Innere und äußere Mission gehören von Anfang an zusammen. Inzwischen haben die Kirchen des Südens die Verantwortung für die Mission in ihre eigenen Hände übernommen. Aber sie bitten vielfach um Mithilfe bei der Erfüllung ihrer vielfachen missionarischen Aufgaben, sowohl im Bereich von Verkündigung und Ausbildung, als auch bei medizinischen und entwicklungsbezogenen Aufgaben.

Das Evangelium bleibt ein Geheimnis

(V.26) Der Apostel beschreibt das Evangelium als ein Geheimnis, das in der Geschichte des alttestamentlichen Gottesvolkes verborgen war, nun aber allen zugänglich ist. Der bekannte Theologe Eberhard Jüngel schreibt: „Es gibt Dinge und Begebenheiten, Personen und Ereignisse, die um so geheimnisvoller werden, je besser man sie versteht. Rätsel kann man lösen. Geheimnisse bleiben auch dann, wenn man sie kennt, geheimnisvoll“. Das Evangelium ist ein Geheimnis und bleibt ein Geheimnis auch für die, die sich von ihm erfassen lassen. Das Evangelium ist keine mathematische Formel, die man einmal kapieren muss und dann für alle Zeiten für richtig hält. Wir ringen ein Leben lang mit diesem Geheimnis. „Geheimnis des Glaubens. Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“, so beten wir in der Feier des Heiligen Abendmahls. In der orthodoxen Kirche wird während der Eucharistiefeier ein Vorhang am Altar zugezogen, um das Geheimnis der Gegenwart Gottes zu wahren.

Wir leben in einer Zeit und Welt, in der viele Geheimnisse inzwischen gelüftet sind, z. B. das Geheimnis des Lebens, der Sexualität, der Entstehung der Welt. Aber bleibt nicht das Leben ein Geheimnis? Selbst in der engen Gemeinschaft der Ehe hat jeder Partner sein Geheimnis, weil jedes Leben geheimnisvoll ist. Gott selbst ist uns nicht einfach zugänglich, sondern bleibt ein Geheimnis. Er ist verborgen und entborgen zugleich. J. W. von Goethe hat dazu den berühmten Satz geschrieben: „Höchste Kunst des Menschenlebens ist es, das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche ruhig zu verehren“. Von den Christen in Ländern des Südens können wir lernen, mit dem Geheimnis des Evangeliums respektvoll umzugehen. Sie sagen uns: „Ihr müsst nicht alles erklären und zerlegen, sondern könnt Gott vertrauen, der immer ein Geheimnis bleibt“.

Gott hat uns in seinem Evangelium einen herrlichen Reichtum anvertraut

(V.27) Gott hat uns in seinem Evangelium einen herrlichen Reichtum anvertraut. Dieser Reichtum zeigt sich in der heilvollen Gegenwart Christi: „Christus in euch“. Jede Gemeinde ist ein Ort, an dem Christus anwesend ist durch sein Wort und Sakrament. Auch wenn wir in Deutschland immer mehr zur Minderheit werden, haben wir den bleibenden Auftrag, die Gegenwart Gottes in Christus zu feiern und hinauszutragen in unsere Straßen und Häuser. Die Welt ist nicht gottlos oder gottverlassen. Sie ist Gottes Welt. Christus ist für uns Träger der Hoffnung der Herrlichkeit. Ihn dürfen wir gemeinsam mit Christen überall in der Welt loben und preisen.

Die Botschaft des Epiphaniasfestes

So lautet die Botschaft unseres heutigen Epiphaniasfestes: Gott hat uns mit seinem Sohn den Reichtum seines Evangeliums anvertraut. In ihm ist alles enthalten, was wir zum Leben und zum Sterben brauchen. Diese Botschaft gilt es weiter zu tragen durch unsere Worte und Taten. Das Evangelium gehört allen Menschen, nicht nur den Weißen, sondern auch den Schwarzen und Gelben, nicht nur den Frommen, sondern auch den Unfrommen, den Atheisten und Gottsuchern, den Lauten und den Stillen, den Weltveränderern und den Resignierten. Wir dürfen Menschen einladen, Gottes geheimnisvolle Gegenwart in ihrem Leben zu erfahren. Gott ist uns auch heute nahe in unserm Singen und Beten, Hören und Feiern. Durch ihn kommt ein heller Schein in unser Leben und in unsere Welt. Lasst uns offen sein für seine geheimnisvolle und wunderbare Gegenwart und daraus Hoffnung und Zuversicht schöpfen.

Amen.

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