Veränderte Maßstäbe – Wir sind alle in gleicher Weise von der Liebe Gottes umgeben
Es gibt bei jedem Menschen etwas, das ihn wertvoll macht, und wenn es die Aufgabe ist, die seine Eigenart an andere stellt
Predigttext: 1. Korinther 1,26 – 31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
26 Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. 27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, 29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme. 30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 31 damit, wie geschrieben steht: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“Zum Predigttext
Paulus lenkt den Blick seiner Adressaten auf die soziale Struktur ihrer jungen christlichen Gemeinde. Da fehlen zwar die Intellektuellen und Vermögenden nicht, aber es sind „nicht viele“. Die Mehrzahl der Gemeindeglieder rekrutiert sich, wie das wohl in einer Hafenstadt nicht anders sein kann, aus der Unterschicht. Törichte, Schwache, Geringe und Verachtete, sie gehören nicht nur dazu, sie sind die von Gott Erwählten. Aber das Ziel der Argumentation sind nicht irgendwelche Reformen oder gar eine soziale Romantik, sondern das, was den Grund der Gemeinde bildet: Jesus Christus. Durch ihn hat Gott seine Berufung ins Werk gesetzt, ihn hat er zum Heilsgrund gemacht, zum Inhalt der frohen Botschaft, des Evangeliums, „zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“. Jesus Christus ist der Erniedrigte, den Gott erhöht hat, in ihm ist, wie in den Versen vorher beschrieben, die Torheit Gottes, die weiser ist, als die Menschen sind, verkörpert, manifest geworden in seinem Kreuzestod. Dieses Kreuz wird denen, die berufen sind, Juden und Griechen, als Gottes Kraft und Gottes Weisheit gepredigt (V 24). Es bringt die, die Zeichen fordern und nach Weisheit fragen, die Religiösen und die Philosophen, zum Schweigen und zur Einkehr. Das Kreuz Christi macht die Menschen in ihrem Ruhm, in ihrem Selbstseinwollen und ihrer Selbstbehauptung zunichte. Gott ist der, wie Maria im Magnifikat betet, der die Gewaltigen vom Thron stößt, die Niedrigen erhebt, die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen leer ausgehen lässt. Die durch Gott „in Christus Jesus“ sind, leben hinfort nicht aus eigener Kraft und können sich auf diese nicht länger berufen. Alle ihre Weisheit und Gerechtigkeit, alle ihre Heiligung und Erlösung ist an ihr Sein in Christus gebunden. Paulus lenkt also den Blick auf die Zusammensetzung der Gemeinde, um ihn von dort weg allein auf ihren von Gott gelegten Grund in Jesus Christus zu fixieren und jedes Vertrauen auf eigene Kraft und Stärke abzuwehren. „Damit, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn.“ Paulus zieht seine Bibel zur Bekräftigung heran. Bei Jeremia 9, 22-23 heißt es : „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden, denn solches gefällt mir, spricht der HERR“. Für Paulus ist Gottes Handeln, das seine Bibel, also unser Altes Testament, beschreibt, in Christus zum Ziel für alle Welt gekommen. Gott bleibt Gott, und der Mensch bleibt an seinem bescheidenen Platz, an dem er nur rebellieren und im Selbstruhm scheitern oder aber Gott in Christus loben kann. Denn das ist die Predigt des Apostels: Gott hat das, was nichts ist, erwählt, damit er zunichte mache, was etwas ist. Gott ist der, der die Toten lebendig macht und ruft dem, was nichts ist, dass es sei (Römer 4,17). Auch unser Blick richtet sich immer wieder auf das Bild, das die eigenen Gemeinden bieten. Vielleicht an einem Sonntag nach Epiphanias, da das Weihnachtsfest vorbei ist, trauriger als sonst. Denn nachdem sie an Heiligabend die Kirchen gefüllt haben, ruhen sich die Gemeindeglieder in dem Gefühl aus, erst einmal genug getan zu haben. Es kommen nicht nur wenig Weise, Mächtige und Angesehene, sondern es kommen überhaupt nicht viele. Und Küster, Organisten und Pfarrer können wieder ins Jammern geraten. Aber davor kann uns unser Text bewahren. Es hat uns nur um die Erwählung Gottes zu gehen. Von ihm kommt unsere Berufung. Und mit der Berufung kommt Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Versuchen wir, mit der Predigt vom gekreuzigten und auferstandenen Christus uns und unsere Gemeinde zu stärken. Als der Apostel Petrus auf das Thema des falschen Ruhmes oder besser der Demut kommt, da schreibt er am Ende seines Briefes: „Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch“ (1.Petrus 5,5-7). Mit dem Vertrauen auf den erwählenden Gott fällt auch die Sorge von uns ab und wir können unsere Gemeinde getrost wieder mitnehmen auf dem Weg von Weihnachten über Karfreitag nach Ostern und die Weisheit Gottes in Jesus Christus loben und predigen.Lied zur Predigt:
„Mit Ernst, o Menschenkinder“ (EG 10,2+3).Literatur:
Hans Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, Göttingen 1969.Unsere Kirche und Gemeinde
Seht euch um, liebe Gemeinde. Was sind wir denn? Ein kleiner Rest einer vor ihrem Ende stehenden, einstmals mächtigen Kirche? Nun, am heiligen Abend waren wir wieder wer, die Kirchen waren voll. Und bei der Einweihung der Frauenkirche in Dresden waren „wir“ auf allen Fernsehkanälen. Im letzten Jahr gab es sogar welche, die riefen „Wir sind Papst!“ Ist das wirklich alles was zum Feiern? Sollen wir uns solcher Dinge rühmen? Dürfen wir darauf vertrauen, dass die Kirche wieder besser auf die Füße kommt?
„Seht doch, liebe Brüder und Schwestern, auf eure Berufung“. So beginnt unser Text. Wir sollen uns vergewissern. Aber wessen? Dass wir wieder besser dastehen? Paulus hat Anderes im Sinn. Er richtet den Blick der Gemeinde einer Hafenstadt auf ihre wenig prächtige Zusammensetzung, um die Christen dort anzuleiten, dass sie bescheidener und demütiger werden (was wir heute wohl schon ein wenig sind, was aber die junge Gemeinde in Korinth so sicher nicht war).
Das Streben der Welt und die Weisheit Gottes
Im Grunde will Paulus den Blick von uns selbst abwenden und uns helfen, ihn auf das Kreuz Christi zu richten. Er hat dieses Kreuz Menschen entgegenhalten müssen, für die anderes sehr viel wichtiger war. Er spricht von Menschen, die nach göttlichen Zeichen, nach Wundern und Geheimnissen suchen und meinen, in irgendwelchen religiösen Phantasien sei die Wahrheit zu finden. Wir würden heute wohl von Gurus, New Age, verschrobener Meditation und Wundersucht sprechen. Und Paulus hat es mit Menschen zu tun, die mit ihrem Verstand die Welt durchdringen wollen. Es hat damals schon beachtliche Philosophen und Wissenschaftler gegeben, und es gibt sie heute, für die Gott in ihrem Denken keinen Platz hat, auch wenn die besten unter ihnen immer als größte Weisheit bekennen mussten: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Paulus sagt: „Die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit“ und fährt dann fort: „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“.
Das Evangelium von Jesus Christus
Das Kommen von Gottes Kraft und Weisheit haben wir zu Weihnachten gefeiert. Wir haben im Advent gesungen: „O Heiland, reiß die Himmel auf“, und uns an Weihnachten verkündigen lassen, dass Gott das Tor zum Himmel aufgemacht hat, dass seine Botschaft zu den Menschen gekommen ist, die Botschaft, die Gott die Ehre gibt und den Frieden auf Erden bringen will. Wir haben diese frohe Botschaft, das Evangelium, an dem Kind festgemacht, das in der Krippe lag und sich als junger Mensch auf den Weg machte durch Galiläa und Judäa, um dann in Jerusalem ans Kreuz geschlagen zu werden.
Als nach dem Evangelium des Lukas Maria ihr Kind erwartet, da singt sie mit den Tönen ihrer Bibel von ihm als dem, der die Welt verändern wird:
„Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“.
Das ist der gleiche Ton, der alles auf Gott bezieht und sich von dem etwas erhofft, das Gott ins Werk setzt. In diesem Ton lehrt Jesus seine Jünger beten mit diesen Bitten zuerst: „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme“. Und diesen Ton hören wir von ihm selbst in der Nacht des Verrats: „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht was ich will, sondern was du willst!“
Gottes Erwählung
Wie wir an die Weihnachtspredigten erinnern, so weist Paulus seine Gemeinde in der antiken Hafenstadt auf seine Predigt hin, wie er ihr den gekreuzigten Christus vor Augen gestellt hat als den, durch den Gott zu den Menschen kommt – kein anderer als der Herr des Himmels und der Erden, den aller Himmel Himmel nicht fassen können und den alle menschliche Weisheit nicht einfangen kann. Gott kommt mit dem Ärgernis menschlicher Worte und mit der Torheit des Kreuzes, die alle menschliche Weisheit übersteigt. Gott kommt und nimmt sich der Menschen an. Gott kommt zu den Armen und Geringen, aber auch zu all denen, die um ihre Armut im Geiste und um die Nichtigkeit allen menschlichen Besitzes wissen.
Gott hat, was töricht ist vor der Welt, erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache. Gott hat, was schwach ist vor der Welt, erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist. Gott hat das Geringe vor der Welt und das Verachtete erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist. Denn Gott ist der – und das ist die höchste Weisheit, die wir aussprechen können -, der die Toten lebendig macht und ruft dem, was nichts ist, dass es sei. So hat es Paulus im Brief an die römische Gemeinde formuliert.
Das Ende des menschlichen Rühmens
Paulus spricht das alles seiner Gemeinde zu, und wir nehmen es als Gottes Wort und sprechen es jedem Christen zu – ein für allemal in der Taufe aber auch jeden Sonntag aufs neue. Und es gilt jedem Menschen mit jedem Bibelwort, das er – so er es denn tut – aufschlägt: „Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“.
Liebe Gemeinde, das haben wir auch zu Weihnachten den Menschen seiner Erwählung, „seines Wohlgefallens“, zugesagt. Wenn wir es aufnehmen, wie könnte sich da die Welt verändern! Es ist ja eine Welt, in der sich gerühmt wird, was das Zeug hält. In der jeder schauerlich von sich selbst überzeugt ist. Es sind nicht nur die Menschen im Showgeschäft, die sich produzieren, auch nicht nur die Politiker, die sich anpreisen müssen zur Wiederwahl. Es ist jeder von uns, der sich abhebt von seinem Nachbarn und Kollegen, der sich etwas einbildet auf seine Kräfte und Fähigkeiten, auf seine Rede, seine Gerissenheit, auf seinen Vermögenshintergrund und auf was nicht alles noch. Wir leben vom sich rühmenden Unterscheiden. Jeder, auch jede Gemeinde, meint etwas Unvergleichliches zu haben, auf das sich der Stolz gründen lässt. Was aber, wenn wir das Wort des Apostels, das ähnlich schon im alten Israel gesagt wurde, ernstnehmen: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ Da steht der scheinbar so besondere Mensch plötzlich in einer Reihe mit all den Menschen, die Gott geschaffen hat. Ein jeder hat von Gott etwas empfangen, das ihn wert macht. Es war schon eindrücklich, als der große Theologe, Professor Rudolf Bultmann, beim Festakt am Ende seiner Lehrtätigkeit all die großen Ehrungen beiseite wischte und in seiner Antwort aus unserem Brief einige Kapitel weiter den Apostel Paulus zitierte: „ Was hast du, das du nicht empfangen hast. Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann, als hättest du es nicht empfangen“.
Die neuen Maßstäbe
Wie schön, liebe Gemeinde, wenn wir uns auf das besinnen, was uns zuteil geworden ist. Es wird uns eine Fülle guter Gaben und guter Möglichkeiten einfallen. Kein Mensch, auch nicht die Kranke, auch nicht der Behinderte ist ohne Gottes Gaben. Im Dritten Reich hat man in verschiedenen diakonischen Einrichtungen bei den Insassen die Gaben und Fähigkeiten zusammengesucht, damit sie nicht als „lebensunwert“ der Euthanasie verfielen. Es gibt bei jedem Menschen etwas, das ihn wertvoll macht, und wenn es die Aufgabe ist, die seine Eigenart an andere stellt. Das alles wird in Jesus Christus deutlich. Denn er hat die Maßstäbe verändert. Verändert durch seine Geburt in einer Krippe im Stall, durch seinen Weg über Land, auf dem ihm der Ort fehlte, an dem er sein Haupt zum Schlafen hinlegen konnte. Er hat diese Maßstäbe verändert durch sein Leiden und seine Gottverlassenheit am Kreuz. Denn dort, wo sich scheinbar alle von ihm abgewendet hatten, mussten seine Jünger, Petrus und Paulus zumal, erkennen: Wo wir nur Niederlage sehen, da ist Sieg, wo uns nur der Tod vor Augen ist, da ist Leben, wo wir am Ende sind, da beginnt Gott seinen Weg. Das ist die Weisheit, zu der Gott Jesus Christus für uns gemacht hat, das ist die Gerechtigkeit, zu der uns Gott in Christus reinwäscht, das ist die Heiligung, zu der uns Gott in einem neuen Leben wandeln lässt, das ist die Erlösung, die uns Gott mit dem Evangelium von Jesus Christus verheißt.
In Demut und ohne Sorge
Gott hat den Himmel geöffnet in Jesu Geburt, er hat seine Weisheit unter dem Kreuz Jesu gezeigt, Stärke und Gewalt in der Schwachheit und Leben und Auferstehung im Tod. So dürfen wir, denen die Berufung und Erwählung durch Gott in Christus zuteil wurde, uns fröhlich und getrost unseres Gottes rühmen, können uns neben unsere Schwester und unseren Bruder stellen, auf gleicher Höhe und ohne uns zu rühmen und als Überlegene abzusetzen. Wir empfangen zwar unterschiedliche Gaben, aber wir sind alle in gleicher Weise von der Liebe Gottes umgeben. Als Gottes Erwählte brauchen wir uns um uns und auch um unsere Gemeinden keine Sorgen zu machen.
Als der Apostel Petrus auf die Frage des Nichtrühmens kommt – er spricht von Demut – da schreibt er seinen Gemeinden in Kleinasien am Ende seine Briefes: „Alle miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werfet auf ihn“.
Es mag wohl sein, dass unsere Selbstbehauptung und unser Selbstruhm auch mit unserer latenten Lebensangst zusammenhängt. Wir meinen es nötig zu haben, uns vor anderen herauszuheben, um unser Leben zu sichern. Wo wir den Blick von uns weg auf Jesus Christus richten, da sorgen wir uns nicht länger um uns, nicht um unsere Zukunft und nicht um die unserer Kirche und ihrer Gemeinden. Wir sind „in Christus“ und damit von Gott als seine Töchter und Söhne umsorgt und aufgehoben. So rühmen wir uns nicht länger selbst, sondern rühmen uns des Herrn, denn Gott hat uns in Jesus Christus erwählt, er hat ihn für uns gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.