Ein Stück vom Himmel
Die Botschaft von Christus kann kein Mensch mit Logik fassen
Predigttext: 1. Korinther 2, 10 (Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt u. Leipzig, 1.Aufl 1999)
Liebe Brüder und Schwestern! Als ich bei euch war, um euch die Botschaft Gottes zu bringen, da ging es mir nicht darum, mit langen, großartigen und tiefsinnigen Reden zu glänzen. Ich kannte nur Jesus, den Gekreuzigten. Als ich zu euch kam, fühlte ich mich ziemlich elend, ich hatte große Angst und zitterte am ganzen Leib. Meine Predigt war gewiss nicht tiefsinnig oder besonders überzeugend, und doch wurden Geist und Kraft sichtbar. So muss es sein, denn Glaube beruht nicht auf menschlichem Tiefsinn, sondern ihr wurdet angesteckt durch die Kraft Gottes. Denen, die im Glauben erwachsen geworden sind, kann ich Gottes Weisheit übermitteln. Ich meine aber nicht das, was Menschen unter Weisheit verstehen, und auch nicht die Parolen der Mächtigen dieser Welt, die doch zu Grunde gehen müssen. Wenn ich von Gottes Weisheit rede, meine ich eine für gewöhnlich verborgene Weisheit, die Gott schon hervorgebracht hat, bevor die Welt wurde. Gott will uns teilhaben lassen an seiner Herrlichkeit – das ist das Geheimnis der Welt. Keiner der Mächtigen dieser Welt kannte dieses Geheimnis. Sonst hätten sie Jesus, der Herrn der Herrlichkeit, nicht gekreuzigt. Doch dieses sonst unzugängliche, herrliche Geheimnis ist, so heißt es in der Schrift, für uns bestimmt: „Welche Herrlichkeit Gott für die bereit hält, die ihn lieben, hat kein Auge je gesehen, kein Ohr je vernommen, kein Herz je erfasst“. Gott hat uns dieses Geheimnis eröffnet, indem er uns seinen Heiligen Geist schenkte. Der Heilige Geist kann alles ergründen, auch die unfassbaren Dimensionen Gottes.Zum Predigttext
Alter Gewohnheit nach lese ich den Predigttext einmal und versuche dann aufzuschreiben, was mir im Gedächtnis hängen geblieben ist, was mir auffällt und so weiter. Diesen Text muss ich mehrmals lesen. Auch laut. Aber meine Erinnerung bleibt kümmerlich. Die Textabgrenzung V. 1-10 leuchtet mir nicht ein. Nach V. 5 beginnt etwas Neues. Hat Paulus bisher auf den Beginn seiner Verkündigung in Korinth Bezug genommen, so geht es ab V. 6 um Glaube, Gottes Herrlichkeit, Gottes Geheimnis und Gottes heiligen Geist. Alles ziemlich abstrakte Begriffe, die das Verständnis des Textes nicht leicht machen in ihrer Dichte. Meine erste Überlegung ist, diesen Begriffen auszuweichen und mich auf die V. 1-5 zu beschränken. Aber was bleibt dann noch für die Predigt? Ein ängstlicher Paulus (V.3). So nehme ich denn V.7: „Gott will uns teilhaben lassen an seiner Herrlichkeit – das ist das Geheimnis der Welt“ als Zentrum des Textes. Diesen Vers möchte ich jedem meiner Hörer zusagen: Du hast Anteil an Gottes Herrlichkeit. Aber was ist Gottes Herrlichkeit konkret? Da entzieht sich auch Paulus V.9. Gottes Herrlichkeit ist ein Geheimnis. Und doch Gegenstand der Sehnsucht. So ähnlich wie: in den Himmel kommen, als Umschreibung für Erlösung. Ich verwende also Synonym für Herrlichkeit auch: „ein Stück vom Himmel“. Mit der Zusage der Herrlichkeit Gottes passt der Text auch in die Kirchenjahreszeit. Die Herrlichkeit Gottes wird spürbar. Ich wähle die Lesung aus dem Alten Testament 2. Mose 33, 17b – 23: Mose darf der Herrlichkeit Gottes hinterher sehen.Die homiletische Situation
Seit dem vergangenen Sonntag finden die Gottesdienste der St.Petri Gemeinde Mulsum im Gemeindesaal statt. War die Kirche am Heiligen Abend manchmal zu klein, so sind wir jetzt ganz „unter uns“. Ich rechne mit ca. 40 Gottesdienstbesuchern. Wir rücken räumlich eng zusammen. Die „Kuschelkirche“ schafft Raum zum Erzählen, die Distanz einer Lehrpredigt ist unpassend. Meine Hörer sind die treuen Gottesdienstbesucher und Konfirmanden. Da unser Unterricht schon im 4. Schuljahr beginnt, sitzen im Gottesdienst also auch 10 jährige. Einige mit ihren Eltern. Die interessiert nicht der Aufbau des Korintherbriefes, auch nicht die Streitigkeiten um das rechte Christsein in der damaligen Gemeinde. Ich entschließe mich daher, meine Hörer mit hinein zu nehmen in Verkündigung des Paulus. Ich möchte den Text für sie lebendig werden lassen. Dazu bediene ich mich der Apostelgeschichte (Kap 18). Dort heißt es, dass Paulus zusammen mit Aquila und Priscilla als Zeltmacher arbeitete. So entsteht ein fiktives Gespräch des Paulus mit einem heidnischen Sklaven. Als Lieder wähle ich der Kirchenjahreszeit entsprechend „Jesus ist kommen“ (EG 66), „O Jesu Christe, wahres Licht“ (EG 72), „Morgenglanz der Ewigkeit“ (EG 450).Die Morgensonne schien herein. Der Raum war zur Straßenseite hin offen. Wärme strömte herein. An den Wänden hingen verschiedene Werkzeuge zum Stechen, Schneiden und Nähen. Lederstücke hingen in Bündeln von der Decke: manche schmal wie ein Faden, andere breit wie ein Gürtel. Felle lagen auf einem Stapel in der Ecke. Mittendrin saß auf einer Bank ein Mann und nähte mit grober Nadel Lederstücke zusammen.
Paulus war Zeltmacher oder manche sagten auch: Sattler. Er kannte sich mit verschiedenen Arbeiten aus: Lederbeutel zum Wasserholen fertigen oder Ochsengeschirre machen, Felle für Zelte zusammennähen und an den Stützstellen verstärken, das alles war für ihn kein Problem. Seit er in Korinth angekommen war, arbeitete er, bei Aquila. So konnte er seinen Lebensunterhalt verdienen. Er legte Wert darauf, niemandem zur Last zu fallen.
Paulus aber konnte noch mehr. Er konnte schreiben und lesen. Er kannte sich aus in den Heiligen Schriften der Juden. Seine Leidenschaft war Jesus Christus. Die Botschaft Jesu wollte er in die ganze Welt bringen. Jetzt war er gerade in Korinth mit seiner Mission beschäftigt. Und während er nähte, überlegte er, wie er weiter von Jesus Christus predigten sollte.
Ein Mann kam in die Werkstatt. Er grüßte und setzte einen großen und schweren Ballen von der Schulter auf die Erde. „Ist Aquila nicht da?“ fragte er.
„Nein im Moment nicht. Aber ich arbeite für ihn. Ich bin Paulus.“
Der Mann sah hinunter auf seine Last. „Mein Herr hat gesagt: Bring es zu Aquila ….“; er zögerte.
Paulus ergänzte: „und nun weißt du nicht, ob du es bei mir lassen sollst, bei einem Fremden“.
„Bei einem Handwerker, der Reden hält, wie sonst nur die Gelehrten! In der Stadt wird über dich geredet, Paulus.“ Der Mann nahm kein Blatt vor den Mund.
Paulus lachte: „Dass ein Handwerker Reden hält, kommt dir seltsam vor, was? Das kommt mir manchmal selbst seltsam vor. Als ich vor wenigen Wochen hier in Korinth ankam, da war mir auch recht elend. Ich hatte große Angst vor die Leute zu treten. Noch beim Reden haben mir meine Beine gezittert. Und ich dachte jeden Moment bleibt mir die Stimme weg. Vor den Gelehrten kann ich nicht glänzen mit langen und tiefsinnigen Reden. In einem Redewettbewerb auf dem Marktplatz würde ich nie antreten. Da hätte ich gleich verloren!“
Das Lächeln auf den Lippen des Paulus erstarb. Und ernst fuhr er fort. „Ich bin wie du ein Sklave meines Herrn. Ich kann nicht anders als seine Botschaft verkünden. Ich muss einfach predigten von Christus, dem Gekreuzigten.“
„Du bist verrückt. Niemand betet einen Mann an, der am Galgen hing. Nur Schurken enden am Kreuz. Verbrecher. Du predigst einen Verbrecher! Wenn du das ernst meinst, dann bist du wirklich kein Gelehrter, dann bist du der dümmste Mensch, der mir je begegnet ist!“
Paulus Augen begannen zu funkeln: „Du hast Recht, mein Freund. Wer einen Verbrecher anbetet, der ist wirklich der dümmste Mensch auf Erden. Aber Jesus Christus war kein Verbrecher. Er war der Sohn Gottes. Er ist gekommen, die Menschen loszuketten von allem, was sie bedrückt. Sein Platz wäre im Himmel gewesen. In der Herrlichkeit Gottes. Doch er wollte Gottes Herrlichkeit zu den Menschen tragen“.
Paulus stand auf. „Auch zu dir! Auch ein Sklave wie du ist es wert, ein Stück Himmel zu besitzen. Jesus hat dir ein Stück vom Himmel gekauft. Er hat es für dich bezahlt. Am Kreuz hat er für dich bezahlt. Deshalb verkünde ich Christus, den Gekreuzigten!“
Der Mann sah Paulus nur an, aber sein Gesichtsausdruck sagte: „Dir ist ja wohl gar nicht mehr zu helfen!“ Er bückte sich nach seinem Packen.
„Warte!“ Paulus machte einen Schritt auf ihn zu. „Du kannst dir nicht vorstellen was ich meine, nicht wahr? Du bist klug und suchst einen Sinn in dem, was ich sage. Und du zweifelst an meinem Verstand. Ich gebe dir Recht. Du musst an meinem Verstand zweifeln. Denn die Botschaft von Christus kann kein Mensch mit Logik fassen. An Christus zu glauben, das kommt nicht aus dem so genannten gesunden Menschenverstand. Wer an Christus glaubt, der wird angesteckt durch die Kraft Gottes.“
Paulus zögerte einen Moment. Sollte er diesem Mann jetzt noch näher rücken? Er tat es. „Warst du schon mal verliebt? Hast du dich schon einmal nach einem Mädchen gesehnt? Wenn du sie gesehen hast, hast du dann gedacht: Die braunen Augen sind genau auf gleicher Höhe, die Nase ist gerade und nicht zu groß. Nein, du hast nicht gedacht: Du hast dir nur den Kopf verrenkt und dein Herz fing wild an zu schlagen. So ist das auch mit dem Glauben, er ergreift Besitz von dir. Gottes Kraft steckt dich an!“ Paulus redete jetzt leidenschaftlich, und der Mann hatte sich wieder aufgerichtet und schaute ihn an.
Paulus versuchte sich zu beruhigen und ging an dem Mann vorbei zur Straße. Er schaute kurz hinaus und drehte sich dann wieder um. „Wer einmal an Christus glaubt, der will dann auch mehr wissen. Dem kann ich dann alles weitergeben, was ich von Gottes Weisheit weiß.“
„Die Weisheit und Pläne Gottes sind für einen Sklaven wie mich gleichgültig. Über mich bestimmt mein Besitzer. Wie Vater und Mutter ihre Kinder lenken, wie Schüler von ihren Lehrern gesagt bekommen, was sie tun sollen; so sagt mir mein Besitzer, was ich tun soll. Ich bin nur ein Staubkorn unter den Füßen der Mächtigen. Die Götter sind weit fort.“
„Ja, du musst auf deinen Herren hören. Ich weiß das. Ich kenne das Leben.“
Paulus stand jetzt direkt vor dem Mann. „Und ich sage dir: die Mächtigen dieser Welt, wenn sie Christus nicht kennen, dann wissen sie nichts. Sie laufen hinter dem Geld her, vielleicht auch hinter Macht und Ehre. Doch eines Tages stehen sie mit leeren Händen da. Ihre Parolen werden hohl klingen, und jeder wird es merken. Aber du, du nennst dich Staubkorn und wirst doch Anteil haben an der Herrlichkeit Gottes!“
Der Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Er lachte nicht und er weinte nicht. Er sah fast aus als hätte er Schmerzen. „Ich kann nichteinmal lesen und schreiben. Und ich soll ein Stück vom Himmel bekommen? Ich soll etwas wissen vom Geheimnis der Götter? Niemals! Die Kleinen und Schwachen werden niemals das Geheimnis der Welt erfahren und niemals die Herrlichkeit des Himmels sehen!“
Ganz nahe waren die beiden Männer sich jetzt. Da packte Paulus den anderen am Hemdkragen, zog ihn zu sich ran und blickte ihm direkt in die Augen. „Und ich sage dir: Gott meint dich. Für dich ist Christus aus dem Himmel gestiegen. Für dich ist er ans Kreuz gegangen. Für dich hat er ein Stück Himmel gekauft. Wenn du auch hier nicht eine Münze besitzt. Der Himmel ist für dich offen. Und die Herrlichkeit Gottes gehört dir. Dir!“
Paulus lies den Mann los. Er wandte sich von ihm ab und knetete die Hand mit der er dem Mann eben noch gepackt hatte.
„Was ist das, die Herrlichkeit Gottes? Was ist das?“ Die Stimme des Mannes klang leise an Paulus’ Ohr. Er drehte sich wieder zu dem Mann um.
Der hatte sich auf seiner Last niedergelassen und rieb sich den Nacken.
„Mein Freund“, Paulus suchte nach Worten, „die Herrlichkeit Gottes bleibt ein Geheimnis. Du hast recht. Und trotzdem weiß ich, dass dir ein Stück davon gehört. Aber beschreiben kann ich sie dir nicht. Welche Herrlichkeit Gott für die bereit hält, die ihn lieben, dass hat noch nie ein Auge gesehen, noch nie ein Ohr vernommen, kein Herz vorher je erfasst. Gottes Geheimnis aber erschließt sich dir durch Gottes Geist.“
Paulus setzte sich zurück auf die Bank und nahm die Lederstücke wieder in die Hand.
Eine Weile schwiegen beiden Männer und sahen sich nicht an.
Dann brach der Sklave das Schweigen: „Gottes Geheimnis für die kleinen Leute. Gottes Herrlichkeit für die Schwachen dieser Welt. Dir ist es ernst damit. Aber ich kann es nicht begreifen!“ Er schüttelte den Kopf.
Paulus legte das Leder wieder hin. „Ich habe dir schon einmal gesagt, da gibt es nichts zu verstehen. Da nützt meine Rede nichts. Da muss Gottes Kraft selbst wirken. Aber wenn Gottes Heiliger Geist von dir Besitz ergreift, dann bekommst du eine Ahnung von Gottes Schönheit und Macht. Dann kannst du Gott ergründen. Der Himmel wird sich für dich öffnen. Gott will dich!“
Der Sklave nickte. Er öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Seine Hand winkte ab. Er fand offenbar keine Worte.
Dann stand er auf und deutete auf seine Last. „Ich lasse das Zelt hier. Mein Herr hat mit Aquila gesprochen. Er weiß, was zu tun ist.“
Der Sklave wandte sich zum Gehen. Paulus stand auf und hob die Hand: „Unser Herr Jesus Christus begleite dich mit seiner Gnade. Gott schenke dir seine Liebe und Gottes Heiliger Geist sei mit dir“.
„Und mit dir“, antwortet der Mann, ohne zu zögern, dann trat er schnell auf die Straße und verschwand.
Paulus merkte erst jetzt wie angespannt sein ganzer Körper war. Wieder einmal hatte er versucht das Geheimnis des Glaubens weiter zu geben. Aber war das gut gelaufen? Paulus fuhr sich mit der Hand über die Augen, als ob er diesen Gedanken wegwischen wollte.
Mal abwarten, ob der Sklave angesteckt worden war von Gottes Kraft.
Wahrscheinlich würde er ja auch das Zelt wieder abholen …