Reinigende Kräfte
Gott steht weit über unseren Nationen, Religionen und Konfessionen
Predigttext: 2. Könige 5,1-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1Naaman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und wert gehalten; denn durch ihn gab der HERR den Aramäern Sieg. Und er war ein gewaltiger Mann, jedoch aussätzig. 2 Aber die Kriegsleute der Aramäer waren ausgezogen und hatten ein junges Mädchen weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienst der Frau Naamans. 3 Die sprach zu ihrer Herrin: Ach, daß mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien. 4 Da ging Naaman hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat das Mädchen aus dem Lande Israel geredet. 5 Der König von Aram sprach: So zieh hin, ich will dem König von Israel einen Brief schreiben. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Goldgulden und zehn Feierkleider 6 und brachte den Brief dem König von Israel; der lautete: Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, so wisse, ich habe meinen Knecht Naaman zu dir gesandt, damit du ihn von seinem Aussatz befreist. 7 Und als der König von Israel den Brief las, zerriß er seine Kleider und sprach: Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte, daß er zu mir schickt, ich solle den Mann von seinem Aussatz befreien? Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht! 8 Als Elisa, der Mann Gottes, hörte, daß der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Laß ihn zu mir kommen, damit er innewerde, daß ein Prophet in Israel ist. 9 So kam Naaman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas. 10 Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden. 11 Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des HERRN, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien. 12 Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, so daß ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn. 13 Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wieviel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein! 14 Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein. 15 Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel; so nimm nun eine Segensgabe von deinem Knecht. 16 Elisa aber sprach: So wahr der HERR lebt, vor dem ich stehe: ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, daß er es nehme; aber er wollte nicht. 17 Da sprach Naaman: Wenn nicht, so könnte doch deinem Knecht gegeben werden von dieser Erde eine Last, soviel zwei Maultiere tragen! Denn dein Knecht will nicht mehr andern Göttern opfern und Brandopfer darbringen, sondern allein dem HERRN. 18 Nur darin wolle der HERR deinem Knecht gnädig sein: wenn mein König in den Tempel Rimmons geht, um dort anzubeten, und er sich auf meinen Arm lehnt und ich auch anbete im Tempel Rimmons, dann möge der HERR deinem Knecht vergeben. 19 Er sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden! …Gedanken zum Predigttext und zum Gottesdienst
Meinen lieben Kolleginnen und Kollegen der Hannoverschen Landeskirche sowie unserer Referentin, Frau Professorin Dr. Ulrike Wagner-Rau (Marburg), sehr dankbar für die in vieler Hinsicht lehrreiche Tagung im Studienseminar in Göttingen vom 11. bis 13.Januar 2006Kontext und Zeitgeschichte
Die Erzählung von der wunderbaren Heilung des unter Schuppenflechte (= Poriasis; der hebr. Terminus zara´at, V.3, vgl. V.1.6.7.11.27, bedeutet nicht „Aussatz“, wie die meisten Übersetzungen vorgeben) leidenden Naaman, eines aramäischen/syrischen Heerführers, umschreibt die heilende Wirkung, die von dem israelitischen Propheten Elisa/Elischa ausgeht. Sie erweist ihre Kraft über nationale und religiöse Grenzen hinaus. Quelle dieser Kraft ist der Gott Israels. Kontext sind die Elisa-/Elischa-Erzählungen in 2. Könige 2 – 13. Historisch weist unsere Erzählung in die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aram/Syrien und dem Nordreich Israel (vgl. 1.Könige 20; 22*; 2.Könige 6,24ff.). Das Verhältnis beider Staaten ist äußerst gespannt. Aram scheint gerade Israel überlegen zu sein, was die empfindliche Reaktion des israelitischen Königs (V.7) in gewisser Hinsicht erklärt.Zur Perikope
Die das Erzählungsganze zerstückelnde Perikopenaufteilung [(V.1-8)9-15(16-18)19a] halte ich für ebenso problematisch wie unnötig, sie nimmt dem Bibeltext die ihm eigene Dynamik und Dramatik. Statt der Lesung von 2.Könige 5,1-19a (im hebr. masoretischen Text ist im Unterschied z.B. zu obiger Übersetzung erst nach V.19 eine Zäsur gegeben) kann ich mir auch eine freie Nacherzählung des Bibeltextes vorstellen, vielleicht schafft diese gerade auch bei unseren Konfirmanden/innen größere Aufmerksamkeit. Die Perikopenabgrenzung mit V.19 ist durchaus sinnvoll, denn an V.19 schließt sich noch der zur (Letztgestalt der) Erzählung gehörende Abschnitt V.20-27 an, der Gehasi, den Diener des Propheten kritisch ins Visier nimmt: Gehasi ergaunerte sich etwas von den Elischa zugedachten Geschenken Naamans, deren Annahme der Prophet ablehnte, und wird eben mit der Krankheit bestraft, von der Namaan geheilt wurde – „eine Lehrerzählung“, wie E. Würthwein meint, „die sich an die Prophetenjünger richtet. Aus den Fähigkeiten des Meisters dürfen die Jünger keinen materiellen Nutzen für sich ziehen“ (ATD 11, 2.Aufl., Göttingen 1984, S. 303).Zur Redaktion und Akzentuierung der Prophetenerzählung
E. Würthwein rechnet den Abschnitt V.20-27 wie V.15-19 zu den nachdeuteronomistischen Redaktionen der Elischa-Überlieferungen, welche die Prophetenerzählung verschiedentlich theologisch akzentuieren (s. S. 296-303). Er sieht das Wachstum der Erzählung „in drei Stufen“ (S. 298): 1) V.1-14* Die Heilung Naamans durch Elischa; Naaman soll erfahren, „dass ein Prophet in Israel ist“ (V.8), 2) V.15-19, erste Erweiterung, Naamans Reaktion auf die Heilung, sein „Bekehrungserlebnis“ nach dem Erlebnis des Heilungswunders und seine Erkenntnis: „Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel“ (V.15), 3) V.20-27, zweite Erweiterung, die Habgier des Dieners Elischas und seine Bestrafung.Anstöße für die Predigt
Es legt sich nahe, in der Predigt sich auf V.1-14 oder V.15-19 bzw. auf den einen oder anderen Akzent zu beschränken. Eine hermeneutische und homiletische Herausforderung sehe ich in der Verbindung des Sonntagsevangeliums (Der Hauptmann von Kapernaum, Matthäus 8,5-13) mit dem Predigttext. In beiden Bibelgeschichten geht es um Krankheit, Heilung und Glauben – und um ein universales, Welt und Völker umfassendes/einbeziehendes Gottesbild (den Hauptmann im Evangelium muss man sich als Syrer in römischen Diensten denken, s. E. Schweizer, NTD 2, Göttingen 1976, S. 138). Beiden Geschichten ist gemeinsam, dass sie weniger von einem Handeln Elischas bzw. Jesu/Jeschua reden als von der Aufforderung an die betroffene Person zu „gehen“ (2Könige 5,10 hebr. halok = Inf. abs. zum Ausdruck einer verstärkten Auffoderung, wie es auch im dt. Sprachgebrauch möglich ist: „Gehen!“; vgl. Matthäus 8,13 griech. hypage = Imp. „Gehe (hier: nach Hause)!“. Nicht die eng mit Gott verbundene Person ist die eigentlich Handelnde, sondern der sich nach Hilfe sehnende Mensch wird zum Handeln, hier: zum Gehen, aufgefordert, das ihm die erhoffte Heilung bringen wird. Zu Vers 7: "Bin ich (denn) ein Gott, dass ich tot und lebendig machen könnte?“ Diese dem israelitischen König in den Mund gelegte Reaktion "bedeutet eine Absage an jede Vorstellung von einem göttlichen, heilmächtigen Königtum, wie sie im Alten Orient und darüber hinaus bis in das deutsche Mittelalter verbreitet war" (E. Würthwein, a.a.O., S. 299f.). Das biblische Israel hat in dieser Erzählung seine vielschichtigen Erfahrungen mit Gott, dem Königtum und der Prophetie verarbeitet, besonders in seiner schwersten Zeit, als Jerusalem und der Tempel zerstört war und ein großer Teil des Volkes ins babylonische Exil musste und damit Gott nicht mehr auf der vertrauten heimatlichen ´Adama (vgl. V.17) anrufen konnte. Wichtig der universale Aspekt: Gott ist Gott für alle Völker, ist für sie heilsam und heilend. Die Macht der Könige und aller weltlichen Machthaber ist begrenzt und relativiert. Heil und Heilung kommen allein von Gott. Alle Hoffnung und das Vertrauen auf Ihn zu setzen – in der persönlichen Lebensgeschichte ebenso wie in den gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen heute – dazu lädt die alte Erzählung anschaulich ein; sie stellt uns vor die Aufgabe, diese „narrative Theologie“ in unser Heute zu übertragen. Psychologisch spannend erscheint mir die Reaktion des Königs von Israel in V.7a: „Nun erkennt doch und seht, daß er nur eine Gelegenheit (zum Streit) mit mir sucht!“ (Übersetzung nach E. Würthwein, a.a.O., S. 297). Ein sprechendes Beispiel für gestörte Kommunikation. Der israelitische König kann nicht hören, nicht wahrnehmen, was sein Gegenüber ihm eigentlich sagen will. Statt dem (sachlichen) Anliegen Aufmerksamkeit zu schenken, diesem „nach-zudenken“ und für eine gute Wende in der Beziehung offen zu sein, reagiert er überempfindlich – verdächtigt seinen Nachbarn, als ob dieser nichts anderes im Sinn hätte, als eine passende Gelegenheit zu finden, um noch Öl in das Feuer des ohnehin schon gespannten Verhältnisses zu gießen. Dass in der biblischen Erzählung von einer jungen Israelitin die Rede ist, die sich – obwohl selbst in schwieriger persönlicher Situation und in ganz unbedeutender Stellung - so mitfühlend und sorgend für einen anderen Menschen einsetzt, kann vielleicht eine Hilfe sein, die Jugendlichen im Gottesdienst (Konfirmanden/ Konfirmandinnen) auf ihre eigenen Möglichkeiten, sich gut „einzubringen“, besonders anzusprechen und zu ermutigen.Zum Gottesdienst
Im Gottesdienst möchte ich im Zusammenhang der Fürbitten gemeinsam mit den Konfirmanden/Konfirmandinnen Kerzen für den Frieden in der Welt anzünden. Dabei sollen Taten und Aktionen des Friedens im persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungsbereich genannt werden. Ich will (wie schon am vorigen Sonntag nocheinmal) an Martin Luther King jr. erinnern, der am 15.01.1929 in Atlanta geboren und am 4.04.1968 in Memphis ermordet wurde. Im Hinblick auf den in unserem Predigttext entfalteten universalen/weltumfassenden Gottesgedanken passt ein Auszug aus seinem berühmten „Der Brief des Apostels Paulus an die amerikanischen Christen“, dort heißt es: „Laßt mich ein Wort über die Kirche sagen. Ich muß euch wie so viele andere daran erinnern, daß die Kirche der Leib Christi ist. Wenn die Kirche ihrem Wesen treu bleiben will, darf sie weder Trennung noch Uneinigkeit kennen. Ich höre, daß es bei euch Protestanten über 250 verschiedene Denominationen gibt. Aber schlimmer ist noch, daß manche von ihnen behaupten, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Ein so enges Sektierertum zerstört die Einheit des Leibes Christi. Gott ist weder Baptist noch Methodist, weder Presbyterianer noch Episkopaler. Gott steht über unseren Konfessionen. Das müßt ihr wissen, wenn ihr wahre Zeugen Christi sein wollt“ (Martin Luther King jr., Kraft zum Lieben, Konstanz 1964 [= Neukirchen-Vluyn 1997], S. 201-212, hier: S. 205). Dieses Zitat nehme ich in meiner Predigt auf (ich lasse es von einer anderen Stimme lesen), es kann aber auch an einer anderen Stelle, z. B. im Anschluss an das Halleluja nach der Schriftlesung vorgetragen werden.Liturgische Elemente
Den Gnadenspruch nach dem Kyrie-Gebet möchte ich aufnehmen mit dem Singen der Jahreslosung 2006 aus Josua 1,5 (siehe meine Vertonung unter „Jahreslosung“ auf der Hauptseite des Heidelberger Predigt-Forums), die ein wunderbarer Zuspruch Gottes darstellt. Die Jahreslosung kann auch zwischen den einzelnen Fürbitten erklingen.Lieder
„Du Morgenstern, du Licht vom Licht“ (EG 74), „Laudate, omnes gentes“ (EG 181.6), „Lobt Gott den Herrn“ (EG 293 = Wochenlied. – Statt „ihr Heiden all“ singen wir in Providenz begründet [man beachte den Parallelismus „ihr Völker allzumal“] : „ihr Völker; es freut mich, wenn sich diese Version wie auch in den entsprechenden Psalmen Einverständnis finden und durchsetzen würde), „Gott gab uns Atem, damit wir leben“ (EG 432), „Gib uns Frieden jeden Tag“ (EG 425).Liebe Gemeinde!
Gesundheit ist ein unbezahlbar kostbares Gut. Aus den vielfältigen Erfahrungen mit schweren Krankheiten, für die es keine Heilung gab, kam es zu dem Ausspruch “Hauptsache gesund”. Wir müssen diesen Ausspruch nicht in Frage stellen. Unsere guten Wünsche füreinander bei besonderen Anlässen schließen meist den Wunsch für Gesundheit ein. Viele hier haben Krankheit im persönlichen Umfeld erlebt und festgestellt, wie auf einmal sich alles verändert. Da ist die Hoffnung auf ärztliche Hilfe, und an jeder Möglichkeit zur Heilung hält man sich fest wie an einem Strohhalm. Wenn alle ärztliche Kunst an eine Grenze gestoßen ist, können wir nur noch auf ein Wunder hoffen.
I.
Auf solch ein Wunder hoffte auch der schwer an einer Hautkrankheit erkrankte syrische Heerführer Naaman. Davon erzählt die Geschichte aus dem zweiten Königebuch, die wir jetzt hören.
(Lesung des Predigttextes)
Den entscheidenden Hinweis, der den kranken Naaman wieder hoffen lässt, bekommt er von einem israelitischen jungen Mädchen, die als Kriegsbeute gefangen genommen wurde und im Hause Naamans dienen musste. Sie kennt einen in Samaria, der Hauptstadt des Nordreiches Israel, lebenden Propheten, Elischa, dem sie zutraut, dass er Naaman helfen und heilen kann.
In einer bedrängenden Lebenssituation, geprägt von der Feindschaft zweier Staaten, deren Opfer die junge Israelitin geworden ist, bringt sie für einen Menschen Hoffnung, der vom Leben nichts mehr erwartet. Naaman, der – selbst wenn er sie gut behandelt hat (was wir nicht wissen) – sie versklavt hat, ein Offizier, ein Berufssoldat, ist schuldig an ihr und ihrem Volk geworden. Das junge Mädchen hat keinen Gedanken an Rache wie: „Soll er doch endlich auch leiden“, keinen Gedanken an Genugtuung wie: „Es hat auch ihn endlich erwischt“ und auch keinen tröstlichen Gedanken wie: „Jetzt kann er anderen Völkern nicht mehr schaden“. Dieser junge Mensch gibt eine Hoffnung an Naaman, aber auch an uns heute weiter. Nicht Vergeltung, sondern Mitmenschlichkeit bestimmt sein Handeln. Wenn junge Menschen Mitmenschlichkeit zum Maßstab nehmen, können wir getrost in die Zukunft gehen und ihnen die Zukunft überlassen, dann wird sie gut.
II.
Das unglaubliche Ansinnen der jugendlichen Israelitin wird noch dadurch hervorgehoben, dass der König von Israel von dem Vorgesetzten Naamans, dem aramäischen Nachbarkönig, gebeten wird, den Kranken zu heilen: “Bin ich (denn) ein Gott, dass ich tot und lebendig machen könnte?” (Vers 7) Diese Reaktion des israelitischen Königs kann als “eine Absage an jede Vorstellung von einem göttlichen, heilmächtigen Königtum“ verstanden werden und damit als Absage an die Vergötterung menschlicher Macht und Machthaber.
Es war damals auch und ist bis heute eine Absage an die Käuflichkeit von Gesundheit einerseits und ein Beispiel für negative Reaktionen in der zwischenmenschlichen Kommunikation und Beziehung. Wie schwer ist es – damals wie heute – , aufeinander zu hören, sich einzufühlen in sein Gegenüber und wahrzunehmen, was der andere Mensch mir wirklich sagen will. Wie schnell kommt es zu Verdächtigungen. „Er will nur Krieg“, sagt der israelitische König. Unvorstellbar – der andere will nur Gesundheit und Heilung und das auch noch für einen anderen! Unvorstellbar, wenn Machterhaltung Lebensziel ist! Unvorstellbar, wenn die Person einem anderen Volk angehört! Unvorstellbar, wenn dieser Mensch einen anderen Glauben hat! Unvorstellbar bis heute?
(Einladung zur Stille, Impuls: Wie gehe ich mit Angehörigen anderer Völker, Kulturen, Religionen und Konfessionen um?)
Jetzt erst lässt der Gottesmann Elischa dem König sagen, Naaman solle zu ihm kommen, damit er erfahre, dass es einen Propheten in Israel gebe. Das war geschickte prophetische Diplomatie und hat kriegerische Auseinandersetzungen verhindert.
Naamann begibt sich voller Erwartung zum Haus Elischas. Seine Enttäuschung ist groß, als lediglich ein Bote des Propheten erscheint und dem Fremden sagen lässt, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, was ihm die ersehnte Heilung bringen werde.
Zornig zieht Naaman weg, hatte er doch den prophetischen Heiler persönlich erwartet und dessen geheimnisvollen rituellen Praktiken. Seine Diener können ihn gerade noch davon abhalten, wieder abzureisen. Es gelingt ihnen, Naaman dazu zu bewegen, das Wenige – so ganz Anspruchslose – zu tun, was der Prophet ihm gesagt hat und das “Gesundheitsbad” im Jordan zu nehmen. Das Bad wirkt, und die Heilung bewirkt eine neue Lebenssicht.
III.
Es kommt zu einer persönlichen Erfahrung Naamans mit dem Gott Israels auf ganz unspektakuläre Weise. Der Prophet nahm sich zurück, weil es nicht um sein Tun, nicht um seine Heil- und Wunderkraft ging; für Gottes Heil und seine Wunder Vertrauen zu wecken war seine Berufung, und ihm unbewusst zur Seite standen die junge Israelitin und die Diener des Hilfesuchenden. Wie oft schon hat Gott auch durch dich Wunder gewirkt. Naaman hat erfahren: Gottes auf Heil und Heilung zielendes Handeln braucht keine großen Effekte.
Der Fluss bekommt in der Prophetenerzählung symbolische Bedeutung. Das Wasser wäscht rein. Veraltetes, Verkrustetes schwemmt es fort, vielleicht den Hautpanzer des abgebrühten erfolgreichen Kriegsherrn. Das fließende Wasser – Symbol für Bewegung, für den guten Fluss der Dinge. Das siebenmalige Untertauchen in dieses Wasser – ein Untertauchen mit Leib und Seele. Obwohl die christliche Taufe damals noch nicht im Blick war, legt diese Symbolik in der alten biblischen Geschichte eine Assoziation nahe.
Die Geschichte von der Heilung des fremden Naaman kann uns auch heute noch etwas über das Gottesbild lehren: Der Gott Israels überschreitet die Grenzen von Nationen und Religionen. Im Hinblick auf diesen universalen/weltumfassenden Gottesgedanken möchte ich in Erinnerung an Martin Luther King jr. aus seinem berühmten fingierten „Brief des Apostels Paulus an die amerikanischen Christen“ zitieren, dort heißt es, auf die Kirche bezogen (der Text kann von einer anderen Stimme gelesen werden):
„Laßt mich ein Wort über die Kirche sagen. Ich muß euch wie so viele andere daran erinnern, daß die Kirche der Leib Christi ist. Wenn die Kirche ihrem Wesen treu bleiben will, darf sie weder Trennung noch Uneinigkeit kennen. Ich höre, daß es bei euch Protestanten über 250 verschiedene Denominationen gibt. Aber schlimmer ist noch, daß manche von ihnen behaupten, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Ein so enges Sektierertum zerstört die Einheit des Leibes Christi. Gott ist weder Baptist noch Methodist, weder Presbyterianer noch Episkopaler. Gott steht über unseren Konfessionen. Das müßt ihr wissen, wenn ihr wahre Zeugen Christi sein wollt“
Naaman ist um eine grundlegende Gotteserkenntnis reicher geworden – und damit gesund geworden. Blieb für ihn noch die Frage, wie er seine neue Gotteserfahrung mit seinen religiösen Pflichten im Dienst seines Königs verbinden kann. Dass ihn dies jetzt nicht beschäftigen muss, signalisiert ihm die Antwort des Propheten: “Zieh hin mit Frieden”, was bedeuten kann: Geh jetzt deinen Weg in der Kraft der heil-vollen Gotteserfahrung und: Geh hin zum Frieden. Das heißt doch bis heute: Gott ist ein Gott für alle Völker. Gott wendet sich allen Völkern heilsam zu, lädt ein: Geht eure Wege in Frieden, geht friedlich miteinander um, wendet euch in Frieden einander zu, solcher Umgang miteinander schließt Wunden, heilt, macht gesund.
Jesus von Nazareth meint diesen heilsamen, Menschen und Völker über alle nationalen, kulturellen und religiösen Grenzen verbindenden Gott, wenn er wie im heutigen Sonntagsevangelium den Glauben eines Nichtisraeliten seinem Volk vor Augen stellt und – wie es im Wochenspruch heißt – sagt: “Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes”.
Amen.