Diese Welt ist nicht unsere Heimat
Das Spüren der Gegenwart Jesu und das Hören seines Wortes ist auch für uns heute das Entscheidende, das uns aufrichtet
Predigttext: Offenbarung 1,9-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Trübsal und am Reich und im Ausharren bei Jesus, ich war auf der Insel, die da heißt Patmos, um des Wortes Gottes und des Zeugnis-ses von Jesus willen. Der Geist kam über mich am Tag des Herrn, und ich hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es zu den sieben Gemeinden: nach Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodicea. Da wandte ich mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich wandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich. Er war angetan mit einem langen Gewand und begürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar waren weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme, und seine Füße wie goldenes Erz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie ein Toter, und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes.Exegetische (I) und homiletische (II) Einführung
I. Nach außerbiblischen Quellen handelt es sich beim Schreiber der Offenbarung um den Jünger Johannes. Er soll als alter Mann Presbyter der frühchristlichen Gemeinde zu Ephesus gewesen sein. Als solcher wird er sich auch für die Ge-meinden im Westen Kleinasiens verantwortlich gefühlt haben. Während der domitianischen Christenverfolgung (81-96 n. Chr.) kam er um 90 n. Chr. auf die damalige Sträflingsinsel Patmos. Durch die Verbannung des Apostels sollten die kleinen aufblühenden Gemeinden führerlos gemacht und das Christentum zurückgedrängt werden. Aber als Verbannter hatte er erschütternde Visionen. Ihm wurden von Christus, dem Herrn der Kirche, wichtige Botschaften für die sieben kleinasiatischen Gemeinden aufgetragen, die weit über die damalige Bedrohung hinausgingen und eine umfassende prophetische Dimension erreichten. So entstand die Offenbarung des Johannes. Es geschah also genau das Gegenteil, was die Verfolger erreichen wollten: Ausgerechnet der, welchen sie mundtot machen wollten, wurde zum Mund Gottes für die Christen aller Zeiten und Völker. Johannes hörte und sah etwas, was mit natürlichen Ohren und Augen nicht erkennbar ist: Er durfte Einblick nehmen in die unsichtbare Wirklichkeit Gottes. Der Geist Gottes erfasste ihn am „Tag des Herrn“. Man kann annehmen, dass der Sonntag gemeint war. Johannes war wohl gerade ins Gebet vertieft, als ihn der Geist Gottes überraschte und ihn mit sich nahm in eine andere Welt, die den Menschen normalerweise verschlossen bleibt. Zuerst hörte Johannes den Auftrag Gottes (Audition). Dann erst wandte er sich um und sah einen Menschensohn (Vision). Es ist Jesus, der mitten unter sieben Leuchtern herumgeht. Die sieben Leuchter stehen für die sieben Gemeinden in Kleinasien, die wiederum sieben verschiedene Typen der christlichen Gemeinden darstellen. Jesus zwischen den sieben Leuchtern im Himmel bedeutet: Er ist auch unter seinen Gemeinden auf der Erde. Johannes darf sehen, was der christlichen Gemeinde hier auf der Erde verborgen bleibt und was sie nur im Vertrauen auf die Zusage Jesu weiß: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Matth. 28,20). Nach der visionären Beschreibung Jesu fällt Johannes überwältigt zu Boden, wird aber durch ein Trostwort Jesu aufgerichtet. Es klingt wie eine Ergänzung der sieben Ich-bin-Worte des Johannesevangeliums. Es ist eine stärkende Zusage für die bedrängte christliche Gemeinde. II. In unserer Zeit meinen viele Menschen, es gäbe keine Visionen mehr, und so zweifeln sie auch überlieferte Visionen an. Auf der andern Seite gibt es in unserem grauen Alltag die Sehnsucht nach Visionen, nach Überschreitung unserer Wirklichkeit hin in eine andere Welt. Inzwischen nennt man in Wirtschaft und Politik sogar das Ziel, das man konkret anpeilt, eine Vision. Dies ist aber eine von Menschen machbare Vision im Gegensatz zur biblischen Vision, die allein Gott geben kann. In der Predigt sollte man die Sehnsucht der Menschen nach Überschreitung ihrer sichtbaren Wirklichkeit aufgreifen, aber auch deutlich machen, dass es hier nicht um menschliche Träume geht, sondern um eine weitere reale Dimension, um eine unsichtbare Wirklichkeit. Der Prophet darf einen Einblick in diese Wirk-lichkeit erhalten, um den Christen, die sich heute immer mehr an den Rand gedrängt fühlen, neuen Auftrieb und neue Hoffnung zu geben.Lieder:
„Du Morgenstern, du Licht vom Licht“ (EG 74), „Stern, auf den ich schaue“ (407).Liebe Gemeinde,
diese Welt ist nicht unsere Heimat. Wir sind für viel mehr erschaffen, viel Größeres und Herrlicheres. Nur sehen wir das nicht im Normalfall. Wir sind mit unseren Alltagsproblemen befasst und denken, das sei die ganze Wirklichkeit. „Alles andere, die Sache mit dem Himmel, das weiß doch keiner so genau. Es war doch noch keiner dort und hat uns erzählt, wie es dort ist!“
Stimmt das wirklich? Können wir wirklich nichts wissen? Wenn dir das Leben manchmal hart zusetzt, wenn du an Gott zweifelst und du dich fragst, ob es sich lohnt zu beten, in die Kirche zu gehen und zu glauben, dann sagt dir der Schrei-ber der Offenbarung:
„Ja, es lohnt sich! Ich, Johannes, habe wahrscheinlich Schlimmeres erlebt als du heute. Wegen meines Glaubens an Christus kam ich auf die Sträflingsinsel Patmos. Am Sonntagmorgen, als ich ins Gebet vertieft war, überraschte mich der Geist Gottes, und er trug mich in eine andere, aber nicht weniger wirkliche Welt. Ich hörte Gottes Stimme, die mir auftrug, alles aufzuschreiben, was auf die christlichen Gemeinden noch zukommt, damit sie auf alles vorbereitet sind“.
Was in unserem heutigen Bibeltext beschrieben wird, ist eine Vision, die alles Menschliche übersteigt: ein Blick in den Himmel, in eine andere Wirklichkeit, die aber genauso real ist wie unsere hier auf der Erde. Eine Vision, die uns deutlich macht: Der Glaube an Christus lohnt sich!
Da sieht Johannes sieben goldene Leuchter. Was ist damit gemeint? Sie stehen für die sieben Gemeinden im damaligen Kleinasien. Sie stehen aber auch für die sieben Typen von christlicher Gemeinde. Drei will ich mal herausgreifen: Da gibt’s zum Beispiel die geduldige und treue Gemeinde mit vielen zuverlässigen Christen. Trifft das vielleicht auf uns zu? Oder es gibt die fast schon tote Ge-meinde mit wenig lebendigen Christen, aber vielen, die sich wohl Christen nen-nen, es aber nicht in ihr Leben umsetzen. Sind wir das etwa? Oder es gibt die laue Gemeinde, wo die meisten wohl an Jesus glauben, der aber das Feuer des Geistes Gottes fehlt. Vielleicht sind wir das?! Jeder überlege mal, welcher Typ von Gemeinde wir sein könnten!
Aber allesamt sind es doch christliche Gemeinden mit ihren Schwächen und Stärken, die immerhin noch leuchten und ein Licht sind für andere Menschen. Die Zahl sieben deutet dabei an, dass diese alle die vollständige Gemeinde Gottes repräsentieren.
Aber manchmal denkt man: Ist nicht alles Menschenwerk in unsern Gemeinden? Sind wir vielleicht doch nur ein Verein, der Menschen mit gleichen Interessen miteinander verbindet? Oder ist da mehr zwischen uns, wenn wir Gottesdienst feiern, wenn wir für- und miteinander beten und in den verschiedenen Kreisen zusammenkommen?
Ja, da ist mehr, sagt uns Johannes. „Denn ich sah im Himmel mitten unter den Gemeinden einen Menschensohn, einen wahren Menschen und doch war er ganz anders“. Ich denke uns ist allen klar, wen er meint: Er sah Jesus. Das letzte Wort, das Jesus den Jüngern sagte, als er in die himmlische Welt entschwand, war: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt!“. Die Chri-stenheit hat daran immer festgehalten, jedoch manchmal wurde sie unsicher, ob das wirklich stimmt. Aber Johannes darf das schauen: Jesus ist tatsächlich mitten unter seinen Gemeinden. Und das heißt: Hier und jetzt im Gottesdienst, bei unserm Beten, bei unserm Glauben ist er mitten unter uns. Diese Gewissheit gibt dir Trost und Kraft aus der Ewigkeit. Mit Johannes dürfen wir einen Blick in den Himmel tun und dabei erfahren, dass Gottes Wille nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde geschieht mitten unter seinen Ge-meinden, weil Jesus unter ihnen ist.
Jesus ist auch im Himmel ein echter Mensch, und doch ist alles ganz anders: Er hat ein langes Gewand, das an einen Priester erinnert, und einen goldenen Gürtel über der Brust. Haupt und Haare leuchten wie Schnee in der Sonne, es geht also Leuchtkraft von ihm aus. Seine Augen sind wie Feuerflammen, er durchschaut und durchdringt alles. Seine Füße sind wie glühendes Golderz, das heißt, alle Schlacken, alles Unreine, alles Böse tritt er unter seine Füße, dass es keine Macht mehr über uns gewinnen kann. Seine Stimme ist wie Wasserrauschen: stark und mächtig. Diese Stimme kann man nicht überhören. In seiner Hand sind sieben Sterne. Diese sieben Sterne stehen für die christlichen Gemeinden, die ihm niemand entreißen kann (siehe Vers 20). Aus seinem Mund geht ein schar-fes Schwert. Damit ist gemeint, dass alles, was er sagt, zutrifft und dass sein Urteil über die Menschen wahr ist. Er ist der gerechte Richter, vor dem wir alles in unserm Leben verantworten müssen. Zusammenfassend sagt Johannes von ihm: seine gesamte Ausstrahlung leuchtet wie die Sonne in ihrer Pracht.
So durfte Johannes Jesus sehen. Wir können das nicht. Aber wir dürfen diesen herrlichen und starken Jesus unter uns wissen. In seinem Namen sind wir hier versammelt und von seiner lebendigen Wirklichkeit leben wir. Wir sind manchmal ganz schön verzagt. Wir zweifeln manchmal, ob unser Glaube an Christus uns wirklich trägt. Aber da dürfen wir durch Johannes Jesus in all seiner Herrlichkeit sehen. Damit wissen wir, dass Jesus wirklich lebt, dass nichts seinem Urteil entgeht und dass die Gemeinden in seiner Hand sind. Das Sehen dieses himmlischen Jesus ist für Johannes allerdings so stark, dass er zu seinen Füßen fällt wie ein Toter. Das heißt, solch eine himmlische Begeg-nung geht uns menschlichen Wesen an die letzte Kraft. Man kann es nicht aus-halten und fällt wie tot um.
Aber Jesus ist ja auch der Mensch, der uns kennt und versteht. Er legt seine rechte Hand auf Johannes und spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht!“ Das heißt, er gibt Johannes zuerst einen Trost, den dieser fühlen kann, und dann einen Trost, den dieser hören kann. Das Spüren der Gegenwart Jesu und das Hören seines Wortes ist auch für uns heute das Entscheidende, das uns aufrichtet. Nur in unserer Welt wird es immer vermittelt sein durch Menschen, die uns im Namen Jesu lieben und in seinem Namen zu uns sprechen.
Das Herrlichste kommt zum Schluss. Jesus erklärt, wer er ist: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes“. Das heißt: Er ist von Anfang her und wird alles in Ewigkeit vollenden. Er lebt. Er war wohl tot, das heißt: Er ist wirklich am Kreuz gestorben. Aber er hat den Tod überwunden nicht nur in dem Sinne, dass er selber lebendig ist für alle Ewigkeit, sondern er hat „die Schlüssel der Hölle und des Todes“. Das heißt, als Aufer-standener ist er auch der Erlöser vom Tod. Er hat den Zugang zum Totenreich! Es geht also nicht um ein Weiterleben nach dem Tod, wie viele meinen, sondern um ein neues Leben, das den Tod überwunden hat. Und das ist ganz wichtig auch für uns: dass uns Jesus erlöst aus dem Totenreich, aus dem Gefangensein der Seele, hin zu einem neuen Leben bei Gott. Er hat den Schlüssel dazu. Er lebt! Das heißt für uns: Unsere Gebete kommen bei ihm an. Unser Glaube an Christus lebt von einer Wirklichkeit, die wir nicht sehen und die doch realer ist als alles Sichtbare. Dann wird auch unsere Hoffnung einmal durch ihn erfüllt. Und unsere Liebe ist geborgen in seiner Liebe.
Amen.