Gotteslob und Gerechtigkeit
Grund zum Rühmen und Handeln
Predigttext: Jeremia 9,22.23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, das er klug ist und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.Zur Einführung
Das Thema „Nicht rühmen!“ führte wirkungsgeschichtlich häufig zum – proklamierten und oft genug verinnerlichten oder heute gerade deshalb abgelehnten – Selbstbild eines „Sündenwürmleins im Meer der Gnade“ (Zinzendorf, aber wer fühlt heute schon noch so barock). Die feministische Theologie hat hinlänglich herausgearbeitet, dass das zumindest heute keine heil-same Theologie ist, und es gut tut bzw. man gut daran tut, den Frauen und auch Männern diese Bilder durch andere zu ersetzen. So steht bei dieser Predigt das Anliegen im Hintergrund, Selbstzerknirschungen aller Art, die ja auch gern zum Selbstzweck ausarten können, zu begegnen und die theologische Substanz herauszuarbeiten, die das Gotteslob zum Ausgang dafür nimmt, sehr wohl Kurskorrekturen und Neuorientierungen stark zu machen – aber nicht im Kreisen um sich selbst (ob stolz oder gut schwäbisch „mei(ne) Demut isch (ist) mei ganzer Stolz!“), sondern in der Ver-/Bindung zu Gott und den Mitmenschen. Ich empfehle, die hervorgehobenen Zitate aus dem Predigttext mit „Bibelstimme“, d.h., sprachlich abgehoben, zu lesen.Zur Liturgie:
Diese Gelegenheit hatte der 1. Sonntag nach Epiphanias, der 9. Januar, mit der Perikope 1 Kor 1,26-31 schon einmal geboten – die enge Verbindung beider Texte wird in der Predigt angesprochen und empfohlen, diesen Text als Schriftlesung zu wählen. Der Duktus des jetzigen Predigttextes kann durch die rahmenden Lieder nachempfunden werden: Vom Gotteslob zum Weg der Gerechtigkeit. Lieder: „Lobe den Herren, o meine Seele“ (EG 303, 1-3.8, vor der Predigt), „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“ (EG 658, 1-4, Anhang Württemberg, nach der Predigt, oder ein anderes Lied zum Thema Gerechtigkeit), „Gott liebt diese Welt“ (EG 409,1.6-8, Schlusslied = Wochenlied).Literatur:
Heiner Geissler, Das nicht gehaltene Versprechen. Politik im Namen Gottes, München 1997, 12f. - Roland Gradwohl, Worüber man sich rühmen kann, in: ders., Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen Bd.2, Stuttgart 1987, 245-255; bes. 252. - Jürgen Quack, Wir wissen, was dem Willen Gottes widerspricht, Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 8/2000, 3 (dort Zitat von Pedro).Liebe Gemeinde,
Einstimmung und liturgischer Anschluss
Die Schriftlesung ( 1. Kor 1, 26-31) kam Ihnen wahrscheinlich recht bekannt vor, anfangs des Jahres war sie bereits Predigttext – die Sache mit der Demut und „damit sich kein Mensch vor Gott rühme“.
„Wer sich rühme, der rühme sich des Herrn“ –
Wir haben das „Lobe den Herren, o meine Seele – Halleluja.“ gesungen.
Wie in den Psalmen, es war ja auch ein Psalmlied.
Hallal – rühmen, preisen, singen, danken, loben –
Halleluja – rühmt, preist, singt, dankt, lobt Gott.
Heute nun ist der Text Predigttext, den Paulus auch zugrundegelegt hat:
Worte aus dem Buch des Propheten Jeremia,
Kap. 9, die Verse 22& 23:
So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Sondern, wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, das er klug ist und mich kenne,
dass ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Um welches menschliche Rühmen geht es?
Also doch wieder: Nichts zählt, was man kann und hat??? Schön demütig? Und was ist mit der Psychologie, die sagt, dass der Mensch Lob braucht? Nun, dem ist mitnichten widersprochen. Wir befinden uns eher in der Situation: „Alle denken nur an sich – nur ich denke an mich“. Und das dann doch vorsichtshalber lautstark. Ihr Jugendlichen, und da können auch die Älteren sich wohl noch an so manches erinnern, Ihr Jugendlichen könnt euch da sicher ganz leicht einfühlen: Wenn jemand immer mit irgendetwas angibt, was zugegebenermaßen eigentlich nicht übel wäre: „Ich bin so schlau – lauter gute Noten!“ „Ich kann mir immer die angesagtesten Klamotten kaufen, wir haben das Geld.“ Und die Sache mit der Stärke bekommt man ja im dümmsten Fall dann zu spüren.
Rühmen braucht Substanz und den richtigen Maßstab
Zwei Pole hat unser Text, unsere biblische Weisung: Solcherlei, wo uns nun doch recht gut einleuchtet, dass das nicht gerade ideal ist, und
Sondern, wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, das er klug ist und mich kenne.
Also, nicht einmal das „Rühmen“ als solches ist verboten, aber es sollte Substanz haben: Klugheit, und damit auch die Klugheit, mit Gott zu rechnen. Dass man sich nicht vor lauter Schlauheit oder Reichtum oder Stärke selbst zum Herrn aufspielt in dem Sinne, dass man andere unter sich haben muss, als Dumme, Arme der Schwache.
dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“
Barmherzigkeit, wie’s hier übersetzt ist, das meint auch Liebe, Treue, Gnade, Verlässlichkeit. So etwas ist als Maßstab doch viel schöner, und dann wird es auch gerechter. Gegen so manche menschliche Neigung, andere klein zu machen oder unten zu halten, sei’s in der Schule, sei’s in der Weltwirtschaft, und wo auch immer, Gegen so manche menschliche Neigung, andere klein zu machen oder unten zu halten, hat Paulus, absolut in jüdischem Sinne, ausgeführt: (1 Kor 1, 27f) „Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, und das Geringe vor der Welt und das Verachtete, das hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.“
Und „vor Gott“ ,kann eben auch bedeuten: Sich und die eigenen Fähigkeiten zuallervorderst setzen oder und nicht zuletzt, dass man sich von Weisheit, Stärke und Reichtum der anderen völlig lähmen lässt – und all dem weiß welche Herrschaft überlässt.
Den Satz von Luther zu zitieren ist nicht mehr originell, aber halt immer noch wahr: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Und es ist klug, sehr klug, Gott Gott sein zu lassen und nichts und niemand anderes zu vergötzen.
Hoffnung und Vertrauen auf Gerechtigkeit angesichts der Ungerechtigkeit
Immer wieder reibt man sich aber an einer Stelle:
dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden,
wenn es gar nicht nach Gerechtigkeit aussieht, angesichts der Kriege … Da hatten es die Hebräisch sprechenden Gemeinden leichter: Dort funktioniert die Sprache anders: Bei dem „Gerechtigkeit üben“ weiß man – sprachlich – nicht ganz genau, welche Zeit das ist, es kann immer auch Futur sein: Gott wird Gerechtigkeit üben. Da erschließt sich die Grundaussage leichter: Dass man fest davon ausgeht, dass dem so ist, auch und gerade, wenn im Moment wieder alles dagegenzusprechen scheint. Daran festhalten, auch und gerade dann, wenn das wieder verflixt schwer fällt. Was geschähe, wenn wir dies aufgeben würden??? Eben. Dann ist man auch, und das kennen wir wohl aus eigener leidvoller Erfahrung, nicht mehr zum unbeschwerten Gotteslob fähig. Das ist nicht zu verdammen, wir brauchen nur an die Psalmen zu denken, die sich schwer durch manchen Hader und Zweifel wieder dazu durchkämpfen.
Gegen Bezogenheit nur auf sich selber, auf Kosten anderer
Wovor unser Text aber nachdrücklich warnen möchte, ist, was passieren kann, wenn das Hallal – rühmen, preisen, singen, danken, loben – nicht mehr Gott gilt: Dann setzt man ganz schnell anderes in diese Lücke. Deshalb:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
Simon Ben Soma, ein jüdischer Ausleger im 1. Jh.nCh, hat unseren Text so ausgeführt: „Wer ist weise? Wer von jedem Menschen lernt.
Wer ist stark? Wer sich selbst bezwingt.
Wer ist reich? Wer sich mit dem freut, was er besitzt.
Wer ist geehrt? Wer die Menschen ehrt“.
Das geht eben nicht auf Kosten der anderen. Es geht also nicht darum, dass wir alle schwach, arm und dumm sind, es geht um die gefährliche Art des Sich-Selbst-Rühmens. Wenn man klarmacht: „Was bin ich stark, reich, gescheit, was bin ich cool, ey,“ das wertet ganz schnell andere ab, die das dann weniger sein sollen. Das ist nicht nötig. Ich darf stark sein, dagegen hat Gott absolut nichts. Aber dagegen, wenn ich es auf Kosten anderer sein will. Ich darf Geld haben, aber nicht unrecht erworbenes Geld. Und Gescheitheit muss ja nicht andere mundtot machen.
Die weise und kluge Lebenshaltung
In unserem Text geht es in Gottes Namen um dreierlei, es geht um eine Lebenshaltung, die klug ist, weil sie Gott mit in den Blick nimmt: Ich erkenne meine eigenen Grenzen an. Ich teile meine Gaben mit anderen. Mein Leben wird reich, weil Gott sich mir durch Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit mitteilt. Wer wirklich weise ist, bei Jeremia heißt das hier „klug“ im Sinne von „lebensklug“, also nicht nur in Theoriegebäuden, wer wirklich weise ist, hat Anteil an der göttlichen Weisheit, im Einklang mit ihr, und die hat eben Liebe-Treue-Gnade-Verlässlichkeit-Barmherzigkeit als Maßstab, und Recht und Gerechtigkeit.
Die jüdischen Auslegungen im Talmud und bei den Rabbinen haben das pointiert zusammengefasst:
Wenn du sagst: „Dies ist mein Gott, und ich will ihn verherrlichen“ – sei bemüht, ihm zu gleichen. Wie Gott gnädig und barmherzig ist, so sei auch du gnädig und barmherzig.“! Oder: „Daraus folgt, dass das Erkennen Gottes im Ausüben von Recht und Gerechtigkeit besteht.“
Das hat Jesus nicht außer Kraft gesetzt, gar nicht, er hat uns in diese jüdische Tradition hineingenommen, und er reicht uns diese Hand Gottes, er betont immer wieder: „Nicht alle, die Herr, Herr sagen, werden in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen Gottes tun“ (Matthäus 7, 21), und er lässt umso mehr daran teilhaben, als er auch die Last des Scheiterns uns abnehmen will: Umso mehr kann man es wagen.
So nimmt das ja auch Paulus auf : „Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“ (1 Kor 1,30). Das kann theoretisch klingen, ist aber sehr praktisch gemeint. Heiner Geissler findet deutliche Worte in seinem Buch „Das nicht gehaltene Versprechen. Politik im Namen Gottes“:
„ Auf der Erde werden Milliarden von Menschen ihres Glaubens und ihres Gewissens willen oder wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer ethnischen Zugehörigkeit unterdrückt, gefoltert und getötet oder leben in Armut, Sklaverei oder ohne Arbeit. Sie können sich zum Beispiel mit Jesus leicht identifizieren. Jesus als Sklave, der anderen die Füße wäscht, als Verbrecher am Kreuz: In der Welt des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des „Shareholder-Value“, in der Erfolg, Dividenden, Konsum, Rang und Titel die Leitbilder der Gesellschaft geworden sind, wirkt dieser Mensch fremd, deplaziert und sein Appell zum Dienen absurd. Er stellt die damals wie auch heute gültigen Werte und Maßstäbe auf den Kopf.“
Sondern, wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen, das er klug ist und mich kenne,
dass ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Hören wir auch auf die Stimme derer, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit not haben. So habe das letzte Wort ein Pfarrer aus Südamerika:
„Ihr sollt euch dessen rühmen, dass ihr Gott kennt. Allerdings nicht allgemein und irgendwie, sondern konkret, dass ihr den Gott kennt, der für Barmherzigkeit und Recht und Gerechtigkeit auf Erden einsteht. (…) Wir müssen Gott den Menschen verkündigen, die noch nie von ihm gehört haben; aber auch denjenigen, die von ihm wissen und an ihn glauben und ihm für ihre Weisheit, Stärke und für ihren Reichtum danken – ohne daran zu denken, dass es ein Gott der Gerechtigkeit, des Rechtes und der Barmherzigkeit ist. Denn sonst würden sie ihre Weisheit dazu gebrauchen, dass es mehr Gerechtigkeit für die Armen auf der Welt gibt. Sie würden ihre Stärke dazu gebrauchen, das Recht durchzusetzen, und sie würden ihren Reichtum im Sinn der Barmherzigkeit einsetzen. (…) Unsere Mission gilt allen – seid nicht zu bescheiden! Ihr rühmt ja nicht euch selbst oder die Kirche. Wir wissen, wie schwach wir sind und wie oft die Kirche versagt hat. Aber es ist unser Auftrag, diesen Gott zu rühmen und bekannt zu machen“.
Amen.
„Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“, singen wir es und tun wir es.