Gottes Glanz zum Leuchten bringen
Sich zu rühmen, ist nicht ganz verboten
Predigttext: Jeremia 9,22-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(22) So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. (23) Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden, denn solches gefällt mir, spricht der Herr.Vorbemerkungen
Die Verse Jeremia 9,22 und 23 entstammen der Gattung der Weisheit. Nach R. Gradwohl (Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Band 2, Stuttgart 1987) ist eine zeitliche Einordnung dieser Sätze schlecht möglich, „was freilich ihre zeitlose Gültigkeit nur noch mehr hervorhebt“. Dr. J. Block (GPM 60, 2005, Heft 1) vermutet als Adressaten dieser Sätze höfische Schreiber, Gelehrte, Lehrer auch Priester oder Schriftsteller. Vielleicht kann man vermuten, dass sich hinter dem Rühmen der Stolz auf die Reformen Josias und die erfolgreiche Außenpolitik verbirgt. Aber letztlich lassen sich weder die Abfassungszeit noch der Abfassungsgrund sicher benennen. Bei R. Gradwohl fand ich den interessanten Hinweis, dass die Reihung Barmherzigkeit bzw. Liebe, Recht und Gerechtigkeit nicht zufällig sind, sondern nach R. Joseph Ibu Nachmias der Trias Weisheit, Stärke und Reichtum zugeordnet sind (Gradwohl, S. 253). Dieser Hinweis und der Rat von J. Block, das „Sich-Rühmen in der Welt nicht als Negativfolie“ zu verwenden, da sonst die Predigt einen Duktus berechenbaren Schwarz-Weiß-Denkens bekommen könne, brachte mich auf die Predigtidee, einen heutigen „Weisheitsspruch“, der genau diesen moralischen Zeigefinger erhebt, als Negativfolie zu verwenden und dann über das rechte Rühmen nachzudenken. Die Predigt wird sicher stark Bezug auf meine Wertheimer Gemeinde nehmen, ähnliche Beispiele können aber sicher auch in anderen Gemeinden gefunden werden.Ideen zur Liturgie
Als Lobpsalm finde ich den Psalm der diesjährigen Weltgebetstagsordnung aus Südafrika schön. Er benennt nicht nur das Lob Gottes angesichts seiner Wohltaten, sondern auch den lobenden Umgang mit weniger angenehmen Dingen: All ihr winzigen Dinge, lobet Gott Geschäftige Ameisen und lauernde Zecken Zappelnde Kaulquappen und nervende Stechmücken Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr spitzen Dinge, lobet Gott Kaktusdornen und Kaktusfeigen, Aloe-Blätter und Stöckelschuhe Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr weichen Dinge, lobet Gott Goldene reife Mangos, Schwämme und Moose, sanfte Babyhaut, Schmusetiere und Haferbrei Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr süßen Dinge, lobet Gott Äpfel, Pfirsiche und Blaubeermarmelade, Träume der Jungen und gute Wünsche der Alten Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr schnellen Dinge, lobet Gott Blitze und am Himmel flitzende Schwalben, Autos auf Schnellstraßen, rasende Krankenwagen Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr langsamen Dinge, lobet Gott Riesige Elefanten und knochige alte Kühe Schildkröten und Schnecken und alle, die ihr auf Krücken geht. Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr lauten Dinge, lobet Gott Donner, Trommeln um Mitternacht und Taxis Hagel, prasselnder Regen auf Wellblechdächern Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr stillen Dinge, lobet Gott Die sanfte Brise in der Mittagshitze, schlafende Babys, Fische im Meer, das Weinen der Frauen, ihr Sorgen und Leiden. Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr geistlichen Dinge, lobet Gott Mitreißende Musik, Psalmengesang, Lesen in der Bibel, Gospelsingen, Verkündigung von Gottes Wort und Empfangen von Gottes Gaben. Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank All ihr geschaffenen Dinge, lobet Gott Unser Planet Erde mit dem umlaufenden Mond, die Milchstraße mit ihren Sonnensystemen, das ganze bekannte und unbekannte Weltall Liedruf: Lobt und preist ihn und sagt ihm Dank Gott, wir beten dich an - mit unserer Stimme und mit unserem Schweigen, denn dir gebühren Preis und Anbetung.Liedvorschläge:
„Jauchzt, alle Lande“ (EG 279,4+7); „Dass du mich einstimmen lässt“ (EG 597); „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt“ (EG 628); „Großer Gott, wir loben dich“ (EG 331); „O, dass ich tausend Zungen hätte“ (EG 330).Liebe Gemeinde!
In der Grundschule hatte ich ein Poesiealbum. Da stand ein Spruch, den viele von Ihnen sicher kennen: „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“
Ein bisschen erinnert mich unser Predigttext an meinen Spruch aus dem Poesiealbum. „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.“ Natürlich nicht, denken wir. So etwas tut man doch nicht. Das ist ja auch eher peinlich, wenn z.B. ein Reicher sich seines Reichtums rühmt oder damit protzt.
Man könnte nun unseren Predigttext einfach als eine Lebensweisheit verstehen, zu der wir getrost sagen können: Ja, in Ordnung, daran werden wir uns halten. Wir werden bescheiden sein und uns nicht rühmen. Wir wären dann schnell fertig damit und das wäre eigentlich schade. Denn da ist schließlich noch der zweite Satz und der fängt so an: „Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass e r klug sei und mich kenne“.
Also ist es doch nicht ganz verboten, sich zu rühmen. Es kommt auf das Wie an. Es gibt eine Bescheidenheit, die hat so etwas Freudloses. Viele haben diesen Poesiealbumspruch vom Veilchen so verinnerlicht, dass sie sich gar nicht trauen, stolz auf das zu sein, was sie geleistet haben. „Ach, das ist doch gar nichts“, wird das Lob abgewehrt. Dabei sieht man doch, wie viel Mühe sich diejenige oder derjenige gegeben hat. Mit wie viel Liebe da ans Werk gegangen wurde – „Das ist doch gar nichts, nicht der Rede wert.“ Das ist oft eine Bescheidenheit, die gerade in kirchlichen Kreisen gepflegt wird. Die Basteleien für den Basar, die liebevolle Tischdekoration für den Seniorennachmittag, die vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit – alles nicht der Rede wert? Wir dürfen doch auch stolz sein, wenn uns etwas gelungen ist. Stellen wir uns doch nur einmal ein Kind vor. Es hat lange geübt und jetzt hat es im Diktat Null Fehler geschrieben. Dieses Leuchten, wenn es heimkommt und stolz sagt: Das habe ich doch jetzt gut gemacht. Welch eine Kraft liegt in diesem Stolz und in dieser Begeisterung. Können wir wirklich auf diese Kraft verzichten? So eine Begeisterung ist doch ansteckend, sie reißt viele mit und motiviert sie. Von dieser Begeisterung wünsche ich mir mehr.
Gerade auch in der Kirche. Wir haben schließlich Einiges, worüber wir begeistert sein können. Den Gebetskreis, in dem sich so viele aufgehoben fühlen. Den Jugendtreff, zu dem mittlerweile bis zu zwanzig Jungendliche kommen. Den Kindergottesdienst, zwei Frauenkreise, den Chor und vieles mehr. Wir könnten ruhig selbstbewusst auftreten und sagen: „Doch, wir machen gute Arbeit. Wir haben ein reges Gemeindeleben, und viele Menschen kommen gern und lassen sich ansprechen“.
Verträgt sich das denn mit unserem Text? „ Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit und ein Starker nicht seiner Stärke?“ „Wer sich rühmen will“, ist die Antwort, „der rühme sich, dass er klug ist und mich kenne, dass ich der Herr bin.“ Hier haben wir die Nuance auf die es ankommt.
Unsere Weisheit und unsre Stärke, unsere Begabungen haben wir ja nicht aus uns selbst. Die haben wir geschenkt bekommen. Das sollen wir nicht aus den Augen verlieren. Was ich kann und bin, das bin ich, weil Gott mich so geschaffen hat. Dafür darf ich ihm dankbar sein. Es wäre ein grobes Missverständnis, wenn wir in falscher Bescheidenheit unsere Begabungen und unsere Stärken herunterspielen und sie gering schätzen. Denn damit würden letztendlich auch Gott, der uns doch diese Stärken geschenkt hat, gering schätzen. Nelson Mandela hat das einmal sehr gut ausgedrückt:
„Unsere tiefgreifende Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind. Unsere tiefgreifendste Angst ist, über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die uns am meisten Angst macht. Wir fragen uns: Wer bin ich, mich brillant, talentiert, phantastisch zu nennen? Aber wer bist du, dich nicht so zu nennen? Du bist ein Kind Gottes, Dich selbst klein zu halten, dient nicht der Welt. Es ist nichts Erleuchtetes daran, sich klein zu machen, dass andere um dich herum sich nicht unsicher fühlen. Wir sind alle bestimmt zu leuchten, wie es Kinder tun. Wir sind geboren worden, um den Glanz Gottes, der in uns ist, zu manifestieren. Er ist nicht nur in einigen von uns. Er ist in jedem Einzelnen. Wenn wir unser eigenes Licht erscheinen lasen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere“.
Wir sind geboren worden, um den Glanz Gottes, der in uns ist zum Leuchten zu bringen. – Wie ansteckend und begeisternd ist es, wenn wir bei anderen oder bei uns selbst diesen Glanz Gottes entdecken. Wie schön ist es, wenn Menschen ihre Talente einsetzen. Wie gut tut es, wenn man ihnen abspürt, dass sie das erfüllt, was sie machen, dass sie Freude daran haben. Manche haben dabei vielleicht Bedenken. Wie kann man das unterscheiden, werden sie fragen. Es gibt doch auch viele, die engagieren sich nur, um ihr Ego zu streicheln. Sie wollen gut dastehen vor sich und den anderen. Solche Menschen gibt es doch auch in der Kirche. Sie haben Recht. Es ist manchmal nicht leicht zu unterscheiden aus welchen Motiven wir etwas tun. Schon bei uns selbst fällt das schwer. Und über die Motive der anderen können wir wohl überhaupt kein Urteil fällen.
Es gibt aber schon Kriterien dafür, woran man erkennen kann, ob wir den Glanz Gottes zum Leuchten bringen. Sie stehen auch in unserem, Predigttext. Die Kriterien heißen Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Diese Begriffe stehen absichtlich in dieser bestimmten Reihenfolge, denn sie sind den Begriffen Weisheit, Stärke und Reichtum zugeordnet. Zur Weisheit gehört die Liebe oder die Barmherzigkeit, zur Stärke gehört das Recht und zum Reichtum gehört die Gerechtigkeit.
Weisheit oder Klugheit ist dann lobenswert, wenn sie in die Liebe führt. Paulus hat diesen Gedanken später aufgegriffen. In seinem „Hohen Lied der Liebe“ sagt er: „Und wenn ich alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts“. Eine gute Richtschnur, finde ich. Wie wäre es, wenn wir bei unseren Forschungen und in den Wissenschaften mehr danach fragen würden, wem sie nützt? Dient unsere Erkenntnis den Menschen? Allen Menschen oder nur einzelnen oder einer bestimmten Gruppe? Dann hätte diese Weisheit wohl etwas mehr mit Liebe oder Barmherzigkeit zu tun.
Ähnlich verhält es sich mit der Stärke. Zur Stärke gehört das Recht, sagt unser Text, das heißt: Die Starken haben eine Verantwortung. Schwache haben wenig Möglichkeit, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen, das müssen die Starken tun. Das betrifft alle Bereiche, in denen Menschen mit Menschen zu tun haben. Es kann schon in der Schulklasse anfangen. Wenn diejenigen in der Klasse, die eine starke Position haben und gut integriert sind, darauf achten, dass die Schwächeren auch zu ihrem Recht kommen, dann könnte eine gute Gemeinschaft entstehen, in der es Spaß macht zu lernen und in der man sich wohl fühlt.
Das dritte Kriterium hängt damit ganz eng zusammen: „Zum Reichtum gehört Gerechtigkeit“. Welch eine Sprengkraft liegt in diesem Satz. Diesen Satz wünsche ich mir als Untertitel bei den Nachrichten eingeblendet. „Zum Reichtum gehört Gerechtigkeit.“ Zum Beispiel, wenn wieder die Aktiengewinne des einen oder des anderen Konzerns verkündet werden. Dieser Satz würde uns daran erinnern, dass Reichtum verpflichtet und dass viele Börsengewinne eben nicht durch gerechtes Handeln zustande gekommen sind. Zum Beispiel, wenn ein Betrieb, um höherer Rendite willen, Menschen entlässt, weil in Billiglohnländern mehr Gewinne zu erwirtschaften sind.
Zur Weisheit gehört die Liebe, zur Stärke gehört das Recht, und zum Reichtum gehört Gerechtigkeit. Schade, dass das nicht in meinem Poesiealbum stand. Diese Sätze fände ich wirklich wichtig als Richtschnur für mein eigenes Handeln, aber auch für unser Zusammenleben in der Gesellschaft. Und manchmal gelingt es auch, dass wir im Sinn der Nächstenliebe handeln. Auf Recht und Gerechtigkeit achten. Für mich ist die Wertheimer Tafel so ein Beispiel. Hier ist unser gesellschaftlicher Wohlstand der Ausgangspunkt gerechten Handelns. Wussten Sie, dass ein fünftel aller Lebensmittel weggeworfen werden? Nicht etwa weil sie verdorben sind, sondern weil sie falsch ausgezeichnet wurden oder weil die Verpackung durch Transportschäden nicht mehr ganz einwandfrei ist. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die sparsam mit ihrem Geld umgehen müssen. Im Tafelladen können diese Lebensmittel günstig eingekauft werden. Hier wird wirklich unser Wohlstand und unser Überfluss so verwendet, dass er den Leuten zugute kommt, die es brauchen können. Das geht aber nur, weil es viele Ehrenamtliche gibt, die dort mitarbeiten. Für mich ein weiteres Beispiel, wie zündend eine Idee sein kann und wie warm es wird, wenn Menschen den Glanz Gottes weitergeben. Und wenn ich Mittwochs auf dem Weg zur Schule sehe, wie viele Menschen dort einkaufen, freue ich mich. Dann habe ich Grund genug, Gott zu rühmen, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden. „Denn solches gefällt mir spricht Gott der Herr.“
Amen