Für wen gehst du?
Der Lebensvorschlag Jesu – Motivationen für den eigenen Lebensentwurf
Predigttext: 2.Korinther 6, 1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt. 2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde; 4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, 5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, 8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben.Vorschläge zu Liturgie und Liedern
Psalm 111; Schriftlesung: 1.Mose 3,1-13; Lieder: „Mein erst Gefühl“ (EG 451), „Aus tiefer Not“ (EG 144, 1-4.7), „Ein reines Herz“ (EG 389), „Ach bleib mit deiner Gnade“ (EG 347).Literatur:
Rudolf Kautzky zu 2. Kor. 6, 1-10, in W. Jens (Hg.) Assoziationen , Bd. 4 , Stuttgart 1981, S. 64f.Liebe Gemeinde,
Für wen gehst Du?
eine kleine Geschichte mit einer wichtigen Frage sei gleichsam als Ouvertüre dem Predigttext vorangestellt. Sie stammt von Martin Buber und heißt “Der Wächter”:
In Robschitz, Rabbi Naftalis Stadt, pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Leute zu dingen, die nachts über ihren Besitz wachen sollten. Als Rabbi Naftali sich eines Abends spät am Rand des Waldes erging, der die Stadt säumte, begegnete er einem auf und nieder wandelnden Wächter. “Für wen gehst du?”, fragte er ihn. Der gab Bescheid, fügte aber die Gegenfrage daran: “Und für wen geht ihr, Rabbi?” Das Wort traf den Zaddik wie ein Pfeil. “Noch gehe ich für niemand”, brachte er mühsam hervor, dann schritt er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder. “Willst du mein Diener werden?” fragte er endlich. “Das will ich gern”, antwortete jener, “aber was habe ich zu tun?” – “Mich zu erinnern”, sagte Rabbi Naftali.
“Für wen gehst du?” – eine wichtige Frage, die sich einem im Leben immer wieder stellt. “Für wen bin ich unterwegs in meinem Leben? Wer oder was treibt mich an, gibt mir die Ziele vor, die ich zu erlangen trachte? Wie zeigt sich, für wen ich unterwegs bin?”
Für wen gehst du? Für wen ich gehe, dass merkt man wohl daran, wie ich gehe: Ob aufrecht, ob gekrümmt, ob in sich gekehrt, ob darüberschwebend, ob den Blick auf den Boden gesenkt, ob alles an mich ziehend, im Stil eines “Hoppla hier kommt …”, ob harsch, mit den Ellbogen den Weg freimachend, ob im Gleichschritt… und und und. Wie einer geht, das zeigt auch, wie es ihm geht. Wie einer geht, das zeigt zum anderen auch, was oder wer ihn bewegt.
Für wen gehst du? Auf diese Frage antwortet Paulus im Predigttext für den heutigen Sonntag aus seinem Zweiten Brief an die Korinther.
(Lesung des Predigttextes 2. Korinther 6, 1-10)
Aufrichtigkeit und Rechenschaft
Liebe Gemeinde, für wen gehst du, Paulus? In wessen Namen bist du unterwegs? Für wen arbeitest du? Wer steht hinter dir und motiviert dich? Paulus antwortet auf diese Fragen und legt hier Rechenschaft ab für das, was er tut und was er lässt. Rechenschaft darüber, für wen er geht, für wen er unterwegs ist. Er will sich ausweisen und zeigen, dass das, was er denkt und sagt, was er den Korinthern verkündet, glaubwürdig, echt, wahrhaftig, aufrichtig ist – und dass er selbst auch so ist oder zumindest versucht, so zu sein: wahrhaftig, echt, aufrichtig und glaubwürdig. Wort und Tat stimmen überein – und kommen dem zugute, für den man unterwegs ist, und dem, was man vertritt. “Als Eigenschaft bedeutet die Aufrichtigkeit die Übereinstimmung zwischen Wort und Tat mit dem Seelenleben oder dieses letztere mit sich selbst; als Tugend die Liebe zur Wahrheit oder die Achtung vor ihr.” (Comte-Sponville)
Aufrecht, aufrichtig, wahrhaftig , echt und glaubwürdig, das sind schöne Worte, die einen noch schöneren Sachverhalt meinen. Und doch: Das andere geht mit – schon immer, seit alters her, seit Menschengedenken: unwahrhaftig, unaufrichtig, unecht, unglaubwürdig. Einerseits gibt es das Gute, das Wahre und das Schöne; und andrerseits gewinnt ebenso Gestalt und schreibt Geschichte das Falsche, die Lüge, das Böse. Einerseits Leben, andererseits Tod, einerseits Aufbau, andrerseits Abbau. Beides dann sicherlich auch mit vielen Zwischentönen und Schattierungen.
Für wen gehst du? Für das Gute und Wahre und Schöne, für das, was Leben aufbaut, für Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung? Oder für das Ungute, das Falsche, das, was Leben abbaut, das Böse, Lüge Hass, Ungerechtigkeit? Worin liegt die Quelle für das, für was ich gehe? Worin liegt die Quelle für das böse, für das destruktive Verhalten? Woraus fließt dies? Nun, wir haben eine dieser Ouellen nach der biblischen Überlieferung gehört (in der Schriftlesung 1. Mose 3,1ff): In des Menschen Eigensinn, ein Sinn, der schon von vornherein zum Menschsein gehört; der ja nach der biblischen Geschichte auch nicht nur schlecht und negativ zu bewerten ist – hat doch dieser Eigensinn zur ersten Kulturleistung geführt, eine ungeheure Errungenschaft: Als nämlich der Eva und dem Adam die Augen aufgetan waren, da merkten sie, dass sie Kultur brauchten und flochten Feigenblätter zu Schürzen zusammen, weil sie sich schämten. Die Scham: eine Leistung der Kultur und des Eigensinns – doch das wäre ein anderes Thema, dem nachdenken, was eine Kultur der Scham hieße… Und Scham ist ja sehr zu Unrecht oft nur aufs Körperliche enggeführt worden.
Ichbezogenheit – in aller Ambivalenz
Jedenfalls: In der Ichbezogenheit, die von vornherein zum Menschsein gehört, kann die Quelle des Zerstörerischen liegen. “Von dem Tage an, da der Mensch anfängt, durch Ich zu sprechen, bringt er sein geliebtes Selbst, wo er nur darf, zum Vorschein, und der Egoismus schreitet unaufhörlich fort”, so beschreibt pointiert Immanuel Kant diesen Sachverhalt. Freilich sollte man sagen: Nicht die Ichbezogenheit als solche verkörpert und ist Quelle des Bösen, sondern eine pervertierte, krankhafte Ichbezogenheit oder: das Kreisen um sich selbst; wenn man nur mit sich selbst und dem eigen Wohlergehen beschäftigt ist.
Für wen gehst du? Nur für mich und mit mir allein! Oder anders gesagt: Der Mensch hat sich eigenmächtig selbst gefangen, er ist ein eigenmächtig Selbstgefangener. Hierbei kann man zwei Formen unterscheiden: den vitalen Lebenskönner, der zwar erfolgreich ist, aber rücksichtslos und bedenkenlos, und den neiderfüllten “zu kurz Gekommenen”; als Grundstruktur beider lässt sich beschreiben: Beide sind ganz und gar mit sich selbst beschäftigt, das heißt: mit der sicher gelingenden oder chronisch misslingenden Befriedigung ihrer Begehrungen und Wünsche, daher unaufgeschlossen für die Bedürftigkeit des Mitmenschen.
Für wen gehst du: Ich kreise um mich selbst, ich diene mir! Was hilft da? “Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre”, so heißt der Wochenspruch (1. Johannes 3,8), ein hartes Wort, aber es befreit, will aufbauen; will mich treffen, wie ein Pfeil, auf dass Ich in meiner Beziehung zu mir selbst nicht gefangen bleibe, im Kreisen um mich selbst, sondern Freiheit einatmen kann. Das Ich, die Ichbezogenheit, sie ist nicht nur Quelle des Bösen und Zerstörerischen, sondern eben auch des Guten und Wahren und Schönen, der lebensfördernden Kulturleistung – dann eben, wenn das Ich nicht nur für sich selbst geht. Was hilft? Es liegt in deinem wohlverstandenen Interesse, dich aus der gierigen Verfolgung deiner Interessen zu befreien – das ist das große Angebot, das Jesu, das Gottes Lebensentwurf uns bietet, die Befreiung aus dem nur und ausschließlichen Eigeninteresse: nämlich auch das Du zu sehen. Wahrzunehmen, dass ich nicht mir selbst und aus mir selbst lebe, sondern durch das Du, das mich anspricht. Das heißt Neuschöpfung: “Ist jemand in Christus, so ist er eine neu Kreatur; das Alte ist vergangen, ein Neues ist geworden” (2.Korinther 5,17). Von dieser Befreiung aus dem Alten spricht Paulus, von dieser Freiheit, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, aus der Abhängigkeit von sich selbst und der Hingabe an das, was einem anscheinenden Glück verspricht, dabei aber ausnutzt.
Die menschliche Doppelstruktur
So bin ich dann beides: Einer, der sich mag, sein Ich, und immer in der Gefahr steht, dieses zum Mittelpunkt der Welt zu machen; aber zugleich auch einer, der anders kann, der, wenn er sich dem Geist des Schöpfers öffnet, aus sich selbst herausspringt, weil er um sein verdanktes Leben weiß, weil er spürt und merkt, dass er doch wesentlich durch das Du, zuerst das göttliche Du, zu sich selbst wird und kommt. Die Doppelstruktur des Menschsein, wie sie auch Paulus beschreibt: Unbekannt und bekannt, sterbend und doch lebend, traurig und doch fröhlich… und und und. Es ist die Doppelstruktur von uns Menschen: Wir können unterwegs sein im Namen dessen, was Leben abbaut, oder auch im Namen dessen, was Leben aufbaut, unterwegs im Namen des Teufels oder im Namen Gottes, je nachdem wem wir nachfolgen.
Der Lebensvorschlag Jesu
Würde Paulus heute schrieben, so würde er vielleicht folgendermaßen schreiben, wie es Rudolf Kautzky formuliert hat, um den Lebensentwurf Jesu, Gottes schmackhaft zu machen:
„Liebe Gemeinde! Ich bitte euch dringend verspielt die Chance nicht, die ihr durch die Kenntnis des Lebensvorschlages Jesu, der einzig sinnvollen Einstellung zum Leben, gewonnen habt. Ich bin sicher, im richtigen Zeitpunkt richtig angepackt, muss eine gute Sache erfolgreich sein. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Vor allem dürfen wir nicht unglaubwürdig werden und so das, was wir vertreten, in Misskredit bringen. Das gilt gegenüber unseren Anhängern wie gegenüber unseren Gegnern und Verächtern. Unser Verhalten muss dem Ziel entsprechen, das wir vertreten. Dazu gehört natürlich erhebliches Durchhaltevermögen, besonderes, wenn wir fürchten müssen, uns nicht durchsetzen zu können. Noch schlimmer, wir in manchen Gegenden dieser Welt auch darauf gefasst sein müssen, dass Gewalt gegen uns angewandt wird. Jedenfalls dürfen wir uns nicht um offene Stellungnahme herumdrücken, selbst wenn uns große, auch materielle Nachteile oder in manchen Gegenden dieser Welt Inhaftierung drohen. Auf jeden Fall sollten wir vorbildlich sein, auch was das Konsumverhalten angeht. Uneigennützigkeit, faires Verhalten und der Versuch, in der Partnerschaft beständig zu sein, müssen für uns absolute Selbstverständlichkeit sein. Stets sollten wir uns um ein unbefangenes Urteil, um Toleranz, ja um eine brüderliche bzw. schwesterliche Achtung aller, auch Andersdenkender, bemühen – kurz gefasst könnte ich auch einfach sagen: um den Geist Jesu. Er muss besonders zur Geltung kommen, wenn wir angefeindet werden. Dann werden wir uns nicht durch Opportunismus, Intrigen, Paktieren mit Einflussreichen und Verunglimpfung unserer Gegner, sondern nur durch aufrichtige Argumentation verteidigen. Freilich wird das nicht immer zum Ziel führen. Wir müssen damit rechnen, dass man versucht, uns von unserer Linie abzubringen, und wir auch in der Gefahr stehen, solchen Versuchen zu erliegen. Aber. Die Wahrheit setzt sich früher oder später durch. Wenn uns in schweren Situationen Niedergeschlagenheit befallen sollte, so wäre das nicht verwunderlich. Aber wir werden sie überwinden. Denn auch wenn Einfluss und Mittel oft fehlen, können wir, sozusagen mit leeren Händen, doch eine überzeugende Orientierungshilfe für menschliches Leben anbieten und vermitteln – und sie ist mehr als aller sonstiger Besitz. Sie ist das entscheidende, das worauf es wirklich ankommt.“
Für wen gehst du? Ich richte mein Leben am Lebensentwurf Jesu, Gottes, aus – diese Orientierungshilfe kann der Welt angeboten und im eigenen Leben aufrichtig gelebt werden. Dass wir so gehen können, daran will Paulus uns erinnern und bestärken, auch und gerade angesichts der Spannungen zwischen verschiedenen Kulturen in dieser einen Welt. Paulus erinnert uns an den Lebensentwurf Jesu, der sich nicht hat kaufen und bestechen lassen, als ihm die Weltherrschaft und aller Reichtum angeboten wurde, der inmitten vom Alten das Neue aufsprießen ließ und lässt, für das Leben, uns zu Gute und Gott zur Ehre.
Amen.