Aufbruchsstimmung und Seelenfrühling
Es ist immer etwas zu retten
Predigttext: 1. Petrus 1,13-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
13 Darum umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wurde in der Offenbarung Jesu Christi. 14 Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet, 15 sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in euerem ganzen Wandel. 16 Denn es steht geschrieben (3 Mose 19,2): „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. 17 Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde weilt, in Gottesfurcht; 18 denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, 19 sondern mit dem teuren Blut Jesu Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. 20 Er ist zuvor ausersehen, bevor der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeit um euretwillen, 21 die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.Zum Umgang mit dem Predigttext und zur Liturgie
Die Predigt hat das Anliegen, alte Karzeit- und Kreuzestraditionen für heute verständlich zu machen und als mitnichten „ewig gestrig“, sondern nach wie vor aktuell, wichtig und hilfreich aufzuweisen. Sie geht dazu auch in die Bildwelt barocker Lieder, „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“ (EG 91) ist in die Predigt eingeflochten. Es wird der Bogen geschlagen über die Lebensspanne Jesu von Anfang (Ankündigung) bis Ende und die Transzendenz des Vorfindlichen starkgemacht – allerdings nicht als Flucht-, sondern als Mut machende Perspektive, die Probleme und Schwächen nicht verdrängt. Bewusst wird kirchenjahreszeitlich focussiert, weitere Themenfelder der Perikope wie „Heiligkeit“ oder der Themenkomplex „Begierden“ werden zwar sehr wohl implizit, nicht aber explizit behandelt.Lieder:
„All Morgen ist ganz frisch und neu“ (EG 440, Eingangslied); „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (EG 70, vor der Predigt); „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“ (EG 91, im Verlauf der Predigt); „Zieht im Frieden eure Pfade“ (EG 258, nach der Predigt); „Komm, Herr, segne uns“ (EG 170, Schlusslied).Zwischentext vor der Schriftlesung (Lukas 1,26-33, abweichend vom traditionellen Sonntagsevangelium):
Liebe Gemeinde, unsere Bibeltexte heute machen die Spanne auf und die Spannung des Lebens Jesu: Der Blick auf das Ende, im Predigttext, und ganz auf den Anfang. Wussten sie, dass Johann Sebastian Bach die Kantate „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ zu diesem Anlass schrieb? Deshalb singen wir das Lied heute auch, in der alten Originalfassung; zu Bachs Zeiten ging es da gleichzeitig auch um Mystik , um die Liebe der Seele zu Christus, um die Geburt Gottes in der Seele: „mit dem Glauben schwanger gehen“ – wer mag, kann die Schriftlesung auch auf diesem Hintergrund hören. Und vor allem: Schriftlesung wie Predigttext weisen über die Begrenztheit menschlichen Lebens hinaus und geben diesem Leben so Perspektive, Tiefenschärfe. Hören wir aus dem Lukasevangelium, Kapitel 1, die Verse 26-33, die Ankündigung der Geburt des Herrn.Liebe Gemeinde,
Über die Ränder hinaus
„Seelenfrühlingslied“ kann man das nennen, und Frühlingssehnsucht haben wir diesen Winter ja wirklich…… Wir werden während der Predigt noch ein Lied singen. Ein bisschen barock ist das Lied, aber nach langer Zeit der „Verstandestheologie“ tun die malerischen Bilder wieder ganz gut. Die fünfte Strophe beginnt, wie der heutige Predigttext aufhört: „Du hast mich ewig vor der Welt in deinem Sohn geliebet“. „Er ist zuvor ausersehen, bevor der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeit um euretwillen“ (V.20)
Wir haben Ewigkeitsperspektive über die Ränder der Welt, das heißt, die Ränder dessen, worin wir leben, und das auch nach vorn: Die Engelsbotschaft der Schriftlesung weiß: „Er wird König sein in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“, und der Predigttext endet ebenfalls bei der Auferweckung und der ewigen Herrlichkeit, aber den nun von vorn: Gehen wir mit dem 1. Petrusbrief, den Versen 18-21, in die Perspektive von heute.
(Lesung des Predigttexts)
Schluss mit der Sklaverei
Liebe Gemeinde, das Zentrum ist: Ihr seid erlöst. Ausgelöst. Sklaven konnten zur Zeit Jesu ausgelöst, losgekauft werden und bekamen so die Freiheit geschenkt. Euch ist die Freiheit geschenkt! Daran erinnert der Petrusbrief alle, die ihn lesen und hören: Dafür steht Jesus Christus. Grund des Glaubens, Ursache zur Hoffnung, wie auch immer die Zeiten sein mögen. Das ist die Zuversicht des Petrusbriefs, und das kann die unsere sein. Darum geht es nicht zuletzt in der Passionszeit, wo wir über Gottes Leiden nachdenken. Schluss mit der Sklaverei! Solch Menschlich-Allzumenschliches hat das Kreuz durchkreuzt. Statt in Gewalt zu baden, sollen wir Menschen uns auf Gottes Liebe besinnen.
Schwachheit nicht verdrängen und Schmerzen nicht vergessen
Die Passionszeit ist eine Zeit, in der wir Christinnen und Christen auch das Leiden bedenken. Ich halte das auch für ein nötiges Korrektiv manchen Zeitgeists, der all das ausblendet und sich nur an Happiness und Wellness, schön sein, reich sein, gesund sein orientiert. So geht es einfach nicht allen und uns auch nicht unbedingt, und so wollen wir die Schwachheit nicht verdrängen und die Schmerzen nicht vergessen.
Jesus ist auf die Seite der ganz Schwachen getreten. Manchmal braucht es einige Stärke, sich der Schwachheit zu stellen. Christian Fürchtegott Gellert hat das in Worte, ins Lied gefasst, geben wir dem nun das Wort und singen wir vom Lied 91 die ersten drei Strophen.
(Lied „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“, EG 91, 1-3)
Leiden überwinden, es ist immer etwas zu retten
„Der Fluch der Sünde“, das Schlechte, das ständig passiert, das wir erleben und auch oft genug – leider! – selber anrichten, es ist schon immer wieder zu spüren. Aber, und das ist doch ein Kern der Kreuzestheologie, dass das blutige Opfer kosten soll, das muss durchbrochen werden: Größer, als dass Gott sich selbst opfert, kann kein Opfer sein, und damit muss dann auch Schluss sein mit solchen Opfern. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht – freiwillige! – Opfer bringen kann, in der Nachfolge Jesu tun wir das sehr wohl, aber der Angang ist ein anderer. Nicht: Das Leiden suchen, weil auch Jesus gelitten hat. Nicht das Leiden an sich macht uns heilig, sondern der Umgang mit eigenem und fremdem. Denn Jesus, Gott, kennt das Leiden, ist auch da, wahrer Mensch, ganz bei uns. Doch gilt dafür seit der Exodusgeschichte: Es geht um Überwindung des Leidens, um Auszug! Nicht: Sich in die passive Opferrolle geben, sei’s „ der Verhältnisse“, sei’s der eigenen Fehler und Schwächen „da ist ja sowieso nichts mehr zu retten“, sei’s der Ungerechtigkeiten, die man sieht und erfährt. Es ist sehr wohl immer etwas zu retten. Jesus heißt „der Retter“.
Aufbruchsstimmung
Das ist ja auch die tiefe Weisheit des jetzigen Wochenspruchs: Nicht immer wie das Karnickel vor der Schlange aufs Gewesene starren, sondern nach vorn schauen, das Reich Gottes vor Augen haben: „Wer seine Hand an den Pflug legt – es gibt allerhand zu beackern – und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“. So steht, auch quasi als Motto, über unserem Predigttext: „Darum umgürtet die Lenden eures Gemüts“. Ein Blick auf die damalige Kleidung macht schnell klar, was gemeint ist: Sie haben sicher schon die kuttenartigen weiten Gewänder der damaligen Zeit vor Augen, die Männer wie Frauen trugen. Gab’s wenig zu tun oder Freizeit, ließ man die Gewänder locker und bequem herunterhängen. Doch wenn es mit der Ruhe vorbei war, wenn man aufbrach, wenn es etwas zu tun gab, dann wurde das Gewand gegürtet, also um Hüfte oder Taille festgemacht und hochgebunden, dass es nicht behinderte. Man merkt es nicht gleich, aber hier spielt der Petrusbrief auch direkt auf den Auszug aus Ägypten an: Am Abend vor der Befreiung sollte die letzte Mahlzeit, das Passamahl, so eingenommen werden: „Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an den Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt essen als die, die hinwegeilen“ (Ex 12,11).
Aufbruchsstimmung. Bereit zum Aufbruch in die Freiheit. Das Unheil der Vergangenheit hinter sich lassen. Neues Leben, neue Lebensqualität . Mit Gott, von Gott verheißen und geschenkt.
… nicht immer leicht…
Dass das in der Exodusgeschichte nicht ohne Murren und Rückschläge ausging, wissen wir, nicht nur von der biblischen. Im Rückblick wird das Altbekannte manchmal viel bequemer, als es tatsächlich war. So leicht ist es ja nicht mit den Aufbrüchen, das kann uns jedes psychologische Buch erklären und gelegentlich merken wir auch ohne ein solches. So leicht ist es nicht, das Altgewohnte zu durchbrechen, aufzubrechen. Aber Gott mutet uns das schon zu. Auch geistig und geistlich. „Umgürtet die Lenden eures Gemüts!“ Macht euch auf die Socken, krempelt die Ärmel hoch! Das ist gerade nichts passiv Leidendes, allerdings genauso wenig die Garantie, dass das leidensfrei gehen wird. Aber, wie der Petrusbrief schreibt, „damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt“.
Das Kreuz als Mahnung und Trost
Das wird nicht folgenlos bleiben. Soll es auch nicht, der 1. Petrusbrief schreibt ebenfalls: „Da ihr den Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben (…) in Gottesfurcht“. Christian Fürchtegott Gellert hat es auf den Punkt gebracht, dass Gerechtigkeit nicht billig zu haben ist, dass da eine Spannung ist, singen wir die 4. Strophe vom Lied 91.
(Lied EG 91,4)
Das Kreuz ist und bleibt ein Mahnmal für die Kreuze, an die Menschen geschlagen werden, für die Ungerechtigkeiten. Gleichzeitig die Mahnung an uns, da nicht mitzumachen. Dittens die Vergebung unserer Fehler, wenn wir uns ernsthaft auf diesen Weg machen. Singen wir’s wieder, in der 10. Strophe.
(Lied 91,10)
Frei zum Vorwärtsgehen
Die Auferweckung von Kreuz, Sünd und Tod, das alles – im direkten wie im übertragenen Sinn – hinter sich lassen zu können, das soll uns freimachen zum Vorwärtsgehen. Gott ist Mensch geworden, werden wir es auch! Mit mutigem Gemüt, mit einem Blick für die, die unsere Hilfe brauchen, mit einem offenen Herzen und mit Gottes Hilfe.
Amen.
Singen wir das jetzt einander zu in der Liedstrophe „Zieht im Frieden eure Pfade“ (EG 258)