Das Leben von der Hoffnung her sehen
Die Hoffnung auf die göttliche Gnade bringt Wunderbares hervor
Predigtttext: 1. Petrus 1,(13-17)18-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
13 Darum umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. 14 Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; 15 sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. 16 Denn es steht geschrieben: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“. 17 Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde weilt, in Gottesfurcht; 18 denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, 19 sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. 20 Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, 21 die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.Gedanken zum Predigttext
Das Leben hat seine Hoffnung durch die Auferweckung Jesu von den Toten. Eine Hoffnung, die über das Leben hinaus reicht, die aber auch und besonders in das Leben hinein reicht! Sie zeigt sich im Lebenswandel und dem Bewusstsein, in der Gnade zu leben. Weil sich Gott diese Gnade etwas kosten gelassen hat - mehr als vergängliches Gold und Silber -, dürfen wir "auf ganzer Linie" heilig sein. Eine gewisse Distanz zur Welt kann darin sichtbar werden. Wir haben aber auch keine Anpassung nötig, weil wir durch Gnade in der Hoffnung leben, die uns einen weiten Horizont und eine klare Perspektive gibt.Eine Hoffnung haben
Kein Leben ist sinnlos, auch das Schmerzlichste nicht. Kein Leben wird umsonst gelebt, auch das aller kürzeste nicht. Kein Leben bleibt vergeblich, auch das kurioseste nicht. Wie kann man so etwas sagen?! So etwas zu behaupten, ist das nicht viel zu vermessen und zu phantastisch? Gewiss, nicht jeder kann so reden. Nur, wer “glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, auf dass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott haben möchtet”, der kann die Gnade Gottes in jedem Leben sehen. Denn er sieht das Leben von einer Hoffnung her, die Perspektiven schenkt und unser oft enges und kleines und armseliges Dasein weit, sehr weit macht. Was ist das für eine so grandiose Hoffnung, dass in ihr solch eine Energie steckt? Zur Verdeutlichung:
Da war einmal ein guter Mensch, der hatte Mitleid mit dem hässlichen Gewürm der Raupen, wie sie sich Stunde für Stunde vorwärts plagten, um mühselig den Stängel zu erklettern und ihr Fressen zu suchen – keine Ahnung von der Sonne, dem Regenbogen in den Wolken, den Liedern der Nachtigall! Und der Mensch dachte: Wenn diese Raupen wüssten, was da einmal sein wird! Wenn diese Raupen ahnten, was ihnen als Schmetterling blühen wird: Sie würden ganz anders leben, froher, zuversichtlicher, mit mehr Hoffnung. Sie würden erkennen: Das Leben besteht nicht nur aus Fressen, und der Tod ist nicht das Letzte. So dachte der gute Mensch und er wollte ihnen sagen: Ihr werdet frei sein! Ihr werdet eure Schwerfälligkeit verlieren! Ihr werdet mühelos fliegen und Blüten finden! Und ihr werdet schön sein! Aber die Raupen hörten nicht. Das Zukünftige, das Schmetterlinghafte ließ sich in der Raupensprache einfach nicht ausdrücken. – Er versuchte, Vergleiche zu finden: Es wird sein wie auf einem Feld voller Möhrenkraut … Und sie nickten, und mit ihrem Raupenhorizont dachten sie nur ans endlose Fressen. Nein, so ging es nicht. Und als der gute Mensch neu anfing: Ihr Puppensarg sei nicht das Letzte, sie würden sich verwandeln, über Nacht würden ihnen Flügel wachsen, sie würden leuchten wie Gold – da sagten sie: Hau ab! Du spinnst! Du hältst uns nur vom Fressen ab! – Und sie rotteten sich zusammen, um ihn lächerlich zu machen.
Sucht nicht der Schreiber des Ersten Petrusbriefes nach einer Sprache, in der er uns von dieser grandiosen Hoffnung schreiben kann: “Wiedergeboren aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt”, seid ihr, so sagt er an anderer Stelle. Oder “erkauft mit dem teuren Blut Christi, nicht mit vergänglichem Silber oder Gold”, hören wir von ihm. Vergleiche sind das, jawohl, die versuchen, diese Hoffnung einleuchtend zu machen und in unser Herz zu vertiefen. Aber sagt uns das denn überhaupt etwas, erreicht uns diese Hoffnung wirklich?
Gnaden erfülltes Leben
Wenn diese Hoffnung, von welcher der Erste Petrusbrief redet, Fuß fassen könnte in unserem Herzen, wie weit und aufgeschlossen würde sie es machen? Wahrhaftig, diese Hoffnung würde so vieles verändern, was wir selbst als veränderungswürdig erkennen. Ob das in kleinen und unscheinbaren Bereichen so wäre oder auf der Weltbühne des Geschehens, ob im dörflichen/kleinstädtischen oder im weltmännischen Gebahren – die Kraft und Energie dieser Hoffnung wäre imstande, die Welt auf den Kopf zu stellen und das ganz nach oben zu bringen, auf das wir so sehnsüchtig warten. (Beispiele, die für die Gemeinde aktuell sind…)
Ein altes Märchen erzählt, wie ein junger, wissbegieriger König die Gelehrten seines Landes beauftragte, für ihn alles Wissenswerte der Welt aufzuschreiben. Sie machten sich bald an die Arbeit. Nach vierzig Jahren legten sie das Ergebnis in tausend Bänden vor. Der König, der inzwischen schon sechzig Jahre alt geworden war, sagte: “Tausend Bücher kann ich nicht mehr lesen. Kürzt alles auf das Wesentliche”. Nach zehn Jahren hatten die Gelehrten den Inhalt der Geschichte der Menschen in hundert Bänden zusammen gefasst. Der König sagte: “Das ist noch zu viel. Ich bin schon siebzig Jahre alt. Schreibt nur das Wesentliche”. Die Gelehrten machten sich erneut an die Arbeit und fassten das Wichtigste in einem einzigen Buch zusammen. Sie kamen damit, als der König schon im Sterben lag. Dieser wollte wenigstens noch das Wesentlichste aus der Arbeit der Gelehrten erfahren. Da fasste der Vorsitzende der Gelehrtenkommission das Wesentlichste der Geschichte der Menschheit in einem einzigen Satz zusammen: “Sie lebten, sie litten, sie starben. Und was zählt und überlebt, ist die Liebe”.
Das Ergebnis dieser Gelehrten wird uns nicht verblüffen, ganz sicher nicht. Wir wissen darum, aber uns fehlt allzu oft doch die Hoffnung dazu. Damit die Liebe eine Chance hat in all unseren schwachen und unbeholfenen und ängstlichen Versuchen, muss ihr die Hoffnung auf die Sprünge helfen. Sie ist wie der Faden, an dem unser Lebensnetz aufgehängt ist und der in den Himmel hinein reicht. Alles hängt letzt endlich an ihm. Dünn ist er, aber elastisch und dehnbar. Unscheinbar ist er, aber gewiss reißfest und belastbar. Vielleicht sehen wir diesen Faden nicht immer. Aber er ist da, bei jedem von uns. Dank dieses Fadens, der in den Himmel reicht, reicht die Gnade in unser Leben hinein. In jedes Leben, dessen Herzschlag und Atem diese Welt erfüllt. Ich weiß um all die Unzulänglichkeiten meiner Liebe, die missglückten Versuche, die Missverständnisse, und trotzdem gebe ich nicht auf zu lieben. Ich weiß um alles Fragwürdige, das das Leben in den Schatten stellt – Unheilbares, Erschütterndes, Entmutigendes – und spüre doch, dass ich mit all meinen Zweifeln und Anfechtungen am besten in der Gnade Christi aufgehoben bin. Ich weiß um alle bösen Erfahrungen – am Fließband, im Büro, in der Schule, auf dem Fußballplatz – und doch, dass alles Zersetzende in den Händen Gottes eine neue Gestalt gewinnen kann. Die Hoffnung auf die göttliche Gnade bringt Wunderbares hervor. Wo wir uns diese Hoffnung zu eigen machen, gedeiht das zarte Pflänzchen “Liebe” einerseits, andererseits gewinnen wir Mut und Zuversicht. Die Ängstlichkeit weicht zurück. Die Betrübnis hellt sich auf. Die Verantwortung nimmt zu. Das Interesse wächst.
Ermutigung
Geben wir der Gnade, die sich in unserer Hoffnung zeigt, mit poetischen Worten von Peter Beier Ausdruck:
Macht euch wegfertig, den Glauben, das Leben zu lernen;
erhebt euch aus lächerlicher Gewöhnung;
steht aufrecht, geschärften Verstandes und nüchtern,
misstrauisch gegen religiöse Wahrheit.
Tauscht zu keinem gebotenen Preis
eure Hoffnung gegen die süße Sicherheit
der Leimrutenleger, gegen schweifende Illusion.
Sondern setzt Hoffnung, wie man das Segel setzt
hart an den Wind; setzt nicht auf Rot oder Schwarz,
auf Gutglück und Zufall, auf die Welt,
wie sie immer gewesen;
vor allem setzt nicht auf euch selbst.
Setzt, was an Hoffnung geblieben,
setzt noch den schäbigsten Rest der Gnade,
auf Gnade allein,
die erschreckt und beschämt
und unbeirrbar begabt.
Nehmt das Angeboten an, das eingelöste Versprechen;
Zug um Zug erscheint es im Wort des Nazareners:
Ungetrennt und ungeschieden seid ihr von Gottes Liebe.
Das ist die Gnade, die nichts voraussetzt,
keine Verdienste, keine Moral,
die nichts verlangt
als die kleine Kraft eurer Hoffnung.
Offenbar und am Tage liegt das Verborgene:
Gnade ist´s, nichts von sich zu erwarten,
Gnade auch, die Welt zu sehn, wie sie ist,
und den Menschen, wie er hätte sein gesollt
nach Gottes Willen;
und Gnade, am Ende kühn dem Tod
das Sterbewasser zu reichen.
Setzt eure Hoffnung, wie man das Segel setzt,
hart an den Wind auf Gnade.
Es ist das Einzige, was zu tun ihr nicht aufhören dürft.
Alles andere folgt ganz von selbst:
das Vertrauen und der Gehorsam,
die Werke der Liebe, der Kampf für das Leben,
der lange Abschied vom kurzen Glück,
von eingebildeter Zukunft.
Weil Gott heilig ist – und er ist es allein -,
müsst ihr längst nicht Heilige werden,
seid ja schon heil und am Ziel in der Hoffnung:
wisst, dass Gott kein Buchhalter ist,
der kauft und verkauft, den Vorteil berechnend,
und Handel treibt mit dem Elend der Welt;
wisst, dass er verschwenderisch liebt
und seine Leidenschaft blutig bezeugt
im Leiden des Mannes am Kreuz,
euch zum Zeichen.
Mag sein, der Anfang vom Ende der Zeiten
dunkelt herauf
wie Finsternis am helllichten Tag.
Ihr aber setzt die Hoffnung,
wie man das Segel setzt,
auf Gnade allein.