Rettender Blick nach oben

Schlange und Kreuz - Symbole gegen die Angst und für ein Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe

Predigttext: 4.Mose 21,4-9
Kirche / Ort: St. Stephanus Lübeck
Datum: 02.04.2006
Kirchenjahr: Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pastor Heinz Rußmann

Predigttext: 4.Mose (Numeri) 21,4-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. 6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, daß er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

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Der Text ist sehr fremdartig und fern. Seine Chance liegt aber darin, dass er gleichzeitig sehr originell und psychologisch tiefsinnig ist. Zur Exegese empfehle ich Willy Schottroff, er stellt das Murren des Volkes in den Mittelpunkt (in: Gottesdienst-Praxis: Exegesen Gütersloh 1987). Wegen der Schlangen-Symbolik erscheint es mir unerläßlich, die historische Exegese tiefenpsychologisch-symbolisch zu ergänzen im Sinne von Eugen Drewermann (vgl. zB Tiefenpsychologie und Exegese II. Olten, 1992, 3.Aufl. 1992).

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Liebe Gemeinde!

Engagierte Christen schlagen immer wieder vor, dunkle, fremdartige und schwierige Bibeltexte zu übergehen und sich auf die wesentlichen und tröstlichen Bibelstellen zu konzentrieren. Wenn man ihnen folgt, würde unser Predigttext wohl gestrichen werden. Im Mittelpunkt steht ja ein schauriges Bild: Die Israeliten auf ihrer langen Wüstenwanderung kamen aus dem Murren gegen Gott, dem Meckern und Jammern gar nicht mehr heraus. Als Strafe schickte Gott ihnen dann noch eine Schlangenplage. Etliche starben an Schlangenbissen. Mose betete zu Gott. Da erbarmte sich der Schöpfer und befahl Mose, eine eherne Schlange aufzurichten. Wer die aufgerichtete eherne Schlange ansieht, wird leben, selbst wenn er von einer lebenden Schlange gebissen wird. Wie kann man das verstehen? Was soll uns das heute sagen?

Die Schlange ist das Symbol für einen bösen schnellen Tod. Die Schlangenfurcht ist uns instinktiv angeboren wie die Angst vor Donner und Blitz. Warum soll man sich mit einem Schlangenbild beschäftigen? Böse Bilder machen uns womöglich selbst böse und lassen uns erstarren. In der tiefsinnig griechischen Symbolik gerät z.B. Perseus bei der Hochzeit mit der schönen Andromeda in einen wilden Kampf mit einem Brauträuber. Freunde ziehen aus einer Tasche das Bild des Bösen in Reinkultur, nämlich das abgeschlagene Haupt der Medusa, aus dem Schlangen herausragen, hervor. Alle erstarren zu Stein. Die Sage will sagen: Der Anblick des total Bösen lässt uns erstarren.

In unserem Predigttext geht es dagegen um den Blick auf Schauerliches, das heilt. – Israel wandert durch die Wüste dem gelobten Land entgegen. Es ist befreit aus der Sklaverei in Ägypten. Zuerst kannte die Freude keine Grenzen. Typisch ist aber zu allen Zeiten, dass nach Erfolg leicht die Depression lauert. Das erst glückliche Ehepaar leidet unter Alltagstrott. Lottogewinn, Erbschaft, Haus, Auszeichnung macht oft depressiv. Angst und Unzufriedenheit verschonen gerade die Erfolgreichen nicht. Wie wird es weitergehen? Der große Philosoph Sören Kierkegaard hat mal tiefsinnig gesagt: Wer verzweifelt ist, schiebt es immer auf äußere Umstände. Sieht man genau hin, ist er im Innersten schon lange verzweifelt. Die Schlangen der Angst beißen Arme und Reiche, Erfolgreiche und Mutlose.

Unser Schlangen-Predigt-Text will uns dagegen auffordern: Fliehe nicht vor der schaurigen Angst! Sie verfolgt Dich sonst und lauert verborgen am Wegesrand. Laufe nicht weg! Blicke der Furcht mutig ins Gesicht! Angst kommt und Angst geht! Denke daran: Du bist von Gott gesegnet und gehörst zu ihm! Wenn Du wie ein Kind Angst vor einem Hund hast, dann riecht das Tier Deine Angstgefühle und verfolgt Dich knurrend. Wenn Du mutig dem Hund entgegengehst, wedelt er mit dem Schwanz.

Heute kann man ja vor vielen Dingen in unserer Welt Angst haben… Es ist eine Struktur unserer Seele, dass unsere Ängste uns wie ein wilder Wolf verfolgen, wenn wir fliehen. Sie plustern sich auf, wie man so sagt, und neigen dazu, immer größer zu werden. Wenn wir uns unseren Ängsten stellen, ihnen ins Auge blicken, ja sie sogar verstärken, kann es sein, dass sie verschwinden. So funktioniert unsere Seele. Deswegen steht im Mittelpunkt unseres Glaubens ein schauriges Symbol: das Märtyrer-Kreuz des gefolterten Jesus Christus, Humanisten, Hinduisten und Moslems lehnen es ab, weil es zu grausam ist. In der Tat kann man vor dem Kreuz Christi nur fliehen oder sich ihm stellen.

Wer sich dem angstmachenden Symbol stellt, verliert alle falschen Illusionen von dieser Welt. Denn wir Menschen bringen es immer wieder fertig, selbst die edelsten Menschen und Gottesboten zu beseitigen, ja sogar Gottes Sohn, Jesus zu foltern. Immer wieder wird die Liebe zu den Menschen schlecht gemacht, ja gehasst. Immer wieder aber ist das Kreuz das Hoffnungszeichen, dass Liebe auflebt, die längst erstorben schien. Wer sich den angstmachenden Symbolen von Schlange und Kreuz stellt und ihnen ins Auge blickt, erfährt die Macht Gottes, der Angst besiegen will und kann. Nach dem Kreuz folgt die Auferstehung! Unsere Hoffnung auf Gottes Treue und das ewige Leben bei Gott werden wie nirgendwo anders bestärkt! Sehr wichtig ist aber auch, dass die eherne Schlange wie das Kreuz erhöht sind. So beschreibt es auch das Johannes-Evangelium ( 3,14f ). Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss Christus erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.

Unser Blick soll sich nach oben richten. Im letzten Jahr hat der Osnabrücker Psychologe Julius Kuhl ein bemerkenswertes Buch geschrieben mit dem Titel: Gegen den Kalten Krieg im Kopf. Die neuere Gehirnforschung hat entdeckt, dass unsere beiden Hirnhälften unterschiedlich arbeiten. Die linke denkt rational, die andere religiös ganzheitlich. Aufregend an Kuhl ist für Christen, dass wir aus unseren Ängsten durch rein vernünftiges Denken nicht herauskommen. Auf jedes Argument hat unsere Vernunft ein Gegenargument. Ein ewiger Kreislauf! Nur wenn wir uns der intuitiv religiösen Hirnhälfte zuwenden, kann sich unser Denken zu großen Gedanken weiten. Kuhl bestätigt unseren großen Heiligen: Dietrich Bonhoeffer, der gesagt hat: Es geht immer wieder darum, dass wir uns abwenden von den kleinen Gedanken, die uns quälen, zu den großen Gedanken, die uns trösten! Deswegen sind eherne Schlange und das Kreuz Christi erhöht, um unsere Gedanken aufzurichten zu dem Großen und Ganzen, das wir als unseren Gott verehren! Bei jedem Gebet und beim Vaterunser denken wir an das tägliche Brot, Vergebung und Bewahrung beim alltäglichen Bösen. Unsere Gedanken weiten sich aber auch auf Gottes Reich, seinen Plänen, seiner Anerkennung.

Die eigentlich schaurigen Symbole von eherner Schlange und vom Kreuz Christi bekräftigen die Zusage Gottes: Wenn Du Dich als mein Kind, Gottes Kind, in Leiden und Konflikte hineinbegibst, wenn giftige Nattern von Menschen und üble Wadenbeißer Dich weiter beißen, dann sollst Du an Herz und Seele bewahrt werden. Blicke auf mich und die eherne Schlange und vor allem auf das Kreuz Christi! Du wirst nicht umkommen, sondern wie die Israeliten zum Ziel, dem gelobten Land, kommen. Auch in der Tiefe, spricht Dein Gott, bleibe ich bei Dir!

Amen.

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