Kleiderwechsel oder: Sehnsucht nach Reinheit

Allheilmittel Askese? Befreiende Taufe

Predigttext: Kolosser 2,(8-11)12-15
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 23.04.2006
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Kolosser 2,(8-11)12-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

8 Seht zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus. 9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig 10 und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist. 11 In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschieht, als ihr nämlich euer fleischliches Wesen ablegtet in der Beschneidung durch Christus. 12 Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. 13 Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. 14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet. 15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Bis 1982, als unser Text noch Predigttext am 4. Sonntag nach Epiphanias war, wurde Kol. 2,8-15 im Zusammenhang gelesen und ausgelegt. Mit der Entscheidung, ihn zum Predigttext von Quasimodogeniti zu machen, wurde auch eine Beschränkung auf die VV. 12-15 vorgenommen. Es könnten zwei Gründe gewesen sein: einmal die Konzentration auf das Thema „Taufe und Auferstehung“ (was gut zum Sonntag und zum Kirchenjahr passt), dann aber auch die Reduktion der – zugegeben – schwierigen Bilder und Motive. Trotzdem: exegetisch kann kaum ein Zweifel bestehen, dass die Verse 9-15 auf Vers 8 fußen („denn in ihm …“), mit Stichworten ineinander verwoben sind (V. 10/V. 15: Mächte und Gewalten – V. 11/V. 13: Beschneidung, Fleisch – und V. 11/V. 15: ablegen bzw. entkleiden) und darüber hinaus, im NT einmalig, die Taufe als geistliche Beschneidung beschreiben. Werden die VV. 8-11 herausgeschnitten, verliert der Text sein Profil. Formale Beobachtungen sind immer hilfreich: 2,6-8 ist die Einleitung („partitio“). Sie beginnt mit „Da ihr nun Christus Jesus, den Herrn, angenommen habt“ (V. 6) und endet mit: „Paßt auf …“ (V. 8). Die Adressaten werden als die angesprochen, die zu Christus gehören. 2,9-23 ist eine Immunisierung der Adressaten gegen die Philosophie („argumentatio“). In diesem Kontext ist 2,9-15 die „probatio“: In Christus hat die Gemeinde die Fülle des Heils! Unser Predigttext setzt mit dem Imperativ in V. 8 ein. Der – unbekannte, aus der Paulusschule kommende – Verfasser warnt die kleinasiatischen Gemeinden davor, sich von ihrem „gegenwärtigen Heilsstatus abspenstig machen zu lassen“ (Wolter, 120). Der Kol. spricht von einer wertlosen Täuschung. Aus V. 2 ist noch die Formulierung im Ohr, dass allein in Christus „die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ zu finden sind.

Exkurs

Mit Philosophie ist im Kol. eine Richtung markiert, die esoterische Offenbarungsweisheit vermittelt. Von ihren Vertretern heißt es, dass sie die Gemeinde verurteilen und disqualifizieren, ihr also absprechen, Gemeinschaft von Erlösten zu sein. „Als inhaltliches Argument dieser Kritik fungiert aller Wahrscheinlichkeit nach eine Soteriologie, der die Nahrungsaskese als unabdingbare Voraussetzung für die Distanzierung von den Zwängen der irdisch-materiellen und darum gottfernen Welt gebunden ist: Sie ermöglicht die Trennung von den stoicheia tou kosmou (den „Weltelementen“), über die der einzelne an die Welt gebunden ist … und vermittelt ihm diejenige Reinheit, die allererst den erlösenden Zugang in die himmlische Sphäre Gottes eröffnet. Damit geht einher, dass den Engeln eine heilsentscheidende Funktion zugeschrieben wird. Weil sie es sind, die über die Heiligkeit des himmlischen Bereichs wachen, haben sie die Macht, nur denjenigen den Aufstieg in ihn zu gestatten, der über adäquate Reinheit verfügt“ (Wolter, 37). Mit den stoicheia tou kosmou, den Weltelementen, sind die „4 Wurzeln aller Dinge“ benannt. Feuer, Wasser, Luft und Erde werden als „stoicheia“ bezeichnet. Auch der Mensch besteht nach dieser Auffassung aus einer Mischung der „stoicheia“ und ist dadurch in den gesamten Kosmos integriert. Bei seinem Tod lösen sich die Elemente, aus denen er zusammengesetzt ist, wieder voneinander, bzw. es heißt, dass der Mensch „in die Elemente“ aufgelöst wird. Wenigstens ein Beispiel: Nach Philo zerfallen die leiblichen Bestandteile, die Seele hingegen schwingt sich in das himmlische Element des Äthers auf, von dem sie ein Teil ist. Vgl. Wolter 122ff. Der Kol. weist das damalige Wissen von der Welt nicht zurück, wehrt sich aber gegen die religiöse Vereinnahmung und Überhöhung: Die „Philosophen“ – im skizzierten Sinn – binden das Heil an die Askese, die von der Welt und den „stoicheia“ befreit. Damit wird eine „Reinheit“ Heilsvoraussetzung, die in der Hand von Menschen liegt. V. 9 sagt von Christus, dass in ihm die gesamte Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Das „seht zu“ oder „passt auf“ von V. 8 bekommt hier die inhaltliche Füllung. Der Kol. spricht von „theotês“, nicht von „theiotês“ - gemeint ist, dass Christus nicht nur von göttlichen Eigenschaften und Kräften erfüllt ist, sondern an Gottes Wesen, seinem Gott-Sein Anteil hat. Schon die Prädikation des Sohnes als „Bild des unsichtbaren Gottes“ (1,15) brachte das zum Ausdruck. Mit „leibhaftig“ wird, wie schon Augustin verstand, formuliert, „dass im Erhöhten die authentische Wirklichkeit der Heilsfülle Gottes präsent ist sowie in ‚greifbarer und erfahrbarer Gestalt’ … begegnet“ (Wolter, 126). Begrifflich klar und argumentativ geschlossen wird aufgewiesen, „dass kraft Auferstehung und Erhöhung in Christus eine Wirklichkeit etabliert ist, die als Gottes Heilswirklichkeit die Weltwirklichkeit der Elemente hinter sich gelassen und damit überwunden hat“ (Wolter, 126). V. 10 formuliert die Konsequenzen für die christliche Gemeinde. Sie hat Anteil an der Heilswirklichkeit Gottes in Christus. Teilhaben an der Fülle – das stellt die Verbindung her, die zwischen Christus und seiner Gemeinde besteht. Er ist das Haupt aller Mächte und Gewalten, gemeint ist auch: Haupt der stoicheia. Und: Haupt der Engel (die als Hüter der Reinheit galten). „Gegen die von der ‚Philosophie’ ausgehende Verunsicherung der Gemeinde wird ihr die Vergewisserung zuteil, dass sie in Christus das angestrebte Heilsziel schon erreicht hat und darum keiner zusätzlichen Heilssicherung mehr bedarf“ (Wolter, 127). Die VV 11-12 stellen heraus, wie die Gemeinde in den kosmischen Machtwechsel hineinkommt, der mit dem Namen Christi verbunden ist: es ist die Taufe. Sie hat zur Folge, dass der Getaufte jeder (anderen) Macht und Gewalt entnommen ist. Spannend ist jedoch, wie diese Gewissheit eingeführt und ausgelegt wird. V.11 weist mit dem Bild von der Beschneidung metaphorisch auf die Taufe, während V. 12 sie explizit nennt und, vgl. Röm. 6, christologisch umschreibt: „mit Christus begraben worden sein“ – „mit ihm auferstanden durch den Glauben“. Worum es in dieser dichten Argumentation geht, wird vom Kol. in V. 11b festgehalten: „als ihr nämlich euer fleischliches Wesen ablegtet in der Beschneidung durch Christus.“ Diese Vorstellung ist im NT einmalig. Bezugspunkt ist, dass bei der realen Beschneidung der Vorhaut ein Stück Fleisch entfernt wurde. Von der „Beschneidung des Fleisches“ sprechen ausdrücklich Gen. 17,10f.14; 34,34; Lev. 12,3; Jdt 14,10, vgl. auch Röm. 2,28 und Eph. 2,11. Die Brücke zwischen Bild- und Sachebene ist also die Trennung von Fleisch – im Kol. überboten: er sieht nicht nur einen Teil, sondern den gesamten Leib des „Beschnittenen“ betroffen. Dies ist nur möglich, indem er den Vorgang spiritualisiert und ihn als „nicht von Händen durchgeführte Beschneidung“ (11a) bzw. als „Beschneidung Christi“ (11c) kennzeichnet (Genetiv der näheren Bestimmung). Diese Redeweise verweist auf ein Handeln Gottes. Die Beschneidung, wie sie hier vorgestellt wird, ist nicht menschlicher, sondern göttlicher und himmlischer Herkunft. Die Folge: „Weil sie von Gott vorgenommen ist, wird der einzelne in seiner gesamten Existenz umgestaltet, denn er verliert nicht nur einen Teil seines Fleisches, sondern legt seinen gesamten Fleischesleib ab und gewinnt eben dadurch seine ‚Erfüllung’“ (Wolter, 130). Wenn also die „Philosophen“ die Gemeinde damit verunsichern, sie müssten von den Zwängen des irdisch-materiellen Daseins rein werden, so verweist der Kol. darauf, dass in der Taufe die Erlösung bereits geschenkt ist. Oder anders formuliert: Wer getauft ist, hat schon, was die „Philosophen“ erst in Aussicht stellen. Was aber ist mit dem „Fleischlichen“ gemeint? Gemeint ist die sündhafte Existenzweise, nicht die Geschöpflichkeit. „Der entscheidende Wechsel besteht demnach darin, dass die Identität des Getauften nunmehr christologisch und ekklesiologisch definiert ist. Mit der Paränese von 3,5ff. fordert der Verf. die Adressaten auf, die Trennung vom „fleischlichen Leib“ in der Taufe auch im konkreten Lebensvollzug abzubilden und nachzuvollziehen. Von dieser Perspektive aus betrachtet ist der Verf. des Kol durchaus nicht so weit entfernt von Röm 6,4-14, wie es häufig dargestellt wird“ (Wolter, 131). In V. 12 ist die Nähe zu Röm. 6,4 ohnehin wahrzunehmen. Hier wie dort (und sonst nicht mehr im NT) wird die Taufe als Mit-Christus-Begrabenwerden dargestellt und anschließend die Teilhabe an Christi Auferstehung reflektiert. Der Kol. knüpft an Paulus an, nicht ohne ein neues Bild hinzuzufügen: das von der Beschneidung. Zudem sieht der Kol. die Auferweckung mit Christus als bereits geschehen an. „Was der Verf. des Kol dann noch von der Zukunft erwarten kann, ist allein das Offenbarwerden ‚in Herrlichkeit’ dieser bereits in Gottes himmlischer Verborgenheit präsenten Realität. Diese ist jedoch auch schon irdisch erfahrbar, und zwar in einem Lebenswandel, wie er in 3,5ff. gefordert wird.“ (Wolter, 133) V.13 akzentuiert: Er hat euch mit ihm lebendig gemacht – und hat uns vergeben alle Sünden. Auferstehung und Vergebung werden hier in einen unlösbaren Zusammenhang gebracht. Doch dazwischen wird noch einmal die Lage inspiziert: die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches. Sünde und Fleisch stehen hier zusammen. Aber während die „Philosophen“ immer noch im Bann des Fleisches sind und auf Askese setzen, gilt für die Getauften, mit Christus auferstanden zu sein. Ziel ist das neue Leben, nicht die Askese. Besonders in den VV 14 und 15 stellt der Kol. den Übergang vom Tod zum Leben in den weiten Horizont der Sündenvergebung. Im Verb charizesthai steckt eine Spitze: das Heil muss nicht noch durch asketische Eigenleistung erworben und dingfest gemacht werden, sondern ist als Geschenk den Adressaten bereits zuteil geworden. Nach Abwägen verschiedener Interpretationsmöglichkeiten kommt M. Wolter zu dem Ergebnis: „Es spricht darum einiges dafür, dass der Verf. des Kol mit dem ‚Schuldschein’ hier in der Tat so etwas wie eine von den Engeln vorgenommene himmlische Buchführung im Auge hat, die die menschlichen Verfehlungen gegen Gott dokumentiert“ (Wolter, 136). Aber anders als die „Philosophen“ erwarten, wachen die Engel nicht über die Reinheit, sondern haben den Schuldschein abgegeben: an den Gekreuzigten. V. 15 zieht die Linie weiter aus. Auch die Metaphorik ist eine andere: „An die Stelle der Begrifflichkeit des Schuldrechts treten Symbole, die aus dem politisch-militärischen Bereich stammen und beim Leser die Assoziation von Sieg und Unterwerfung freisetzen“ (Wolter, 137). V. 15 stellt einen Triumpfzug dar: Der siegreiche Feldherr stellt die bezwungenen Gegner öffentlich zur Schau. Genauer: Den Mächten und Gewalten wird das genommen, was sie zu solchen überhaupt erst macht: ihre Macht und Gewalt über Menschen, die sie als himmlische Buchführer und Tabuwahrer der Heilssphäre Gottes ausüben. Wolter formuliert im Rückblick: „Es geht dem Verf. vor allem darum herauszuarbeiten, dass die Gemeinde allein schon aufgrund ihrer Existenz ‚in Christus’ all dem entnommen ist, was den Menschen gemeinhin von Gott und seiner Heilssphäre trennt: In der Taufe wurden die Adressaten frei von den Zwängen ihres irdisch-materiellen Daseins, denen sie aufgrund ihrer Leiblichkeit unterworfen waren; ihre sie von Gott trennenden Sünden sind ihnen am Kreuz vergeben worden, und die Engelmächte, die über ihren Zugang zu Gott entscheiden, haben dementsprechend ihren diesbezüglichen Einfluß verloren. Insgesamt gesehen geht es um die Überwindung eines Daseinsverständnisses, das sich aufgrund seiner existentiellen, leiblich-materiell bedingten Grenz-Erfahrung als an die Heillosigkeit der Welt ausgeliefert begreift und dessen Basis dementsprechend die Angst um das Heil ist. Diese Angst drängt den Menschen dazu, sich Mechanismen zur Heilssicherung zu verschaffen … Der probatio kommt von daher die grundsätzliche Funktion zu, der Gemeinde die Angst um ihr Heil zu nehmen und der „Philosophie“ damit ihren entscheidenden Ansatzpunkt aus der Hand zu winden“ (Wolter, 138). Die in Kol. 2,11 formulierte Umschreibung der Taufe als „nicht mit Händen gemachte Beschneidung“ hat in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte immer wieder antijüdische Polemik provoziert. Schon bei Justin, Martyrer um 165 n.Chr., wird die fleischliche und die geistliche Beschneidung in einen direkten jüdisch-christlichen Gegensatz gebracht. Diese Linienführung ist jedoch nicht begründet und findet auch im Text keinen Anhalt.

Zur Predigt

(1) Die Formulierung „euer fleischliches Wesen ablegtet“ (V.11c) erinnert an den „Kleiderwechsel“, der sowohl in heidnischen Initiationsriten als auch in der jüdischen und christlichen Bekehrungssymbolik seinen Platz hat. In der alten Kirche legten die Täuflinge nach ihrer Taufe in der Osternacht weiße Kleider an, die sie als Zeichen der neugewonnenen „Unschuld“ eine Woche lang trugen und dann an „Quasimodogeniti“ ablegten. (2) Das „Ausziehen des fleischlichen Leibes“ bedeutet, alle Sicherheiten zurückzulassen und auch keine neuen mehr in der „Philosophie“ zu suchen. In Gen. 12,1-4 wird die Geschichte Abrahams erzählt. Der Text eignet sich auch als Lesung. (3) Mit welchen Mächten und Gewalten lassen wir uns heute ein? Mit welchen arrangieren wir uns? Mit welchen gehen wir unter? Und: Welche Glücksversprechungen führen uns in Versuchung? Welche legen wir anderen auf? Der Predigttext bietet überschäumend Bilder und Vorstellungen, die uns – mehr oder weniger – fremd sind. Das ist die Chance für die Predigt: einen Gedanken herauszugreifen und ihn auszulegen. Da gibt es die Sehnsucht nach Reinheit, die Renaissance der Askese, den Kleiderwechsel und den Triumpfzug. Fast bei jedem Vers fallen wir über aktuelle Fragen, Sichtweisen und Erwartungen. Einen Fehler sollte der Prediger jedoch zu vermeiden suchen: Kol. 2 bietet sich förmlich an, philosophischen und weltanschaulichen Entwürfen eins auszuwischen – viel wirkungsvoller (und wahrer) ist jedoch, aus der Fülle (VV. 9f.) zu schöpfen. Dann lässt sich selbst die „Beschneidung“ als Einweisung in ein „volles Leben“ verkündigen.

Lieder

„Christ lag in Todesbanden“ (EG 101,1-4) „Erschienen ist der herrlich Tag“ (EG 106) „Mit Freuden zart“ (EG 108) “Auf, auf, mein Herz, mit Freuden” (EG 112,1-3.6) “Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin” (EG 114,6-8) “Herr Christ, dein bin ich eigen” (EG 204)

Literatur

Michael Wolter, Der Brief an die Kolosser, in: ÖTKNT 12, Gütersloh-Würzburg 1993, 116-138 Andreas Löw, Kol 2,(8-11.)12-15, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe IV (2005), 158-162.

Tagesgebet

Gott, du bist barmherzig und gütig, du stehst zu deinem Wort und schaffst das Licht. Wir danken dir für deine Treue, für die Auferstehung Jesu, für das Wort des Lebens. Du kennst unsere Zweifel und Bedenken, aber auch unsere Sehnsucht, von dir angenommen und geliebt zu sein. Wir bitten dich, dass du unsere Wege begleitest, mit uns dein Wort teilst und uns ins Leben führst. Durch Jesus Christus, der uns durch den Tod vorausgegangen ist zu dir und mit dem Heiligen Geist Leben schafft. In Ewigkeit.

Fürbitten

Im Evangelium sind uns zwei Jünger begegnet, die traurig und verlassen auf dem Weg nach Hause sind. Ihnen ist der Herr begegnet. Lasst uns ihm unsere Bitten anvertrauen: Herr, wir befehlen dir die Menschen, die ihre Hoffnungen preisgeben müssen, von lieben Menschen Abschied nehmen und sich allein gelassen fühlen. Wir rufen zu dir: Bleibe bei uns. Wir befehlen dir die Menschen, die mit ihren Erfahrungen nicht fertig werden, nach dem „warum“ fragen und sich selbst nicht annehmen können. Wir rufen zu dir: Bleibe bei uns. Wir befehlen dir die Menschen, die offene Augen haben für andere, Lebensgeschichten mittragen und sich nicht entmutigen lassen, Auswege zu entdecken. Wir rufen zu dir: Bleibe bei uns. Wir befehlen dir die Menschen, die ängstlichen Weggefährten Mut machen, Schuld vergeben und Vertrauen stiften. Wir rufen zu dir: Bleibe bei uns. Du bleibst uns treu. Die Beladenen und Bedrückten rufst du zu dir. Den Sterbenden bist du nah. Du begleitest uns auf unseren Wegen. Dir danken wir, dass du mit uns das Mahl feierst. Herr, brich uns das Brot!

Alternativ:

Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen; Das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündet das, wie ein Tod den andern fraß, ein Spott aus dem Tod ist worden. Lasst uns beten: Herr, wir denken an Menschen, die zu Gräbern gehen, um ihre Angehörigen bangen und Angst haben, wenn das Telefon klingelt. Wir bitten dich: Erbarme dich. Wir denken an Menschen, die sich Hoffnungen gemacht haben, aus einer bedrückenden Situation herauszufinden, aber keine Kraft mehr haben, ihren Weg zu Ende zu gehen. Wir bitten dich: Erbarme dich. Wir denken an Menschen, die Angst haben vor einer Diagnose, einer harten Auseinandersetzung oder einer schwierigen Lebensentscheidung. Wir bitten dich: Erbarme dich. Wir denken an Menschen, die nichts mehr von ihrem Leben erwarten, von vergangenen Träumen zehren und an Erinnerungen zerbrechen. Wir bitten dich: Erbarme dich. Wir denken auch an die Menschen, die mit Ängsten Geschäfte machen, ihren Einfluss mit allen Mitteln ausbauen und notfalls über Leichen gehen. Wir bitten dich: Erbarme dich. Wir denken an Menschen, die voller Hass sind, sich den Tod auf den Leib binden und mit Gewalt den Himmel öffnen wollen. Wir bitten dich: Erbarme dich. Und wir bitten dich für die Menschen, die verfeindete Lager versöhnen, Teufelskreisläufe aufbrechen und den Rechtlosen Recht bringen. Wir bitten dich: Erbarme dich. So feiern wir das hoh Fest mit Herzensfreud und Wonne, das uns der Herr scheinen lässt. Er ist selber die Sonne, der durch seiner Gnaden Glanz erleucht’ unsere Herzen ganz; der Sünden Nacht ist vergangen. (Einleitung und Schluß nach der Sequenz Victimae paschalis laudes des Wipo von Burgund vor 1048, EG 101)

Gebet nach dem Abendmahl

In deiner Hand, Gott, sind wir geborgen. Wir danken dir für deine Nähe, für deine Liebe. Dir vertrauen wir unsere Wege an, die Steine, die wir auf ihnen finden, aber auch die Menschen, die wir treffen. Wenn es dann Abend wird und wir zurückschauen auf das, was uns misslang und was uns groß machte, dann bleibe bei uns. Brich uns das Brot und führe uns in dein Reich. Durch Christus, der für uns von den Toten erstand.

Segen

Gott, der am Anfang Licht und Finsternis trennte, sei dir Quelle des Lebens und der Freude. Gott, der Mensch wurde, als die Zeit erfüllet war, sei dir auf deinen Wegen Freund und Gefährte. Gott, der alle Tränen abwischen wird, wenn der Tod nicht mehr ist, sei deine Hoffnung und deine Ewigkeit.

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Ein Brief an eine ganz gewöhnliche Gemeinde

Nehmen Sie schon einmal das Gesangbuch in die Hand! Wir wollen unseren Predigttext singen. Nein, ein Lied reicht nicht. Aber aus drei Liedern können wir Strophen wählen, die uns in eine andere Welt führen.

Predigttext ist ein Abschnitt aus dem Kolosserbrief. Ein Meisterschüler hat ihn für eine Mustergemeinde geschrieben. Lehrmeister ist Paulus. Aber der ist gerade inhaftiert. Paulus hat jedoch am Schluss einen eigenhändigen Gruß hinzugefügt: „Mein Gruß mit meiner, des Paulus, Hand. Gedenket meiner Fesseln! Die Gnade sei mit euch!“

Ob Kolossä eine Mustergemeinde war? Muster hört sich nach Vorbild, herausragendem Beispiel, besonderer Bedeutung an. Weit gefehlt: Mit Mustergemeinde ist eine ganz gewöhnliche in Kleinasien gemeint. Ein Muster für alle Gemeinden, eben. Hören wir, was der Meisterschüler seiner Mustergemeinde schreibt.

(Lesung des Predigttextes, Kolosser 2,8-15)

Viele Bilder, viele Vorstellungen, die uns hier begegnen. Auf Anhieb sagen uns die meisten nichts mehr. „Seht zu“, „passt auf“. Es scheint, als ob Menschen eingefangen werden sollen. Und verunsichert werden. Was damals in Kleinasien vor sich ging, worüber diskutiert und gestritten wurde, bleibt aber im Dunkel. Erinnert werden die Menschen jedoch daran, dass sie an der Fülle Christi teilhaben, es ihnen also an nichts fehlt. Und Christus wird als „Haupt aller Mächte und Gewalten“ vorgestellt. War es vielleicht ein Machtproblem, dass die Menschen bewegte?

Der Wunsch, ein neuer Mensch zu sein

Ich habe Sie vorhin eingeladen, das Gesangbuch in die Hand zu nehmen. Wir wollen uns singend mit „Mächten und Gewalten“ einlassen. Das erste „Bild“ finden wir in dem Lied „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ von Elisabeth Cruciger (EG 67). Es ist 1524 geschrieben worden. Singen wir die fünfte Strophe:

Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad.
Den alten Menschen kränke, dass der neu’ leben mag
Und hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren
Und G’danken hab zu dir.

Elisabeth, um 1500 in einer märkisch-pommerschen Adelsfamilie geboren, wusste als Nonne eines Prämonstratenserinnenklosters um Kasteiungen, Askese und Unterwerfung. Der Körper sollte mit seinen Wünschen und Anforderungen klein gehalten, ja, unterdrückt und ausgeschaltet werden. 1517 schloss sich Elisabeth der Reformation an und heiratete einen Mitarbeiter und Schüler Luthers, Caspar Cruciger. In ihrem Lied legt sie ein Bekenntnis ab: dass wir „auf dieser Erden“ unsere Sinne, Wünsche und Gedanken auf den Herrn Christus setzen. Es ist ein Gebet: Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad. Güte und Gnad stehen für Zukunft, für Leben. Worum Elisabeth hier bittet, ist, ein neuer Mensch zu sein. Einer, der aus Glauben lebt, einer, der frei geworden ist für die Liebe. Elisabeth hat die Worte aus dem Brief an die Kolosser in einen Reim gesetzt: „Mit ihm (Christus) seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes“. Es ist wie in einem Liebeslied: „den Sinn und alls Begehren und G’danken hab zu dir.“ So singen wir es auch.

Reicht es nicht, getauft zu sein?

Der Predigttext – ein Liebeslied? So abwegig ist die Vorstellung gar nicht. Denn die Leute aus den Gemeinden in Kleinasien sind verunsichert. Angeblich reicht es nicht, getauft zu sein. Man müsse, sagen die philosophisch Gebildeten, durch Askese rein werden. Sonst würden einen die Engel nicht in den Himmel lassen. Bis heute hat Reinheit nichts von ihrem Reiz verloren. Und als Machtmittel eignet sie sich vorzüglich. Wer sagt denn, was „rein“ ist, „rein“ macht? Wer sagt, wann es genug ist? Da musste in dem Brief etwas Klärendes gesagt werden. Aber bevor ich Ihnen das alles in klugen Worten auseinander nehme – singen wir doch wieder. In dem Lied „Ich freu mich in dem Herren aus meines Herzens Grund“ (EG 349) von Bartholomäus Helder finden wir die Spur. Singen wir die dritte Strophe:

All Sünd ist nun vergeben und zugedecket fein,
darf mich nicht mehr beschämen vor Gott, dem Herren mein.
Ich bin ganz neu geschmücket mit einem schönen Kleid,
gezieret und gesticket mit Heil und G’rechtigkeit.

Um 1585 wurde Helder in Gotha geboren. Er wuchs schon als evangelischer Christ auf. Aber wie sein Vorbild, Luther, wollte er in einem Lied das zum Ausdruck bringen, was einen Christenmenschen trägt. Sein Lied „Ich freu mich in dem Herrn“ lädt zu einem Lobpreis ein. Ich darf mich nicht mehr schämen. All Sünd ist nun vergeben! Und dann sehe ich mich in dem schönen Kleid – dem Festkleid. „Ich bin ganz neu geschmücket“, singt Helder. „Bin“ heißt hier: ich wurde geschmückt, habe ein neues Kleid verliehen bekommen. In den Bildern der Bibel: Die Erlösten tragen weiße Gewänder. Ich gehöre zu ihnen.

Hier muss ich von dem alten Brauch erzählen. In der Frühzeit der Kirche wurden Menschen in der Osternacht getauft. Sie haben auch ein weißes Kleid bekommen. Das durften sie eine Woche lang tragen. Am Sonntag nach Ostern legten sie es ab. Quasimodogeniti. Weißer Sonntag. So heißt er bis heute bei unseren katholischen Schwestern und Brüdern. Das weiße Kleid steht für einen neuen Anfang, einen neuen Weg, eine neue Geburt. Und Helder lässt uns davon singen: „gezieret und gesticket mit Heil und G’rechtigkeit“. Das ist, was Gott schenkt. Kleider machen Leute!

Die Reinheit aber, die in Kolossä wie ein Schwert über den Köpfen hing, kann keine Angst machen. In dem Brief heißt es: „In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschieht, als ihr nämlich euer fleischliches Wesen ablegtet in der Beschneidung durch Christus“. Was hier als abgelegtes Wesen vor Augen gestellt wird, hat Helder als „Einkleidung“ verstanden. So können wir das Geheimnis verstehen, neue Menschen zu werden. Was wir dann abgeben – unseren Kleinglauben, unsere Verzagtheit, aber auch unsere Ungerechtigkeit und die Kunst, Leben aufzurechnen – lässt uns den Zierrat und den Schmuck sehen, den wir auf dem Leibe tragen: Heil und G’rechtigkeit.

Den Mächten und Gewalten mit einem schönen Kleid gegenübertreten

„Mit einem schönen Kleid“ – das hat uns der Meisterschüler des Paulus in den Predigttext geschrieben – treten die Christen in Kolossä den Mächten und Gewalten gegenüber. Aber er musste ihnen erst die Augen öffnen und einen Spiegel hinstellen. Denn sie hörten nur das Gerede ihrer klugen Zeitgenossen, sahen die Zweifel, die sie schürten – und ließen sich einschüchtern. Zudem: „Mächte und Gewalten“ kommen bis heute im Plural, plustern sich auf und werfen einen großen schwarzen Schatten. „Mächte und Gewalten“ machen abhängig, binden Menschen mit Angst an sich und lassen sie auch nicht wieder frei. „Mächte und Gewalten“ sind: der Tod und die Hölle. An die zwar keiner glaubt, die es aber jeden Tag ins Fernsehen schaffen. Der Traum von der „Reinheit“ hat nicht nur in Kolossä dunkle Flecken und Ränder bekommen.

Einer, der dem Meisterschüler des Paulus auf die Lippen gesehen hat, ist Paul Gerhardt. 1647, der dreißigjährige Krieg war noch nicht zu Ende, wird sein Osterlied zum ersten mal veröffentlicht und in einem Satz von Johann Crüger gesungen: „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschicht“ (EG 112). Stimmen wir in unseren Predigttext ein – mit der sechsten Strophe:

Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied;
Wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmet er mich auch mit.
Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not,
er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell.

In diesem Osterlied wird Christus als „Haupt“ besungen, der seine Glieder – die Menschen, die zu ihm gehören – mitnimmt. „Da nimmt er mich auch mit“, singt Gerhardt. Es sind der Tod, die Welt, die Sünde und die Not, ja, auch die Hölle, die einen Weg freimachen müssen. „Ich bin stets sein Gesell“. Es sind wuchtige Sätze, voller Trotz und Vertrauen. Mit Bescheidenheit ist den „Mächten und Gewalten“ nicht beizukommen. Der Meister stellt sich ihnen. Der Meister – ist Christus. Aber: „Ich bin stets sein Gesell“.

Paul Gerhardt hat, wenn wir die Worte genau abwägen, aus dem Brief an die Kolosser die Stelle zitiert und singbar gemacht, in der es heißt: „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumpf aus ihnen gemacht in Christus“.

Was heißt, zu Christus gehören?

Wir haben unseren Predigttext singen können. Dabei sind wir den Christen in Kolossä sehr nahe gekommen. Auch wir werden verunsichert und herausgefordert. Eine kritische Öffentlichkeit verlangt von uns, dass wir engagiert und authentisch – wie das heute heißt – unseren Glauben leben. Und von uns fordern wir oft mehr, als wir geben können. Wir fragen: Was heißt, zu Christus zu gehören?

Und hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren
Und G’danken hab zu dir.

Ich bin ganz neu geschmücket mit einem schönen Kleid,
gezieret und gesticket mit Heil und G’rechtigkeit.

Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not,
er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell.

Das lesen wir im Brief des Meisterschülers an die Mustergemeinde.
Das feiern wir in jeder Taufe.
Quasimodogeniti: wie die neugeborenen Kinder.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
der bewahre unsere Herzen und Sinne,
in Christus Jesus,
unserem Herrn.

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