Die Gemeinschaft der Getauften neu wahrnehmen

Im Bild von der „Herde Gottes“ einen Ort sehen, der mir durch die Taufe offen steht

Predigttext: 1.Petrus 5,1-4
Kirche / Ort: Leutershausen (69493 Hirschberg)
Datum: 30.04.2006
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez

Predigttext: 1.Petrus 5,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(1) Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: (2) Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; (3) nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. (4) So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.

Vorbemerkungen

Zur Theologie des 1.Petrusbriefes: Mit dem 1. Petrusbrief, der sich an mehrere Gemeinden richtet, liegt uns eine der ältesten christlichen Schriften vor, die von Prof. K. Berger zwischen die Jahre 50 und 55 datiert wird (diese Angabe wie alle in den Vorbemerkungen aus „Das Neue Testament und frühchristliche Schriften“. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord. Frankfurt und Leipzig 1999). Die Adressaten sind nach dem 1. Vers des 1. Petrusbriefes Heidenchristen, die in einem Bereich wohnen, den Paulus mit seiner Mission nicht erreicht hat. Die Menschen in diesen Gemeinden erleiden offensichtlich soziale Diskriminierung seitens ihrer heidnischen Umwelt. Der Verfasser ermutigt die Gemeinde, ihr Außenseitertum als den Status von Fremdlingen zu bejahen. Theologisch baut der 1. Petrusbrief auf zwei Säulen: der Leidenstheologie und der Darstellung der Gemeinde als Tempel. Während erstere es dem Verfasser ermöglicht, die Situation der Gemeinden mit Jesus und seinem Leiden zu verbinden, stärkt er mit der zweiten das Bewusstsein der Gemeinden für ihre theologische Identität. Typisch für den 1. Petrusbrief sind auch die ausführlich referierten Haustafeln, zu denen auch unser Textabschnitt für den Sonntag Miserikordias Domini gehört. Hier entwirft der Verfasser ein moralisches Ordnungsschema für antike Heidenchristen, das sich nicht am jüdischen Gesetz, sondern am Pflichtenkatalog des „Hauses“ in der hellenistischen Welt orientiert. Diese ethischen Mahnungen werden aber auf dem Hintergrund des Erlösungswerkes Christi gegeben, zielen also nicht auf Selbstrechtfertigung, sondern auf Selbstreflexion (Werkstatt für Liturgie und Predigt WLP 2/2006 S. 91). Zum Sonntag „Miserikordias Domini“: Der Sonntag Misericordias Domini, der Sonntag vom „Guten Hirten“, wird in vielen Gemeinden als Konfirmationssonntag gefeiert, in unserer Gemeinde feiern wir die sogenannte „Jubelkonfirmation“. Zwei Wochen nach Ostern wird an diesem Sonntag die Auswirkung der Auferstehung Christi auf die Wirklichkeit seiner Gemeinde bedacht (WLP s.o.). Der Gute Hirte ist der, der sein Leben lässt für die Schafe. Der Sonntag zeichnet also kein idyllisch- harmloses Schäferdasein. Das Bild vom Guten Hirten ist heute zwar noch verständlich, doch haben nicht wenige auch ihre Probleme mit ihm. Als Schaf einer Herde, das fraglos und dümmlich dem Hirten folgt, sehen sich viele nicht unbedingt gerne. Unser Predigttext zeigt da aber auch eine ganz andere Richtung auf, in dem er von der Verantwortung spricht, die die Mitglieder der „Herde“ für einander tragen. Zur Intention meiner Predigt: In meiner Predigt möchte ich die Hörerinnen und Hörer dazu ermutigen, in den vielfältigen Lebensbezügen, in denen sie sich bewegen, die Gemeinschaft der Getauften, die „Herde Gottes“, neu wahrzunehmen. Nicht neben Familie, Beruf, Freizeit, sondern als den diese umgreifenden, übersteigenden Bereich. Als einen Ort, den sie sich nicht erobern müssen, sondern der ihnen durch ihre Taufe offen steht. Als eine Gemeinschaft, die ihnen vielleicht all die Jahre seit ihrer Konfirmation gar nicht so bewusst gewesen ist, und die doch – Sonntag für Sonntag in den Gottesdiensten – auch für sie betet, singt und Gott lobt. Eine Gemeinschaft, die jeden einzelnen Jubelkonfirmanden, jede einzelne Jubelkonfirmandin, braucht.

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Liebe Gemeinde, und heute ganz besonders: Liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden!

Das Fest der Jubelkonfirmation lädt ein zum Blick auf unser Leben

Was haben Sie einander nicht alles zu erzählen gehabt, als Sie sich heute Morgen vor Beginn des Gottesdienstes im Lindensaal getroffen haben. Auch in diesem Jahr war das Stimmengewirr, das laute „Hallo“, das Lachen und die Wiedersehensfreude nicht zu überhören. Sicherlich haben Sie bei der Einen oder dem Anderen genau hinschauen müssen, hat es einen zweiten oder dritten Blick gebraucht, bis es gedämmert hat: Mensch, das ist doch die Lore! – Frank, bist du’s wirklich?

Es sind ja nicht nur ein paar Monate vergangen, seit Sie hier gemeinsam eingezogen sind, um auf der Kniebank vor dem Altar eingesegnet zu werden: Es sind 25 Jahre oder gar 50 Jahre her, als die meisten von Ihnen die Konfirmation gefeiert haben. Bei nicht wenigen sind es sogar 60, 65 und 70 Jahre, dass dieses Fest zurückliegt – die Zeit eines ganzen Menschenlebens! Wenn das Leben im zunehmenden Alter auch wieder langsamer wird und Sie nicht ganz so überschwänglich zu erzählen haben wie die Jüngeren – um so größer war vielleicht heute Morgen Ihr Gefühl der Dankbarkeit. Dafür, dass Sie diesen Ehrentag miterleben und mitfeiern können.

Unabhängig davon, wie viel Jahre und Jahrzehnte Ihre Konfirmation nun zurückliegt, werden Sie bei der Einladung zu dem heutigen Gottesdienst wohl alle wenigstens für ein paar Augenblicke daran gedacht haben, was sich in Ihrem Leben seitdem ereignet hat. Was Sie sich damals als 14jährige vom Leben erträumt und erhofft haben. Was sich verwirklichen ließ und wo Träume geplatzt sind. Welche Erwartungen sich erfüllt haben und wo das Gefühl des Scheiterns zurückgeblieben ist. So unterschiedlich Sie alle mit ihren je eigenen Lebenserfahrungen sind, so unterschiedlich fällt sicherlich auch der Blick auf ihr Leben aus. Während die einen zufrieden auf ein erfolgreiches Berufsleben zurückschauen, trauern anderen ihrer aktiven Zeit hinterher.

Viele unter Ihnen erleben, wie der Wind in der Wirtschaft Arbeitnehmerinnen, aber genauso auch den Selbständigen kalt ins Gesicht bläst. Ein sicherer Arbeitsplatz spielt für die Silbernen Konfirmanden sicherlich eine ungleich wichtigere Rolle als für diejenigen, die vor 60 Jahren konfirmiert wurden und die Zeit des Wirtschaftswunders miterlebt haben, das nach Krieg und Zerstörung ein ganz neues Lebensgefühl gab.

Unsere Goldenen Konfirmanden freuen sich ihrer neugewonnen Freiheit nach der Pensionierung, reisen und treiben Sport, während unter den Jüngeren viele unter der Doppelbelastung von Familie und Beruf leiden. Einige unter ihnen werden die Jubelkonfirmation heute mit Kindern, ja sogar schon mit Enkelkindern feiern, andere haben sich für ein Single-Leben entschieden oder sind nach einer Trennung oder dem Tod des Partners wieder allein.

Das „Ja“ Gottes verbindet uns Menschen über alle Unterschiede hinweg

Menschen mit den verschiedensten Lebensentwürfen sind Sie alle. Es gibt nicht viele Anlässe und Gelegenheiten, bei denen so unterschiedliche Menschen zusammen kommen, um zu feiern. Alte und Junge, Akademiker und Handwerker, Sportliche und Theaterfreunde, Familienväter und Beziehungsmuffel, Glückliche und Beladene. Sie alle haben sich einladen lassen, um heute Morgen hier miteinander Gottesdienst zu feiern. Wenn auch die Einladung aus dem Pfarrhaus kam, so konnte ich Sie Ihnen doch nur stellvertretend schicken. Eingeladen hat Sie die Gemeinde, in der Sie einstmals konfirmiert wurden, oder zu der Sie gehören, seit Sie hier in Leutershausen leben. So sind Sie hier als Alte oder Junge, Akademiker oder Handwerker, Sportliche oder Theaterfreunde, Familienväter und Beziehungsmuffel, Glückliche und Beladene, weil Sie etwas miteinander verbindet. Etwas, was all diese Unterschiede nicht ignoriert. Aber das ihre Bedeutung relativiert.

Was Sie alle hier miteinander verbindet, ist Ihr „Ja“ zu Ihrer Taufe. Dieses „Ja“ haben Sie damals bei Ihrer Konfirmation gesprochen. Vielleicht aus voller Überzeugung. Vielleicht auch mehr deshalb, weil Oma Luise oder Onkel Jakob sonst furchtbar enttäuscht gewesen wären. Vielleicht auch, weil die Konfirmation eben dazu gehört hat. Sicherlich haben Sie auch darüber in den vergangenen Tagen mal kurz nachgedacht, welche Bedeutung die Konfirmation damals für Sie hatte. Was denn das Eigentliche gewesen ist. Welchen Wert Sie ihr zugemessen haben. Wie auch immer diese Beurteilung ausgefallen sein mag – ihr „Ja“ zu ihrer Taufe, bei der Konfirmation gesprochen, hat sie zu erwachsenen Gliedern der Gemeinde gemacht.

Viele von Ihnen haben diese Zugehörigkeit zur Gemeinde intensiv gelebt und leben sie noch. Sind Kirchenälteste geworden. Gestalten Gottesdienste mit im Kirchenchor. Haben Jungscharen geleitet. Oder gehen ganz einfach gerne am Sonntag in die Kirche. Andere haben ihre Kirchenmitgliedschaft eher so aus der Ferne wahrgenommen. Zu bestimmten Anlässen in der Familie, Hochzeiten, Beerdigungen. Manche haben sich innerlich auch ganz weit distanziert. Auch über diese Unterschiede hinweg können wir heute Morgen gemeinsam Gottesdienst feiern. Ganz gelassen und ohne jeden strengen Blick auf diejenigen, die vielleicht gar nicht mehr recht wissen, wie so ein Gottesdienst abläuft. Denn Sie und ich, wir sind alle gemeinsam Gottes Gemeinde. Nicht durch unseren starken Glauben. Nicht durch unsere besonderen Verdienste um die Kirche. Sondern durch Gottes „Ja“ zu uns. Gott hat „Ja“ gesagt zu Ihrem Leben und Ihnen in der Taufe versprochen, Ihr Hirte sein zu wollen. Nicht, damit Sie ihm wie ein dummes Schäfchen die Verantwortung für Ihr Leben abtreten. Sondern damit Sie in jedem Moment Ihres Lebens wissen können: Gott ist für mich da. Ich bin ihm unendlich wichtig. Er gibt alles für mich. Er gibt sich selbst für mich.

In der „Herde Gottes“ brauchen wir einander

Vor zwei Wochen haben wir hier in der Kirche und rund um die Welt Ostern gefeiert. Wir haben gefeiert, dass Gott seinen Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Dass das Leben den Tod überwunden hat. Damit wir leben. Hier und jetzt. Voll Vertrauen in das Leben. Damit wir unser Leben gestalten, die Möglichkeiten und Gaben, die uns Gott anvertraut hat, nutzen und fördern. Gott hat in seinem Sohn Jesus Christus den Tod überwunden, damit wir für einander für das Leben einstehen. Einander helfen, das Leben zu bestehen.

Die Bibel gebraucht für dieses Zusammenwirken von Menschen und Gott das schöne alte Bild vom Hirten und der Herde. Gott hat als Hirte schon alles für uns getan und tut es immer noch. Als seine Herde brauchen wir einander, um uns gegenseitig immer wieder in unserem Vertrauen zu bestärken. Um von der Liebe Gottes zu uns Menschen weiterzuerzählen und diese Liebe durch unser Leben zu bestätigen. Dabei braucht Gott jede und jeden von uns. Gerade mit unseren ganz unterschiedlichen Lebensbezügen und Lebenserfahrungen. Er braucht uns, wir brauchen einander als Junge und Alte, Gesunde und Kranke, Traurige und Fröhliche, Glückliche und Sorgenvolle, Glaubensstarke und Zweifelnde. Darum leidet auch die ganze Herde, die ganze Gemeinde Gottes, wenn sich auch nur eines seiner Glieder von ihr abwendet. Und singt und betet doch auch weiter Sonntag für Sonntag in den Gottesdiensten für die mit, die selber nicht mehr singen und beten.

Sie, liebe Jubelkonfirmandinnen, liebe Jubelkonfirmanden, haben alle Ihre ganz eigenen Glaubenserfahrungen gemacht in den 25 oder 50, 60, 65 oder 70 Jahren, die seit Ihrer Konfirmation vergangen sind. Jede ist kostbar und wertvoll. Die Erfahrungen, in denen Sie erlebt haben, wie ihnen Kräfte geschenkt wurden, die Sie selbst nicht vermutet hätten. Die Erfahrung der Liebe und des Angenommenseins. Auch die Erfahrungen, die durch Zweifel und Wut auf Gott hindurch geführt haben zu einem neuen Vertrauen.

Glaube wächst dort, wo wir diese Erfahrungen nicht für uns behalten. Wenn wir wünschen, dass auch in 25 und 50, in 60, 65 und 70 Jahren noch Konfirmation gefeiert wird, dann erzählen wir einander davon, was uns der Glaube an den „Guten Hirten“, der Glaube an den lebendigen Gott bedeutet. Menschen, die darauf warten. In unseren Familien, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Unseren Kindern und Enkeln. Ja, einige unter uns können es schon an die Urenkel weitergeben: Dieses „Ja“ Gottes zu uns Menschen. Ich wünsche Ihnen, liebe Jubelkonfirmandinnen und liebe Jubelkonfirmanden, dass Sie an diesem besonderen Tag wieder neu Freude und Dank empfinden können über Gottes „Ja“ zu Ihrem Leben. Und dass diese Freude und dieser Dank Sie begleiten werden in dem Leben, das vor Ihnen liegt.

Amen.

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