Außen und innen
Der äußere und der innere Mensch oder: Irdenes Gefäß und Schatz
Predigttext: 2. Korinther 4,16-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(16) Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. (17) Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, (18) uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.Zum Predigttext
Zum 2.Korintherbrief
1993 wurde Theo K. Heckels 1991 in Erlangen vorgelegte Dissertation veröffentlicht: Der innere Mensch. Die paulinische Verarbeitung eines platonischen Motivs, WUNT 2/ 53, Tübingen 1993. Die Arbeit umfasst 257 Seiten, u.a. auch mit einer Auslegung unseres Predigttextes. Die paulinische Verfasserschaft der im 2. Kor. gesammelten Briefteile kann – Ausnahme: 6,14-7,1 – als gesichert gelten. Paulus gründet die Gemeinde (1. Kor. 3,6.10; 2. Kor. 1,19; vgl. Apg. 18) in Korinth um 50 n.Chr. Anderthalb Jahre etwa verweilt Paulus dort (Apg. 18,11). Bei seinem späteren Ephesusaufenthalt (1. Kor. 15,32) hört er von Spaltungen und Zank (1. Kor. 1,10f.) und verfasst als ältestes erhaltenes Dokument der Korintherkorrespondenz den 1. Kor. Erneut bricht ein Konflikt auf, in dem Paulus schließlich sein Apostolat mit äußerster Schärfe verteidigt (2. Kor. 10-13). Nach einem Besuch des Titus (2. Kor. 2,13; 7,5-16) kann er friedlich gesonnen auf die Ereignisse zurückblicken (2. Kor. 1,1-6, 13; 7,2-16). Korinth, die Hauptstadt der Achaia, setzte sich im 1. Jahrhundert n.Chr. als Drehachse des Welthandels durch. Nach der vollständigen Zerstörung der Stadt 146 v.Chr. bevölkerte erst Cäsar die Stadt neu mit ehemaligen Sklaven und Soldaten. Wurzellosigkeit der Bevölkerung und starker Zuzug machten Korinth zu einem Sammelbecken antiker Religionen und nicht zuletzt zu einer sprichtwörtlich verrufenen Hafenstadt. Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt ermöglichte einem bunten Bevölkerungsgemisch, dort eine Heimat zu finden. So eignete sich die Stadt auch als Aufenthaltsort Verfolgter und Vertriebener.Zum Predigttext im größeren Zusammenhang
Es ist gut, den größeren Zusammenhang von 4,16 – 5,10 als Folie zu nehmen. Die vielen kritischen, konstruktiven und weniger konstruktiven „Rateversuche“, wie Heckel sie nennt, können wir in der Predigtvorbereitung übergehen. Wer sie kennen lernen möchte, findet in der Arbeit von Heckel viele Spuren (S. 98-106). In 4,16 – 5,10 lassen sich sieben duale Bildkomplexe oder Begriffspaare unterscheiden. Diese gruppieren sich in drei Abschnitte, die neben der inhaltlichen Verschränkung der Bildkompexe durch das oidamen gar in 5,1 und das Partizip mit oun in 5.6 abgenzbar sind: I (1) „Äußerer“ und „Innerer Mensch“ 4,16 (2) Gegenwärtige Bedrängnisse und künftige Herrlichkeit 4,17 (3) Sichtbares Vergängliches und unsichtbares Ewiges 4,18 II (4) Irdische Wohnstatt und Gebäude von Gott 5,1.2a.4a (5) Überkleidung und Entkleidung 5,2b.3.4b III (6) Leben in der Fremde und in der Heimat 6,6.8f. (7) Leben im Bereich des Sichtbaren und des Glaubens 5,7 Unser Predigttext ist der Teil IZur Exegese der Perikope: Unterscheidung von „innen“ und „außen“
Die Perikope beginnt mit dem Satz: „Wir verzagen nicht, sondern werden Tag für Tag erneuert“. Durch das begründende „daher“ greift Paulus die bisherigen Erörterungen auf. Der Apostel beschreibt den Eingriff Gottes zu unseren Gunsten: „Geruch vom Leben zum Leben“ (2,16), „Verwandeltwerden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (3,18), „Erleuchten in unseren Herzen“ (4,6). Neu aber in der Formulierung V. 16 ist die räumliche Aufteilung der Bereiche, die von Leid und Erneuerung betroffen sind. Ohne die Redeweise vorzubereiten oder explizit einzuführen, benennt Paulus den „äußeren“ und den „inneren“ Mensch. Hat Paulus voraussetzen können, dass in Korinth diese Denk- und Sprachweise bekannt war? Vermutlich ist Paulus für die Wortwahl nicht nur allein verantwortlich. Das zeigt sich auch daran, dass in V. 17 nicht die „räumliche“, sondern die „zeitliche“ Perspektive die Gedankenführung übernimmt: „Denn unsere augenblickliche leichte Trübsal wird uns über alles Maß hinaus ewig Fülle von Herrlichkeit verschaffen“. In V. 18 kommt Paulus jedoch wieder auf die räumliche Sichtweise zurück: „Unser Betrachten gilt nicht den sichtbaren, sondern den nicht sichtbaren Dingen“. Würde V. 18 für sich allein stehen (oder gestellt werden), könnten sich viele, nicht einmal nur christliche Gruppen, auf ihn verständigen. Platoniker aller Arten sehen sich an das „Höhlengleichnis“ erinnert: Betrachtet nicht die sichtbaren Schatten, sondern versucht der unsichtbaren Ideen ansichtig zu werden. Paulus zitiert vielleicht sogar einen Leitsatz seiner Gegner, um ihn in die richtige Relation zu setzen. Betrachten wir die Argumentation, stoßen wir schnell auf eine sehr dichte und kunstvolle Bewegung. Die Unterscheidung von „Innen“ und „Außen“, die wir in V. 16 finden, wird in V. 17 auf das in 4,7-15 beschriebene „Ineinander von gewährter, anbrechender Herrlichkeit und erlittenen Drangsalen“ bezogen (Heckel, S. 108). Damit wird aber die Unterscheidung von „Innen“ und „Außen“ obsolet, der Mensch eben nicht räumlich aufteilbar, die Statik von „innen“ und „außen“ geradezu außer Kraft gesetzt. Es ist darum sehr wichtig, den Predigttext in 4,7-15 verwurzelt zu sehen. Sonst könnten die Gegner des Paulus noch in unseren Gottesdiensten zu Wort kommen. Denn in 4,16-18 (oder 4,16 und 18) seufzt nicht ein Philosoph über die Vergänglichkeit der Welt, die er als „Schatten“ abtun und verachten kann. Paulus bezieht das Gegenüber vom „irdenem Gefäß“ und „Schatz“ (4,7) auf das Verhältnis der höchst abscheulichen äußeren Erscheinung des Kreuzestodes und dessen unsichtbarer Heilswirkung (4,10f.). Dem Vorwurf mangelnder sichtbarer Nachweise seiner apostolischen Würde begegnet Paulus, indem er für sich ein ähnliches Gegeneinander von dürftiger Erscheinung und Bedeutung seines Auftrages (4,13-15) beansprucht. So sehen wir in unserem Predigttext, wie Paulus (platonische) Denkansätze in Korinth aufgreift, ohne sie beim Namen zu nennen, ihnen aber zugleich eine neue Zielrichtung gibt. Kurz formuliert: „Innen“ und „außen“ werden christologisch zusammengeführt. Die moderne Frage, was denn „innen“ und „außen“ beim Menschen ist, hat die Dichotomien eben nicht überwunden, die in einer langen philosophischen Tradition die Anthropologie bestimmen. Unser Predigttext könnte auch ein Beispiel dafür sein, wie ein ganzheitliches Menschenbild christologisch geformt werden kann.Zum paulinischen Umgang mit der Argumentation der Gegner
Schauen wir noch einmal etwas genauer auf den paulinischen Umgang mit der Argumentation der Gegner (Heckel, S. 146f.): Paulus höhlt den Begriff „innerer Mensch“ nicht gänzlich aus, weil er den Menschen in seiner Unterschiedlichkeit durchaus würdigt. Paulus unterscheidet auch „Vernunft“ (nous) und „Leib“ (soma), ja, akzeptiert den „inneren Menschen“ als Ort des ankommenden „Geistes“ (pneuma). Nur: Der versteckte anthropologische Superlativ, der dem „Inneren Menschen“ seit Platon anhaftet, wird von Paulus abgestritten. Kein Teil des Menschen, auch nicht der wertvollste (die Seele?!), ist aus sich und für sich göttlich – und er wird es auch nicht durch die Geistverleihung statisch oder automatisch: Er muss auch beim getauften Christen Tag für Tag neu geschaffen werden (4,16). Dieser Gedanke ist im ursprünglichen Kontext der Metapher unmöglich. Bei Platon wie bei Philon geriet die Metapher (vom „inneren Menschen“) in die pädagogischen Finger: Das richtige Verstehen führt dazu, dass der „innere Mensch“ zum Herrn im Menschen wird. Aber: Die Erneuerung (anakainosis), wie Paulus sie in 4,16 sieht, ist wie die Schöpfung aus dem Nichts allein Tat Gottes (vgl. 3,18; 4,6 und bes. 5,17). Die passiven Verbformen, die dort und in Röm. 12,2 vorkommen, sind Passiva divina. Adolf v. Harnack hatte in seiner Dogmengeschichte formuliert: „Das Dogma ist in seiner Conception und in seinem Ausbau ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“. Aber diese These wird, ohne dies hier weiter vortragen zu können, gerade in unserem Predigttext relativiert: Paulus setzt sich implizit mit der philosophischen Anthropologie auseinander, um explizit zu formulieren: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. (1. Kor. 3,11)Zur Wirkungsgeschichte
Werfen wir einen Blick auf die Wirkungsgeschichte (Heckel, S. 226ff.): Neuzeitlich begegnen uns Versuche, das Christentum als ein Phänomen der Innerlichkeit zu sehen. Sei es, dass Christen sich bei politischen und sozialen Herausforderungen heraushalten, sei es, dass ihnen vorgeworfen wird, sich auf ihr „Kerngeschäft“ zurückzuziehen. Allerdings: Die Wortbedeutung „innerer Mensch“ zeigt einen Wandel, hin zu „Innerlichkeit“. Wer bei diesen Diskussionen immer wieder genannt wird, ist Luther. Je nach Standort finden die Diskutanten sein Diktum, Frömmigkeit und Freiheit „seyn nit leyplich noch eußerlich“ zutreffend oder grundverkehrt. Martin Luther aber greift auf die Metapher vom „inneren Menschen“ (nur) zurück, um einen Ort zu benennen, an dem Gottes Wort ankommt. Die Wirkung des Wortes bestimmt, was verdient, „innerer Mensch“ genannt zu werden! „Wie bei Paulus werden dadurch die Worte ‚innen’ und ‚außen’ neu definiert. ‚Innen“ im theologischen Sinn ist nun das nach außen drängende Zentrum der Wirksamkeit des Wortes Gottes. ‚Äußerer Mensch’ ist nun jemand, der meint, indem er von dem durch das Wort vermittelten Geist absieht, aus seinen Taten heraus leben zu können. Es ist der Mensch, der sich gegen die Rechtfertigung allein aus Glauben versperrt. In dieser theologischen Zuspitzung ist die Unterscheidung von ‚Innerem’ und ‚Äußerem Menschen’ bedeutsam, damit die Gnade Gnade und das Evangelium Evangelium bleibt. Diese Unterscheidung erlaubt, den sich ausschließlich als Täter verstehenden Menschen vom Menschen vor Gott zu trennen. Der doppelte Weltbezug des Menschen, einmal unter dem Gesetz des Tuns, einmal unter dem Gebot des Evangeliums, kann so unterschieden werden“ (Heckel, S. 228f.)Zur Predigt
Die Predigt wird das Evangelium bezeugen, dass der Glaubende Tag für Tag erneuert wird (passiv), obwohl er um Müdigkeit, Verfall und Trübsal weiß, ja, mit ihnen ringt. Die Gegensätze „innerer“ und „äußerer“ Mensch würden uns heute dazu verführen, den „Seelenfrieden“ auf die vielen Konflikte und Auseinandersetzungen zu legen, die uns innerlich nicht verfolgen sollen. Das aber würde die Gegner des Paulus zu gottesdienstlichen Ehren bringen – und uns um die Glaubwürdigkeit. Nein, wer den Schatz in irdenen Gefäßen hat (4,7), hat einen Schatz von Gott. In unserem Predigttext: Erneuerung, Herrlichkeit, Ewigkeit. Diesen Dreiklang hörbar zu machen, ist Aufgabe und Verheißung der Predigt – die Menschen dürfen aber erwarten, dass ihre Erfahrungen „vor Gott“ ausgesprochen werden: die Müdigkeit (oder Verzagtheit), die Trübsal, die Vergänglichkeit. Jes. 50,4: „mit den Müden reden zur rechten Zeit“. Unser Predigttext ist, obwohl sehr griffig, alles andere als zugänglich. Einzelne Gedanken wie der ganze Zusammenhang provozieren auch Rückfragen. Eine Predigt wird sie nicht aufgreifen, vorgreifen oder „erfinden“ können. Im übrigen lädt das betonte „wir“ und „uns“ dazu ein, die Gemeinde als eine Gemeinschaft von Menschen zu sehen, die die in Konflikten bewährte „Lebenserfahrung“ des Paulus teilen kann. Das ist für den Sonntag „Jubilate“ ein Grund mehr, in das Lob Gottes einzustimmen. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden (2. Kor, 5,17) Der Predigtvorschlag geht davon aus, dass „Wie lieblich ist der Maien“ (EG 501) vor der Predigt gesungen wird.Wider die Deklassierung der „alten Schöpfung“
Ursula Kannenberg hat in dem von Alexander Deeg herausgegebenen Buch „Der Gottesdienst im christlich-jüdischen Dialog. Liturgische Anregungen. Spannungsfelder. Stolpersteine“, Gütersloh 2003, S. 122ff. – diese Arbeit wird demnächst in HPF besprochen werden – darauf hingewiesen, dass das Spannungsfeld, das sich in den Lesungen auftut, in dem Verhältnis der alten und neuen Schöpfung besteht. Die in diesem Spannungsfeld schlummernde Gefahr sieht sie darin, die „alte Schöpfung“ zu deklassieren. „Ebenso schwierig ist es, den Gedanken der neuen Schöpfung allein auf Christus zuzuspitzen, als ob sich diese Vorstellung nicht auch schon im AT fände. Des Weiteren sollte genau beachtet werden, dass sowohl in Gen 1 als auch in Ps. 66 die kosmologische Dimension der Schöpfung zur Sprache kommt …“ (S. 124)Lieder:
„Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren“ (EG 279,1.4.5.8) „Wie lieblich ist der Maien“ (EG 501, zum 1. Maisonntag!)Literatur:
Theo K. Heckel, Der innere Mensch. Die paulinische Verarbeitung eines platonischen Motivs, WUNT 2/ 53, Tübingen 1993.- Alexander Deeg, Der Gottesdienst im christlich-jüdischen Dialog. Liturgische Anregungen. Spannungsfelder. Stolpersteine“, Gütersloh 2003.- Kornelius Wieland-Gölz, 2 Kor 4,18-18, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe IV, 2005.- Ulrich Schoenborn, 2. Korinther 4,16-18, in: GPM (95) 2006/2, 222-230.Gebete im Gottesdienst
Tagesgebet
Wir preisen deinen Namen, Gott, wir loben und rühmen dich. Wenn wir verängstigt sind oder verzagen, machst du uns Mut, das Leben aus deiner Hand anzunehmen. Wenn uns die Worte ausgehen und sich die Gedanken im Kreise drehen, verstehst du auch unser Schweigen. Wir bitten dich: Lege uns die Schrift aus, zeige uns den Weg, der in die herrliche Freiheit deiner Kinder führt und mache uns zu Boten deiner Liebe. Durch Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.Fürbitten
Im Evangelium haben wir gehört, dass die österliche Erfahrung, die die Jünger gemacht haben, zu vielen Menschen kommen soll. Darum vertrauen wir unsere Anliegen und Bitten dem an, der dem Tod das letzte Wort genommen hat: Gott, dir befehlen wir die Menschen, die am Ende sind. Die keine Kraft mehr haben, sich Herausforderungen zu stellen. Die vom Alltag erschlagen werden. Wir rufen zu dir: Herr, öffne uns die Augen Dir befehlen wir die Menschen, die anfangen. Die eine neue Aufgabe übernommen haben, ihr Leben mit einem anderen Menschen teilen, Nachwuchs bekommen. Wir rufen zu dir: Herr, öffne uns die Augen Dir befehlen wir die Menschen, die in der Mitte ihres Lebens ankommen. Die schon viel zu erzählen haben, aber auch noch viel bewegen und erwarten. Wir rufen zu dir: Herr, öffne uns die Augen Dir befehlen wir die Menschen, die für andere Verantwortung übernommen haben. Die in Schulen jungen Menschen den Weg ins Leben ebnen, in Krankenhäusern und Altenheimen arbeiten und für sichere Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse sorgen. Wir rufen zu dir: Herr, öffne uns die Augen Die befehlen wir die Menschen, die das Gemeinwesen mitgestalten; die Gesetze machen, Recht sprechen und die Öffentlichkeit informieren. Wir rufen zu dir: Herr, öffne uns die Augen Gott, du hast am Anfang die Welt geschaffen und sie uns Menschen anvertraut. Nach deinem Bild hast du uns gemacht. Hilf uns, die Güter der Erde gewissenhaft zu gebrauchen, für die Schwachen einzutreten und den Frieden zu bewahren. Du hast uns viel gegeben. Du erwartest auch viel von uns. Durch Jesus Christus, den Anführer und Vollender des Glaubens. Ihm vertrauen wir uns an in Ewigkeit. alternativ: Wir denken heute an Menschen, die als Boten der Liebe Gottes den Mächten des Todes Widerstand leisten. Für sie beten wir: Herr, sei mit den Menschen, die in Entwicklungsländern Hilfe leisten, landwirtschaftliche Erträge steigern helfen und Gesundheitseinrichtungen schaffen. Wir bitten dich: Herr, erbarme dich. Sei mit den Menschen, die in Beratungsstellen Not- und Konfliktsituationen zu ihrer Sache machen, Lebensmüden helfen, wieder eine Perspektive zu finden und Inhaftierten Wege aus der Schuld zu zeigen. Wir bitten dich: Herr, erbarme dich. Sei mit den Menschen, die sich nicht entmutigen lassen, Vergangenheit aufzuarbeiten, die Geschichten bewahren und denen ein Gesicht geben, die nicht mehr wahrgenommen oder verstanden werden. Wir bitten dich: Herr, erbarme dich. Sei mit den Menschen, die andere auf ihrem letzten Weg begleiten, die trösten und raten und die sich um die liebevoll kümmern, die allein zurückbleiben. Wir bitten dich: Herr, erbarme dich. Wir haben wir noch vieles auf dem Herzen, können aber nicht alles sagen. Du weißt, was uns bewegt. Wir sehen Menschen vor uns, die auch in schweren Situationen Hoffnungen mit anderen teilen. Wir danken dir für die Nähe und Gemeinschaft, die trägt, wenn der Boden unter den Füßen schwindet. Wir danken dir für dein Wort. Es stiftet mitten unter uns Frieden. Im Namen unseres Herrn, Jesus Christus.Gebet vor dem Abendmahl
An deinem Tisch, barmherziger Gott, versammelst du alle, die schwer tragen, versucht werden oder auch nur glücklich sind. Wir danken dir für Brot und Wein, für deine Liebe. Du verschenkst dich an uns. Uns wird das Leben zuteil durch Jesus Christus, der von den Toten auferstand.Schlussgebet
Treuer, barmherziger Gott, dass wir auf unserem Weg einhalten, dein Wort hören und deine Verheißung mitnehmen, ist ein Geschenk. Hilf uns, wenn wir wieder in unseren Alltag zurückkehren, ein offenes Herz, ein gutes Wort, eine leuchtende Sonne zu sein. Boten deiner Liebe, Zeugen deiner Auferstehung. Dann begleiten wir andere Menschen auf ihrem Weg zu dir. Durch Jesus Christus.Sendung und Segen
Der Ewige, der von Anfang an für das Leben spricht, bewahre dich auf deinen Wegen. Der Barmherzige, der Sünden vergibt, gebe dir ein offenes Herz. Der Treue, der zu seinem Wort steht, mache dich zu seinem Boten. Gehet hin im Frieden des Herrn …Fröhlich im Geist
Unser Sonntag heißt „Jubilate“. Er lädt ein, sich nicht einfach zu freuen, sondern zu jubeln. Das reißt den ganzen Körper mit. Die Zunge, das Herz, die Seele. Gesungen haben wir:
Herr, laß die Sonne blicken / ins finstre Herze mein,
damit sich’s möge schicken, / fröhlich im Geist zu sein,
die größte Lust zu haben / allein an deinem Wort,
das mich im Kreuz kann laben / und weist des Himmels Pfort.
Martin Behm, der das Lied 1604 schrieb, viele Konflikte kennen lernte und durchstand, formuliert ein Gebet. Er sieht sein finsteres Herz. Und bittet, fröhlich im Geist zu sein. Er bittet, die größte Lust an Gottes Wort zu haben. Als er auf seinen Text sieht, der ihm aus der Feder fließt, bindet er Anfang und Schluss zusammen: Die Sonne, die ins Herz scheint, weist des Himmels Pfort. Was er mit Sonne meint? Den leuchtenden Ball am Himmel? Die Sehnsucht aller vom schlechten Wetter mürrisch gewordener Menschen? Das Angebot im Reisebüro? Die Sonne ist – das Wort Gottes.
Heute ist auch der erste Sonntag im Mai. Behms Lied ist ein Maien-Lied. In ihm ist von Grünen und Blühen die Rede, von fröhlich springenden Tieren und singenden Vögeln. Jedes Wort, jede Note bringt uns den Frühling auf die Lippen. Behm besingt die schönen Augenblicke, um Gottes Macht und Güte zu preisen. Er bittet nicht nur, vor Mehltau, Frost, Reif und Hagel verschont zu werden – er bittet: „Herr, laß die Sonne blicken ins finstre Herze mein“. Ist doch auch das Herz ein Teil der Natur, das aufbrechen, grünen, blühen soll!
Wenn das Unsichtbare sichtbar wird
Paulus hat den Korinthern einen Brief geschrieben. Hören wir, was er schreibt.
(Lesung des Predigttextes)
Paulus hat es mit den Korinthern nicht leicht – und sie nicht mit ihm. Eine lebendige, aufregende Gemeinde. In sich hat sie viele Richtungen, Meinungen und Menschen auszuhalten. Gar nicht so einfach in einer großen, florierenden Handelsstadt, in der die Welt zu Besuch ist. Paulus muss sich wehren. Seinen Gegnern kann er nicht einmal ins Gesicht sehen – sie sind weit weg. Was sie sagen, was sie ihm vorwerfen, schleicht durch die Gassen, Häuser und Herzen. In Korinth. Die Auseinandersetzung wiederzugeben, ist eigentlich müßig – sie sind auch lange her und in einer fast schon vergessenen Welt eingeschlossen. Umso erstaunlicher ist, dass die Gedanken, die Paulus in Worte kleidet, von ihrer Lebendigkeit und Schönheit nichts eingebüßt haben.
Wir werden nicht müde, schreibt Paulus. Wir verzagen nicht. Wir werden von Tag zu Tag erneuert. Eine ewige und maßlose Herrlichkeit wird uns zuteil. Unsere Trübsal verblasst dagegen, alles, was wir zu tragen haben und uns gefangen nimmt, wird leicht. Was ewig ist, erobert unsere Augen, unsere Sinne, unsere Wahrnehmung. Darum werden wir nicht müde. Wir verzagen nicht. Wir werden von Tag zu Tag erneuert.
Es ist aufregend, einem Menschen über die Schulter zu sehen, der sich verteidigen muss. Obwohl wir ihm nicht helfen können, hilft er uns. Paulus schreibt: Wir – und uns. Kein betontes, herausgehobenes Ich. Obwohl es doch die Erfahrung des Paulus ist, die er den Korinthern auch ans Herz gelegt hat: Wir haben einen Schatz in irdenen Gefäßen. Paulus spricht von dem großen Reichtum, der uns geschenkt ist. Worauf soll ein Mensch sehen? Auf den Schatz? Auf das zerbrechliche Gefäß? Für Paulus ist das keine Frage: auf beides. Auf den Schatz im zerbrechlichen Gefäß! Wenn ich vor dem Spiegel stehe, wird mir bei der Vorstellung unheimlich. Nicht lieber doch nur auf den Schatz sehen? Auf das Evangelium? Auf die Gnade? Auf Gott? Nur: wo soll der Schatz sein, das Evangelium, die Gnade, Gott, wenn nicht – auch bei mir? bei uns?
Sätze gegen Gegensätze
Was man Paulus alles vorgehalten hat: Seine Worte seien kraftlos, seine Intelligenz beschränkt, sein Auftreten erbärmlich. Geradezu vernichtende Urteile. Für Pfarrer/innen wären solche Vorhaltungen tödlich. Aber nicht nur für sie. Robert Gernhardt hat ein Gedicht geschrieben. Es heißt: Biographie. Es ist ein Gedicht über einen Künstler (Im Glück und anderswo. Gedichte, Frankfurt 2002, S. 271):
Ich war zum Unglück vorbestimmt
Ich war als Dulder strukturiert
Ich war auf Leiden angelegt
Ich war fürs Scheitern programmiert:
Ich war der geborene Künstler
Ich bin ein Hans, das meint: im Glück
Ich bin es voller Ungeduld
Ich bin so sehr auf Freuden aus
Ich bin zum Sieger umgepolt:
Ich bin ein geschworener Lebenskünstler
Ich war – so geht die 1. Strophe. Ich bin – so die 2. Was dazwischen liegt, wird von dem Dichter nicht gesagt. Eine Wende, eine neue Erfahrung, ein Umbruch? – nichts davon. Es gibt nur einen Anhaltspunkt: das Spiel mit dem Wort „Künstler“. „Ich war fürs Scheitern programmiert: ich war der geborene Künstler – Ich bin zum Sieger umgepolt: ich bin ein geschworener Lebenskünstler.“ Robert Gernhardt formuliert Gegensätze:
War zum Unglück vorherbestimmt – bin im Glück
War als Dulder strukturiert – bin voller Ungeduld
War auf Leiden angelegt – bin auf Freuden aus
War fürs Scheitern programmiert – bin zum Sieger umgepolt
Das Gedicht macht neugierig: Wer hat zum Unglück vorherbestimmt, wer den Dulder strukturiert, wer hat auf Leiden angelegt, wer das Scheitern programmiert? Der Künstler ist unbeteiligt, er kann nichts dafür, hat auch nichts zu sagen – er erleidet, was ihm zugedacht ist. Der einzige Ausweg scheint zu sein, Lebenskünstler zu werden. Gernhardt deutet die Bewegung an: vom „geborenen Künstler“ zum „geschworenen Lebenskünstler“.
Paulus und Gernhardt in einer Talkshow – das wärs! Paulus beklagt kein Geschick, besingt auch den Lebenskünstler nicht, sondern erzählt von Menschen, die trotz Müdigkeit, Verzagtheit, Verfall und Trübsal erneuert werden. In hebräischer Sprachform: Tag für Tag. Menschen wird Gottes Zusage und Treue täglich neu geschenkt. Seine Gnade – ein wunderschönes Wort, auch wenn es uralt ist – gliedert die Zeit, meine Zeit. Die Begegnung mit Gott ist nicht auf Höhepunkte, einmalige Gelegenheiten, großen Szenen vorbehalten. Tag für Tag. Das ist ein Takt. Wie ein Sonnenaufgang. Paulus hat auch sich selbst im Blick – als Mensch, dem Gott einen Schatz anvertraut, ihn als Gefäß hoch und wert achtet. Auch wenn von Erde genommen. Und zerbrechlich wie ein Krug. Bleibt noch die Frage: Werden wir als Sieger umgepolt?
Was Gernhardt dazu sagt? Er schlägt sein Gedicht auf und zeigt auf die Zeile. „Ich bin ein Hans, das meint: im Glück“. Das ist eine Spur! Wie Schuppen fällt es mir von den Augen. Ist das nicht ein Märchen? Hans fängt groß an, gibt viel auf, ist am Ende mit seinem Glück allein. Hans wird ein geschworener Lebenskünstler. Mit nichts an den Füßen. Eine schwere Geburt! Ich frage Gernhardt: Heißt „als Sieger umgepolt“ vielleicht – sich das Glück teuer zu erkaufen? Erkaufen zu müssen? Leider können wir das spannende Gespräch, das Paulus und Gernhardt führen, nicht zu Ende verfolgen.
Biografische Entdeckungen
Ich frage Paulus, wie er denn seine Biographie formuliert. Es gibt bei ihm kein „Ich war“, aber auch kein „Ich bin“.
Darum werden wir nicht müde;
sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt,
so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist,
schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,
uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.
Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich;
was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
Ob es mir gelingt, meine Biographie in diesen Worten zu entdecken oder unterzubringen? Ich werde müde. Ich werde angefochten, ich klebe mit meinen Augen an dem, was ich sehen und wahrnehmen kann. Erfahrungen, die ich mit Paulus teile. Und dann? Dann öffnet Paulus Blicke, weitet die Sinne, befreit die Augen. Was es dann alles zu sehen gibt! Wie Gott unsere Tage mit Hoffnung füllt, wie Gottes maß- und grenzenlose Größe in unser Leben kommt, wie Gottes Ewigkeit unsere Zeit birgt. Paulus hat dafür ein gelungenes Bild gefunden: den Schatz in einem irdenen Gefäß.
Unser Sonntag heißt „Jubilate“. Er lädt ein zu jubeln. Das reißt den ganzen Körper mit. Die Zunge, das Herz, die Seele.
Herr, laß die Sonne blicken / ins finstre Herze mein,
damit sich’s möge schicken, / fröhlich im Geist zu sein,
die größte Lust zu haben / allein an deinem Wort,
das mich im Kreuz kann laben / und weist des Himmels Pfort.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.