Pfingsten – frischer Wind in verschlossene Räume

Der Geist Gottes will Lebendigkeit, Leben, Farbe, Bewegung

Predigttext: 1.Korinther 2,12-16
Kirche / Ort: 74931 Lobbach
Datum: 4.06.2006
Kirchenjahr: Pfingstsonntag
Autor/in: Pfarrerin Dr. Marlene Schwöbel

Predigttext: (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

12 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. 13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. 14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden. 15 Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. 16 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen« ? Wir aber haben Christi Sinn.

Exegetische und homiletische Gedanken zum Predigttext

In Korinth wird gestritten. Paulus ist nicht mehr in der Stadt, er hatte die christliche Gemeinde um das Jahr 50 n. Chr. gegründet. Bald nach seinem Weggang entstehen „Parteien“ in Korinth, die sich den unterschiedlichsten Aposteln, Missionaren oder Strömungen verpflichtet fühlen. Die christlichen Gruppen streiten sich über alle möglichen Glaubens- und Lebensfragen: über die Taufe, das Abendmahl, über den Umgang mit Frauen und die Anerkennung von Frauen in der Gemeinde, über einen christlichen Lebenswandel und, wie im Kapitel 2, über die Weisheit oder Torheit der Botschaft vom Kreuz. Es gibt einen Zweig in der korinthischen Gemeinde, der sich durch den vermeintlichen Schatz von Geistesgaben über den weniger gebildeten Menschen der Gemeinde stehend sieht. Gedankengut der Gnosis und der griechischen Mysterienkulte nehmen diese Intellektuellen in ihren Glauben auf und meinen, dass sie als geistbegabte Christen losgelöst von Regeln der Gesellschaft und der Gemeinde leben können. Die Welt an sich spielt für sie keine Rolle mehr. Gottes Geist vermischt sich in ihrer Vorstellung mit ihrem Verstand. Sie sind Gott ganz nahe, schon auf der Erde heben sie sich ab von Menschen mit Zweifeln oder Ängsten. Gegen diese Arroganz zieht Paulus in seinem Brief, den er um das Jahr 54/55 n. Chr. schreibt, zu Felde. Es wird deutlich, dass die Pneumatiker herabsehen auf die einfachen und schlichten Menschen in der Gemeinde. Paulus setzt dagegen, dass der Geist Gottes ein Geschenk ist, das eine Hilfe für ein Leben als Christ in der Welt anbietet. Die intellektuellen Höhenfahrten der Pneumatiker bringt er auf den Boden zurück. Menschen können sich nicht in Gott hineinversetzen, Gott hat seinen Geist geschenkt, unabhängig von den intellektuellen Fähigkeiten der Menschen oder sozialem Stand. Dieser Geist weist immer auf Christus hin und er schenkt Glauben, Leben, Veränderung, Verkehrung von Verhältnissen.Der Geist Gottes ist nicht wie eine mathematische Formel beweisbar oder mit griechischer Philosophie verstehbar. Er weist über intellektuelle Dimensionen hinaus, in „Intuitionen, Ahnungen, Bilder und Visionen“ (Predigtstudien IV, 2, S. S.80). Pfingsten als das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes ist inhaltlich schwer zu fassen. Vielen Menschen in und außerhalb der Kirche ist nicht klar, was Geist Gottes eigentlich ist, was sein Thema ist. Es soll deutlich werden, dass das Thema des Heiligen Geistes ist, auf die Mitte des Glaubens hinzuweisen, auf Jesus Christus, der Menschen öffnet für Gott und für andere Menschen, für das „Du“. Somit bietet Pfingsten eine Buchstabierungshilfe für Spiritualität und Frömmigkeit des christlichen Glaubens.

Literatur:

Philipp Viellhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur: Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter. Walter de Gruyter, Berlin 1975, S. 126-142.- Predigtstudien IV, 2 für das Kirchenjahr 1988, hrg. Von Peter Krusche, Dietrich Rössler und Roman Rössler, Stuttgart 1988, S. 79-89.

Lieder:

„O Heiliger Geist, o Heiliger Gott“ (EG 131), „Eine freudige Nachricht breitet sich aus“ (EG 649)

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Im Konfirmandenunterricht habe ich mit den Konfirmanden die kirchlichen Feste im Jahreskreis durchgesprochen. Weihnachten, Erntedankfest, Himmelfahrt, das sind einigermaßen bekannte Größen. Schwieriger wird es schon bei den Inhalten von Karfreitag und Ostern. Oft werden die beiden Feste miteinander verwechselt. Aber Pfingsten! Das ist ein sehr sperriger, abständiger Feiertag, wahrscheinlich nicht nur für Jugendliche. In der besagten Unterrichtsstunde jedenfalls fragte ich, welches Fest wir zehn Tage nach Himmelfahrt feiern. Erstmal Ratlosigkeit. Kein einziger Finger schnellt in die Luft, keiner ruft sein Wissen einfach so in den Raum. Nach einiger Zeit meldet sich zögernd ein Junge. Ganz erleichtert, einer weiß es wohl nun doch!, nehme ich ihn dran. „Nach zehn Tagen feiern wir die Ankunft Jesu im Himmel. So lange hat er gebraucht, um dort anzukommen“.

Was verbinden Sie mit Pfingsten? Den Geburtstag der Kirche? Die Ausgießung des Heiligen Geistes? Gemeinde unter freiem Himmel? Wer heute morgen hier in unserer Kirche sitzt, weiß sicher etliches über Pfingsten, aber ein leicht zugängliches Fest ist es trotzdem, auch für „Eingeweihte“ nicht. Es gibt keine Geschenke, es hat auf den ersten Blick nichts mit unserem normalen Leben und Alltag zu tun. Da sind Weihnachten, Karfreitag und Ostern schon näher dran an der Lebenswirklichkeit. Geburt, Sterben, Leben oder Neuanfang, diese Erfahrungen prägen unser Leben, unsere Familien. Die Geburt eines Kindes als ganz einschneidendes, Leben veränderndes Ereignis, das ist nachvollziehbar, der Tod mit all seiner Trauer, seinen Fragen und dem Leid, begegnet uns durch seine Kälte und Endgültigkeit im Fernsehen, im Freundeskreis, in den eigenen Familien. Neues Leben nach einem einschneidenden Erlebnis, auch das ist für viele nachvollziehbar. Was aber ist der Inhalt von Pfingsten?

Wenn wir den Bibelabschnitt für den heutigen Pfingstsonntag hören, sind wir sicher zunächst auch nicht viel schlauer. Nicht die einigermaßen vertraute Pfingstgeschichte steht auf dem Plan, sondern theologisch ganz dichte und auch reichlich komplizierte Sätze, die der Apostel Paulus an seine Gemeinde in Korinth schreibt. Ich lese die Verse 12-16 aus dem 2. Kapitel des 1. Korintherbriefs.

(Lesung des Predigttextes)

„Ihr dort“, „wir hier“

Keine leichte Kost, die der Gemeinde in Korinth und uns heute morgen zugemutet wird. Was beim Zuhören hängen bleibt, sind vielleicht nur ein paar Stichworte, wie „Geist der Welt“, „Geist aus Gott“, „menschliche Weisheit“ und „geistliche Dinge für geistliche Menschen“. Auch ein bisschen abgehobenes Flair bleibt haften. „Der geistliche Mensch beurteilt alles und wird doch von niemandem beurteilt“. Das klingt arrogant, nicht eben einladend niederschwellig.

Bei diesen Gegenüberstellungen von „Geist der Welt“ und „Gottes Geist“ könnte man ein weltabgewandtes Christentum vermuten, das sich in seine oasenhaften, spirituellen Räume zurückzieht und aus großer Distanz, räumlich und geistlich, die Welt und den Niedergang von Werten und das Zusammenbrechen einer mitfühlenden Gesellschaft beobachtet oder eben beurteilt. „Ihr dort“ „wir hier“ wäre die Devise. Damit könnte man sich als Christ, bedenklich den Kopf schüttelnd, aber doch nichts verändernd in den Sessel der Besserwisserei oder Abgeschiedenheit zurückziehen. Verantwortung in der Welt und für die Welt wäre nicht notwendig, da man, im Besitz des göttlichen Geistes, ja eh die Welt schon überwunden hat: „Was scheren uns die Dinge dieser Welt, die Sorgen und Fragen, das alles haben wir längst hinter uns gelassen“.

Aber solch eine Haltung will Paulus keineswegs unterstützen oder gar auslösen. Er will mit diesen Versen darauf aufmerksam machen, dass Spiritualität über das hinausgeht, was der Verstand fassen kann. Der Geist Gottes ist mit intellektuellen Fähigkeiten allein nicht einzufangen oder erklärbar zu machen. Physikalische Gesetze, chemische Formeln, das Metrum eines Gedichtes kann man aufdröseln oder beweisen, erklären, zeigen. Der Geist Gottes ist mit wissenschaftlichen Methoden nicht beweisbar. Er übersteigt menschliche Weisheit.

Beim Geist Gottes spielen Intuition, Vision, Träume, Gefühle, das Gewissen eine Rolle. Immer wieder erzählen die biblischen Geschichten von Träumen, von Erscheinungen, die Menschen ihren Weg zeigen. Paulus selbst hatte so eine Erscheinung vor den Toren von Damaskus. Ihm, der die Christen Jahre lang verfolgt hatte, ging plötzlich ein Licht auf. Er wusste, dass er von nun an die Christen nicht mehr verfolgen sollte, sondern Jesus nachfolgen (Apg. 9). Manchen von uns sind solche Intuitionen vertraut. Plötzlich weiß man, mit dieser Entscheidung liege ich richtig oder genau das Gegenteil, hier habe ich einen Riesenfehler gemacht. Es kann sein, dass uns in Träumen ein Weg gezeigt wird. Wer solche Erfahrungen kennt, weiß, wie hart es ist, sie anderen plausibel zu machen, sowohl Erfahrungen, die unseren Alltag betreffen als auch solche, die unser Glaubensleben angehen. Spiritualität ist wichtig für, wie Paulus es sagt, geistliche Menschen.

Was ist Spiritualität?

Spiritus sanctus ist der Heilige Geist. Spiritualität ist ein Wort, ein Begriff, der seit etwa fünfzehn Jahren ganz ohne Scheu wieder verwendet wird. Dass Menschen auch spirituelle Bedürfnisse und Seiten haben, wird selten angezweifelt. Allerdings wird auch ganz schnell ein Sammelsurium an „inneren“ Gefühlen mit Spiritualität gleichgesetzt. Jede Ahnung, jede Meditation wird Spiritualität genannt. Die christliche Spiritualität aber speist sich von dem Geist Gottes, der auf Jesus Christus hinweist und auf den Vater, der den Sohn in die Welt gesandt hat. Wenn Christen davon reden, dass sie zur Mitte finden wollen, dann ist Christus die Mitte und er zeigt Menschen die je eigene Mitte, von der aus sie dann frei werden können für Beziehungen, für das Du. Von dieser Mitte her, zu der der Geist führt, kann aufgetankt werden für Weite.

Der Geist Gottes, das sagt die Pfingstgeschichte (Apg. 2), bringt frischen Wind in verschlossene Räume, dieser Wind lässt atmen, er fegt alte Vorurteile und verstaubte Ansichten davon. Der Geist Gottes will Lebendigkeit, Leben, Farbe, Bewegung. Er will aus festgefahrenen Traurigkeiten lösen. Wie ein Feuer an kalten Wintertagen wärmt er, wie eine Taube will er Frieden und Geborgenheit, das Wissen um die richtige Richtung zeigen. In der Sprache der Ruhe will er Kraft und Energien geben. Vielleicht wird in einem Bild deutlich, was gemeint ist. Der Geist Gottes gibt uns einen Konkon, der Sicherheit und Wärme für eine bestimmte Zeit gibt, der die Möglichkeiten zur Entwicklung lässt, der uns aber nie einsperrt, sondern uns Flügel verleihen will.

Dies ist zugegebenermaßen eine Sprache, die für Menschen, die nach Spiritualität suchen oder schon Erfahrungen mit ihr gemacht haben, ganz einleuchtend erscheint, die aber, so Paulus, von “natürlichen” Menschen nicht verstanden wird. Jemand, der sich auf den Geist Gottes nicht einlassen will oder kann, wird in diesem Reden nur Humbug oder Weltflucht sehen. Dabei ist gerade das nicht der Fall. Spiritualität sucht ihr Betätigungsfeld in Frömmigkeit. Dieser alte, verstaubte Begriff sollte wieder zu Ehren kommen, weil er eigentlich in aller Kürze ein Leben als Christ in der Welt beschreibt. Aus der Contemplation, der Spiritualität, kann die Aktion, die Frömmigkeit in der Welt entstehen. Hier, in unserem Geistlichen Zentrum in der Klosterkirche Lobenfeld wollen wir Wege zur Spiritualität anbieten, zum Denken zur Mitte, zum Besinnen auf die Mitte, auf Christus.

Pfingsten, das Fest, an dem der Heilige Geist im Zentrum steht, bietet uns eine Verstehenshilfe für unseren Glauben in der Welt

Die Weisheit vom Kreuz, von der Paulus in nicht einfachen Worten spricht, erschien damals wie heute manchen als eine große Torheit, als ein Scheitern eines vielversprechenden Lebens. Das Kreuz ist gleichzeitig Symbol für den Tod und für das Leben. Das Leben zerbricht den Tod. Das ist Sprache des Glaubens, das ist das Zeugnis des Geistes Gottes an uns. Gott gibt uns seinen Geist, damit unser Leben sich verändern kann, damit Freude in dunkle Ecken strahlen kann, ein lauer Wind Luft zum Atmen gibt, damit wir reden können, ohne uns unseres Glaubens zu schämen.

Dieser Geist gibt uns aber auch ein Werkzeug an die Hand, mit dem wir, nach Paulus, Dinge in der Welt beurteilen können. Wo Ungerechtigkeit und Verletzungen herrschen, müssen wir darüber reden. Wo die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird, müssen wir es benennen. Wo Menschen traurig sind, können wir unsere Arme und unsere Herzen für sie öffnen. Der Geist Gottes drängt zur Gemeinschaft. Darum wird Pfingsten auch als der Geburtstag der Kirche bezeichnet. Kirche steht für eine Gemeinschaft, die sich auf Gott als Vater, Sohn und Geist beruft.

Der Geist Gottes weht, wo er will, er schenkt Glauben. Er öffnet Herzen für das Wort Gottes. Pfingsten ist ein Fest, das Begeisterung und Fröhlichkeit, Gemeinschaft und Verbundenheit mit allen Christen ausstrahlen lassen möchte. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen gesegnete und frohe Pfingsten.

Amen

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