„So hat GOTT gesprochen“ oder: „Im Namen des Vaters…“
Reden von Gott – Wahrheit oder Schein
Predigttext: Jeremia 23,16-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, daß er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. 21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne, daß ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR. 25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, daß mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?Zur Exegese von Jer 23,16-29 (I) – Gedanken zur Predigt (II)
I. Zur Exegese
Kontext und Thematik:
Der Predigttext Jer 23,16-29 gehört in den Zusammenhang, der bereits mit V.9 beginnt und mit V.40 endet und in dem mindestens fünf verschiedene, aus verschiedenen Zeiten stammende, Worte gegen Propheten (23,9 hebr. lanebi'im = „in Richtung auf Propheten“) zusammengestellt sind (23,9-12.13-15.16-22.23-32.33-40 [Vv.33-40 liegen nicht mehr auf der inhaltlichen Linie von V.9-32; der Abschnitt wendet sich „gegen die Verspottung des prophetischen Gerichtswortes“; in V.33 scheint ein Jeremia-Spruch vorzuliegen, das in V.34-40 mit der Absicht, das Prophetenwort zu begründen, erweitert wurde, A. Weiser, S.211f.]). Die Texte spiegeln die Auseinandersetzungen zwischen wahrer und falscher Prophetie bzw. Unheils- und Heilsprophetie. Diese Thematik begegnet ausführlich in den Kapiteln Jer 27-29, in deren Mitte die Auseinandersetzung zwischen Jeremia und Hananja geschildert wird. Es ist die Frage nach den Kriterien, die wahre Prophetie kennzeichnen bzw. einen Propheten als wahren, von Gott gesandten und in dessen alleinigen Auftrag sprechenden/handelnden Propheten erkennen lassen. Wir wissen über Jeremia, wie sehr seine Legitimation als Prophet von seinen Zeitgenossen in Frage gestellt wurde und dass er wegen der wenig bequemen Botschaft Schläge einstecken und in Kerkerhaft musste (Jer 20,1f.) – wohl, wie aus der genannten und aus anderen Stellen zu erfahren ist, überwiegend nicht von weltlicher/politischer, sondern von geistlicher (!) Seite.Propheten:
V.16-32.37-40 nehmen allgemein die (ausschließlich) Heil verkündigenden Propheten in den kritischen Blick, V.11f. und V.33-36 nennen neben den Propheten in einem Atemzug auch die Priester, denen beiden (als den neben den politischen Machthabern, Jer 23,1-8, verantwortlichen Führern des Volkes) in V.11f. wie in V.9f. moralisch-ethisches bzw. kultisches Versagen vorgeworfen wird; die Rede vom Ehebrechen (V.10.14) kann auch im Gefolge hoseanischen Ehemetaphorik die Treulosigkeit des Volkes gegenüber Gott bezeichnen (vgl. A. Weiser, S.202). V.13-15 differenziert zwischen den Propheten zu Samaria (Hauptstadt des ehemaligen Nordreichs Israel) und den Propheten zu Jerusalem (Hauptstadt des noch bestehenden Südreichs Juda), um letztere als die schlimmeren Versager darzustellen (V.14f.), von denen „das ruchlose Wesen…ins ganze Land“ ausgeht (V.15). Weissagten die Propheten zu Samaria im Namen des Baal und verführten damit das Volk (V.13), so fallen die Propheten zu Jerusalem durch totale Bosheit auf, die in Ehebruch und Lüge gipfeln, und nicht zuletzt durch ihre Stärkung der Boshaften/Gottes Gebote Verachtenden, anstatt sie zur Besinnung und Umkehr anzuhalten (V.14). Ihnen wird in einem Botenspruch (V.15) angekündigt, dass Gott sie „mit Wermut speisen und mit Gift tränken“ wird (vgl. die Ankündigung in V.19f. und V.30-32.38-40).Warnung vor den falschen Propheten:
An das Gerichtswort gegen die (falschen) Propheten (V.15) schließt sich in den Vv.16ff. eine Warnung (vgl. V.33-37), auf sie zu hören, an, die ausführlich begründet wird: Sie verkündigen ihre Träume, die ihrem eigenen Herzen, ihren eigenen (Wunsch-)Gedanken, entspringen, aber „nicht aus dem Mund Gottes“ (V.16.25-28). Sie rufen die Gottes Wort verachtenden Angehörigen des Volkes nicht zur Besinnung und Umkehr auf, sondern bestärken sie noch in ihrer securitas (V.17). Die Vv.18.21f. heben hervor: Diese Propheten haben nicht in Gottes Rat gestanden, Gott hat sie nicht gesandt. Hätten sie das Volk zur Besinnung und Umkehr aufgerufen (V.22), hätte man ihr wahres Prophetsein erkennen können. Die rhethorische Frage V.18 könnte, herausgelöst aus dem Zusammenhang, als Aussage verstanden werden, dass niemand sich anmaßen könne, an der Ratsversammlung Gottes (vgl. 1.Kön 22,19-22; Jes 6,8) teilgenommen zu haben; aber der Kontext legt nahe, die Aussage auf die von Jeremia angegriffenen falschen Propheten zu beziehen (vgl. auch A. Weiser, S.205f.). V.23f. reflektieren die Nähe und die Ferne Gottes. Die ausschließliche Nähe, so wird hier argumentiert, könnte Gottes „Übersicht“ einschränken, so „dass sich jemand …heimlich verbergen könne, dass sich ihn nicht sehe“. Aber Gott ist „auch ein Gott, der ferne ist“, und darum behält er den Überblick, es entgeht ihm nichts. Gehören diese beiden Verse (23f.) in den gedanklichen Zusammenhang, der den Propheten (und Priestern) moralisch-ethisches Versagen vorhält (V.9-12.14), das sie trotz frommer Handlungen und sanfter (dem Volk nach dem Mund redenden und das Wort Gottes verharmlosenden) Predigten vor Gott nicht verbergen können? A. Weiser, S.211: „…in der inneren Wahrhaftigkeit, die durch keinerlei eigensüchtige Nebengedanken getrübt wird, sieht Jeremia eines der entscheidenden Kriterien, die den echten vom falschen Propheten unterscheiden“. V.23f. könnte auch im weiteren Sinn als Wort gegen die (fromme) Vereinnahmung Gottes verstanden werden (vgl. dazu die Ausführungen A. Weisers, S.207-209).Das Wort Gottes:
Unsere Predigtperikope V.16-29 mündet in eine Umschreibung des Wortes Gottes in Form eines JHWH-Spruches (V.29), der innerhalb der Sammlung 23,9-40 zur Sprucheinheit V.[23f.]25-32 gehört. Träume und das Wort Gottes, so heißt es im voranstehenden Vers (V.28) verhalten sich zueinander wie (leeres) Stroh und (fruchtiger) Weizen. Der Bibelleser/die Bibelleserin weiß wohl, dass im Ersten und Zweiten Testament auch noch in einem anderen, guten, Sinn von Träumen die Rede sein kann; ich denke an Jakobs Traum in Bethel von der Himmelsleiter/-rampe, an der die Engel Gottes auf und nieder stiegen, Himmel und Erde sich gleichsam berührten (Gen 28), an die wunderbaren Psalmworte („Wenn GOTT die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden…“, Ps 126), an die Träume der Josephs (Gen 37; Mt 1,20; 2), nicht zuletzt an den Traum der orientalischen Astrologen (Mt 2) und an den Traum der Frau des Pilatus (Mt 27,19), hier werden wir daran erinnert, dass Gott durchaus in Träumen zu Menschen sprechen kann (vgl. Joel 3,1; Hi 4,12ff.), auch zu den wahren Propheten (vgl. Num 12,6). V.29 verwendet im Unterschied zu V.28 ein anderes Bild zur Umschreibung von Gottes Wort: Gottes Wort ist wie Feuer (hebr. ’esch) und wie ein Schmiedehammer (hebr. pattisch), der Felsen zerschlägt. Der Vergleich mit dem Feuer erinnert an die Sinaitheophanie (Ex 19,18), die Offenbarung Gottes, die seinem Volk die Gebote, die Thora, gute Weisung zum Leben, brachte; aber bei Jeremia kann die Rede vom Feuer auch die „brennende“ prophetische Gerichtsbotschaft bedeuten, die das Gott verachtende Volk wie Brennholz entflammen und verbrennen wird (Jer 5,14); und indem die dem Propheten aufgetragene Gerichtsbotschaft, die er lieber nicht aussprechen wollte, in ihm wie Feuer brennt, ist es Jeremia unmöglich, sie zurückzuhalten (Jer 20,9). Der Schmiedehammer wird im AT sonst nur noch zweimal erwähnt, Jes 41,7, wo vom Hammer des Goldschmiedes die Rede ist, der das Blech glatt schlägt, und eine zweite Stelle im Jer-Buch, Jer 50,23, wo mit dem Schmiedehammer die feindliche Übermacht Babylons umschrieben wird, die aber inzwischen durch Gottes (größere) Macht gebrochen ist. In allen drei Belegen ist vom Schmiedehammer in metaphorischem Sinn die Rede.Vergwisserung – „Deus dixit“:
Der Vergleich mit diesem Werkzeug dient an unserer Stelle (Jer 23,29) der Veranschaulichung und Vergewisserung der Macht des Wortes Gottes gegenüber denen, die den Glauben an die Macht Gottes und sein Wort verloren haben bzw. dabei sind, es zu verlieren. Damals war es (wahrscheinlich) die Situation nach der nationalen und religiösen Katastrophe 587/6 v.Chr., heute können es andere bedrängende Geschehnisse und Lebenssituationen sein, die uns an den Rand der Resignation führen und unseren Glauben an Gott und sein Wort auf harte Proben stellen. Hier tut Vergewisserung not. Die Tradenten der Botschaft Jeremias wollten den Überlebenden der Katastrophe damals mit den Worten über die falschen Propheten an den wahren Propheten Jeremia erinnern, der zu seinen Lebzeiten, obwohl Gott durch ihn gesprochen hat, kaum Gehör fand, aber dessen Stunde noch nicht vorbei ist und dessen Botschaft immer noch die Aufmerksamkeit sucht, die zur Besinnung und Umkehr führt.II. Zur Predigt
Die Predigtperikope V.16-29 enthält zwei der in V.9-40 zusammengestellten Sprucheinheiten (V.16-22 und V.23-29, wobei die Vv.23f., die zu beiden Einheiten passen, so etwas wie eine Brückenfunktion zwischen V.16-22 und V.25-29 haben könnten). Träume und Wort Gottes werden in der Perikope einander wie Stroh und Weizen als unvereinbar gegenübergestellt (s. bes. V.28). Nicht die Träume machen ein Wort zu Gottes Wort, sondern Gott selbst ist es, der einen Menschen beauftragt, in Seinem Namen zu sprechen. Der Traum als Offenbarungsmedium Gottes wird in Jer 23,16ff. radikal bestritten. Der Predigttext kann dazu anregen, mit der Gemeinde darüber nachzudenken, was das eigentlich ist: „Wort Gottes“; welches die Kriterien sind, die ein Gotteswort von einem Menschenwort unterscheiden; wer legitimiert ist, beauftragt, bevollmächtigt, als Bote Gottes, zu sprechen („So hat Gott gesprochen…“). Welch hoher Anspruch und manchmal vielleicht Vermessenheit liegt doch in dem Votum, das wir als Pfarrinnen und Pfarrer bei der Gottesdiensteröffnung sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Spüren wir noch den Schauer, das „tremendum“ (R. Otto), das Erschrecken vor Gottes Heiligkeit, vor seinen heiligen Worten? Von Jeremias Begegnung mit Gottes Wort hören wir (Jer 23,9): „ Mein Herz will mir in meinem Leibe brechen, alle meine Gebeine zittern; mir ist wie einem trunkenen Mann und wie einem, der vom Wein taumelt, vor dem HERRN und vor seinen heiligen Worten“. Hat Gott zu uns gesprochen? Ich denke an Franz von Assisis flehentliche Schreie zu Gott: „Gott, sprich zu mir“; dann, wie Franz von Assisi außer sich vor Freude war, als er Gottes Stimme vernahm: „Gott hat zu mir gesprochen“ – „Deus dixit“. Was sagen wir, wenn Gott nicht zu uns gesprochen hat, wenn wir bei der Predigtvorbereitung, bei der Bibellektüre und Exegese, nicht seine Stimme hörten? Jeremia musste, wie wir aus Jer 42,7 erfahren, zehn Tage auf ein Wort Gottes warten, um das er von einer Gruppe seines Volkes in einer schwierigen Entscheidungssituation gebeten wurde (Jer 42,1-3). Fragen unseres Amtsverständnisses kann der Predigttext bei uns wachrufen. Vielleicht sagen wir als Pfarrerinnen/Pfarrer unseren Gemeinden einmal, wie wir uns in unserem Amt/Dienst verstehen? Was es für uns bedeutet, „ordiniert“ zu sein. Habe ich als Pfarrerin/Pfarrer einen „direkteren Draht“ zu Gott als diejenigen in der Gemeinde, die nicht ordiniert sind? Habe ich (wie die katholischen Priester) eine besondere Weihe, ein „character indelebilis“? Was bedeutet das „allgemeine Priestertum der Gläubigen“ für mein Amtsverständnis? Oder: Was eigentlich macht eine Predigt zur Predigt? Ist die Gebundenheit an die jeweilige Perikopenreihe Hilfe (das gebotene Wort in einer bestimmten Situation zu sagen) oder Einschränkung (die dem Wirken des Heiligen Geistes wehrt)? Ich habe es wie bestimmt viele meiner Kolleginnen/Kollegen als große Hilfe erfahren, den vorgeschlagenen Perikopen zu folgen, als Entlastung, immer wieder nach einem „geeigneten“ Bibeltext zu suchen; und indem ich mich an die Perikopenreihe halte, weiß ich, dass gerade über diesen Bibeltext weltweit in den christlichen Gemeinden verschiedenster Prägungen ähnlich oder ganz anders gepredigt wird, so bin ich in eine Ökumenizität hineingestellt, die mich vor einer Überschätzung meines Hörens/Predigens bewahrt. Ich wünsche mir, dass meine Gemeinde in der Art und Weise, wie ich versuche, mein Amt zu führen/meinen Dienst zu tun, spürt: Ihr Pfarrer ist nicht der religiöse „Superman“ und in Sachen Religion/Glauben/Gott Alleswisser und Alleskönner. „Ach, mein Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen“, so wandte sich Mose gegen seine göttliche Beauftragung, sein Volk aus Ägypten in das gelobte Land zu führen (Ex 4,10). „Ich bin kein Prophet“, sagte Amos (Am 7,14), „Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung“, so die Einrede Jeremias, als Gott ihn zum Propheten, seinem Sprecher, berief (Jer 1,5f.). Der Predigttext macht mich bescheiden, warnt mich davor, Gott für meine, auch noch so gut gemeinten Ideen und aufrichtigen Wünsche, zu vereinnahmen, leitet mich an, zwischen Gottes Nähe und Gottes Ferne zu unterscheiden, die nötige Distanz zu wahren (V.23f.), macht mir Mut, beim Bibellesen immer wieder neu zu hören, auf Gottes Wort, auf seine Stimme in der Stimmenvielfalt, im großen Chor seiner Botschafterinnen und Botschafter, zu warten – zu warten und zu hören mit anderen Menschen, mit der Gemeinde, in der großen familia Dei. Ich wünsche mir: Was ich aus einem Bibeltext gehört habe, möchte ich mit der hörenden Gemeinde teilen, will lernen von ihr, wenn sie etwas anderes als ich gehört hat, und will so mit ihr „voranschreiten in der Erkenntnis der Heiligen Schrift“ (Martin Luther), will lernen, die vielen Stimmen, die sich um mich herum Gehör verschaffen wollen,zu unterscheiden. Immer ist zu prüfen, ob wir es mit Wahrheit oder Lüge, wahrer Frömmigkeit oder frommem Schein zu tun haben. Auch den PredigthörerInnen ist es zu erlauben, uns, den PredigerInnen mitzuteilen und entgegenzuhalten, was sie empfinden, wie sie uns erleben. So bekommen die Gedanken und Worte anderer Menschen eine Bedeutung, denn Gottes Stimme kann darin anklingen, um mich zur Besinnung zu rufen und mein Vertrauen auf Gott zu stärken. Jeremia konnte von den Worten, die er als Worte Gottes erkannte, sagen: „Fanden sich Worte von dir, verschlang ich sie, und dein ’Wort’ war mir Wonne, und die Freude meines Herzens wars, dass dein Name über mir genannt ist“ (Jer 15,16, Übersetzung nach W. Rudolph, S.104). Solche Erfahrungen mit Gottes Wort sind selten – und ein Geschenk, wenn sie uns zuteil werden.Lieder:
„Du hast uns, Herr, gerufen“ (EG 168, zu Beginn des Gottesdienstes Str. 1-3, zum Schluss Str.4-6), „Es ist ein Wort ergangen“ (EG 586, Regionalteil Baden und Elsass-Lothringen), „Herr, dein Wort, die edle Gabe“ (EG 198) „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ (EG 193), „Laudate, omnes gentes“ (EG 181.6).Literatur:
W. Rudolph, Jeremia, 3.Aufl., Tübingen 1968, S.148-157.- A. Weiser, ATD 20/21, 7.Aufl., Göttingen 1977, S.200-212.- W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1-25, Neukirchen-Vluyn 1973, S.249-253.Liebe Gemeinde!
Jeremia, der vor über zweieinhalb Jahrtausenden in Juda als Prophet auftrat, war kein Erfolgsprediger im herkömmlichen Sinn. Mit seiner Botschaft stieß er zu seinen Lebzeiten meist auf Ablehnung. Seinen Gegnern gelang es sogar, ihn zuletzt nach Ägypten zu verschleppen. Jeremia, der sich mit seinem Volk innigst verbunden fühlte, konnte es von der Wahrheit des Wortes Gottes, das er auszurichten hatte, nicht überzeugen; der Prophet galt nichts in seinem Vaterland. Er konnte seinem Volk nicht vermitteln, was Gottes Wort in der aktuellen geschichtlichen Stunde und Situation bedeutete – ein Wort für und nicht gegen sie. Jeremia stellte dem Volk im Namen Gottes schwere Zeiten in Aussicht, wenn es sich nicht endlich auf die Gebote Gottes besinnt und danach handelt.
Das Volk hörte aber lieber auf Propheten, die Wohlergehen und gute Zeiten verkündigten. Wenn sie sich dabei noch auf ihre Träume beriefen, schenkte man ihrer Botschaft um so mehr Glauben, weil man Träume auch als eine Weise der Offenbarung Gottes verstehen konnte. Demgegenüber stieß Jeremia immer mehr auf Ablehnung in den eigenen Reihen, erntete Spott, sogar Schläge und wurde zu Kerkerhaft verurteilt. In seinem Heimatort Anatot musste er von seinen eigenen Mitbürgern Morddrohungen entgegennehmen. Wie, wenn Jeremia heute unter uns, in unserem Volk, aufträte?
Liebe Gemeinde, wenn doch die wahren von den falschen Propheten so einfach zu unterscheiden wären! Aber die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, zwischen Wahrheit und Schein war nie leicht und eindeutig, wie wir am Beispiel Jeremias sehen können.
Der Predigttext stellt jeden und jede von uns vor die Frage: Habe ich meine eigenen Wunschgedanken und Träume verwechselt mit dem, was Gott mir sagen möchte? Es ist gut und ganz im Sinne Jeremias, wenn wir so kritisch uns selbst und auch andere fragen. Hat nicht der zeitgenössische Schriftsteller Arnim Juhre recht, wenn er mahnt: “Sing nicht so schnell dein Glaubenslied, sing nicht so laut, so grell…” Und bei Jeremia hören wir Gott sagen: “Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?” (Vers 23) In dieser rhethorischen Frage höre ich: Gott lässt sich von uns Menschen nicht vereinnahmen. Wie oft wird aber sein Name für Interessen gebraucht, die mit Gott nichts zu tun haben. Die Macht des Wortes Gottes stellt der Prophet seinem Volk vor Augen, und er warnt das Volk vor der Missachtung Gottes und seiner Gebote, weil sie bittere Folgen haben wird.
Wer, liebe Gemeinde, traut, ob Jerusalemer damals oder Heidelberger und andere heute, dem Wort Gottes und seinen Geboten schon diese Macht und Auswirkungen zu? Und doch wissen wir um die Macht schon der menschlichen Worte, wie sie aufbauen, aber auch zerstören können. Das Wort Gottes, so hören wir bei Jeremia, kann wie ein Feuer sein und wie ein Hammer, der die Kraft hat, sogar Felsen zu zerschlagen. Also kann es uns/ mich aus der Kälte herausholen und aus jeglicher Versteinerung befreien. Es kann genauso das Falsche in mir verbrennen und Mauern, die ich mir errichtet habe, die mich vom Guten abtrennen, zertrümmern.
Lernen möchte ich von Jeremia: Unsere Geschichte im Großen wie im Kleinen ist nicht nur Schicksal und von vornherein planmäßig festgelegt, sondern veränderbar. Ein Mensch kann sich im besten Sinn ändern, ich glaube daran. Besinnung und Umdenken sind möglich. Aber es kann auch ein Zuspät geben. Und trösten im Sinne Jeremias bedeutete nicht, nach Art der falschen Propheten billigen Optimismus zu versprühen, „es wird schon nicht alles so schlimm sein“. Die Wahrheit der prophetischen Botschaft entscheidet sich wie die Wahrheit, die wir für unser Leben erkannt haben, eben nicht an der Stärke des Beifalls und dem Zustrom des Publikums.
Aber wenn wir heute keine unmittelbaren Weisungen von Gott erhalten, keine “Stimme aus den Wolken” hören, und Gott durch unsere Gefühle oder in unseren Träumen nicht zu uns gesprochen hat, so hören wir in der Bibel eine tiefe Weisheit durch die Jahrtausende, elementare Wahrheiten die immer noch gelten. Gottes Wort ist nicht alt geworden. Ein guter Grund, sich an Jeremia zu halten, als er trotz aller Widerwärtigkeiten in den Worten Gottes Freude und Trost fand (Jer 15,16).
Gibt es auch für unsere Zeit eine Lehre aus dem Geschehen damals? “Es ist kaum auszudenken”, schrieb einmal Jörg Zink, “was es für die Menschheit, auch für die Menschen in unserem Land, bedeuten könnte, wenn die Christen die Probleme dieser Zeit mit neuen, offenen Augen anschauten und dann sagten: Im Namen Gottes. Wir gehen einen anderen, einen neuen Weg. Wir lassen unsere Gewohnheiten, unsere Ansprüche… hinter uns und gehen, vielleicht ärmer, aber von Hoffnung getragen und vom Geist Gottes geführt, in eine offene Zukunft.” Jeremia, jener Außenseiter unter den Propheten, macht uns Mut, angesichts unserer vielfältigen, oft bedrängenden und unsicheren Lebenssituationen auf Gottes Wort immer wieder neu zu hören und seiner Wahrheit auch für unser Leben – im persönlichen und öffentlichen Bereich – zu vertrauen.
Amen.