GOTT ins Spiel bringen

„Prophetisch reden“ heißt erbauen, ermahnen, trösten und ist notwendiger Ausdruck christlichen Lebens

Predigttext: 1.Korinther 14,1-3.20-25
Kirche / Ort: St. Petri Kirche Mulsum / Kirchenkreis Buxtehude an der Unterelbe
Datum: 25.06.2006
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor Ralf Handelsmann

Predigttext: 1. Korinther 14, 1-3(4).20-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. (4 Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde.) 20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. 21 Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.« 22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? 24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Exegetische Vorüberlegungen

Die Textabgrenzung ist inhaltlich begründbar, exegetisch zwingende Gründe gibt es aber kaum. Ich habe mich dazu entschieden den Vers 4 dazu zu nehmen, weil hier inhaltlich die Zielrichtung von Zungenrede und prophetischer Rede kurz und knapp auf den Punkt gebracht wird. Über den Begriff der Liebe (V. 1) als Richtschnur allen Handelns wird der Inhalt des Kap. 13 aufgegriffen und dieser so als Überschrift auch über diesen Text gestellt. Es ist sicher auch kein Zufall, dass der Inhalt von Kap. 15 (Auferweckung Christi) dem 14. Kapitel folgt. Historischer Hintergrund des Textabschnittes (1. Kor 14, 1-40) ist die in Korinth offenbar vorherrschende Meinung, dass ekstatische Elemente wie die Zungenrede im Gottesdienst höher zu werten sind als prophetische Rede. Die Korinther waren offenbar der Auffassung, dass Menschen als Gott näher stehend zu betrachten seien, die sich in Zungenreden äußern konnten. Paulus gelingt es mit dem Textabschnitt eindrucksvoll, die korinthische Praxis im Gottesdienst kritisch zu hinterfragen, ohne die Zungenrede als eine Möglichkeit der Geistbegabungen in Abrede zu stellen. Paulus ordnet allerdings der Zungenrede im gottesdienstlichen Handeln der Gemeinde eine klar zweitrangige Position zu. Glossolalie existiert und kann geschehen. Gott lässt sich nicht einengen, schon gar nicht auf eine reine Wortverkündigung. Seine Möglichkeiten zu wirken gehen über das, was wir erwarten, immer noch deutlich hinaus. Gott begegnet uns überraschend. Aber im geordneten Leben einer Gemeinde können die Zungenrede und ähnliche Formen nicht im Zentrum stehen. Dort steht das Bemühen um die prophetische Rede. Paulus zeigt die innere Bandbreite des Begriffes auf zwischen (Vers 3) 1.) Erbauung = für mich bedeutet das: fröhliches Arbeiten auf der Baustelle der Gemeinde (sowohl bei einzelnen Christen, Proselyten oder neugierigen Besuchern als auch bei der Gemeinde als Ganzes) 2.) Tröstung = für mich sowohl im Sinne von Zurüstung für das Leben als auch im Sinne von Trost spenden in konkreter Notlage 3.) Ermahnung = für mich als ein retardierendes Element, mit dem jeweils neu auf die Wurzeln des Glaubens in Christus hingewiesen wird und Fehlentwicklungen verhindert werden können. Prophetische Rede ist eine Gabe des Geistes Gottes und damit deutlich unterschieden von der hellenistischen Praxis der geschulten Redner z.B. auf dem Aeropag und genauso unterschieden von den Zukunftsvisionen der Priester/Priesterinnen an einem Orakel, wo das „Gestammel der Gottheit“ (Hans Conzelmann zur Stelle) durch eine/n Priester/Priesterin in eine verständliche Zukunftsvision übersetzt werden muss.

Zur Predigt

Für die homiletische Arbeit liegt das Hauptproblem im ursprünglichen Sitz im Leben des Textes, denn die scharfe Auseinandersetzung zwischen Zungenrede und prophetischer Rede im Gottesdienst ist wohl im Jahr 2006 nur selten das Problem unserer Gemeinden. Es macht also wenig Sinn, diesen historischen Kontext zu bearbeiten. In einer Predigt über die Aufgabe von Predigt (als einer Form der prophetischen Rede) zu sprechen, erscheint mir ebenfalls wenig sinnvoll. Ich werde den Schwerpunkt auf eine breite Auslegung des Begriffs der „prophetische Rede“ als notwendigem Ausdruck christlichen Lebens für jeden Christenmenschen legen. Ich übersetze den Begriff mit dem Ausdruck „Gott ins Spiel bringen“. Insofern nehme ich den Faden vom letzten Sonntag (1. Sonntag nach Trinitatis) mit dem Predigttext Jeremia 23, 16-29 (wahre und falsche Propheten) auf. Die Gemeindeglieder und die heutigen „Geistlichen“ stehen in der Pflicht, ihre Gabe zur prophetischen Rede auch zu nutzen. Für mich steht unzweifelhaft fest, dass sowohl eine Predigt im Gottesdienst als auch das Stellung beziehen auf der Basis des christlichen Glaubens jedes Christen Ausdrucksformen der von Paulus hier beschriebenen prophetischen Rede sein können und sollen. Das oft beschworene Priestertum aller Glaubenden manifestiert sich zu wesentlichen Teilen darin, dass die prophetische Rede (in ihrer ganzen Bandbreite) praktiziert wird. Dazu möchte ich ermuntern.

Literatur:

Heinz-Dietrich Wendland; Die Briefe an die Korinther ( NTD Bd. 7) Göttingen, 15. Aufl. 1980.- Hans Conzelmann; Der erste Brief an die Korinther (KEK Bd. 5) Göttingen, 12. Aufl. 1981.

Lieder:

„Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395, 1-3) „Gott gab uns Atem“ (EG 432, 1-3) „O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136, 1- 4) „Vertrauen wagen dürfen wir getrost“ (EG s. Regionalteile) „Ins Wasser fällt ein Stein“ (EG s. Regionalteile)

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Liebe Gemeinde!

Sind Sie fußballbegeistert? Haben Sie die drei Vorrundenspiele der Deutschen bei der Weltmeisterschaft gesehen? Immerhin ist Fußball für viele ja die schönste Nebensache der Welt. Nun, selbst wenn die Weltmeisterschaft sie eher kalt lässt, sie können andere echte Fans schnell als solche einordnen. Wenn bei den Übertragungen oder in unseren Dörfern Menschen mit aufgemalter schwarz-rot-goldener Flagge im Gesicht zu sehen sind, dann erschrickt keiner mehr. Wenn andere nach einem Spiel jubelnd und feiernd durch die die Straßen ziehen, dann wissen sie: Das ist eine Ausnahmezeit, nächsten Tag am Arbeitsplatz sind das alles wieder ganz normale Menschen. Und wenn in ihrer Straße sie selbst oder jemand anderes eine Flagge am Auto montiert hat, dann weiß man: Es ist Fußball WM, und die Menschen sind eben im Fußballfieber.

Das muss keiner mehr erklären, weil in den letzten Monaten und natürlich erst recht jetzt während der WM niemand an dem Thema vorbei kann. Man lernt die Gepflogenheiten praktisch kennen, ob man will oder nicht.

Wir sind hier nicht auf dem Fußballplatz, sondern im Gottesdienst. Und da ist es nicht so selbstverständlich, dass alle wissen, was gerade passiert und was noch zum Christsein dazu gehört. Wenn Konfirmanden z.B. das erste Mal das „Kyrie eleison“ der Eingangsliturgie hören, dann klingt das in ihren Ohren manchmal eher wie „Kikeriki“ und nicht wie die Bitte an Gott: Herr, erbarme dich! Auch unsere Spielregeln als Christen wollen eingeübt werden. Schließlich sind wir auch eine Art großer „Fangemeinde“.

Der Apostel Paulus beschäftigt sich mit der Frage: Was müssen Christinnen und Christen denn tun im Gottesdienst und sonst im Leben. Was gehört bei uns Christen dazu? Hören sie, was Paulus im 1. Korintherbrief schreibt.

(Lesung des Predigttextes)

Paulus beginnt mit zwei Basisaussagen:
1. Strebt nach der Liebe! Also, was immer ihr tut, so wie Gott euch mit seiner Liebe begegnet, genauso handelt untereinander.
2. Bemüht euch nicht darum, irgendetwas aus euch selbst heraus zu machen, sondern versucht, Gott selbst zum Zuge kommen zu lassen in dem, was ihr tut. Jeder Mensch hat Gaben Gottes bekommen, und diese Gaben nutzt!

Paulus ist jemand, der genau weiß, dass in uns Menschen Gottes Geist auf ganz vielfältige Weise wirkt. Hier im Predigttext ist seine Kernaussage, dass es für die christliche Gemeinschaft am wichtigsten ist, dass „prophetische Rede“ gefördert und praktiziert werden soll. Er weiß: Auch in anderen Dingen kann sich Gott äußern, z.B. in der hier angesprochenen Zungenrede. Man versteht darunter ekstatisches Reden in einer Sprache, die kein anderer Mensch verstehen kann. Es ist eine Form der Kommunikation mit Gott. Paulus schließt nicht aus, dass Gott uns Menschen auch in solch ungewöhnlichen Formen begegnet. Wir dürfen damit rechnen, aber hier wertet er und schreibt: All das andere steht erst an zweiter Stelle.

Christen sollen sich also um prophetische Rede bemühen. Weil offenbar selbst für die Christen in Korinth nicht automatisch klar ist, was das sein kann, legt Paulus nach: Die Ziele dieser prophetischen Rede sind: Erbauung, Ermahnung und Tröstung.

Der Begriff prophetische Rede und diese drei Begriffe bestehen aus Worten der deutschen Sprache. Genauso sind „Abseits“, „Strafstoß“ und „Einwurf“ deutsche Worte beim Fußball, aber deshalb weiß noch lange nicht jeder, was sie bedeuten. Prophetisch reden heißt: Gott ins Spiel bringen! Pastorinnen und Pastoren wie ich versuchen das z.B. bei den Sonntagspredigten und bei Ansprachen zu Amtshandlungen. Aber wenn das alles wäre, dann wäre es schlecht bestellt um die Christenheit. Paulus fordert alle in der Gemeinde dazu auf, er sagt im übertragenen Sinne: Nutzt eure Phantasie, aber seid keine Phantasten. Riesen sollen wir sein im Verstehen, also darin alle Möglichkeiten, die dem Verstand zugänglich sind, zu nutzen.

Gott ins Spiel bringen – das können wir und sorgen damit für „Erbauung“. In dem Wort Erbauung steckt das Wort bauen. Prophetische Rede soll also helfen beim Bauen der Gemeinde. Das ist eine Aufgabe für alle. Wenn jemand z.B. das Patenamt übernimmt und dafür sorgt, dass das Patenkind herein wächst in die Gemeinde, also „aufgebaut“ wird im Glauben, dann gehört das zur prophetischen Rede. Nun wird ein Patenonkel oder eine Patentante keine Predigt halten, aber z.B. zeigen: Dies und jenes trägt mich als Erwachsener im Glauben. Vielleicht wird die Patenschaft auch dadurch gelebt, dass offen zugegeben wird: „Da habe ich Zweifel“, denn das hilft, eine eigene Position zu finden. Vielleicht erzählt ein Patenonkel von seinen Lieblingsgeschichten der Bibel oder die Patentante davon, wo sie im Leben gespürt hat, dass Gott da war. Überall da, wo solche Versuche, Gott zur Sprache zu bringen in Zuneigung zu den Menschen geschehen, da wird Gemeinde gebaut.

Paulus war sich bewusst, dass das manchmal auch in scharfer Form, in Auseinandersetzung, geschehen muss. Gott ins Spiel bringen, das bedeutet auch Rückrat zeigen und deutlich machen, wo eingeschlagene Wege nicht Gottes Wege sein können. Wenn z.B. Vorurteile andere ausgrenzen oder gar Mitmenschen Gewalt angetan wird, dann ist „Ermahnung“ nötig. Denn solches Verhalten zu dulden, kann kein Weg für Nachfolger Christi sein. Dann muss eingeschritten werden.

Wenn Menschen ungerecht behandelt werden, wo soziale Not da ist, da heißt Gott ins Spiel bringen sicher: Ich stelle mich auf die Seite derer, die Unrecht erdulden, und ich zeige, dass ich aus dem Glauben heraus anderen in Not helfe. Wir nennen das heute in unseren Kirchen den diakonischen Auftrag. Diakonie ist eine Wesensäußerung des Glaubens, ein Bereich, wo prophetische Rede ganz konkret wird.

Das geschieht nicht nur hier im Gottesdienst, sondern hoffentlich auch in der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, im Verein, überall dort, wo Christen leben. Gott ins Spiel bringen verändert Situationen zum Guten und darf/muss auch Grenzen aufzeigen.

Schließlich: Gott ins Spiel bringen geschieht auch da, wo Menschen sich gegenseitig trösten. Eine der ganz starken Seiten unseres Glaubens ist es doch, dass wir selbst da, wo uns alles daneben geht, wo Katastrophen unser Leben umwerfen, wir spüren dürfen: Gott lässt uns nicht fallen. Wir können wieder auf die Füße kommen. Darüber nur zu reden ist zu wenig, das will gelebt werden. Gott wird ins Spiel gebracht, wo wir uns um andere bemühen. Wo Trauer ist, nicht Abstand halten, sondern besuchen, wo Scheitern ist, nicht Schadenfreude zeigen, sondern dem Nächsten wieder aufhelfen. Wo das gelingt, kommt Gott ins Spiel, da zeigt sich unser Glaube in Wort und Tat. Vielleicht geschieht das gerade dort, wo ich ohne Worte da bin, nur das Leid anderer mit aushalte oder ich mich überwinde und ein Gebet mit anderen spreche.

Prophetische Rede, Gott ins Spiel bringen, ja, Paulus hat wohl recht, wenn er schreibt, dass das an erster Stelle stehen muss unter uns Christen. Fußball mag die schönste Nebensache der Welt sein, hier mit Begeisterung dabei zu sein, macht Spaß. Aber wo Menschen mit ähnlicher Begeisterung Gott ins Spiel bringen, da wird Leben gelingen. Das gilt in den Momenten des Glücks und auch wenn ich einmal ganz unten bin. Ein wirklich weiser Mensch, dieser Paulus, finden sie nicht?

Amen

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