Abraham und die Heilsgeschichte
Als Christen orientieren wir uns an Abraham und seiner Verheißung
Predigttext: 1.Mose 12,1-4a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.Exegese und Meditation
Zur Exegese und Meditation verweise ich auf meine ausführliche Predigthilfe im Deutschen Pfarrerblatt Heft 6, 2006, Seite 307f. – Ergebnis : Der Text gehört zu den zentralen und alles miteinander verbindenden Hoffnungs-Texten der ganzen Bibel. Nach der Urgeschichte 1.Mose 1-11 beginnt mit Abraham die Heilsgeschichte, die über Jesus Christus den Gottes Segen für alle Völker und die Vollendung in Gottes Reich verheißt. Die Perikopen-Ordnung der Evangelischen Kirche für diesen Sonntag thematisiert einseitig das Thema Nachfolge. Die meisten Predigten betonen deswegen den Glaubensgehorsam des Abraham. Heilsgeschichte und Nachfolge gehören aber fest zusammen: Die große Perspektive der Heilsgeschichte und die Vision der Vollendung der Weltgeschichte in Gottes Reich können in Gang kommen nur durch Menschen, die sich auf den Weg machen zum Ziel. Andererseits: Zur Nachfolge gehört die Vision von Gottes Reich, damit uns nicht der Atem ausgeht auf der langen Wanderung durch die Zeit.Ich will Dich segnen und Du sollst ein Segen sein
Ich will Dich segnen und Du sollst ein Segen sein! spricht Gott. Durch dich sollen alle Völker der Erde den Segen Gottes empfangen! Wie gut, dass diese Worte in der Bibel stehen! In unserer Zeit, in der Schwarzseher überall als klug angesehen werden und jeder aber als naiv gilt, der noch Hoffnung hat, ist der Text außerdem sehr aktuell. Wir scheinen in Zeiten zu leben, wo sich alles wie in den ersten Kapiteln der Bibel zu verschlechtern scheint. Damals folgte auf den Sündenfall der Brudermord, die Sintflut, der Turmbau zu Babel. Heute gilt: Wer vom allgemeinen Sodom und Gomorrha in Politik und Gesellschaft spricht, von Diäten-Skandal und Raubtierkapitalismus, von Umweltzerstörung und Elend , wird sogleich vom allgemeinen Pessimisten-Chor kräftig begleitet. Er findet reichen Beifall.
Die zentrale Botschaft der ganzen Bibel aber ist, dass Gott nicht Menschen schafft, um sie dann wieder fallen zu lassen. Deswegen hat er damals nach unserem Predigttext mit einem Menschen, mit Abraham, ganz neu angefangen. Gott hat ihn nach seinem großen Plan aufgefordert, ihm ganz zu vertrauen, seine Vergangenheit aufzugeben und sich auf den Weg mit Gott zu machen. Gott verspricht ihm dafür eine neue Zukunft, Nachkommen und Land, Segen und Frieden für alle Völker.
Vorgeschichte von Abrahams Erwählung
Nach christlicher Tradition steht das Wunder im Vordergrund, dass der Schöpfer der Welt die ganze Heilsgeschichte beginnt, indem er wunderbar ohne irgendwelche Vorzüge einen Menschen aus der Masse herausruft und mit Abraham, wie Friedrich Nietzsche schön formuliert, behutsam „wie auf Taubenfüßen“ neu und insgeheim groß beginnt. Juden, Christen und Moslems sind sich übrigens in diesem Punkt völlig einig. Für jüdische und moslemische Gläubige aber hat eine Vorgeschichte Abrahams Bedeutung. Abrahams Vater Terach war ja noch nach Josua 24,2 massiver Götzenanbeter. Nach jüdischer Auslegung und nach dem Koran aber zerschlägt Abraham die Götzenbilder seines Vaters, um allein dem wahren Gott zu dienen (Sure 21,51 ff.).
Ganz großartig hat Thomas Mann in seinem Roman „Josef und seine Brüder“ diese Gedanken überhöht und Abraham als einen Gottsucher geschildert, der Gott findet, indem er zuerst alles zerschlägt und ausschließt, was Götze und nicht Gott selbst ist ( Bd.4, 3 Hauptstück: Josefs Gespräch mit dem Pharao). Man muss es sich nach dieser einleuchtenden jüdischen, moslemischen und daran anschließenden Thomas Mann -Tradition wohl so vorstellen, wie es dieser große Schriftsteller beschreibt: Zu Abrahams Zeit glaubten alle Menschen an viele Götter und beteten sie an. Jede Macht wurde praktisch als göttlich verehrt: der König ebenso wie die Sonne, der Krieg ebenso wie das Wasser, die Sexualität ebenso wie der Reichtum, der Satan, wurde ebenso angebetet wie die Mutter Erde und viele andere Mächte mehr. Im Gebet spielten damals die Menschen sogar die Götter gegeneinander aus: Wenn Du mir nicht hilfst, dann verehre ich in Zukunft eine anderen Gott! Die Größe von Abraham bestand darin, dass er das Widersprüchliche und Seelen-Zerreissende des Glaubens an viele Götter erkannte und endlich nur noch zu dem einen wahren Gott beten und sich im Leben nach ihm richten wollte. Lange dachte er nach. Alle Mächte sind eigentlich zweitrangig oder vergänglich. Alle großen Menschen, Künstler und Könige sind sterblich. Mutter Erde – für viele Naturschützer noch heute das Höchste – ist auf Sonnenlicht und Regen vom Himmel angewiesen. Selbst der Satan, heute für meist jugendliche Leute die bestimmende Macht in unserer Welt, war für Abraham nur ein Schmarotzer und Parasit, der zum Leben auf vorhandenes gesundes Leben angewiesen war. Wenn er alles zerstört hätte, könnte er als Prinzip der Zerstörung nur noch sich selbst zerstören. Andererseits: Sonne und Mond regierten nur entweder Tag oder Nacht. Schlagartig wurde Abraham klar: Nur der, welcher die Himmelskörper und die Erde verborgen lenkt, ist der wahre Gott. Der unsichtbare Lenker und Gesetzgeber der Natur ist allein der höchste Gott. Am Ziel seiner Suche wurde Abraham bewußt, dass Gott selbst ihm diese Gedanken eingegeben hatte. Sein Neffe Lot fragte ihn damals nach Thomas Mann: Wer an sichtbare, wenn auch fragwürdige Götter glaubt, der hat immer etwas – wie z.B. die Natur – vor Augen. Wenn dich dein unsichtbarer Gott verläßt, dann bist du ganz verlassen! Und Abraham hatte ihm stolz geantwortet: Wenn ich ihn gewinne, dann bin ich mit der höchsten ewigen Macht in dieser Welt verbunden und bin in Ewigkeit nicht verloren! Das alles ist der in der Bibel angedeutete, nicht besonders bekannter Hintergrund des Predigttextes. Abraham ist so überzeugt von seinem Gott, der in seiner Seele als der Haupt-Ratgeber im Inneren Team seines Gewissens zu ihm spricht, dass er sich auf den Weg macht.
Heilsgeschichte der Bibel bis heute
Damit beginnt die Heilsgeschichte der ganzen Bibel, die über Abraham, Isaak und Jakob und seine Söhne über Mose und David und die Propheten im Alten Testament bis zu Jesus führt. Mit Jesus wird die Abrahams -Verheißung ganz lebendig und greifbar. Nach Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten wird auch durch die Kirche des auferstandenen Christus Abrahams Verheißung über den ganzen Erdball verbreitet. Christus rettet den Sinn der ganzen Heilsgeschichte, die sonst womöglich nur auf das jüdische Volk konzentriert geblieben wäre. Andererseits rettet die jetzt globalisierte Heilsgeschichte die Bedeutung von Jesus Christus, der sonst nur als früherer Prophet und Rabbi schon lange vergessen worden wäre. Durch Abraham und Jesus bekommt die Heilsgeschichte die aktuelle weltweite Bedeutung.
Wer will bestreiten, dass über die Hälfte der Menschheit, Juden, Christen und Moslems, vom Glauben an den einen Gott beeinflußt sind, dem Abraham als erster vertraut hat. Wer will es leugnen, dass die Nächsten- und Feindesliebe von Jesus weltweit als Ziel vor Augen steht. Auch fremde Religionen haben ihren Glaubensalltag nach Hans Küng schon in manchem reformiert zu mehr Humanität und reinerem Glauben. Zum Beispiel: Faustrecht, Sklaverei, Kannibalismus, Töten von Kindern und Alten, Witwenverbrennung, Hexenglaube und mancher Aberglaube sind weitgehend geächtet. In vielem leben wir heilvoller als unsere Vorfahren.
Kritische Bedenken und die tröstlichen Gegenargumente
Wahrscheinlich protestieren Sie an dieser Stelle heftig. Durch die Zeitungen, Fernsehen und die Grünen und die Medien haben wir leicht ein eher ein Untergangsbild vom Zustand unserer Zeit und Gesellschaft. Zu den aufregendsten Ereignissen unserer Gegenwart gehören aber dagegen die Forschungen vom dänischen Professor Lomborg: Als Grüner wollte er statistisch die Unheilsgeschichte unserer Zeit bekräftigen. Überrascht mußte er ganz andere Tendenzen feststellen: Abgesehen von Afrika haben sich überall auf der Welt die Gesundheit, medizinische Versorgung, Information, Bildung, Arbeitszeit, Umweltbewußtsein usw. statistisch enorm verbessert. Ein Kind, das heute geboren wird, hat bessere Lebenschancen, als vor hundert Jahren. Eine verblüffend unbestreitbare Tatsache ist auch, dass die allgemeine Lebenserwartung der Menschheit in den letzten hundert Jahren sich verdoppelt hat! Das heißt im Klartext doch, dass statistisch gesehen jeder zweite von uns heute nach den Bedingungen vor hundert Jahren nicht mehr am Leben wäre. Das muß man sich mal vor Augen führen.
Vieles liegt sicher heute bedrohlich im Argen und die Zukunft verlangt weiter viel Gottvertrauen. Können Sie aber eine Epoche der Menschheit nennen in der Sie genau besehen lieber leben würden? Eine sehr alte Dame sagte es mir so: Die Kaiserzeit war besonders für die kleinen Leute sehr schwer. Nach dem ersten Weltkrieg kam Hitlerdiktatur und Krieg und Flucht. Aufbau und kalter Krieg waren schwer. Heute lebe ich in relativem Frieden und zufrieden!
Gute Gründe für unsere Hoffnung
Wir Christen haben gute Gründe für unsere Hoffnung, dass wir und unsere Welt nicht ohne Leiden schließlich auf gutem Weg sind und das Ziel erreichen werden. Als Christen orientieren wir uns an Abraham und seiner Verheißung. Wir folgen dem jetzt zur Rechten Gottes auferstandenen Jesus, dem kosmischen Christus nach. Bei neuen Problemen in unserem Leben, in Kirche und Gesellschaft wird er uns wie bisher helfen, neue gute Lösungen zu finden. In resignierter Zeit mit einem Übergewicht an „Unheilspropheten“ laufen wir deswegen einem pessimistischen Zeitgeist nicht nach. Wir sind bereit zu antworten, wenn man uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragt (1.Petr.3,15).
Unsere Welt ist wahrlich kein Paradies. Sie ist aber auch keine Hölle. Wir sind auf dem Weg zum guten Ziel, welches Abraham verheißen wurde und uns von Jesus versprochenen wird. Segen und Frieden wird es für alle Völker geben und Gott selbst wird alle Tränen trocknen. Der große Denker und Christ Teilhard de Chardin fasst alles wunderbar zusammen: Jesus rettet den Sinn der ganzen Heilsgeschichte. Und die Heilsgeschichte zeigt uns, wer Jesus wirklich ist. Von der Rechten Gottes aus sagt er Dir: Ich will Dich segnen und Du sollst ein Segen sein!
Amen.