Notwendige Besinnung auf das Wesen christlicher Gemeinschaft
Der Tunnelblick auf das eigene Wohlbefinden reicht nicht
Predigttext: Philipper 2,1-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(V.1) Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, (V.2) so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. (V.3) Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, (V.4) und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“Gedanken zur Predigt
Ich lese und predige diesen Text gern. Nicht nur weil ich in dem sehr überschau- baren Blaukreuz-Verein in Hagen am Rande des Ruhrgebietes groß geworden bin. Menschen, die das Wort Gottes hören, die beten, die eine enge Gemeinschaft bilden und die gemeinsam für Alkoholiker und andere Menschen in Not da sein wollen, kenne ich von Kindheit an. Eines Tages wurde mir diese Gemeinschaft allerdings zu eng, und ich verabschiedete mich von ihr. Da war ich in den Gruppen der Studentenmission. Auch hier spielte die Gemeinschaft eine große Rolle. Wie oft haben wir Apg.2, 42-47, 1.Kor.12 und Eph.4 ausgelegt. Aber das Leben in der SMD ist für einen Studenten auf dem Weg in seinen Beruf etwas Vorläufiges. Dann wurde ich Vikar, Hilfsprediger und Pastor. In jeder meiner Kirchengemeinden fand ich eine Gemeinschaft von Menschen vor. Auch in unseren evangelischen Kirchengemeinden sind Kerygma, Diakonia und Koinonia Kennzeichen der Gemeinde. Aber es erforderte Einsatz, Gemeinschaft im Namen Jesu wachsen zu lassen. Wo auch immer ich das Neue Testament aufschlage, ich werde zu diesem Einsatz herausgefordert. Schon im Kreis der zwölf Jünger, die Jesus berief, damit sie mit ihm lebten, war die Gemeinschaft mit ihm und untereinander von großer Bedeutung. Mitten im alten Gottesvolk konstituierte er eine neue Form der Gemeinschaft. In den Gemeinden der Apostelgeschichte, in den Gemeinden der Paulusbriefe, der übrigen Briefe des Neuen Testamentes und in den Gemeinden der Offenbarung ist die Gemeinschaft der Menschen, die es gelernt haben, an Jesus und durch ihn an Gott zu glauben, wichtig. Gerade der Philipperbrief malt uns vor Augen, wie Paulus für seine Gemeinde dankt, wie er an ihr arbeitet und wie er mit ihr lebt. Gerhard Lohfink schreibt zu dem vorgeschlagenen Predigttext: „An einem solchen Text wird deutlich, dass die Gemeinde kein Gebilde ist, das mit psychologischen oder soziologischen Kategorien adäquat erfasst werden könnte. Einmütigkeit entsteht noch nicht, wenn sich ‚Gleichgesinnte’ zusammenfinden. Die Menschen sind nicht gleich gesinnt und sie werden niemals einer Meinung sein. Einmütigkeit entsteht auch nicht, wenn etwas ‚ausdiskutiert’ worden ist, so wichtig die gemeinsame Beratung immer sein wird. Einmütigkeit ist erst recht nicht der resignierte Verzicht auf das Vorbringen der eigenen Meinung. Einmütig werden heißt vielmehr, sich von Gott selbst auf jenen neuen Boden stellen lassen, den Paulus in Phil.2, 1-5 als ‚Gemeinschaft des Geistes’ und als ‚In-Christus-Sein’ benennt. … Von sich aus können Menschen nicht einmütig werden. Sie können es nur, wenn sie sich einigen lassen auf etwas, das außerhalb ihrer selbst liegt: auf den Willen Gottes, auf sein Werk, auf sein Evangelium, auf die Geschichte, die er in der Welt begonnen hat. … Zur Erfahrung dieser Geschichte ist eine umfassende Lebensgemeinschaft notwendig“. („Braucht Gott die Kirche? Zur Theologie des Volkes Gottes“, Freiburg, 4. Auflage 1999; siehe auch: G. Lohfink, „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“, Herderbücherei 1798, Freiburg 1993, passim)Zur Gestaltung des Gottesdienstes
Gebete und einfach gesungene Kanons wie z.B. „Alte mit Jungen“ (EG 338) wechseln einander ab. Statt des Glaubensbekenntnisses wird miteinander entweder Luthers Erklärung zum 2. Artikel im Kleinen Katechismus (s. EG) oder die Frage 54 des Heidelberger Katechismus (s. EG) gesprochen.Liebe Gemeinde!
Den für heute vorgeschlagenen Predigttext aus dem Philipperbrief mag ich. Hier wird deutlich, dass der christliche Glaube nicht die Sache von Singles, von Eigenbrötlern oder von Einzelkämpfern ist. Wichtige Dimensionen des Glaubens lernen wir nur kennen, wenn wir sie mit anderen zusammen entdecken und erleben. Jedem Elternpaar, das hier in der Kirche, in der Marienkapelle und in unseren Gemeindehäusern sein Kind taufen lässt, jedem Jugendlichen, der hier seine Konfirmation erlebt, jedem Brautpaar, das seine Hochzeitsfeier mit einem Gottesdienst beginnt, möchte ich das deutlich machen. Ich bin traurig, wenn mir, wenn uns das nicht gelingt.
Dem Apostel Paulus, der aus dem Gefängnis in Rom seiner Gemeinde in der mazedonischen Stadt Philippi schreibt, geht es um die Gemeinschaft im Namen Jesu. Mir ist, als hätten unsere Kirchengemeinden eine Besinnung auf das Wesen christlicher Gemeinschaft nötig. Hören wir, wie Paulus seine Gemeinde anspricht.
(Lesung des Predigttextes)
Vier Punkte habe ich:
Eine beglückende Gemeinde ist entstanden.
Eine gemeinsame Sicht der Welt steht vor Augen.
An den Gefährdungen der Gemeinde wird gearbeitet.
Der Austausch im Geben und im Nehmen gelingt.
Eine beglückende Gemeinde ist entstanden
Als der Apostel Paulus während seiner zweiten Missionsreise mit dem Schiff von Troas in Kleinasien nach Mazedonien fuhr und hier an Land ging, da begann Europa das Evangelium von Jesus Christus kennen zu lernen. Nichts hat Europa so tief und so gut geprägt wie das Wort vom Kreuz. Hier geht es um eine der entscheidenden Wurzeln unserer abendländischen Kultur.
Es fing alles ganz klein an. Am Sabbat gingen Paulus und seine Mitarbeiter zu der jüdischen Gebetsstätte an einem Fluss. Nur wenige Frauen waren da versammelt. Und nur eine, die Purpurkrämerin Lydia, lud Paulus in ihr Haus ein und wurde zusammen mit ihrer Familie Christin, die erste Christin Europas. Der Kerkermeister von Philippi kam dazu. Und dann entstand hier eine nicht allzu große, lebendige Gemeinde, zu der Paulus einen lebhaften Kontakt behielt.
Man dachte aneinander, man betete füreinander. Paulus konnte ein zweites Mal diese Gemeinde besuchen. Die Gemeindeglieder in Philippi dachten an Paulus, den Vater der Gemeinde, als er in Jerusalem gefangen genommen und dann in Rom als Gefangener festgehalten wurde. Ja, sie schickten ihm ein Lebensmittelpaket. Paulus und seine Gemeinde in Philippi blieben sich nah, und sie freuten sich aneinander. Gleich am Anfang des Philipperbriefes dankt Paulus Gott für diese Menschen, die sich so sichtbar für das Evangelium geöffnet hatten. Und so sagt es dieser Text: Hier in Philippi geschah Seelsorge untereinander. Man ermunterte und ermahnte sich gegenseitig. Paulus hatte gerade an dieser Gemeinde seine helle Freude.
Wir wollen hier in Hartum und Hahlen dankbar sein für die Menschen, die Woche für Woche oder sagen wir: Monat für Monat unsere Gottesdienste besuchen, für diejenigen, die regelmäßig die Kassetten mit unseren Gottesdiensten hören oder die den Fernsehgottesdienst anschalten, für diejenigen, die regelmäßig ihre Bibel aufschlagen und lesen oder die Tag für Tag mit der Andacht des Neukirchener Kalenders leben. Immer neu entdecke ich Menschen, über die ich staune. Wir danken für diejenigen, die in unserer Gemeinde mitarbeiten und die unsere Gemeinde mitverantworten. Und wir danken für diejenigen, die es wagen, einen anderen Menschen auf seinen Glauben anzusprechen. Nicht nur über die Gemeinde in Philippi, auch über unsere Gemeinde kann man sagen: Eine beglückende Gemeinde ist entstanden.
Eine gemeinsame Sicht der Welt steht dieser Gemeinde vor Augen
Kurz nachdem Jürgen Klinßmann vor zwei Jahren seinen Job als Bundestrainer anfing, stellte er sich vor die Presse und sagte: „Die Fußball begeisterten Menschen in Deutschland wollen, dass Deutschland 2006 Weltmeister wird. Das ist dann auch unser Ziel!“ Damit hatte er seinem Trainerteam, den Fußballprofis und dem ganzen Volk ein Ziel gesetzt, das er fast erreicht hat. Alle miteinander konnten nun darauf hin arbeiten und fiebern. Die hin und her in unserem Land angefachte Begeisterung war beachtenswert. Dabei ging es nur um ein Ballspiel. „Das Runde muss in das Eckige!“ Das war alles. Eine Freizeitbeschäftigung.
Wo Paulus hier seiner Gemeinde in Philippi schreibt und wo eine Kirchengemeinde tut, wozu sie da ist, da geht es um ein weit größeres Ziel: Menschen entdecken, was es heißt: „in Christus“ zu leben. Sie treten ein in einen neuen Raum, in eine neue Lebensgemeinschaft. Sie bekommen eine neue Sicht der Welt. Die Botschaft des Engels an Weihnachten: „Denn euch ist heute der Heiland geboren!“ wird über die ganze Welt verbreitet. Menschen lernen es, darauf zu vertrauen und das zu erleben. Christus ist der Herr der Welt. Und seine Gemeinden glauben das schon jetzt, und sie bekennen und bezeugen das in ihrem Umfeld.
Viermal werden die Christen in Philippi hier im 2. Vers unseres Predigttextes aufgerufen, sich gegenseitig lieb zu haben und einmütig auf das gemeinsame Ziel zu zu leben und hin zu arbeiten. Einmütig zu leben, ist die erste und wichtigste Mission der Kirche. Das gemeinsame Ziel wird in der Bibel immer neu beschrieben. In der Bergpredigt heißt es: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes!“ In 1.Kor.13 steht: „Die Liebe ist die größte unter ihnen!“ In Apg.4 heißt es von Jesus Christus: „In keinem andern ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“ (V.10.12) Als Widmung steht in unserer Altarbibel das Wort Jesu aus Mt.10, 32: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater“. Alles Zielangaben, die gültig sind.
Dies kann in einer bunten und großartigen Vielfalt gelebt werden. Aber immer steht der Weg Jesu herab vom Vater im Himmel zu uns Menschen und wieder hinauf zu seinem Platz zur Rechten Gottes als Ziel vor Augen. Hier geht es um eine gemeinsame Sicht der Welt, mit der wir leben und sterben können.
An den Gefährdungen der Gemeinde wird gearbeitet
An einigen Stellen des Philipperbriefes wird deutlich, dass das Gemeindeleben durch Liebe zueinander und durch Friede miteinander gekennzeichnet war. Paulus hat in seinem Gefängnis davon gehört und er spricht seine Gemeinde darauf an, auch hier: „Tut nichts aus Zank oder eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.“ Die Gemeinde hatte es nötig. Sie durfte nicht mit sich selbst zufrieden sein. Man musste sie zurechtweisen. Überall, wo Menschen leben, und überall, wo Menschen glauben, da wollen und sollen sie auch wachsen. Da müssen sie an sich arbeiten, und da müssen sie aneinander arbeiten. Der Christ als Mensch darf nicht dem Christen als Zeuge im Wege stehen.
Zum Wesen des Christseins gehört es, dass man so nah zusammen lebt, dass man sich gegenseitig loben und tadeln kann. Beides haben wir Menschen nötig. Ein großer Teil der Briefe des Apostels Paulus an seine Gemeinden bestehen aus Ermahnungen und Ermunterungen, wie sie als christliche Gemeinden miteinander leben sollen. Paulus redet hier einfühlsam und engagiert. Er möchte, dass seine Gemeinden miteinander Christus bezeugen. Ihr Zusammenleben soll nicht ihre Verkündigung und ihr Bekenntnis in Misskredit bringen.
Wichtige Worte hier am Anfang von Philipper 2 sind die Worte Demut und Selbsterniedrigung. Genauso wie Jesus, der Sohn Gottes, sich selbst erniedrigte und aus der Welt Gottes zu uns Menschen herunter kam (V.8), genauso sollen die Gemeindeglieder untereinander zur Demut bereit sein. Das griechische Wort, das hier gebraucht wird, meint die Bereitschaft von Sklaven, überall zum Dienst bereit zu stehen. Der freie Bürger in den griechischen Städten war zu einer solchen Erniedrigung nicht bereit. Das entsprach nicht seinem Wesen.
Aber weil Jesus unser aller Diener geworden ist und sein Leben für uns gelassen hat, deshalb sollen Christenmenschen bereit zum Dienst sein. Sie sollen nicht grundsätzlich und überall ihre Gefühle, ihre Überzeugungen, ihre Gaben hinten anstellen und darauf verzichten, ihre Meinung zu sagen. Aber sie sollen immer und überall die Schwester und den Bruder im Glauben sehen und achten, mit bedenken, wie es ihm geht und was für ihn gut ist. Und dann sollen sie freimütig reden und handeln. An den Gefährdungen des Glaubens wird gearbeitet.
Der Austausch im Geben und im Nehmen gelingt
Im Urlaub habe ich den Bestseller von Frank Schirrmacher gelesen: „Minimum – Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“. Da wird durch vielfältige Studien nachgewiesen, dass wir Menschen in Krisenzeiten nicht als Einzelkämpfer oder als ungebundene Künstler überleben können. Wir brauchen ein Minimum an sozialen Kontakten, die uns tragen und in denen wir mittragen. Schirrmacher schildert Katastrophensituationen auf, in denen Familien zu einander gestanden und sich so durchgebracht haben. Manch einer unter uns wird selbst aus seinem Erleben davon erzählen können.
Natürlich können wir hier überlegen, wie tragfähig in Zukunft unser Sozialstaat bleiben wird, ob wir Halt haben an unserer Familie oder wie weit wir in unserer Nachbarschaft aufeinander achten. Wenn wir den Predigttext für den Sonntag heute hier aus Philipper 2 lesen, dann wird uns die Gemeinde Jesu Christi, unsere Kirchengemeinde vor Augen gemalt. Sie ist eine von Gott gestiftete Gemeinschaft, in der wir getragen werden und in der wir mittragen dürfen und sollen. Wo man im Namen Jesu zusammenlebt, wo man so ein gemeinsames Fundament hat, wo die Liebe Christi wirken kann, da müsste eine tiefere Gemeinschaft entstehen als dort, wo das Grundgesetz das gemeinsame Leben regelt.
Natürlich geht das nur im gegenseitigen Nehmen und Geben. Der Tunnelblick auf den eigenen Vorteil, auf die eigene Sicherheit und auf das eigene Wohlbefinden reicht nicht. Wir brauchen den Panoramablick, den uns Gott in seiner Gemeinde eröffnet. Dort brauche ich meine Gefühle und meine Begabungen nicht zu verleugnen. Aber ich bekomme die Nöte, die Bedürfnisse des anderen neben mir in den Blick. Ich lerne zu sehen, was Gott mit uns vorhat. Und uns tut sich mitten in dieser dem Tode verfallenen Welt der Blick auf das Reich Gottes auf. Wir lernen zu sehen, was Gott uns verheißen hat. Wir werden nach und nach mit den kleinen und großen Bildern der Verheißungsgeschichte vertraut. Gott kommt zu seinem Ziel. Wir dürfen eines Tages dabei sein. Und wir sind jetzt gerufen, da mitzuarbeiten.
Amen.