Der Prophet höchstpersönlich
Die Öffentlichkeit braucht manchmal Aktionen, die einen wunden Punkt, eine falsche Entwicklung verdeutlichen
Predigttext: Jeremia 1, 4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.Homiletische Bemerkung
Die Predigt richtet sich an eine bunt gemischte Zuhörerschaft aus allen Bundesländern. Überwiegend junge Besucher/innen mit körperlichem handycap, in der Mobilität eingeschränkt, Ausbildungsteilnehmer/innen in der Umschulung (berufliche Rehabilitation im Berufsförderungswerk der SRH Heidelberg), Studierende an der Fachhochschule Heidelberg, Mitarbeiter/innen aus dem SRH-Unternehmen, Patienten aus dem Kurpfalzkrankenhaus (SRH) sowie Gäste aus verschiedenen Stadtteilen und auswärtigen Orten. Die meisten Predigthörer – unter ihnen Kirchenferne, Skeptiker, Zweifler sind von schweren Lebensschicksalen geschlagen, tragen ihre seelischen Lasten seit Jahren. Jeder sucht nach Lebensperspektiven, wünscht sich Halt, erhofft sich etwas Geborgenheit in der Spiritualität. Ein guter, aufbauender, mutmachender Gedanke sollte hängen bleiben. Eine verständliche Sprache wird geschätzt. Der Gottesdienst muss Qualität haben, Sinnfindung bieten, der Besuch muss sich lohnen. Im Mittelpunkt der Predigt stehen drei Gedankengänge: 1. Der Lebensentwurf des Menschen steht – nach Jeremia - schon vor seiner Geburt fest. 2. Reden und Handeln gehören zusammen, um glaubwürdig zu bleiben. 3. Zivilcourage mit Gottvertrauen ist gefragt. Diese drei Gedankengänge können für den Alltag des Menschen hilfreich sein.Als ich neulich die Berufungsgeschichte des Jeremia las, klingelte das Telefon. Ich bekam einen ganz ungewöhnlichen Anruf. Was meinen Sie, wer der Anrufer war? Ich konnte es nicht glauben: der Prophet höchstpersönlich. Er war höchst erstaunt, dass wir nach über zweitausend Jahren noch auf seine Worte hören und uns mit ihnen beschäftigen. Er sagte: „Das ist sehr gut, denn was ich erlebt habe, das könnte auch euch in eurem Alltag Mut und Hoffnung machen“. Ich sagte ihm: „Du hast Recht, Jeremia, hierzulande verlässt uns allzu schnell der Mut und die Hoffnung. Würdest du uns kurz berichten, was du eigentlich erlebt hast? Was war so außergewöhnlich bei dir?“ Und dann erzählte Jeremia:
„Ich musste mit 23 Jahren meinen schweren Beruf aufnehmen. Das war eine politisch hochbrisante Zeit. Und gerade da erhielt ich den Auftrag, mit meinem prophetischen Wort auszureißen und einzureißen, zu zerstören und zu verderben, zu bauen und zu pflanzen. Ich habe Gott gesagt: Ich bin doch viel zu jung, nicht intelligent genug, rhetorisch viel zu unbegabt, ich pack das nicht. Ich sah mich völlig überfordert. Schließlich sollte ich nicht nur Prophet für Israel sein, nein, sogar für die ganze Welt. Weißt du, was das geheißen hat? Ich sollte Weltverantwortung wahrnehmen! Ich, der junge Unerfahrene und Unbegabte. Ständig habe ich gegrübelt, wie ich denn diesen Riesenauftrag erfüllen soll!“
Ich unterbrach Jeremia am Telefon und fragte ihn, was ihn denn motiviert hätte für seine große Aufgabe? Und dann erzählte er:
„Weißt du, ich habe da eine Äußerung Gottes sehr ernst genommen, die hat mir Mut gemacht: ,Sage nicht, ich bin zu jung, sondern geh, wohin ich dich sende und predige alles, was ich dir gebiete`. Und zuallererst hat mir seine Zusage unwahrscheinlich geholfen: ,Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir und will dich erretten`. Das hatte mir noch niemand gesagt! Das hat mir gut getan. Diese tröstlichen Worte haben mir schöne Perspektiven geschenkt. Sie haben mir meine Angst genommen, ganz alleine den fremden Menschen entgegentreten zu müssen. Mir war bewusst, dass Gott auf meiner Seite steht. Er gibt mir Rückhalt in allen undurchsichtigen Situationen!“
Dann sagte ich ihm: „Was du, Jeremia, erlebt hast an Geborgenheit, das gilt ja auch für uns. Was war nun das besonders Schwerwiegende bei deinem göttlichen Auftrag? Worin sahst du die größten Probleme?“ Und er antwortete: „Es war Gottes doppelter Auftrag, Unheil zu verkünden und gleichzeitig Hoffnung zu verbreiten. Den König Jojakim z.B. musste ich warnen: Wage keinen Aufstand gegen Babylon, sonst droht uns allen der Untergang. Von Norden her wird das Unheil über uns alle losbrechen, die im Lande wohnen, und Israel wird zerstört, die Hauptstadt Jerusalem vernichtet werden. Du kannst mir glauben, dass auf solche Unheilspredigt hin ich mir viele Gegner eingehandelt habe. Sogar meine Familie gehörte zu ihnen. Ja, und dann trat tatsächlich auch das Unglück ein: Jerusalem wurde dem Erdboden gleichgemacht.“
Ich unterbrach Jeremia und unterstellte ihm, dass er in seinem Beruf auch immer einen politischen Auftrag verfolgt hätte. „Ja“, sagte er, „ ich war von Gott berufen, in der Welt der Politik seinen Willen kundzutun. Denn Gott ist kein Lebensbereich egal. Ich habe ja nicht nur politisch agiert. Ich habe in der Welt der Politik nach Gottes Willen gefragt und ihn verkündigt. Und ich möchte dir noch etwas Wichtiges sagen: Ich habe nicht nur geredet, ich habe auch gehandelt. Ich habe Zeichen gesetzt und sogar demonstriert. Die Öffentlichkeit braucht manchmal Aktionen, die einen wunden Punkt, eine falsche Entwicklung verdeutlichen.
Ich erinnere mich noch an drei Signale, die großen Anstoß erregt haben: Einmal habe ich einen Gürtel verfaulen lassen, um zu zeigen, wie Israel verderben würde. Ein andermal habe ich einen Wasserkrug zerdeppert, um auf das künftige Schicksal des Volkes Israel aufmerksam zu machen. Ein drittes Mal habe ich mir ein Joch auf die Schultern gelegt und bin damit durch die Straßen gelaufen. Ich wollte zeigen, dass Israel das Joch der Babylonier tragen solle.“
Wiederum unterbrach ich Jeremia: „Wir alle können von dir lernen. Wir bewundern deine Zivilcourage, dein eindeutiges Auftreten, deinen Mut. Du nennst Missstände beim Namen. Du redest nicht nur, du handelst. Wir dagegen ziehen uns gerne in ein Nischendasein zurück, haben oft Angst vor eindeutigen Stellungnahmen, wir ecken nicht gerne an, fürchten, Ansehen zu verlieren. Das alles verhindert oft ein Engagement bei uns.
Für eines sind wir dir besonders dankbar, dass du uns nämlich von deinem großen Gottvertrauen erzählst. Gottes Zusage an dich gilt ja auch uns allen: „Hab keine Angst, ich bin bei dir und will dich erretten“. Ein solch tröstliches Wort tut uns gut. Das braucht jeder von uns.
Dann habe ich in deiner Berufungsgeschichte, lieber Jeremia, noch was höchst Interessantes gelesen. Da sagt dir Gott, dass er dich schon vor deiner Geburt gekannt hat. Was hat er damit gemeint?“
„Also pass auf, ich denke: Ehe Gott mich ins Leben rief, hatte er schon eine Vision von mir. Ehe ich geboren wurde, stand sein Entwurf fest, wie mein Leben verlaufen sollte!“ Ich sagte Jeremia, dass das ja bei einem jeden von uns so sein könnte. Der Schöpfer weiß offenbar von Anfang an, was er mit uns vorhat. Jeder von uns ist einmalig, unersetzbar, ein Unikat. Ausgestattet mit Talenten, Fähigkeiten und Begabungen. Uns fehlt nichts, wir sind unverwechselbar gut. Tröstlich ist es zu wissen, dass meinem Leben eine Spur vorgezeichnet ist im Plan Gottes. Dabei begleitet uns Gott.
Lieber Jeremia, du hast uns lebenswichtige Gedanken mitgeteilt. Vor allem ist deine prophetische Mahnung zur Umkehr bis heute nicht überholt: Bessert euer Leben und euer Tun. Keine Gewalt gegen Ausländer. Zeigt Zivilcourage. Seid nicht ängstlich. Denn Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Lieber Jeremia, wir danken dir für deinen Anruf.