“Warum senkst du deinen Blick?”

Ein bibliodramatischer Zugangsversuch zu einer exemplarischen Bibelgeschichte

Predigttext: 1.Mose (Genesis) 4,1-16
Kirche / Ort: Providenz-Kirche Heidelberg (Altstadt/City)
Datum: 10.09.2006
Kirchenjahr: 13. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Petra Neumann-Janssen, Erwachsenenbildnerin und Bibliodramaleiterin

Predigttext: 1.Mose (Genesis) 4,1-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Vorbemerkung

Der Bibeltext wird in Sinnabschnitten von einem/einer Leser/in vorgetragen. Zwei Personen schlüpfen in die Rolle von Kain und Abel, sie stellen das Geschehen im Altarraum dar. Um ausdrucksstark zu sein, benutzen sie mehrere Masken aus Papier oder Pappmaché (Anleitung zur Maskenherstellung s.u.). Sie sprechen nicht selbst, ihre Gedanken werden von zwei Personen im Hintergrund, Gedankenstimmen, ausgesprochen.

Anleitung zur Maskenherstellung

Material: Pappmaché aus dem Bastelladen, Wasser, Klarsichtfolie, Rollholz, (Sonnen-)Brille, Luftballon, Wasserfarben und Klarlack oder Lackfarbe. Nach Gebrauchsanweisung aus Papiermasse und Wasser einen Papierteig anrühren. Diesen Teig zwischen zwei Klarsichtfolien in Oval ausrollen, das 1 bis 2 cm dick und etwas größer als die gewünschte Maske sein sollte. Die obere Klarsichtfolie entfernen. Eine Brille leicht in die Masse drücken. Die Abdrücke der Augengläser ausschneiden und zu einer Nase modellieren. Mit der unteren Klarsichtfolie auf einen aufgeblasenen Luftballon legen (ergibt die richtige Rundung) und trocknen lassen. Die Folie lässt sich später ganz leicht lösen, die Innenseite trocknet dann sehr schnell nach. Die Maske kann jetzt bemalt werden. Die Bemalung sollte kräftig sein und sich auf wenige wichtige Merkmale beschränken, damit im Kirchenschiff auch in den hinteren Bänken deutlich der Ausdruck zu erkennen ist. Der Mund wird nicht ausgeschnitten, aber kräftig aufgemalt. Beispiel: Zorn-Maske - schwarzer Untergrund, auf dem die Zornesröte flammend aufsteigt, weißer schmaler Mund mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Doppelgesicht-Maske - eine schwarze, eine weiße Seite. Diese Masken sind sehr ausdrucksstark. Sie können, mit der Hand am Kinn angefasst, gut vor das Gesicht gehalten werden. Für Eilige: Herstellung der Masken aus Fotokarton.

Lieder:

„Gott liebt diese Welt“ (EG 409) „Allein Gott“ (EG 179,1) „Gott gab uns Atem“ (EG 432) „Bewahre uns Gott“ (EG 171)

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Verkündigung

Sprecher/in liest Bibeltext, Vers 1-3:

Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes.

Eine Person kommt als Kain mit einem Korb voll Früchten in den Gottesdienstraum. Geht langsam durch die Reihen nach vorn oder einige Male um den Altar. Sie geht nachdenklich, also langsam, sie kann auch einmal stehen bleiben.
Ihre Gedankenstimme spricht:

Ich fühle mich Kain sehr verbunden! Meine Früchte sind gut gelungen, aber wie viel Mühe habe ich auf sie verwendet, es war harte Arbeit. Wieviel körperliche Arbeit, wie viel Schweiß, aber auch wieviel gute Planung und Organisation sind nötig, um überhaupt einen so guten Ertrag zu erwirtschaften. Das Ackerfeld ist doch Sinnbild für das Leben, mein Leben, es ist unser Alltag in Familie und Beruf. Tägliche Plackerei, tägliches Bemühen. Natürlich mache ich diese Arbeit auch gerne, sie bietet mir viel Abwechslung, der Verdienst sichert mir und der Familie einen bescheidenen Wohlstand. Täglich versuche ich einen guten und liebevollen Boden für meine Familie zu bereiten, eine Zukunft in Sicherheit und Geborgenheit. Ich werde jetzt diesen Korb voll guter Früchte als Symbol für meine Arbeit auf (bzw. vor) den Altar stellen.

Kain-Person stellt den Korb ab und kniet sich nieder. Sie bleibt kniend vor dem Altar.

Sprecher/in liest Bibeltext, Vers 4a:

Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett.

Eine zweite Person kommt als Abel-Person in den Gottesdienstraum. Wie die Kain-Person geht sie zum Altar. Sie trägt einen Korb mit einer Flöte, einem Buch, einem kleinen Globus und Urlaubskatalog. In der anderen Hand hält sie eine Blume. Sie geht beschwingt und vermittelt einen fröhlichen Eindruck Mit einigen Gesten kann sie den Text ihrer Gedankenstimme unterstreichen.
Abels Gedankenstimme:

Ein Hirte zu sein, welch ein schönes Leben. Frei und ungebunden zog Abel mit seinen Tieren durch die Natur, von Weideplatz zu Weideplatz. Das Durchstreifen der Natur, das Entdecken von neuem, das Abenteuer dabei, das suche auch ich. Abel könnte mein Bruder sein. Jeden Tag das Gleiche ist mir ein Greuel. Ich liebe die Abwechslung, ich reise gern, bin offen für neue Erfahrungen. Freiheit und Unabhängigkeit habe ich mir bewahrt. Die Mußestunden in der Natur müssen schön für Abel gewesen sein. Ich genieße sie auch. Es ist wie in einer Hängematte im Garten mit Musik und einem guten Buch. Es ist schön auf dieser Welt. In diesem Korb habe ich Symbole für die Freude, die mir Gott in diesem Leben schenkt, ich danke Gott dafür.

Abel-Person stellt den Korb ebenfalls auf (bzw. vor) den Altar und bleibt betend davor stehen.
Sprecher/in liest Bibeltext, Vers 4 b – 6:

Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick?

Die Kain-Person erhebt sich, wendet dem Altar den Rücken zu. Mit ihrer Haltung drückt sie eine große Spannung aus, als würde sie vor Wut gleich platzen. Eine Hand ballt sie zur Faust ballen und erhebt sie. In der anderen Hand hält sie die erste Maske, eine Wut-Maske. Langsam führt sie diese Wut-Maske wie Zorn, der hochsteigt, vor ihr Gesicht.
Die Gedankenstimme spricht erregt, hitzig. Giftig:

Wieso nicht ich? Wieso mein Bruder? Mein Herz krampft sich zusammen, es ist so ungerecht! Wie ich ihn hasse! Was macht er denn besser als ich? Habe ich mir nicht alle Mühe gegeben? Auch ihm galt doch meine ganze Fürsorge. Ich kenne ihn genau, er hatte es noch nie nötig, sich am alltäglichen Kram zu beteiligen. Solide Arbeit ist ihm lästig! Er hält sich für etwas Besseres. Nichteinmal niedergekniet ist er vor dem Altar, vor Gott – auf den Knien rutschen muss nur ich. Ihm wird das Lachen schon noch vergehen! Eine Unverfrorenheit ist es, hier neben mir Gott zu danken, er hat hier überhaupt nichts zu suchen, soll er doch dahin gehen, wo er sich sonst auch rumtreibt. Dieser Tagedieb, Gernegroß, so ein Angeber!

Kain-Person behält die Maske vor dem Gesicht und bleibt stehen.
Sprecher/in liest Bibeltext, Vers 7

: Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

– Stille (wie die Stille vor dem großen Sturm, dem Unglück, oder die Stille, die wir für unsere Entscheidung brauchen) –
In dieser Stille wechselt die Kain-Person die Maske. Aus der Zorn-Maske wird eine doppelgesichtige Maske, welche falsche Freundlichkeit ausdrückt. So wird ihre Entscheidung deutlich.
Sprecher/in liest Bibeltext, Vers 8 a

: Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen!

Die Kain-Person geht zur Abel-Person, legt freundschaftlich den Arm um sie und lädt sie in ihr Haus ein. Sie trägt die doppelgesichtige Maske, verhält sich einladend, schmeichelnd. Die Abel -Person geht arglos mit, zeigt Freude und Fröhlichkeit.
Die Kain-Stimme liest einschmeichelnd und zuckersüß:

Mein lieber Bruder, lieber Freund, komm mit in meinen Garten. Ich lade dich ein. Weißt du, wie sehr ich dich bewundere? Was du alles kannst! Du musst mir unbedingt mehr von dir erzählen, dein Leben ist so aufregend. Wie gut und richtig du alles machst. Verrate mir dein Erfolgsgeheimnis. Wir können uns doch zusammentun, zusammen erfolgreich sein. Lass uns darüber sprechen und friedlich verhandeln. Mit deiner Fröhlichkeit hast du mein Herz gewonnen.

Die Abel-Stimme liest:

Du überraschst mich, aber ich freue mich. Gerne komm ich mit dir.

Beide Personen gehen gemeinsam, einander freundschaftlich zugewandt, zu einem Stuhl im Kirchen- oder Altarraum. Der Stuhl wird von der Kain-Person genommen, für alle sichtbar zurechtgestellt oder zurechtgerückt und der Abel-Person angeboten. Der Stuhl sollte so stehen. dass die Kain-Person hinter dem Rücken der Abel-Person agieren kann. Die Abel-Person setzt sich auf diesen Stuhl. Die Kain-Person entfernt sich von ihr und wechselt wieder die Masken.

Mit der Zorn-Maske wendet sie sich der Gemeinde zu. Sie agiert jetzt hinter dem Rücken des Bruders. Wenn ihre Gedankenstimme spricht, zeigt sie mit dem Finger auf ihren Bruder und unterstützt das Gesagte mit weiteren Gesten.

Die Abel-Person wird von der Kain -Person beschimpft. Sie soll von ihr hinterlistig mit Verleumdungen getötet werden. Wehrlos sinkt sie auf dem Stuhl immer mehr zusammen, bäumt sich auf, geht aber dann doch zu Boden.

Sprecher/in liest den Bibeltext, Vers 8 b

: Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

Die Gedankenstimme von Kain spricht spöttisch, giftig:

Seht ihn euch an! Er taugt nichts! Eingebildet ist er, arrogant! Hält sich für den Größten, den immer Erfolgreichen! Er glaubt, dass ihn die Götter lieben. Von dem kann wirklich nichts Gutes kommen. Unabhängigkeit, Freiheit, nennt er seine Flucht vor den Pflichten. Der drückt sich doch nur vor der Arbeit. Ich werde den Anderen schon sagen, wie er in Wirklichkeit ist, bald wird ihn keiner mehr mögen oder auf ihn hören. Wie der auch mit uns umgeht! Dem werde ich es zeigen. Der unterdrückt uns doch alle. Diese Person muss hier fort! Muss weg! Der Bessere, der Stärkere – bin ich!

Die Abel-Person liegt zerstört am Boden, die Kain-Person lässt langsam ihre Maske sinken.
Die Sprecher/in liest den Bibeltext, Vers 9:

Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?

– Stille –

Sprecher/in wiederholt eindringlich:

„Soll ich der Hüter meines Bruders sein?”

– Stille –

Sprecherin liest den Bibeltext, Verse 10-16:

Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.
Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet.
Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände.
So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Danach geht eine Person, Pfarrer/in, zum Altar und schließt noch einige Gedanken an:

Menschen töten Menschen, jeden Tag. Wie Kain töten Menschen aus rasender Eifersucht und Neid, z.B. Kolleginnen oder Kollegen, die mehr Erfolg haben, Konkurrentinnen oder Konkurrenten. Menschen werden hinterhältig einfach fertig gemacht (Mobbing).

Wir verweigern Menschen Achtung, Respekt und Würde, nur weil sie anders sind, fremd handeln, frei über ihr Leben entscheiden. Gilt der Schwester, dem Bruder der Beifall und nicht uns. gilt der Schwester, dem Bruder die Liebe und Zuwendung und nicht uns, dann verkrampft sich oft das Herz, und der Zorn wendet sich wie bei Kain gegen die falsche Person.

Mit Gott, dem „Hüter Israels“ (Psalm 121), dem „Hüter unseres Lebens“ (EG 58,6), hätte Kain hadern sollen, ihm klagen, ihm die Vorwürfe hinschleudern sollen. Wenn er mit Gott gestritten hätte, wäre die Auseinandersetzung an der richtigen Stelle gelaufen – wie viel Leid wäre erspart geblieben. In der Zwiesprache mit Gott sollten auch wir unsere Not, unsere Wut und unseren Zorn zum Ausdruck bringen, dann werden wir nicht schuldig und werden nicht über Leichen gehen. Der Kampf um Gerechtigkeit, dass wir als Menschen, die wir doch alle Schwestern und Brüder sind und Gott an uns sein Wohlgefallen hat, einander gerecht werden, bliebe uns nicht erspart. Aber unsere Herzen blieben offen füreinander, sodass ich mich auch mit dem anderen Menschen über seinen Erfolg freuen kann, offen für die Liebe zueinander, für behutsamen Umgang miteinander und für viel gegenseitiges Verständnis.

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