Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?

Die Verantwortung für Europa darf nicht allein den Politikern und Verwaltungsbeamten in Brüssel überlassen werden

Predigttext: 1.Thessalonicher 1,2-10
Kirche / Ort: 91484 Sugenheim
Datum: 17.09.2006
Kirchenjahr: 14. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Hermann Ruttmann

Predigttext: 1. Thessalonicher 1,2-10 (nach Klaus Berger / Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, S.42)

Wir haben allen Grund, euretwegen Gott unaufhörlich zu danken. In jedem Gebet erwähnen wir euch mit Namen. Immer wenn wir zu Gott, unserem Vater, beten, sprechen wir von eurem tatkräftigen Glauben, euer starken Liebe und eurer geduldigen Hoffnung, die sich in vielen schweren Zeiten bewährt hat, weil sie auf unseren Herrn Jesus Christus gegründet ist. Gott liebt euch über alles, Brüder und Schwestern, und hat euch auserwählt. Darum ist das Evangelium nicht nur als Wort zu euch gekommen, sondern auch als Wundermacht, als wunderbare Gabe des Heiligen Geistes, als feste Gewissheit. Ihr wisst ja noch, wie es war, als wir damals zu euch kamen. Inzwischen habt ihr dem Herrn und unserem Bespiel nachgeeifert. Ihr habt bewiesen, dass die Botschaft wirklich bei euch angekommen ist, denn ihr habt einerseits dafür gelitten, andererseits aber auch aus der Freude Kraft geschöpft, die Gottes Geist schenkt. So seid ihr zum Vorbild geworden für alle Christen in Makedonien und Achaia. Denn von eurer Gemeinde aus ist nicht nur die Botschaft des Herrn in Makedonien und Achaia verbreitet, sondern die Kunde von unserem Glauben an Gott überall hin getragen worden. Daher wäre es eigentlich unnötig, euch weiter zu belehren. Denn alle Welt ist voll des Lobes darüber, wie bereitwillig ihr uns aufgenommen habt, und spricht davon, dass ihr, die ihr früher Götzen bedient habt, jetzt umgekehrt seid zu dem lebendigen, einzig wahren Gott und dass ihr auf Jesus, seinen Sohn, hofft, den er aus Toten auferweckt hat, der vom Himmel her wiederkommen und uns retten wird aus seinem kommenden Zorngericht.

Vorüberlegungen

1. Die Briefeinleitung knüpft – wie wir das heute bei Briefen oder Telefonaten auch tun – an die gemeinsame Vergangenheit zwischen Paulus (und seinen Mitschreibern) und seiner Gemeinde in Saloniki an. Hier ist eine Brücke zwischen der Gemeinde heute und damals schwerlich zu schlagen. 2. Das Naheliegende könnte sein, sich auf die letzten beiden Verse zu konzentrieren, die wohl das gemeinsame Bekenntnis von Paulus und Gemeinde wiederholen. Eine dogmatische Predigt kommt der ursprünglichen Absicht des Paulus aber wohl kaum nahe. 3. Mit Philipp Vielhauer (Geschichte der Urchristlichen Literatur, S.81ff) kann davon ausgegangen werden, dass die Schilderung der Apostelgeschichte 17 historisch zutreffend sein kann: Demnach hätte die Anklage (der Juden? der Politiker) gegen Paulus und die junge Gemeinde den Hauptpunkt, dass sie die Ordnung durcheinander brachten. Daran kann eine Predigt anknüpfen. 4. Die Gemeinde Thessalonikis ist ein Zeichen des Übergriffs der christlichen Botschaft nach Europa: Dieser historische Zusammenhang hat zur Frage geführt: „Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ 5. Die Annäherung an das Thema sei ausnahmsweise über die Beschreibung der historischen Situation erlaubt. Die inzwischen fast beherrschende Form der Belletristik, die des Historischen Romans, ist den Hörerinnen und Hörern wohl bekannt.

Vorschläge zur Liturgie:

Lied „Morgenglanz der Ewigkeit“ (EG 450) Dreimaliger Bußruf (Verstärkung durch Taizé-Kyrie EG 178.12): Vater im Himmel, wir bekennen vor Dir, dass wir in der vergangenen Woche Dinge gedacht, gesprochen und getan haben, die uns von Dir trennen. Deshalb bitten wir dich gemeinsam: Kyrie eleison. Vater im Himmel, wir haben auf uns vertraut: auf unser Können, auf unser Denken, auf unser Wissen. Wir bekennen, dass das Vertrauen auf Dich darunter gelitten hat und bitten Dich: Kyrie eleison Vater im Himmel, wir sind Deine Kinder und doch durch die Sünde getrennt vor Dir; wir bereuen, wo wir die Trennung vertieft haben in der letzten Woche und bitten Dich: Kyrie eleison Gnadenzusage: Gott, unser Vater, will, dass wir leben. Er hat uns verziehen und verzeiht uns immer wieder. Er ist Mensch geworden in Jesus Christus und hat so die Trennung zwischen Gott und Mensch, die Sünde, überwunden. Dafür danken wir ihm, aus seiner Gnade leben wir täglich. Tagesgebet: Gott, unser Vater, wir kommen zusammen in diesem Gottesdienst, um Kraft zu schöpfen: Kraft für unseren Alltag, Kraft für unsere Familien und unseren Beruf. Erschließe uns heute mit Deinem Geist die Kraftquelle Deines Wortes: Dass wir Mut, Freude und Menschenfreundlichkeit in ihm entdecken und mit nach Hause nehmen können. Das bitten wir Dich durch Deinen Sohn Christus Jesus, unsern Herrn. (Amen). Predigtlied: 262: Sonne der Gerechtigkeit (greift das Predigtthema des Christentums und des christlichen Europas auf) Fürbitten: Die folgenden Fürbitten verstärken wir durch den gemeinsamen Ruf: „Herr, erhöre uns!“ Lasst uns beten: Gott, unser Vater, mit Paulus danken wir Dir für alle Gemeinden dieser Welt, die blühen und gedeihen, die dem Vorbild Deines Sohnes Jesus Christus nachahmen. Wir bitten Dich für unsere Kirchen in Europa: Sende ihnen Deinen Geist, dass sie die Einigkeit der Gemeinde von Saloniki bilden. Gemeinsam bitten wir Dich: Herr, erhöre uns! Wir bitten Dich für unser christliches Europa: Lass es und uns offen bleiben für Menschen anderer Überzeugungen. Schenke uns die Kraft, gegen Fanatismus und Gewalt aufzustehen. Gemeinsam bitten wir Dich: Herr, erhöre uns! Wir bitten Dich für alle Menschen, die sich nach Frieden und einem Auskommen sehnen, das sie überleben lässt: Gib uns allen die Großzügigkeit und die Weisheit, ihnen zu helfen. Gemeinsam bitten wir Dich: Herr, erhöre uns! In der Stille bitten wir Dich um das, was uns bewegt: Wir beten zu Dir in den Worten Deines Sohnes: (Vater unser im Himmel) Segen: Geht hin im Frieden mit dem Segen aus Irland: Gottes Segen über euch, und gründlich möge er euch ereilen; Christi Segen über euch, und gründlich möget ihr um ihn gebeten haben; Der Segen des Heiligen Geistes über euch, und gut verbringet euer Leben, jeden Tag, an dem ihr aufsteht und jede Nacht, in der ihr euch niederlegt. So segne und behüte euch, Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen

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Liebe Gemeinde!

Eintauchen in die Gemeindegründung von Saloniki

Wenn ich außerhalb meines Dienstes etwas lese, dann lese ich es aus Entspannung. Und dann darf es etwas Leichtes sein, keine schwere Literatur. Ich bin ein großer Fan von Historischen Romanen. Ich tauche dann gerne in die Zeit vor einigen Jahrhunderte ein – wenn es etwas mit „Religion“ zu tun hat, dann ist das natürlich noch viel besser. Es darf spannend sein und die Zeit damals muss gut beschrieben sein. Ich tauche ein in das Denken damals, versuche, mir die geschichtlichen Ereignisse vorzustellen – und wenn der Romanschreiber auch noch viel Ahnung hatte, dann freue ich mich darüber, dass er mich in eine vergangene Zeit entführen und ich ein, zwei Tage in ihr denken und fühlen konnte. Und oft frage ich mich nach so einem Roman: „Was würde Karl der Große heute sagen, wenn er unser Europa sehen könnte?“ „Was würde Martin Luther heute sagen, wenn er seine Kirche anschauen könnte?“ „Was würde Jesus heute sagen, wenn er uns so sehen könnte?“

Auch beim Lesen der biblischen Texte ist es gut und notwendig, wenn wir eintauchen können in die Zeit – die Zeit Jakobs, von dessen Gotteserfahrung wir in der Lesung gehört haben (1.Mose 28,10-19a). In die Zeit Jesu, dessen Land in diesem Jahr so gequält wurde von Krieg, Terror und Mord. Und in die Zeit des Paulus, der für uns manchmal so harte Kost in seinen Briefen bereit hält. Dieser Paulus, ohne den unser Christentum vielleicht im Orient verblieben wäre, ist wohl der schwierigste: Er war es, der den Schritt vom heutigen Libanon über die Türkei nach Griechenland gewagt hat. Eine der ersten Gemeinden, die er in Europa gründet ist die von Thessaloniki, dem heutigen Saloniki, der Hafenstadt an der beliebten Ferienhalbinsel Halkidiki im Norden Griechenlands. Paulus, der vom Verfolger der ersten Christen zu ihrem Verfechter wurde und zehn Jahre lang nach seiner Bekehrung für die Christen missionierte; aber dem die Anerkennung in den Städten Judas und Palästinas fehlte – klar, kannten sie ihn doch als Verfolger, nicht als Bringer der guten Botschaft. Paulus nimmt mit seinen beiden Gefährten Silvanus und Timotheus die Reise nach Europa auf sich und kommt nach Saloniki. Er weiß, dass die Botschaft von der Liebe Gottes und der Freiheit des Lebens keine Grenzen kennt: Sie muss die ganze Welt umspannen und 10, 15 Jahre nach dem Tod Jesu muss sie die Grenzen überschreiten. Er predigt in Saloniki und sammelt in kurzer Zeit Gläubige um sich, die sich zur frohen Botschaft des menschgewordenen Gottes bekehren. Das führt natürlich zu Ärger und Aufruhr – es gibt Demonstrationen und Rempeleien; Paulus versteckt sich; der Gastgeber des Paulus und andere junge Christen werden vor das Stadtgericht gezerrt und angeklagt: Die Christen würden die politische Ordnung durcheinander bringen. Gegen Stellung einer Kaution kommen sie frei und die jungen Christen verhelfen Paulus und seinen Begleitern in der darauffolgenden Nacht zur Flucht. Was er zurücklässt, ist eine lebendige Gemeinde, die sich bei den Politikern sehr unbeliebt gemacht hat. Stoff für einen historischen Roman.

Etwa ein Jahr nach seiner Flucht schreibt dieser Paulus nun einen ersten Brief nach Saloniki, zusammen mit seinen beiden Gefährten Timotheus und Silvanus. Sein Brief ist das älteste Schriftstück der Christen, das uns erhalten ist – wir hören den Anfang seines Briefes:

(Lesung des Predigttextes)

Wäre Paulus stolz auf das christliche Europa / das europäische Christentum?

„Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ so frage ich mich, als ob ich einen historischen Roman lesen würde und eingetaucht wäre in diese gefahrvolle, aber erfolgreiche Gemeindegründung im Südosten Europas. Was würde er knapp zweitausend Jahre später über die Früchte seiner Arbeit sagen? „Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ „Christliches Europa?“ Naja, so halbwegs würde ich Europa als „christlich“ bezeichnen. Die Botschaft des Paulus hat Früchte getragen, ist von seinen griechischen Gemeinden nach Italien gekommen und hat sich in 1000 Jahren bis zum Nordpol und an die Wolga verbreitet. Die Wurzeln unserer Entwicklung ist von seiner Botschaft nicht zu trennen. Ich frage mich: Würde Paulus uns diesen Brief heute auch schreiben?

„Wir haben allen Grund, euretwegen Gott unaufhörlich zu danken.“ Paulus liebt seine Gemeinde von Saloniki – würde er das heutige europäische Christentum, uns, auch lieben? Ich hoffe es eigentlich: Die Vielfalt unserer Kirchen ist unsere Stärke; jeder kann eine Gemeinschaft und eine Gemeinde finden, die seiner Persönlichkeit und seiner Glaubensvorstellung entspricht; der Wechsel in eine andere Kirche ist inzwischen fast überall möglich. Aber: Sind wir uns als Kirchen näher gekommen? Das Gespräch der Kirchen untereinander, die Ökumene, ist zum Stillstand gekommen; und unsere eigene Kirche: Strahlen wir nicht oft eher aus, dass wir eine Verwaltung sind als eine Kirche für Menschen?

„Gott liebt euch über alles, Brüder und Schwestern, und hat euch auserwählt. Darum ist das Evangelium nicht nur als Wort zu euch gekommen, sondern auch als Wundermacht, als wunderbare Gabe des Heiligen Geistes, als feste Gewissheit“. Ich hoffe darauf und setze mich mit meiner Kraft dafür ein, dass wir nicht nur eine Kirche des Wortes sind, sondern eine Kirche der Tat, der Wundermacht des Heiligen Geistes, der festen Gewissheit, wie Paulus das ausdrückt: Dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln: Eindeutig, klar – auch wenn wir uns dadurch nicht immer Freunde machen. Schließlich sind wir die Nachfolger derer, denen Paulus schreibt: „Ihr habt bewiesen, dass die Botschaft wirklich bei euch angekommen ist, denn ihr habt einerseits dafür gelitten, andererseits aber auch aus der Freude Kraft geschöpft, die Gottes Geist schenkt. So seid ihr zum Vorbild geworden für alle Christen.“

Gastfreundschaft und Liebe für Fanatiker

„Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ Wenn ich heute das „christliche Europa“ vor meine Augen stelle, dann erscheinen zwei Bilder: 1. Die Festung Europa, die von fanatisierten Islamisten bedroht wird. 2. Die Verwaltung der EU, die Gelder verteilt und Bauern ruiniert. „Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ Er und seine Gastgeber waren damals in Saloniki angeklagt, sie würden die politische Ordnung durcheinander bringen. Würde er uns nicht ermuntern, die inhaltliche Auseinandersetzung mit Fanatikern zu suchen: Fanatikern in unseren Kirchen wie in anderen Kulturen und Religionen? „Denn alle Welt ist voll des Lobes darüber, wie bereitwillig ihr uns aufgenommen habt.“ Die Gemeinde in Saloniki war gastfreundlich und ist zum Vorbild für andere geworden. Auch wenn ich vom Gefühl her oft sage: „Werft diese Durchgeknallten raus und entzieht ihnen die Aufenthaltsgenehmigung.“, so zweifle ich doch daran, dass das der christliche Weg ist: Vorbilder sollen wir sein für andere, dem Hass anderer sollen wir Liebe entgegensetzen: „tatkräftiger Glaube, starke Liebe und geduldige Hoffnung, die sich in vielen schweren Zeiten bewährt hat, weil sie auf unseren Herrn Jesus Christus gegründet ist“ das zeichnete die Gemeinde in Saloniki aus. In schweren Zeiten unseres europäischen Christentums, unseres christlichen Europas, sollten wir uns dieses tatkräftigen Glaubens, dieser starken Liebe und der geduldigen Hoffung, die auf Jesus Christus gegründet ist, erinnern.

Das christliche Europa und die EU

„Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ Das zweite Bild, das mir vor Augen erscheint, ist diese Europäische Union: Die Verfassung ist gescheitert und ich danke heute noch den Niederländern und Franzosen, die zumindest die Chance hatten, darüber abzustimmen und deutlich gemacht haben: Es darf schon ein bisschen mehr Demokratie im künftigen Europa sein. Die Verantwortung für Europa darf nicht den Politikern und Verwaltungsbeamten in Brüssel überlassen werden. Denjenigen, die dafür Verantwortung tragen, dass Nahrungsmittel quer durch Europa gefahren werden, um Subventionen zu bekommen. Denjenigen, die die Landwirtschaftsindustrie unterstützen und die kleinen Bauern verschwinden sehen wollen. Ob Paulus nicht auch dagegen gepredigt hätte, wenn er schrieb, dass die ersten Christen seinem und Jesu Vorbild nachgeeifert haben? Auch wenn wir dann angeklagt werden, dass wir die politische Ordnung durcheinander bringen.

Mit tatkräftigem Glauben, starker Liebe und geduldiger Hoffnung die schweren Zeiten überwinden – und die Wurzeln dafür nicht vergessen

„Was würde Paulus heute zum christlichen Europa sagen?“ Ich denke, er würde uns heute so ermuntern, wie damals die Christen in Saloniki: Mit tatkräftigem Glauben, starker Liebe und geduldiger Hoffnung die schweren Zeiten zu überwinden – und die Wurzeln dafür nicht vergessen: Die Botschaft Jesu, die sich den Menschen zuwendet, nicht den Interessen der politisch Mächtigen oder menschenverachtender Fanatiker. Paulus würde uns ermuntern, dass wir Vorbilder für Europa sein können, auch wenn die Welt uns vorwirft, die politische Ordnung zu gefährden, wie es die Christen in Saloniki erfahren haben. Wenn wir Christen die europäische Mission des Paulus fortführen, dann in seiner und in der Hoffnung der Christen in Saloniki: Dass Jesus, der Sohn des wahren Gottes, wiederkommen wird und uns retten wird.

Gott schenke uns seine Liebe, Jesus seine Gemeinschaft und der Heilige Geist seine Begleitung dazu.

Amen.

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