Gottes Geist in unseren Herzen Raum geben
Christliches Handeln vollzieht sich als Antwort auf das Wirken des Gottesgeistes in seiner Gemeinde
Predigttext: Gal 5,25-26; 6,1-3.7-10 (eigene Übersetzung Michael Glöckner)
(5,25) Wenn wir im Geist leben, dann lasst uns auch dem Geist folgen! (26) Lasst uns nicht prahlerisch sein, einander nicht herausfordern und beneiden! (6,1) Liebe Geschwister, wenn ein Mensch bei einer Verfehlung ertappt wird, so sollt ihr, die Geistlichen, ihm zurechthelfen mit dem Geist der Sanftmut. Gib Acht auf dich selbst, damit du nicht auch in Versuchung gerätst! (2) Tragt gegenseitig die Lasten, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen! (3) Wenn einer meint, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, dann täuscht er sich selbst. […] (7)Lasst euch nicht in die Irre führen: Gott lässt sich nicht verhöhnen. Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten. (8)Wer auf sein [eigenes] Fleisch sät, wird aus dem Fleisch Vergänglichkeit ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird aus dem Geist ewiges Leben ernten. (9) Lasst uns aber Gutes tun und [darin] nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir den Mut nicht verlieren. Darum lasst uns – solange wir Zeit haben - an allen das Gute tun, am meisten aber an den im Glauben Verbundenen!Exegetica
1. H.D.BETZ hat in seinem 1988 erschienenen Kommentar zum Galaterbrief Kennzeichen griechisch-römischer Rhetorik und Epistolographie nachzuweisen versucht und ihn in die Tradition apologetischer Briefe eingeordnet (Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, 54ff.; vgl. U.SCHNELLE: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 31999,113). In der Makrostruktur des Briefes bildet damit Gal 5,1-6,10 den sechsten und vorletzten Abschnitt, die exhortatio (Ermahnung), der mit 6,11-18 nur noch die conclusio, der Briefschluss, folgt. Über Gründe für die Entscheidung der Herausgeber der Perikopenordnung, den Text um die dazugehörigen 6,4-6 zu reduzieren, kann nur spekuliert werden. Sinnfällig und dem Text angemessen ist sie m.E. nicht. 2. Der Abschnitt 5,26-6,10 ist als Konkretion der „Generalanweisung“ von 5,25 zu verstehen (J.BECKER, U.LUZ: Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser [NTD 8/1], Göttingen 1998,92). Was folgt, ist eine Paränese für die Empfänger des Briefes. Sie stehen unter der Generalanweisung, unser Text nennt sie „Geistliche“ pneumatikoi [6,1]). Sie sollen „die Christuswirklichkeit vollziehen“, welche sie bereits geworden sind (a.a.O., 92). Stand und Verhalten eines Christen sind kongruent, „[…] denn die Gabe des Geistes als neue Bestimmung des Menschen darf nicht mit seinen Lebensäußerungen im Zwiespalt stehen“ (a.a.O.). 3.1 Eigene Lasten und die der Anderen Eine in diesem Fall besondere Herausforderung ist die eigene Verfehlung, aber auch die der Anderen, konkretisiert als Ehrsucht, gegenseitige Herausforderung und Neid (5,26-6,3). Dabei handelt es sich um „typische Laster, die in christlicher und außerchristlicher Ethik gegeißelt werden“ (A.a.O.). Sie gehören zu den in 5,20f. erwähnten „acht gemeinschaftszerstörenden Werken des Fleisches“ und bilden so „den präzisen Gegensatz zum Liebesgebot“ (vgl. 5,14; a.a.O.). Damit gilt: Wer den Lasten (ta barae) einer Schwester/ eines Bruders im Glauben in geistlicher Hinsicht begegnet, ist gehalten, sie nicht nur zu er-tragen, vielmehr sie mit-zutragen (anders kann ich bastazo in 6,2 kaum verstehen, denn m.E. geht es hier um Hilfestellung und nicht um Stellvertretung). 3.2 Das Bild vom Säen und Ernten Die gesamte Paränese findet in 6,7f. eine eschatologische Deutung. Mit dem Einsatz „Lasst euch nicht in die Irre führen“ erinnert Paulus die Christen in Galatien an das, was ihnen hinlänglich bekannt ist, die Überlieferung. „Das Bild von Saat und Ernte dient allemal dazu, den unverbrüchlichen Zusammenhang aufzuweisen, der zwischen der ganzen „Haltung“ des Menschen und seinem ewigen Schicksal besteht.“ (W.STÄHLIN: Predigthilfen, Bd. II. Episteln, Kassel 1959,250). Es stammt aus der Weisheitsliteratur (Belege bei J.BECKER, U.LUTZ, 95) und setzt die Erfahrung voraus, dass der Ernteertrag eine unmittelbare Folge des gewählten Saatguts darstellt. Im weisheitlichen Weltbild trifft das Bild auch „auf das menschliche Handeln und seine Folgen zu“ (a.a.O.). Indem nun nicht mehr das Saatgut, sondern das Ackerland beschrieben wird, ist das bekannte Bild umgeformt. „Wer auf sein Fleisch sät, wird von diesem schlechten Ackerland nur Schlechtes, nämlich ewiges Verderben als Ertrag erzielen. Wer auf den Geist sät, wird ewiges Leben ernten.“ (a.a.O., vgl. Röm 6,20ff.) 3.3 „Tut das Gute“ Die an das Ende des Textabschnitts gestellte Mahnung, unter allen Umständen „das Gute“ (6,10) zu tun, erscheint in doppelter Blickrichtung: universal, in erster Linie jedoch „an des Glaubens Genossen“ (Luther). Bemerkenswert ist, dass nur an dieser Stelle die nichtchristliche Umwelt als Gegenstand christlicher Bemühung dargestellt wird.Das Proprium des Sonntags
Die Agende der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck benennt als Proprium des Gottesdienstes am 15. Sonntag nach Trinitatis das Geborgensein von Menschen bei Gott und dessen Konsequenz, dass Gottes Fürsorge „uns von der Sorge um uns selbst“ befreit (Agende I. Die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, hrsg. vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck auf Grund des Kirchengesetzes über die Agende I der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 24.November 1993 sowie des Zweiten Kirchengesetzes über die Einführung der Agende Band I der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 29.November 1995, Kassel 1996, 538). Das ist auch die Intention von Wochenspruch (1Petr 5,7), Evangelium (Mt 6,25-34) und Epistel, welcher der Wochenspruch entnommen ist (1Petr 5,5c-11). Ebenso sind die zur Auswahl gestellten Wochenlieder auf diesen Zusammenhang abgestimmt (Evangelisches Gesangbuch Nr 345 bzw. 369).Dogmatische und homiletische Schlussfolgerungen
1. Der vorliegende diffizile Textabschnitt ist in seiner Gesamtheit nur schwerlich zu behandeln. Es ist notwendig, entsprechend der jeweiligen Gemeindewirklichkeit Schwerpunkte zu setzen. Mir scheint es unmöglich, der Päränese in allen Einzelheiten gerecht zu werden, und es ist auch nicht erforderlich. In systematisch-theologischer Hinsicht finden wir uns mit Gal 5,25-6,10 im Bereich der Ethik. Christliches Handeln vollzieht sich als Antwort auf das Wirken des Gottesgeistes in seiner Gemeinde und ist somit „neuer Gehorsam“ des Glaubens, der „gute Früchte und gute Werke hervorbringen soll“ (CA VI) wie „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“, durch den uns „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem, Dienst an seinen Geschöpfen“ widerfährt (Barmen II). 2. Redet vorliegender Briefabschnitt lediglich paränetisch, so ist in der Predigt grundsätzlich der der Paränese vorausgehende Indikativ der Gnade Gottes zu berücksichtigen. M.E. eignet sich darum als Schriftlesung neben dem Wochenevangelium der Schöpfungsbericht des Jahwisten, der die Sorge Gottes um den Menschen (im status integritatis) beschreibt (2,4b-9, Predigttext der Reihe VI). 3. Mit Bezug auf den Indikativ der Gnade Gottes gilt es für die Predigt, den „neuen Gehorsam“ nachzuzeichnen: 3.1 im Blick auf den Umgang und das Miteinander in der Gemeinde (vgl. II.3.1: Die eigenen Lasten und die der Anderen), 3.2 durch die Brille der Zukunft (vgl. II.3.2: Das Bild vom Säen und Ernten) 3.3 und sogar über den (engen) Rahmen der Gemeinde hinaus (vgl. II.3.3 Appell)Wachsendes Vertrauen in die evangelische Kirche und die Gründe dafür
Laut einer auf mehr als 600.000 Umfragen basierenden Studie der Unternehmensberatung McKinsey genießt die evangelische Kirche bei der deutschen Bevölkerung wachsendes Vertrauen. Von den dazu befragten evangelischen Christen sagten 37 Prozent, sie vertrauten ihrer Kirche; das sind vier Prozent mehr als im Jahr 2002. 22 Prozent der Befragten insgesamt äußerten Zustimmung zum Erscheinungsbild der evangelischen Kirche und Interesse an den in ihr gelebten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens.
Das gibt Anlass nach den Gründen für dieses Vertrauen und die Zustimmung zu fragen. Sicherlich sind sie vielschichtig. Zum einen liegen sie wohl in der positiven öffentlichen Wahrnehmung der Institution Kirche in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Man denke an werbewirksame Kampagnen des Diakonischen Werkes im Großen wie im Kleinen, an die Aktion „Wenn Armut Mauern baut“, mit der in Deutschland bestehende soziale Not in das öffentliche Bewusstsein gebracht werden sollte. Vielleicht erinnert sich jemand an den Fußballgottesdienst anlässlich der Eröffnung der Weltmeisterschaft im Münchener Olympiastadion – auch zum Sport und dessen Umfeld hat sich unsere Kirche immer wieder geäußert. Nicht weit zurück – nämlich nur eine Woche – liegt die Kirmes, mit der Menschen in Fambach vier Tage lang gefeiert haben, dass unsere Kirche in dieser Gestalt seit fast 400 Jahren Christen zum Glauben einlädt.
Dieses große Vertrauen, das die evangelische Kirche in Deutschland genießt, ist aber erst in zweiter Hinsicht Ergebnis derartiger öffentlicher Inszenierungen. Zunächst und zumeist begründet es sich in der Wahrnehmung der Menschen vor Ort, die zu ihr gehören, der Christen selbst. Es scheint für viele – Christen wie Nichtchristen – mit der Kirche etwas der Welt gegenüberzustehen, eine Organisation, in der andere als die gewohnten Regeln und Verhältnisse gelten. Das war vom Beginn der nahezu 2000 Jahre lang währenden Geschichte der Kirche so, und diese hat eben das von den jüdischen Gemeinden, denen sie einen wesentlichen Teil ihrer Herkunft verdankt, übernommen.
Vertrauen und Anspruch
Mit dem Christen und Kirche entgegengebrachten Vertrauen ist nun in gleicher Weise ein Anspruch verbunden, der das Leben der Christen und den Zustand in den Gemeinden betrifft. Davon handelt das Predigtwort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christen in Galatien, einer kleinasiatischen Landschaft in der heutigen Türkei. Hören wir einen Abschnitt aus dem 5. und 6. Kapitel des Galaterbriefes:
(Lesung des Predigttextes)
„Einer trage des anderen Last“
Liebe Gemeinde, wie einer „des anderen Last“ tragen kann, davon handelt ein Film der DEFA, der am Ende der achtziger Jahre in der DDR unter gleichnamigem Titel ausgestrahlt wurde. Im Mittelpunkt steht ein junger evangelischer Pfarrer, der während eines Sanatoriumsaufenthaltes zur Heilung einer schweren Lungenkrankheit das Zimmer mit einem Polizisten gleichen Alters teilen muss. Auf dem engen Raum des kleinen Krankenzimmers prallen zwei scheinbar konträr gegenüberstehende Welten zusammen. Über dem einen Bett hängt das Bild Lenins, über dem des Anderen der Gekreuzigte; und beim morgendlichen Rasieren kann man ein Potpourri, bestehend aus der „Internationale“ und „Ein feste Burg ist unser Gott“ hören. Trotz ständiger Kontroversen erfahren die beiden jungen Männer, wie sehr sie in ihrer schwierigen Lage aufeinander angewiesen sind. Seinen Höhepunkt erreicht der Film, als der Pfarrer das für ihn über ein Schweizer Hilfswerk beschaffte Medikament an den Bettnachbarn weiterreicht, als dieser mit einem schweren Rückfall zu kämpfen hat.
„Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ – nicht nur die beiden jungen Männer, die im Sanatorium die Last einer Krankheit zu tragen hatten. Ein schönes Beispiel, wie eine Last geteilt leichter tragbar ist. Wie viele Paare wird es wohl geben, die sich genau dieses Wort als Leitspruch für ihre Ehe ausgewählt haben. Und es ist in der Tat eine gute Entscheidung, das gemeinsame Leben auch von dem gemeinsamen Tragen des Belastenden her zu verstehen. Oder wie oft spielt dieses Wort auf dem Friedhof eine Rolle, wenn es gilt, die Last des Todes miteinander zu tragen.
Vergessen wir dabei nicht, dass es zunächst und zumeist ein Anderer ist, der für uns diese Last getragen hat und trägt: Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene. Mit seinem Kreuz hat er die Last getragen, für die wir Menschen zu schwach wären, die wir alleine gar nicht tragen könnten: die Last der Schuld, die Menschen auf sich laden – wie oft führt sie uns zur Ausweglosigkeit?! Die Last von Leid und Krankheit – wie oft drückt sie uns nieder?! Die Last des Todes – wie schwer trifft sie uns?! Bevor wir sie tragen können und tragen sollen, ist es der gekreuzigte Christus, der diese schwere Last für uns getragen hat, damit sie für uns leichter tragbar würde – dass wir sie überhaupt tragen und ertragen könnten. In der Notenlehre der Musiktheorie entscheiden ein oder mehrere Vorzeichen darüber, in welcher Tonart das niedergeschriebene Stück zu musizieren ist. So ähnlich können wir auch das Kreuz als Vorzeichen für das, was wir tun und wie wir leben sollen, verstehen. Denn es ist zuerst Gott, der uns gerettet hat und dessen rettende Nähe uns stets und ständig begleitet. Erst darauf folgen Regeln, die unser Zusammenleben gestalten sollen.
Aus unserem Briefabschnitt möchte ich zwei dieser Anweisungen herausgreifen und danach suchen, wie sich ein Leben mit dieser Orientierung ausfüllen lässt. Sie bilden gewissermaßen den Rahmen um unseren Predigttext:
1. „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln!“ (5,25)
2. „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen!“ (6,10)
„Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln“
An dieser Stelle liegt genau der Schlüssel zu dem, was das Christsein auch nach außen hin so attraktiv erscheinen lässt. Hier ist ein wesentlicher Grund für das Vertrauen in die Kirche zu finden: Wir Christen sind Menschen, die aus Gottes Geist leben und darin Orientierung finden. Es ist darum eine gute Tradition der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, dass wir jeden unserer Gottesdienste mit der Bitte um den Heiligen Geist beginnen: „Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen und entzünd in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe, […].“ (EG 156) Denn daran orientiert sich der Gottesdienst; und es macht diesen erst dazu, dass Gottes Geist unter uns lebendig wird. Das bitten wir am Sonntag für die Zeit des Gottesdienstes und darüber hinaus, für die Woche, die vor uns liegt. Denn es ist in der Tat entscheidend, ob es irgendeiner der vielen Ungeister ist, die an uns und der Welt ihr Unwesen zu treiben suchen, oder der Geist Gottes, der einen Menschen prägt, formt und gestaltet.
So haben wir als Christen zu Pfingsten bei unserem Landeskirchentag in Gelnhausen gezeigt, „wes Geistes Kinder“ wir sind. Mehr als 20.000 Menschen, die sich von Gottes Geist bewegt fühlen, waren dabei und feierten in den Kirchen und auf den Straßen, dass Gottes Geist Menschen zusammenführt. Im nächsten Jahr werden wir in Schmalkalden eine christliche Grundschule eröffnen und Schülerinnen und Schülern zeigen, was uns als Christen, als den von Geist Gottes Bewegten, wichtig ist. Freilich gehört es zu dem Kennzeichen des Gottesgeistes, dass er sich nicht grundsätzlich binden lässt, dass er nicht immer da ist, wo wir ihn gerne hätten. Er ist dort, „[…] wo er will“, und wir können ihn nicht fassen (Joh 3,8).
Dennoch gibt es Anzeichen, wo wir nach dem Geist suchen können. Dazu hilft uns ein kleines Bekenntnis, ebenfalls aus der Bibel, nämlich aus dem 2. Timotheusbrief: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (1,7) Kraft, Liebe und Besonnenheit sind Zeichen, wo dieser Geist zu finden ist. In dem Geist leben, der Kraft, Liebe und Besonnenheit auch in uns antreibt, heißt mit der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit dieses Geistes meinen Umgang, meine Mitmenschlichkeit auszufüllen.
„Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“
Mit der zweiten Orientierung, über die wir an dieser Stelle nachzudenken haben, endet unser Bibelabschnitt. Wer in einem Brief eine wichtige Botschaft in vielen Einzelheiten erklären und detailliert ausführen will, setzt meistens ein Postskriptum darunter. In der Regel wird hier in einem fett gedruckten Satz noch einmal zusammengefasst, worin das Hauptanliegen des Schreibens besteht. So können wir die zweite Orientierung als eine Art Postskriptum lesen: „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen!“
„Lasst uns Gutes tun an jedermann, […].“ Schön, dass wir uns hier erst einmal noch nicht ausschließlich mit uns selbst befassen. Schön, dass hier der Raum geöffnet wird! Verlassen wir die innerkirchliche Binnenperspektive und suchen danach, wie wir Gutes tun können an jedermann, wie Paulus es fordert. Freilich enthält diese Aufforderung eine Zumutung, und es ist immer leichter, bei sich selber zu bleiben, sich selbst und die eigenen Beziehungen gründlich zu pflegen.
Jesus und die, die ihm nachfolgten, hat da eine andere Perspektive gezeigt. Wer im Sinne und in der Nachfolge Jesu Gutes tun will, muss auch seine Feinde lieben und für die bitten, die ihn verfolgen. (Mt 5,44) Wer im Sinne und in der Nachfolge Jesu Gutes tun will, muss sein Leben um des Evangeliums willen verlieren. (Mk 8,35) „Lasst uns Gutes tun an jedermann […]“ beinhaltet dieses alles auch.
Nun könnte einer fragen: „Wie soll das alles gehen? Wie kann ich das alles tun – die Feinde lieben und mein Leben für das Reich Gottes hingeben?“ Ich würde ihm so antworten: „Es fängt damit an, dass wir versuchen, Jesus nachzufolgen“. Und dann würde ich ihn auf den Geist hinweisen, der uns gegeben ist: den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Nun finden aber die im Glauben Verbundenen – Luther redet von „Glaubensgenossen“ – eine besondere Erwähnung. „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Mit ihnen sind wir durch den Geist Gottes verbunden.
Unser Glaube lebt davon, dass er – entgegen vielfach vorgetragener Äußerungen eben keine Privatangelegenheit ist, sondern in die Gemeinde führt. „Wir glauben all an einen Gott, […]“ (EG 183,1) Mein Glaube ist nicht der Glaube, den nur ich habe und niemand anders, sondern der mich verbindet – mit den Christen vor mir wie denen, die folgen „[…] bis an der Welt Ende“. (Mt 28,20). Ihnen allen sind wir verbunden, denn wir glauben an einen Gott, hoffen auf einen Herrn und sind durch einen Geist getrieben. Besonders aufgefallen ist mir diese Gemeinschaft bei dem Besuch eines Gottesdienstes während unseres letzten Sommerurlaubs in Portugal. Weder meine Frau noch ich selbst sind der portugiesischen Sprache mächtig, und dennoch konnten wir erleben und erfahren, wie sehr wir mit den Christen dort durch den Geist Gottes verbunden gewesen sind. So sind wir als Christen auf der gesamten Welt im Glauben verbunden. Dass es für uns immer wieder aufs Neue erfahrbar wird, und dass wir immer wieder Mittel und Wege finden, Gottes Geist in unseren Herzen Raum zu geben, das wünsche ich uns allen.
Amen.