Für vieles Gute haben wir heute zu danken
Der Dank gegenüber Gott bewahrt uns davor, das Gute zu unserem und anderer Schaden zu missbrauchen
Predigttext: 1.Timotheus 4,4-5 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.Vorbemerkungen
Der kurze Textabschnitt, der unseren Predigttext bildet, ist ein Ausschnitt aus dem 1. Timotheusbrief, einem der sogenannten Pastoralbriefe. Er ist wahrscheinlich nicht an eine spezielle Gemeinde gerichtet, enthält er doch eine regelrechte „Kirchenordnung“, die grundsätzlich in allen Gemeinden gelten soll (H. Conzelmann, A. Lindemann: „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“, Tübingen 1988, S.262). Der Brief kämpft an verschiedenen Stellen – so auch in unserem Predigttext – gegen Irrlehrer, deren Position nicht recht erkennbar wird. Sie fordern u.a., die Ehe zu verbieten und nicht näher bezeichnete Speisen zu meiden. Hiergegen wendet sich der Verfasser des Timotheusbriefes(wohl nicht Paulus) mit den beiden Versen des Predigttextes: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird (s.a. Werkstatt für Liturgie und Predigt, Oktober 2006, S.297). Unsere Gemeinde ist immer noch eine ländliche Gemeinde. Einige wenige Landwirtsfamilien betreiben nach wie vor Vollerwerbshöfe. Außer den Erdbeeren ist es vor allem der Tabakanbau, der ihr Einkommen sichert. Seit mehr als 200 Jahren prägt der Tabakanbau die Landwirtschaft entscheidend mit. Durch den Abbau der Subventionen für die heimische Tabakernte ist die Zukunft dieses Produktes mehr als gefährdet, es wird wohl in absehbarer Zeit keine Tabakbauern mehr geben. Vor diesem Hintergrund, der sicheren Erwartungen, dass sie keine Hofnachfolger haben und ihr Land in nicht zu ferner Zukunft von einem Großbauern der Umgebung bewirtschaftet werden wird, lässt unsere Landwirte das Erntedankfest nicht unbefangen feiern. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Gilt das auch für den Tabak, der gesundheitsschädlich ist? Nicht religiöse, sondern (auch schon manchmal pseudoreligiös überfrachtet!) gesundheitliche Gründe sind es, die den Genuss mancher Dinge verwerflich erscheinen lässt. Hier gibt es Verbindungen zwischen den Gemeinden, die unser Verfasser im Blick hat, und unserem Lebensstil heute.Liebe Gemeinde!
Ist alles gut, was Gott geschaffen hat?
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Der Blick auf die Stufen zum Altar macht uns die Güte sichtbar, mit der uns Gott in seiner Schöpfung begegnet. Das köstliche Gemüse lässt die eine oder den anderen unter uns im Kopf vielleicht schon ein feines Gericht kreieren. Die Kartoffeln erinnern uns daran, dass es diese braune und manchmal schrumpelige Knolle war, die schon unzählige Menschen vor dem Verhungern gerettet hat. Und die leuchtend roten Kürbisse lassen sich nicht nur zu den unterschiedlichsten Genüssen verwenden, sondern dienen auch noch als Dekoration und natürlich – zur Freude der Kinder – als gruseliges Nachtlicht!
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Doch halt – da liegen ja auch wieder die Steine des Anstoßes. Tabakblätter! Ich weiß noch gut, wie ich bei meinem ersten Erntedankfest hier in unserer Kirche gestaunt habe, sie hier zu sehen: Tabakblätter. Aber wie könnten sie denn auch fehlen? Der Tabak wächst ja nun mal hier und ist für die Landwirte unter uns eben auch die wichtigste Pflanze. Denn bei den ständig sinkenden Preisen für landwirtschaftliche Produkte garantieren die Sonderkulturen ein einigermaßen gesichertes Einkommen. Aber der verschärfte Kampf gegen das Rauchen zeigt nun auch diese Folgen: Der Abbau der Subventionen für den heimischen Tabakanbau bedeutet das Ende dieser Besonderheit unserer Region.
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Der Verfasser des Timotheusbriefes hatte sicherlich nicht den Tabak im Sinn, als er sich mit diesen Worten gegen den Einfluss von Menschen in den Gemeinden wehrte, die bestimmte Speisen als für die Christen ungenießbar verbieten wollten. Der Schreiber, der sich Paulus nennt, sagt nicht, um welche Speisen es sich dabei handelte. Aber das ist auch nicht so wichtig. Denn es geht darum, dass hier der Genuss bestimmter Dinge – übrigens auch der Ehe! – für Christen verboten sein sollen. Dagegen verwahrt sich unser Briefschreiber und setzt dieser Irrlehre entgegen: wie kann etwas schlecht sein, was doch aus Gottes Hand kommt? Was wir mit Dank von ihm empfangen, tut uns gut!
Jetzt könnten die Konfirmandinnen und Konfirmanden denken: Hey, toll, unsere Pfarrerin hat gesagt, wenn wir vor dem Rauchen Gott danken, dann ist das ok, denn Gott lässt schließlich den Tabak wachsen! Bitte sagt so etwas nicht Euren Eltern! Denn dann hättet ihr mich wirklich missverstanden. Aber prinzipiell gilt es eben doch: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut! Das gilt für Kartoffeln, Blumenkohl und Salbei, aber auch für Tabak. Das gilt für Hühner, Wildschweine und Sardinen, aber auch für Ratten (nur bei den Zecken könnte Gott sich vielleicht geirrt haben…). Das gilt für den besten Freund, die geliebte Ehefrau und das lang ersehnte Enkelkind, aber auch für die schrullige Schwiegermutter. Und es gilt für Sie und für mich. Gott sei Dank!
Wofür kann ich danken?
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“ Mit dieser Feststellung haben wir einen guten Grund, auf dem wir stehen und unser Leben gestalten können. Freudig genießend, was uns zuteil wird. Und doch – dieser Satz ist eben nur der erste Teil der Wahrheit, die ohne den zweiten Teil nicht vollständig ist. Denn weiter geht unser Satz: Und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird. Aus allem Guten können wir etwas Schlechtes machen. Das gilt nicht nur für den Tabak. Wenn ich einen schönen Abend genieße mit einem tollen Essen und netten Leuten, vielleicht sogar noch an einem besonderen Ort, dann kann ich Gott von Herzen danken, dass ich ganz genüsslich eine Zigarette rauchen kann, wenn mir jemand eine anbietet. Aber kann ich ihm danken, wenn ich Tag für Tag mit zwanzig Zigaretten meine Lunge schädige und meine Mitwelt dazu? Diese wunderbaren Kartoffeln hier vorne sind wirklich ein Grund zum Danken – aber wenn ich sie meinem Kind in Form von Kartoffelchips an Stelle des Abendessens vor dem Fernseher serviere, bleibt mir nicht da der Dank im Halse stecken?
Nicht anders geht es mit den Weintrauben, die ja auch zu unserer Region gehören wir der Tabak. Sie sind eine wunderbare Gabe Gottes, die wir dankbar genießen dürfen. Aber das Unglück, das die Alkoholsucht über so viele Menschen und Familien bringt, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“
Viele Gesetze und Regelungen zu unserer Maßregelung und unserem Schutze wären völlig überflüssig, wenn wir dieses Kriterium anwenden würden bei allem, was wir tun: kann ich dafür Gott danken? Kann ich es in seinem Angesicht tun? Oder verkehre ich mit meinem Verhalten etwas, was von Gott gut geschaffen wurde, in sein Gegenteil? Gott schenkt uns Gutes. Der Dank an ihn bewahrt uns davor, dieses Gute zu unserem und anderer Schaden zu missbrauchen.
Dank an Gott verändert meine Haltung gegenüber der Welt
Für vieles Gute haben wir heute zu danken. Die Erntegaben, die die Menschen aus unserem Dorf für diesen Gottesdienst in unsere Kirche gebracht haben, machen uns das anschaulich. Das tägliche Brot und weit darüber hinaus sehen wir in ihnen. Aber auch das warme Zuhause, die schicke Kleidung, den letzten Urlaub und vieles mehr, was uns das Leben schön macht. Und dazu gehören auch Freundschaft und Liebe, die wir erfahren, Geborgenheit und Zuwendung. Was wir mit Danksagung empfangen dürfen, ist für viele Menschen dieser Welt ein ferner, unerreichbarer Traum. Das lässt mich auf der einen Seite um so dankbarer blicken auf mein Leben. Noch tiefer empfinden das Gefühl des Beschenktseins. Auf der anderen Seite lässt es mich fragen: Muss mir nicht auch beim Blick auf mein Leben der Dank in mancher Hinsicht im Halse stecken bleiben? Wenn ich darum weiß, dass meine Kleidung von Frauen in armen Ländern hergestellt wurde, die unter unwürdigen Bedingungen billig arbeiten müssen? Dass mein Kaffee von Kindern gepflückt wird, die keine Zeit haben zu lernen und ihr Leben auch nur annähernd so gestalten können, wie es meine Kinder tun?
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ Wir leben in Zusammenhängen, die wir manchmal nur schwer durchschauen. Keiner von uns will, dass Kinder für unseren Wohlstand schuften und leiden. Wir erschrecken, wenn wir im Fernsehen sehen, wie Menschen in Afrika durch den Giftmüll aus den Industrieländern krank werden.
Als Christen vertrauen wir aber darauf, dass wir durch das Hören auf das Wort Gottes und durch das Gebet sehr wohl unsere Welt verändern können. Der Eine-Welt-Verkauf, der nach dem Gottesdienst wieder angeboten wird, ist aus diesem Fragen nach Gottes Willen für unser Leben entstanden. Er ist nur ein kleiner Tropfen, aber der stete Tropfen höhlt bekanntlich den Stein.
Der Dank, wie wir ihn heute am Erntedankfest Gott gegenüber ganz besonders zum Ausdruck bringen verändert unsere Haltung der Welt gegenüber. Wo ich dankbar bin für das viele Gute, das mir zuteil wird, da nehme ich diejenigen wahr, die viel von diesem Guten entbehren müssen. Da frage ich danach, wie mir dieses Gute zuteil wird, und ob diese Weise Gottes Willen entspricht. Da schaue ich genauer hin, ob ich mit meinem Verhalten Gutes gut sein lasse oder in sein Gegenteil verkehre.
„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ Danken wir Gott dafür, dass er nicht aufhört, uns Gutes zu schenken und anzuvertrauen. Leben wir so, dass dieses Gute nicht zum Schlechten wird. Lassen wir das Wort Gottes und das Gebet so in uns wirken, dass jeder einzelne Mensch auf dieser Welt in den Genuss dessen kommt, was Gott uns gibt. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.