Das unsichtbare Band
Verschiedene Ebenen der Kommunikation
Predigttext: Jakobus 5,13-16(17,18), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984
13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. (17 Elia war ein schwacher Mensch wie wir; und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. 18 Und er betete abermals, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht.)Zum Jakobusbrief
Ein persönliches Wort
Bei jeder Vorbereitung auf eine Predigt anhand einer Perikope (eines „Abschnittes“ aus einem größeren Ganzen) treibt es mich, den gesamten Zusammenhang zu lesen, aus dem der Predigttext „herausgeschnitten“ ist. Vielleicht, so hoffe ich, erschließt sich mir die Perikope besser, finde ich Verbindungslinien zur vorangehenden und nachfolgenden „Gedankenwelt“. So erging es mir auch mit dem Jakobusbrief, jedoch in besonderer Weise, da dieser Brief seit meinem Studium eher außerhalb meines Blickfeldes lag und auch für die Vorbereitung auf die Bibelkundeprüfung nicht gefragt war. Grund dafür war Martin Luthers Rede von der „strohernen Epistel“, sie versperrte mir lange den Zugang zu diesem Schriftstück. Erst im Zusammenhang meiner Predigtvorbereitung – ich habe mich stets mit ganz wenigen Ausnahmen, die kasuell bedingt waren, auf die jeweilige Perikope eingelassen, um nicht ständig der „Qual der Wahl“ ausgesetzt zu sein –war ich herausgefordert, mich mit dem Jakobusbrief auseinanderzusetzen. Hatte Martin Luther den Jakobusbrief noch als „stroherne Epistel“ bezeichnet, so kann diese Qualifizierung heute nicht mehr aufrecht erhalten werden. Oder es gilt festzustellen, dass die biblischen Schriften nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise Gehör finden, sie können warten, bis die Zeit kommt, in der sie neu gehört werden.Zu Einordnung, Verfasser- und Adressatenfrage, Ort der Abfassung und Inhalt des Briefes
Der Jakobusbrief gehört zusammen mit den beiden Petrusbriefen und den drei Johannesbriefen zu den sog. „katholischen“ Briefen, die sich an alle christlichen Gemeinden wenden (1,1„an die zwölf Stämme in der Zerstreuung“). Die Verfasserfrage ist umstritten. Als Verfasser wird Jakobus genannt, der als „ein Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ vorgestellt wird (1,1). Ist mit Jakobus der Bruder Jesu gemeint (dann könnte der Brief in die Mitte des 1.Jh.s v. Chr. datieren, also noch vor den Paulusbriefen geschrieben sein) oder ist der Autor ein uns nicht näher bekannter urchristlicher Lehrer? Die Annahme, dass der Brief z.B. in Alexandrien abgefasst wurde, sowie die Spätdatierung gegen Ende des 1.Jh. n.Chr. gehen beide von dem pseudepigraphischen Charakter des Briefes aus. Schauen wir zunächst auf den Inhalt des Briefes. Deutlich ist die ethisch-paränetische Ausrichtung. Als Hauptthema höre ich die Bewährung des Glaubens, die Geduld wirkt, in einer Gemeindesituation, in der Glaube und Werke, das Hören des Wortes Gottes und das Handeln danach, auseinanderklaffen. Da gibt man zwar vor zu glauben, aber die Art und Weise des Umgangs miteinander spricht eine andere Sprache. Da gibt es die sozialen Rangunterschiede zwischen Reichen und Armen, die Reichen stehen oben an, bekommen den besten Platz, und der Arme sitzt unten. Aber vor Gott gilt kein Ansehen der Person. Gott will, dass in der Gemeinde ein liebevoller Umgang gepflegt wird, der von Barmherzigkeit und vom Gesetz der Freiheit bestimmt ist. Glaube und Leben gehören zusammen, so wird betont, „der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist tot in sich selber“ (2,17). Pointiert heißt es, „dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein“ (2,24). Diese Hervorhebung muss nicht gegen eine missverstandene paulinische Theologie gerichtet sein, sie lässt sich auch vorpaulinisch als Paränese für Neugetaufte verstehen. Schlimm, wenn „aus e i n e m Mund Loben und Fluchen kommt“ (3,10), so soll es bei den Neugetauften nicht sein. Gerühmt wird in dem Brief die Weisheit, die sich im gerechten Umgang mit dem Nächsten zeigt und dem „bittern Neid und Streit in eurem Herzen“ (3,13f.) absagt. „Die Weisheit von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“ (3,17f.). Die Bewährung des Glaubens wirkt Geduld (1,2-4; 5,7-12).Versuch einer Gliederung des Briefes
1,1 Präskript 1,2-12 Aufruf, den Glauben zu bewähren und die Anfechtung zu erdulden; der Zweifelnde und Angefochtene soll Gott um Weisheit bitten. Ein niederstehender Mensch (ein Armer) ist nicht weniger als ein hochstehender Mensch (ein Reicher), auch der Reiche welkt hin wie eine Blume. 1,13-18 Reflexion über den Ursprung der Versuchung: Sie kommt nicht von Gott, sondern aus dem Menschen selber, aus „seiner eigenen Begierde“. Von Gott kommt alle gute und vollkommene Gabe. 1,19-27 Glaube und Leben, Hören und entsprechendes Tun, gehören zusammen: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein“, darin besteht „das vollkommene Gesetzt der Freiheit“. V.26 Aufruf, die Zunge im Zaum zu halten, d.h. darauf zu achten, was man sagt. V.27 Der reine und unbefleckte Gottesdienst: „die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich selbst von der Welt unbefleckt halten“. 2,1-13 Den Menschen nicht nach seiner sozialen Stellung beurteilen, weil vor Gott kein Ansehen der Person gilt. Die Bevorzugung z.B. einer reichen Person passt nicht zu dem Liebesgebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Das eine Gebot ist nicht weniger wichtig als das andere; man kann nicht das eine tun und das andere vernachlässigen. An die Adresse der Reichen: Es gibt Arme, die aber im Glauben reich sind. 2,14-26 Hier wird das Thema Glaube und Werke, das schon in 1,19-27 eingeführt wurde, nocheinmal aufgenommen und kritisch gegenüber einer bestimmten Frömmigkeitshaltung und in deutlicher Auseinandersetzung mit einer falsch verstandenen paulinischen Theologie (für Paulus bildeten das neue Sein in Christus und das daran orientierte Leben im Alltag der Welt eine unzertrennbare Einheit!) betont, „dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein“. 3,1-12 greift auf 1,26 zurück, den Aufruf, seine Zunge im Zaum zu halten, und führt aus, was für eine gefährliche und zerstörende Macht die Zunge ist. Die Gemeindeglieder werden zum achtsamen Umgang mit dem Wort aufgerufen. Ihnen wird der Widerspruch und die Perversion vor Augen gehalten, wie er 3,10 formuliert und auf den Punkt gebracht ist: „Aus e i n e m Munde kommt Loben und Fluchen“. 3,13-18 Aufruf zum „weisen“ Lebenswandel, der Neid und Streit meidet und um einen Frieden stiftenden und gütigen Umgang bemüht ist. 4,1-12 Reflexion über den Ursprung des Streits (vgl. Thema Versuchung 1,13-18): Er ist im Menschen selbst zu suchen, wie es auch schon 1,13-18 für den Ursprung der Versuchung erklärt hat. Die Demut vor Gott hilft, einander gerecht zu werden, indem kein Mensch den anderen verurteilt. 4,13-17 Unsere Zeit in Gottes Händen – Warnung vor Übermut und Aufruf zu einem Leben sub specie „Deo volente“ (4,15). In einer solchen Haltung hat das Rühmen keinen Platz, es ist böse (4,16). „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tuts nicht, dem ist’s Sünde.“ (4,17) 5,1-6 (Prophetische) Klage gegen die Reichen, die sich unsozial verhalten, den Gerechten verurteilt und getötet haben. 5,7-12 Hier wird nocheinmal das Thema Geduld (vgl. 1,2-4) aufgegriffen und durch ein Gleichnis vom geduldig wartenden Bauern und den Hinweis auf die Geduld Hiobs veranschaulicht und bekräftigt. V.12 wendet sich gegen das Schwören, stattdessen wird auf die Bergpredigt zurückgegriffen: „Eure Rede sei jeweils ja und jeweils nein“. 5,13-18 Ermutigung zum Beten: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“ (5,16). Hinweis auf Elia, er „war ein schwacher Mensch wie wir“, aber sein Gebet hatte starke Wirkung, dass es nach dreieinhalb Jahren wieder regnete. 5,19f. Ermutigung, den/die irrende/n Bruder/Schwester zu bekehren. Die Bekehrung des Sünders errettet die Seele des Bekehrenden vom Tode.Zur Predigt über Texte des Jakobusbriefes
Predigten über Perikopen des Jakobusbriefes stehen wie alle ethisch-paränetischen Bibeltexte in der Gefahr, Moral zu predigen, statt aus der neuen Perspektive des Evangeliums Wege des im Lebensalltag wirksamen Glaubens aufzuzeigen. Jakobus betont, dass der Glaube in der Liebe und Geduld Gestalt gewinnt und sich so in der verschiedenen Lebenssituationen bewährt. Unser Predigttext, Jakobus 5,13-16(17-18), liest sich wie eine Anleitung zum Gebet, sehr lebensnah und lebenspraktisch. Im Gottesdienst möchte ich in Anlehnung an V.14 den Ritus der Salbung mit Öl aufgreifen und gestalten.Literatur
zu den Einleitungsfragen: Gerne informiere ich mich z.Zt. anhand der „Einleitung in das Neue Testament“ von U. Schnelle (Göttingen).Liebe Gemeinde!
„Wie oft habe ich schon gebetet…“
„Ermutigung zum Beten“ – so könnte die Überschrift zu unserem Predigttext aus dem Jakobusbrief lauten. Beten? Ich kann nicht (mehr) beten, so möchte vielleicht jemand einwenden. Zu viel Schweres habe ich erlebt. Wie oft habe ich schon gebetet, aber da war kein Gott, der mich hörte und mir half. – Ist Beten also nur etwas für Glaubensstarke und nichts für Zweifelnde, die sich hin- und hergerissen fühlen?
Meint Jakobus nur ein Beten in bestimmten Lebenssituationen? Ein oberflächliches Hören seiner Ausführungen kann zu dieser Schlussfolgerung gelangen. Aber Beten – daran lässt Jakobus gar keinen Zweifel – ist eine umfassende Grundhaltung des glaubenden Menschen. Es ist allezeit und überall möglich. Es ist eine Weise der Kommunikation, so etwas wie ein Gespräch des Herzens, eine Suche nach der Mitte unseres Lebens, ein Sprechen mit Gott – mit und ohne Worte, ein Sich-Aussprechen vor dem Ewigen. Wie ein erster Schritt der Selbsterkenntnis, um zu erfahren, was mit mir oder in mir geschehen ist, und um in solcher Selbsterfahrung sich zu öffnen und weitergehen zu können. Beten bedeutet in diesem Sinn auch klagen und weinen („Sammle meine Tränen in deinen Krug…“ Psalm 56,9).
Beten, aber wie?
Jakobus lenkt unsere Aufmerksamkeit auf drei Arten des Gebetes: Das Bitten, das Danken und das Beten für andere. In dieser Vielfalt des Betens zeigt sich gleichsam unsere Lebenswirklichkeit mit den Lebenssituationen, in welchen der Kontakt zu Gott besonders wichtig ist. Beispielhaft und hilfreich sind hier die Psalmen
Die Gefahr, dass unser Beten in einem leeren Ritual erstarrt, ist groß. Ich denke an das Vaterunser („das Gebet, das die Welt umspannt“, Helmut Thielicke), das, weil so oft gesprochen, leicht zu einem „Geplapper“ werden kann. Und die Körperhaltung beim Beten? Wir kennen gewöhnlich nur eine einzige, in der wir danken, klagen oder bitten. Es ist die Haltung mit gefalteten Händen – mit dieser Geste traten im Mittelalter die Knechte und Mägde vor ihren Herrn, wenn sie ihn um etwas bitten wollten.
Findet unsere Leiblichkeit im Gebet nicht viel zu wenig Ausdruck? Gefaltete Hände passen eher zur Bitte als zum Gotteslob und zur Stimmung der Freude. Anders eine Haltung wie diese (ich hebe die Arme hoch und spreche:) Danket GOTT, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich. Oder eine Geste des Empfangens (ich öffne die Hände vor mir und spreche:) Ausgang und Eingang, Anfang und Ende liegen bei Dir, Gott, füll Du uns die Hände.
Es gibt Beispiele des Gebetes in der Bibel: Denken wir an Hanna, die die Mutter Samuels wurde, wie sie im Tempel weinte. Weinen vor Gott, das war ihr Gebet. Schauen wir auf den leidgeprüften Hiob, wie er Gott sein Leid klagte, wie er sogar den Tag seiner Geburt verfluchte. Sein Klagen war sein Gebet. Oder erinnern wir uns an Propheten Elia, wie er vor Gott in tiefste Resignation versank. Sein Seufzer „Ich habe genug“ war sein Gebet.
Beten im biblischen Sinn ermutigt, meine Lebenssituation vor Gott zu bringen. Das ist es, was im Gottesdienst geschehen möchte: Vor Gott mit und ohne Worte zum Ausdruck bringen, wie es uns geht, uns ums Herz ist. Das ritualisierte Gebet wird als Hilfe angeboten, mein Herz, mein Innerstes muss ich selbst dazugeben.
Auch die Lieder und Musik im Gottesdienst sind Gebete. „Doppelt betet, wer singt“, hat Martin Luther gesagt. Tanz als Gebet ist uns immer noch etwas fremd, aber sehr ausdrucksstark in seiner Möglichkeit, sich in das Beten hineinzubegeben. Beten kann bedeuten: sich intensiv für etwas einsetzen, wie es Jesus im Gleichnis von der fordernden Witwe veranschaulichte; immer wieder klagt sie ihr Recht vor dem ungerechten Richter ein. Nicht nachlassen, die Hoffnung nicht aufgeben, mit Gott im Gespräch bleiben, mit ihm ringen, diskutieren und argumentieren, manchmal wird das Gebet zu solch großer Herausforderung. Der evangelische Theologe Karl Barth versteht das Gebet als „die intimste und kräftigste Form der christlichen Tat“ (KD III/3, S.300).
Für die große ökumenische Bewegung des Weltgebetstags, den jährlich Frauen verschiedener Konfessionen auf der ganzen Welt ausrichten, gilt der Grundsatz: „Informiert beten und betend handeln“. Wichtig für diese älteste weltweite ökumenische Bewegung ist, mit anderen zu beten. Damit ist noch etwas anderes gemeint als für jemanden beten, es ist Ausdruck tiefster Solidarität und des Willens, mit dazu beizutragen, dass Not überwunden und das Leben gut wird.
Beten möchte eingeübt sein. Damit ist nicht gemeint, schöne und beeindruckende Worte zu finden, sondern dass es gut ist, wenn ich eine Hilfe für mein Gebet, ein Gerüst habe. Darum baten die Jünger Jesus: „Herr, lehre uns beten!“
Es ist gut, sich an gelernte Gebete zu erinnern und sich in Gebetsrituale hineinnehmen zu lassen
Es gibt Geschehnisse im Leben, die so bedrängend werden können, dass nur ein erlerntes Gebet, ein Wort aus der Bibel oder eine Liedstrophe uns durch die Sekunden oder Tage retten können; an der Schwelle zwischen Leben und Tod, bei Entscheidungen, welche unsere Existenz beeinflussen oder wenn eine Bedrohung vor Augen steht. Gut, wenn wir uns dann an etwas Gelerntes erinnern.
Jakobus schreibt: „Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten…“
Wie ist das nun mit unseren eigenen Gebetserfahrungen? Wie ist das bei uns, wenn jemand krank ist? Ruft vielleicht der kranke Mensch die Ältesten der Gemeinde zu sich, damit sie über ihm beten und ihn mit Öl salben? Unsere katholischen Schwestern und Brüder kennen die Krankensalbung so, wie sie Jakobus benennt. Hören wir dazu ein Gebet:
„In meinen Händen die gütige Hand Gottes! In meiner Nähe die heilende Nähe Gottes! In meiner Zuwendung die lebendige Zuwendung Gottes! Gott, sei diesem Kranken nahe und richte ihn auf in Hoffnung und Kraft“. (A. Rotzetter)
Die Geste der Berührung kann das, was ich mit Worten ausdrücken will, verstärken, mit der Seele erfahrbar machen. Ein Kind, das sich wehgetan hat, muss ich in den Arm nehmen, um es Heilung spüren zu lassen.
Gut, dass andere für mich beten
Das Fürbittengebet hat in jedem Gottesdienst seinen festen und unaufgebbaren Platz (wie in der persönlichen praxis pietatis). Menschen, die in Not sind, so hoffen wir, werden die Kraft unserer Fürbitten spüren. Die Fürbitte anderer Menschen wiederum trägt mich. Zu wissen, dass andere an mich denken und für mich beten, stärkt mich. Ohne das Gebet mit- und füreinander verkümmern wir, verkümmert auch die Gemeinde. Es verbindet uns mit Gott. Und miteinander. Für andere beten bewahrt mich vor einer Konzentration nur auf mich selbst, weitet meinen Horizont; ich nehme Anteil am Geschick des anderen Menschen, der mein Nächster ist; er braucht meine Hilfe und besonders Gottes Hilfe. Oft geht den Fürbitten der Dank voraus: für die guten Zeiten unseres Lebens und für alle Hilfe in schweren Zeiten.
Schon mit den jungen Gemeinden damals teilen wir die oft bedrängende Frage, ob denn unser Gebet Erhörung findet. Da haben wir für einen Menschen in schwerer Krankheit um Genesung gebetet und mussten erleben, dass es für ihn keine Heilung mehr gab. War unser Beten dann nicht vom Glauben bestimmt, war es nicht „ernstlich“ genug? Heißt es doch: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen“ (V.15) und „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“ (V.16). Der Gerechte, von dem Jakobus redet, ist nicht der Besserwisser, nicht der Moralapostel, nicht der Richter. Als gerechter Mensch leben meint: einem anderen Menschen gerecht werden; der Gerechte hat ein „reines Herz“, er weiß um die eigenen Schwächen und Stärken wie um die des anderen. Darum ist das Gebet des Gerechten wirksam. Es geht dabei nicht ausschließlich um ein Gesundwerden im medizinischen Sinn, sondern in allem um ein Heilwerden, ein Ganzwerden in Gott. Deutlich wird dies an drei verschiedenen Übersetzungen des Verses 16:
Martin Luther: Betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
Ulrich Wilckens : Betet füreinander, so werdet ihr Heilung erfahren.
Einheitsübersetzung: Betet füreinander, damit ihr geheiligt werdet.
Trotzdem darf ich Gott auch ganz konkret um Genesung und Gesundheit bitten. Beten ist nie sinnlos. Auch wenn meine Bitten nicht erfüllt werden, darf ich darauf vertrauen, dass Gott mein Gebet hört. Mein Leben liegt offen vor ihm. Ich bin in seiner Hand, ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Darum sind die Worte des Jakobus damals, so auch für uns heute eine Einladung, unsere oft so spannungsvollen Erfahrungen zuversichtlich vor Gott auszubreiten. Auch die Worte, die wir zueinander sagen, können an Tiefe und Bedeutung gewinnen, wenn sie im stillen Gespräch mit Gott, im Gebet, verankert sind. „Bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet“, ruft Jakobus auf. Ein solches Bekenntnis stellt uns auf eine gleiche Stufe und erinnert uns an die Worte Jesu: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“.
Signale zum Innehalten
„Vater unser im Himmel…“, so beten wir nachher und gleichzeitig wird die „Vater-unser-Glocke“ läuten. Glockengeläut kann ein Aufruf zum Gebet sein. Glocken rufen uns jeden Tag und laden uns zur Besinnung ein, am Morgen, am Mittag und am Abend. In Providenz hier in der Heidelberger Altstadt läutet die Friedensglocke jeden Freitag um 11 Uhr 55 und lädt zum Gebet für den Frieden in der Welt ein. Vielleicht achten wir in der vor uns liegenden Woche einmal besonders auf dieses Gebetsläuten und lassen uns daran erinnern, dass es Gott gefällt, wenn wir ihn im Gebet anrufen, ihm danken, ihn bitten und mit und für andere Menschen beten – es ist das unsichtbare Band, das die alle Völker umfassende „Familie Gottes“ verbindet. In dem unserem Predigttext vorangehenden Kapitel finde ich die Verheißung und den Segen des Gebets umschrieben: „Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch“ (4,8). Gott sei Ehre in Ewigkeit.
(Gemeinde singt:) Amen.