Zur Freiheit hat uns Christus befreit
Der Freiheit Gestalt geben in Verantwortung und Beziehung
Predigttext: Galater 5, 1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.Vorbemerkung
Diese Themenpredigt lässt collagenartig verschiedene Stimmen zum Thema „Freiheit“ sprechen, dem Leitmotiv des Predigttexts. Dass Freiheit in Glaube und Liebe Leib wird, ist ihre Kernaussage, die zum Leben in Verantwortung und Beziehung ermutigen will (womit implizit einem derzeit wohl attraktiven Freiheitsbegriff wie „Tu was Du willst ist das ganze Gesetz“ (A. Crowley) gewehrt ist). Kritisch betrachtet wird zudem die aktuelle Bestreitung der Freiheit durch den neuen Determinismus mancher zeitgenössischer Naturwissenschaften.Literatur
Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Insel-Verlag, Frankfurt a.M., 2. Aufl. 1983. – Martin Luther, Der Galaterbrief, Vorlesung von 1531, Göttingen, 2. Aufl. 1987. – Jean Paul Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus?, aus http://www.gottwein.deEth/Human03.php, 6.10.2006. – Thomas Fuchs, Neuromythologien, in Scheidewege, Zeitschrift für kritisches Denken, Bd. 36 Jahrgang 2006/2007, S. 184 –202. – Heinrich Heine, Zur Geschichte von Religion und Philosophie in Deutschland, Sämtliche Schriften, Bd. 3, 505- 642, München, 3. Aufl. 1996. – Georg Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriss, Neukirchen-Vluyn, 6. Aufl. 1988. – Jürgen Becker, Der Brief an die Galater, NTD Bd. 8, Göttingen, 17. Aufl. 1990. – Weiteres stammt aus Zettelkästen.Liebe Gemeinde!
Reformation und Geistesfreiheit
Wir gedenken heute der Reformation, die Martin Luther mit seinem Thesenanschlag vom 31.10.1517 an die Schlosskirche zu Wittenberg, eingeläutet hat, zugleich die Geburtsstunde unserer Evangelischen, unserer Protestantischen Kirche. „Indem Luther den Satz aussprach, dass man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit.“ (Heinrich Heine) Luther und die Reformation, das war ein gewaltiger Sprung in der Geschichte der Freiheit, in der Geschichte der Befreiung des Menschen von problematischen Autoritäten, die ihn ein- und auspressen wollen. Freiheit – ein entscheidendes Wort, ein entscheidendes Thema, auch und gerade in der Bibel. Man braucht dabei nur an den Exodus, den Auszug des Volkes Israels aus der Knechtschaft in Ägypten zu denken. Freiheit, sie ist ein Lebenselixier.
Gefährdungen
Doch sie ist gefährdet. Der freie Mensch, der frei entscheiden kann – nach manchem Hirnforscher eine Illusion. Doch der Verlust der Freiheit, der entlastet dann von der Bürde der Eigenverantwortung. Freie Fahrt für freie Bürger – zumindest das Staustehen ist freigestellt. Pressefreiheit ist in diesen Monaten ein Thema, die Freiheit der Kunst… das Sammeln von Biometrischen Daten….. alles natürlich zum Wohl der Bürger, der gläserne Mensch und Bürger.
„Kein Gott, kein Kaiser und kein Tribun
kann uns Freiheit einfach schenken und sagen:
>Nehmt und seid gut zu ihr!<
Aus jeder Freiheit,
wenn wir sie nur empfangen wie Kinder Geschenke,
kann wieder Unfreiheit werden.
Denn Freiheit ist nur die Freiheit,
leichter und besser kämpfen zu können
gegen die Unfreiheiten,
die herrschen wollen über uns und in uns selbst.
Der Kampf gegen sie fängt erst an
mit jeder Befreiung.“ (Erich Fried)
Der Kampf gegen die Unfreiheiten, gegen das, was abhängig machen will, in einem selbst und außerhalb, fängt erst mit jeder Befreiung an. Erich Fried könnte von Paulus zu diesen Worten angeregt sein.
Paulus
Paulus versteht nämlich das, was Christus wollte und für uns tat, als Befreiung von innerlichen und äußerlichen Zwängen und Abhängigkeiten, ohne in Willkür zu geraten, als Ruf in die Freiheit, wie er es im Galaterbrief schreibt:
(Lesung des Predigttextes)
Steht fest! Lasst euch von nichts und niemanden mehr unterjochen! Seid eigenständig und selbstmächtig! Seid und bleibt freie Menschen, selbstständig und autonom. Lasst euch nicht von Meinungen, von Dingen, den Fleischtöpfen Ägyptens binden, lasst euch nicht von euren Begierden und Gefühlen allein leiten. Nehmt diese Herausforderung an. Freiheit zu leben ist anstrengend, kostet Kraft und fordert etwas. Leben in Freiheit ist riskant. Das wusste auch Jean Paul Sartre: „ Dostojewski hatte geschrieben: > Wenn Gott nicht existiert, so wäre alles erlaubt.< Das ist der Ausgangspunkt des Existentialismus. In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und demzufolge ist der Mensch verlassen, da er weder in sich noch außerhalb seiner eine Möglichkeit findet, sich anzuklammern. Vor allem findet er keine Entschuldigungen. Geht tatsächlich die Existenz der Essenz voraus, so kann man nie durch Bezugnahme auf eine gegebene und feststehende menschliche Natur Erklärungen geben, anders gesagt, es gibt keine Vorausbestimmung mehr, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit. Wenn wiederum Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtbereich der Werte, Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Das ist es, was ich durch das Wort ausdrücken will: Der Mensch ist verurteilt frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, andererseits aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut.“ (J.P. Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus?)
Entlastungen und ihre Implikationen
Frei zu sein, für alles verantwortlich – welch eine quälende Last kann das sein. Da ist es doch angenehm zu hören, dass ich ein Produkt bin: Vor Jahren waren es die Erziehung oder die Verhältnisse, heute bin ich das Produkt meiner Gene oder irgendwelcher biochemischer Prozesse, denen ich dann die Verantwortung zuschieben kann. Doch wo bleibt da das Ich? Das gibt es dann halt nicht. „Das Ich und die Freiheit sind Zumutungen, fortwährende Anstrengungen, die uns die Hirnforscher gerne abnehmen wollen, und die sich viele gerne abnehmen lassen.“ (Thomas Fuchs) Und Fichte ergänzt: „Die meisten Menschen würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava im Monde, als für ein Ich zu halten.“ Und Goethe meint durch Werther: „… das bisschen, das ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um es loszuwerden.“
Freiheit, o du Last. Da ist es doch schön, wenn es für alles und jedes eine Vorschrift gibt, eine Handreichung und Ordnung, die sagt was dann und dann und in diesem oder jenem Fall zu tun ist. Bloß nicht verantwortlich werden…. Und wenn man gefragt wird, dann ist es wichtig schnell eine Ausrede parat zu haben, etwas oder jemandem, dem man die Verantwortung zuschieben kann. Ausreden, wie schon Adam im Paradies, am Schluss war es die Schlange. Da ist es doch schön, wenn irgendwelche Gurus einem sagen, wie ich zu leben habe, um glücklich zu sein.
Freiheit und Verantwortung
Freiheit abgeben, das heißt Verantwortung abgeben, das heißt andere für sich sprechen und leben lassen. Will man das? Freiheit und Verantwortung gehören zusammen, gerade eine lebendige Demokratie erfordert dies. Und zu beidem wollen uns Jesus und Paulus ermutigen, ja beflügeln, Freiheit ist nicht erdenschwer, sie hat etwas Leichtes. Sie schafft Leichtigkeit. Freiheit zu erfahren und zu spüren, frei zu sein, das heißt loslassen, loslassen, was das Herz binden möchte. Gott ist frei, Gott, Jesus machen frei. Sie geben einem Abstand, zu allem was einen knechtet. Sein in Christus, in Christus leben und weben, das heißt in einem Freiraum atmen. Gott, Jesus machen frei von Knechtungen, um frei zu sein für die Gestaltung der Welt. Um eben wieder entlastet vorwärts schreiten zu können. Glaube und Liebe, sie leben die Freiheit aus. Geben ihr Gestalt, geben ihr einen Leib, machen sie spürbar und erfahrbar.
Freiheit in Beziehung
Freiheit ist Beziehung. Und da gehen Luther und Sartre zusammen: Freiheit macht Ethik, einen verantwortungsvollen Lebensstil erst möglich. Einen Lebensstil, der das Risiko und Wagnis nicht scheut, wie es Luther auf dem Reichstag zu Worms gezeigt hat, mit seinem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, und der zugleich lähmende und lebensfeindliche Ordnungen überwindet, sich öffnet, den Menschen zum Wohl und Gott zur Ehre. „Wir wollen die Freiheit um der Freiheit willen und durch jeden besonderen Einzelumstand hindurch. Und indem wir die Freiheit wollen, entdecken wir, dass sie ganz und gar von der Freiheit der anderen abhängt, und dass die Freiheit der anderen von der unseren abhängt. Gewiss hängt die Freiheit als Definition des Menschen nicht vom anderen ab, aber sobald ein Sichbinden vorhanden ist, bin ich verpflichtet, gleichzeitig mit meiner Freiheit die der anderen zu wollen, und ich kann meine Freiheit nicht zum Ziel nehmen, wenn ich nicht zugleich die Freiheit des anderen zum Ziel nehme“ (Sartre). Oder mit Martin Luther:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemanden untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Aus dem allem ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und in seinem Nächsten; in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe….. Sieh, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft… das gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten. Amen“: