In dubio pro Deo
Wider die Sprüche aus Asche
Predigttext: Hiob 14,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, 2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, daß du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.Hiobsbotschaften und Hiobs Botschaft – Zugangsversuche zum Predigttext Hi 14,1-6
Versuch einer eigenen Übersetzung 1 Ein Mensch, (er ist/wurde) von einer Frau geboren, (er ist) kurz an Tagen/kurzkurzlebig und gesättigt mit Aufregung. 2 Wie eine Blume blüht er auf und welkt (wieder) und flieht wie der Schatten und bleibt nicht bestehen. 3 Doch über einen solchen tust du deine Augen auf und ziehst ihn (we’oto, so nach LXX, S, V; MT: we’oti „und mich“) vor Gericht bei dir. 4 Wer gibt/bringt einen (kultisch/moralisch) Reinen von einem Unreinen? Nicht einer. 5 Wenn seine Tage festgesetzt sind, (ist) die Zahl seiner Monate/Neumonde bei dir, du hast sein Maß gemacht, und er wird es nicht überschreiten. 6 Blicke von ihm weg, dann hört er auf, bis er seines Tages froh wird wie ein Taglöhner.Der Predigttext im Kontext des Buches Hiob
Alles, bis auf sein Leben, war ihm genommen. Sein Glaube stand in Frage. Eben darauf hatte es der Satan (hebr. satan „Anfeinder“, „Ankläger“), der „himmlische Staatsanwalt“, abgesehen, die von Gott gelobte Frömmigkeit und Rechtschaffenheit vor Gott in der himmlischen Ratsversammlung anzuzweifeln: „Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet?“ (1,8f.). Und Hiob: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ (1,21). Es ist ein für unseren pastoralen Dienst bedeutungsschwerer und folgenreicher Unterschied, ob Worte in diesem Sinn dem Leidgeschüttelten von einem anderen Menschen, in der sicherlich guten Absicht, ihn zu trösten, gesagt werden oder ob der Betroffene zu solchen Worten findet. Dass wir ja keine leidigen Tröster/innen werden. Das Zitieren von trostvollen Bibelworten kann leicht trostlos werden, wenn wir sie wie etwa die Worte in Hi 1,21 unempfindsam aus dem lebensgeschichtlichen Zusammenhang und ihrer eigentlichen Situation reißen. Im Buch Hiob, das zu den „Lehrbüchern“ gehört, im hebräischen Kanon zu den Ketubim, geht es in der Person des Hiob nicht allein um ein Einzelschicksal. Der Name Hiob (hebr. ’IJJOB „Feind/Anfeinder“ oder „Angefeindeter“ bzw. „Wo ist der Vater?“, KBL3, 38a) steht exemplarisch für den Menschen mit seinen Leiderfahrungen und wie er damit umgeht, ohne den Glauben an Gott aufzugeben. Da sind auf der einen Seite die bedrängenden Hiobsbotschaften, und auf der anderen sucht Hiobs Botschaft unsere Aufmerksamkeit.Der Predigttext im engeren Kontext Hi 11-14
Unser Predigttext Hi 14,1-6 ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der langen ersten Antwort Hiobs (12,1-14,22) auf die erste Rede seines Freundes Zofar (11,1-20), die seinerseits eine Antwort auf Hiobs Klage (3,1-26) und im jetzigen Zusammenhang auch auf seine Antworten an die Freunde Elifas (Hi 6f.) und Bildad (Hi 9f.) ist. Kam Hiob schon bei seinen ersten beiden Freunden nicht gut weg (Hi 4f.; 8), so noch weniger bei dem dritten Freund Zofar. Als „Schwätzer“ wird er hingestellt, dessen „langem und leerem Gerede“ widersprochen werden müsse (11,2f.). Von der allumfassenden „Weisheit“ Gottes (hebr. chokma), durch die er seine Sünden und sein Fehlverhalten erkennen würde, habe er keine Ahnung (11,5-12). Solche wahre Erkenntnis würde den Leidgeprüften aber „alle Mühsal vergessen“ lassen (11,16). Hiobs Antwort kontert zurück, leidenschaftlich und manchmal nicht ohne einen Schuss Ironie: „Ja, ihr seid Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!“ (12,2), m.a.W.: Ihr habt die Weisheit mit Löffeln gefressen. Hiobs Gotteserkenntnis dringt aber tiefer, er ahnt etwas von der Rätselhaftigkeit, ja Widersprüchlichkeit, dem Geheimnis Gottes, von einem „Gott ist anders“, einem Nicht-Zuhandensein, einer Nichtverfügbarkeit Gottes – „Siehe, wenn er zerbricht, so hilft kein Bauen; wenn er jemand einschließt, kann niemand aufmachen…Sein ist, der da irrt und der irreführt. Er führt die Ratsherren gefangen und macht die Richter zu Toren…Er führt die Priester barfuß davon und bringt zu Fall die alten Geschlechter…Er öffnet die finstern Schluchten und bringt heraus das Dunkel ans Licht. Er macht Völker groß und bringt sie wieder um…“ (12,13-25). Nicht nur Zofar, sondern allen so sicheren (vgl. 12,5) Freunden mit ähnlicher Einstellung, die das Unglück eines Menschen als göttliche Sündenstrafe deuten und damit dem schon Wankenden einen (letzten) Stoß geben (12,5), entgegnet Hiob: „Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht geringer als ihr“(13,2) – „Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben“ (13,5 vgl. „Si taquisses…“). Hiob weiß von dem „Schrecken“ Gottes (pachad 13,11), dass Gott ihn sogar umbringen kann (13,15). Darum wehrt er sich gegen „Sprüche aus Asche“ (13,12). Das Schweigen der Freunde würde ihm in seiner augenblicklichen Situation mehr helfen (13,13). Er ist entschlossen, seine Wege zu gehen und diese vor Gott zu verantworten (13,15).Wechsel der Kommunikationsebenen
Hiobs Einstellung ist alles andere als eine heroische Glaubenshaltung. Dies lässt das äußerst auffällig in die Antwort eingebundenes Gebet (13,20-28.[14,1-12]; 14,13-22) deutlich erkennen: „Lass deine Hand fern von mir sein, und dein Schrecken erschrecke mich nicht“ (13,21 vgl. 13,11). Ich halte gerade diesen mir bei der Lektüre auf einmal ins Auge springenden Wechsel der Kommunikationsebenen (Hiob – Zofar/ Hiob – Gott) innerhalb der Antwort Hiobs homiletisch und poimenisch für höchst anregend, weist er mich doch auf die Grenzen menschlicher Kommunikation. An den ersten Teil des Gebets Hiobs (13,20-28) schließt sich in Kap. 14,1-12 eine Vergänglichkeitsklage, die jedoch sehr allgemein ins Grundsätzliche und Reflektive geht und bei der es sich möglicherweise in literarischer Hinsicht um eine sekundäre Einschaltung handelt, welche die Vergänglichkeitsklage von 13,28 aufnimmt und fortschreibt. Vom Menschen ist in der dritten Person die Rede (so nach LXX, S, V, s.o. die Übersetzung; bei dem „mich“/Übers. Martin Luther, in 14,3 handelt sich um eine sekundäre Lesart, die beabsichtigt, dem Reflexionstext 14,1-12 die Dimension eines Gebets zu geben und diesen damit an das Gebet, in das er eingebettet ist, anzugleichen; die Bitte in V.6, in welche die Vergänglichkeitsreflexion mündet, unterscheidet sich von den persönlich gehaltenen Gebetsformulierungen in 13,20-28; 14,13-17, insofern die Bitte in V.6 allgemein auf den Menschen bezogen wird).Thema des Predigttextes
Thema in 14,1-12 ist die Vergänglichkeit des Menschen, der nur kurz wie eine Blume aufblüht und wieder verblüht (14,1-2.5; vgl. Jes 40,6f.; Ps 103,15f.), und die Unverhältnismäßigkeit des Gerichts Gottes (14,3.6) angesichts der Kurzlebigkeit des Menschen, dessen Leben einem Schattendasein gleicht (14,1-6). Hiob weiß sehr wohl – und da können ihm seine Freunde nicht beikommen – um die ungeheuerliche Distanz zwischen Gott und Mensch. Im Gegensatz zu dem kurzlebigen (14,1f.5) und unreinen (14,4) Menschlein steht Gottes Ewigkeit, seine Macht, die Lebenszeit zu bestimmen, eine Grenze, die kein Mensch überschreiten kann (14,5; vgl. 12,13-25). Im Unterschied zu einem Menschen, so führen die auf unseren Predigttext (14,1-6) folgenden und deutlich (13,28 „der ich doch wie Moder vergehe und wie ein Kleid, das die Motten fressen“) daran anknüpfenden Verse (14,7-12) aus, hat ein Baum noch Hoffung, auch wenn er gefällt wurde, weil ein Baumstumpf wieder Schösslinge treiben kann. Anders der Mensch: Wenn er stirbt, „so ist er dahin“, „Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet“ (14,7-12).Klage und Hoffnung – Hiobs Botschaft
Was bleibt da noch außer den Hiobsbotschaften von Hiobs Botschaft? Mit der bloßen Vergänglichkeitsklage kann unsere Predigt heute post Christum nicht enden, auch ante Christum hätte sie nicht damit enden müssen. Weil Hiobs leidenschaftliche Antwort nicht ohne Hoffnungsperspektive bleibt. Hiob hat Gott sein Leid geklagt und hat sich nicht nur in der sprichwörtlichen „Geduld Hiobs“ (die in der Rahmenerzählung Hi 1-2(3); 42 im Unterschied zu dem Dialogteil Hi 4ff. betont wird) geübt. Er ist zum „Rechtsstreit“ (mit Gott) bereit (13,18 hebr. mischpat, vgl. 13,3 hebr jakach hif.), die Freunde mit ihren Vorhaltungen und ihrem Herumstochern in seiner Seele können ihm nichts. Ihnen fehlt das hörende, einfühlsame Herz. Hiob hofft auf ein Heil (13,16 hebr. jeschu´a), das er Gott allein zutraut, und er ist bereit, seine Wege/sein Leben vor Gott zu verantworten (jakach hif.): „Siehe, er wird mich doch umbringen, und ich habe nichts zu hoffen; doch will ich meine Wege vor ihm verantworten. Auch das muß mir zum Heil sein; denn es kommt kein Ruchloser vor ihn“ (13,15-16). In dubio pro Deo! Hiobs Hoffnung ist verhalten, aber sie klingt in den 42 Buchkapiteln in unterschiedlichen Tönen und Klangfarben an. Erinnert sei an die wunderbaren (wenn auch exegetisch umstrittenen) Worte „Ich weiß dass mein Erlöser lebt“ (19,25). Und sie klingt an in seiner Antwort an Zofar, in 14,13-17 (vgl. jedoch 14,18-22: V.19, wo von Gott als dem die Rede ist, der die Hoffnung des Menschen zunichte macht) sowie nicht zuletzt, wenn auch exegetisch umstritten, am Ende unseres Predigttextes, in V.6, in dem Hiob auf einen Tag hofft, an dem sich der Mensch wie ein Taglöhner freuen wird. Und was schon im Hiobbuch, in der Rahmenerzählung wie im Dialogteil, zum Ausdruck gebracht wird, ist post Christum sub specie Christi nicht mehr wegdiskutierbar: Unglück, Katastrophen, Scheitern, Krankheit, Leid und Tod sind keine Argumente (mehr) gegen Gott. Die Argumente der Atheisten stehen inzwischen auf schwachen Füßen. Sie können vor Hiob nicht bestehen. Hiobs in 12,13-25 beschriebene Gotteserfahrung, seine Erfahrung der Verborgenheit und des Zorns Gottes (14,13) liefert einem Atheisten keine Argumente mehr.Der biblische Gott
Der biblische Gott ist ein Gott, der sieht, die Not des Menschen wahrnimmt (Gen 16,13; Ex 2,25; 3,7), ein Gott, der mitleidet, der sich auf die Auseinandersetzung des Menschen mit ihm einlässt (Hi 38,1-42,6), jedoch sich jeglicher dogmatischen Definition und Festlegung entzieht (auch Ex 3,14 will nicht als Definition verstanden werden). Wir können im christlichen Glauben noch viel von Hiob lernen. Hiobs Botschaft ist durch das Evangelium von Jesus, dem Christus Gottes, nicht überboten, sie ist nicht mehr und nicht weniger als eine Stimme im großen Chor der biblischen Boten, die nicht auf „Sprüche aus Asche“ (Hi 13,12) setzen, sondern wie Hiob in der Dimension des Gebets auf das Reden und die Auseinandersetzung mit (hebr. ´elaj) dem lebendigen Gott – nicht wie die Freunde Hiobs über Gott, Hi 42,7.8 ki lo´ dibbartäm ´elaj nekona ke´abdi ´jjob).Literatur
Kommentare: G. Hölscher, HAT 1,17, 1952 (2.Aufl.). – A. Weiser, ATD 13, 1963 (4.Aufl.). – F. Horst, BK XVI/1, 1974 (3.Aufl.). – F.Hesse, ZBK, 1978. – H.Groß, NEB, 1986. – Th.Mende, GSL.AT 14/1, 1993. – Studie: R. de Pury, Hiob. Der Mensch im Aufruhr, BSt 15, 1962 (2.Aufl.).Liebe Gemeinde!
Elementare Lebensthemen
Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens, Ringen mit Gott und Verlangen nach ruhigeren Zeiten im Leben – das sind die existenziellen Themen dieser wenigen Verse aus dem Buch Hiob. Wir verdanken das tiefsinnige lebenspraktische Buch voller Lebensweisheiten und Lebenshilfe der Bibel unserer jüdischen Schwestern und Brüder; der Bibel Jesus, der die Bezeichnung „Altes“ Testament keineswegs gerecht wird. Spricht doch gerade das Buch Hiob auch heute noch zu uns, weil die elementaren Lebensthemen wie Leiderfahrung und die Probleme, wie wir damit umgehen, bis heute doch ziemlich die gleichen geblieben sind. Und damit verbunden die Frage nach dem „Warum“ – warum muss es gerade mich treffen, wie kann Gott dies zulassen. Die Themen sind uns allen mehr oder weniger vertraut: dem Kind, das die Scheidung und Trennung seiner Eltern miterlebt, ebenso wie dem älteren Menschen, um den es einsam wird; dem Menschen, den eine Krankheit überfällt, die auf einmal alle seine Lebenspläne in Frage stellt, ebenso wie dem Menschen, der nach einer Katastrophe seine Liebsten verliert und gerade noch mit dem nackten Leben davonkommt.
Im Buch Hiob geht es in der Person des Hiob nicht allein um ein Einzelschicksal. Der Name Hiob steht exemplarisch für den Menschen, der Schweres erlebt und dem zugemutet wird, damit umzugehen. Da sind die bedrängenden Hiobsbotschaften, mit denen wir auch heute als Einzelne oder als Gemeinschaft konfrontiert werden, und dort Hiobs Botschaft, die unsere Aufmerksamkeit sucht für die Art seiner Auseinandersetzung mit den leidvollen Erfahrungen und nicht zuletzt mit Gott, den er zeitweise wie sein schlimmster Feind erlebt. Dieses Erleben klingt in dem Namen Hiob/ ’IJJOB an, der „Feind“ oder „Angefeindeter“ bedeuten kann, aber auch „Wo ist der Vater?“, eine Frage, die sich als Frage nach Gott verstehen lässt. Als eine aus der Tiefe aufbrechende Frage. In Ängsten. In Hoffen und Bangen. „Aus der Tiefe rufe ich zu dir…“
(Gebetsruf der Gemeinde oder eines Einzelnen:) „Aus der Tiefe rufe ich zu dir: Herr, höre meine Klagen, aus der Tiefe rufe ich zu dir: Herr, höre meine Fragen.“ (EG 781.7 Regionalteil Baden und Elsass und Lothringen)
Schwierige Zeiten, Traurigkeit und Verzweiflung bleiben uns, auch im Glauben, nicht erspart. Wir brauchen Zeit, um das Schwere in unserem Leben anzunehmen. Das Exempel des Hiob will uns helfen, Gott unser Leid zu klagen, es nicht in jederzeit stillen Ergebung anzunehmen, sondern dagegen anzukämpfen, ohne das Vertrauen auf Gott aufzugeben. Hiobs Ringen mit Gott erinnert mich an Jakobs Kampf am Jabbok und seinen Ausruf: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (1.Mose 32,27).
Der Mensch – wie eine Blume, wie ein Schatten
In alledem weiß Hiob um die Kurzlebigkeit des Menschen und um die Unruhe, die ihn umtreibt. Wörtlich ist im hebräischen Urtext von der „Aufregung“ die Rede, mit der jeder Mensch „gesättigt“ ist. Die verhältnismäßig kurze Zeit, die dem Menschen bleibt, ist veranschaulicht im Bild von der aufblühenden und bald wieder verwelkenden Blume. Die Unruhe/Aufregung des Menschen wird im Bild vom fliehenden Schatten veranschaulicht: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht“. Die Vergänglichkeit und Schattenhaftigkeit menschlichen Lebens bekommen wir bedrängend zu spüren, wenn ein Mensch, der zu uns gehört, stirbt. Das Grübeln über leidvolle Geschehnisse in unserem Leben und im Leben anderer kann in eine Auseinandersetzung mit Gott führen – Hiob führt sie heftig: „Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann, so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat…“ – „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst“, ruft der Mensch im 8.Psalm aus.
Orgelchoral zu „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben“ (EG 528)
Martin Luther hat als Jugendlicher zu seinem Vater gesagt: “Unser Leben ist kurz, und ich möchte es sinnvoll verbringen.” Er kannte die bitteren Erfahrungen. Unter dem Eindruck der Pest, die den Tod auch in seine Familie brachte, erklärte er später, als er mitten im Leben stand, erschüttert: “…ich, der ich bisher alle anderen zu trösten hatte, bin nun selbst allen Trostes bedürftig…- ein Trost, daß wir wenigstens das Wort Gottes haben.” Den Sinn seines Lebens hat Martin Luther darin gefunden, Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen.
Ich möchte lernen von Hiob
Unser Predigttext steht im Zusammenhang einer Antwort Hiobs auf eine Rede seines Freundes Zofar, der ihn wie die anderen Freunde ständig mit der Frage nach den Ursachen seines Unglücks bestürmte. Hiobs Antwort weißt diese Art des Umgangs mit seinem Schicksal leidenschaftlich zurück: „Was ihr wisst, das weiß ich auch, und ich bin nicht geringer als ihr“ (13,2). Er ruft sie auf zu schweigen. Weil ihm das Schweigen seiner Freunde in seiner momentanen Lebenssituation mehr helfen würde. Sie haben offensichtlich noch nichts vom „Schrecken Gottes“ (13,11) erlebt, darum können sie nicht mitreden. Hören müssten sie, viel mehr hören auf den Leidgeschüttelten (13,13). Ich möchte lernen von Hiob: Als ihn seine Freunde ständig mit der Frage nach einer Ursache seines Unglücks bedrängten, ließ Hiob gerade im unverständlichen Leid nicht von Gott ab und suchte leidenschaftlich die Begegnung mit ihm. Auffallend in der Antwort Hiobs an Zofar ist, dass sie plötzlich die Ebene der Kommunikation mit dem Freund verlässt und – wenige Verse vor unserem Predigttext – in ein Gebet mündet: „Lass deine Hand fern von mir sein, und dein Schrecken schrecke mich nicht…“ (13,21) Als wollte Hiob damit gegenüber seinem Freund – bei allem Zugeständnis, dass dieser ihm gegenüber voller guter Absichten ist – zum Ausdruck bringen, dass ein zwischenmenschliches Gespräch auch an eine Grenze gelangen kann, die es zu erspüren gilt. Und dass es zuweilen eines Wechsels der Kommunikationsebenen bedarf. Gut, wenn sich das menschliche Gegenüber in die neue Sprechrichtung zu Gott hin mit hineinnehmen lässt, dann kommt es zu einem ganz anderen Gespräch auf höherer Ebene, das tiefer greift. Hiob ringt mit aller Kraft um Gott. Gottes Wege sind für ihn undurchschaubar, ja zuweilen geradezu furchtbar. Hiob hat keine Erklärung für die schweren Schicksalsschläge. Seine Kinder, all sein Hab und Gut und zuletzt seine Gesundheit wurden ihm genommen. Nachdem ihn seine Freunde nicht trösten konnten – trotz ihres Aufgebotes von viel Wissen aus den Frömmigkeitstraditionen – wünscht sich Hiob nichts sehnlicher als Gott, dem wirklichen Gott, zu begegnen – und dies, obwohl Gott ihm immer rätselhafter vorkommt. Und der Tag kam, in der Hiob erfahren durfte: Gott hat mir schwere Erfahrungen zwar nicht erspart, aber hat mich im Leiden bewahrt und mir hindurchgeholfen.
Orgelchoral: „Bewahre uns Gott“ (EG 171,2)
Hiobs Botschaft ist durch das Evangelium nicht überboten, vielmehr bekräftigt. Eine Stimme im großen Chor der biblischen Boten, die nicht auf „Sprüche aus Asche“ (13,12) setzen, sondern voller Hoffnung an Gott festhalten. Hiob gehört zur großen Familie Gottes. Seit Jesus von Nazareth an der Vergänglichkeit des Lebens teilhatte, selbst Leid erfuhr, das Kreuz auf sich nahm, trotz allem an Gott festhielt, von Gott dem Tod entrissen und in das unvergängliche Leben hineingeholt wurde, muss kein Mensch mehr in der noch so größten Not verzagen. Jesus verkündigte in der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“. Gott gebe uns ein hörendes und einfühlsames Herz.
Amen.