Gut, dass einer den Durchblick hat

Vielleicht braucht man in kritischen Situationen nur ganz wenige Worte, an die man sich fest halten kann

Predigttext: Offenbarung 2,8-11
Kirche / Ort: Hartum (b. Minden)
Datum: 19.11.2006
Kirchenjahr: Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor/in: Pfarrer Hartmut Frische

Predigttext: Offenbarung 2,8-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

"Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden und sind’s nicht, sondern die Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein leid geschehen von dem zweiten Tod.

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Liebe Gemeinde!

Der für heute vorgeschlagene Predigttext ist das Sendschreiben des Sehers Johannes an die Gemeinde in Smyrna (Offenbarung 2). Smyrna ist eine griechische Stadt, die in der heutigen Türkei liegt. Als ich mich in den letzten Tagen wieder einmal mit diesem Text beschäftigte, kam mir die Frage: Passt dieser kleine Brief, geschrieben von Johannes auf der Insel Patmos an die Gemeinde in Kleinasien damals zur Zeit des römischen Kaisers Domitian, eigentlich zu uns? Ist er nicht viel zu kompliziert? Ist das nicht eher ein Text für die Christen in Indonesien, die ständig mit Übergriffen islamistischer Moslems rechnen müssen? Hier bei uns sind die Kirchen rechtlich abgesichert, und wir Christen haben an der Wohlstandsgesellschaft teil. Gerade jetzt in den Wochen, in denen die Advents- und Weihnachtszeit vorbereitet wird, spürt man das. Ist das heute der richtige Predigttext für uns? Aber dann wieder finde ich es gut, dass wir von diesem Sendschreiben lernen können, dass Christus, der erhöhte Herr, damals wie heute die Situation seiner Gemeinden durch und durch kennt. Nichts entgeht ihm. Er blickt durch. Er kennt uns bis auf die Knochen. Ihm können wir nichts vormachen. Er weiß um unsere Situation. Er weiß, wo er uns loben kann, und er weiß, wo wir Trost und Ermutigung brauchen. Und so wollen wir uns in dieses zweite Sendschreiben der Offenbarung des Johannes vertiefen.

(Lesung des Predigttextes)

Wie ein uralter Mann zum Boten einer aktuellen Verheißung wird

Die Kapitel 2 und 3 der Offenbarung enthalten die sieben Sendschreiben, sieben meisterhaft verfasste Briefe, von denen man den Eindruck hat, dass jeder einzelne die innere Situation der angeredeten Gemeinde präzise erfasst. Dieser Text ist nicht von oben herab formuliert, sondern dies sind Worte von ganz unten. Sie kommen aus der Tiefe und aus der Traurigkeit. Es spricht immer noch viel dafür, dass der Verfasser der Offenbarung Johannes, der Jünger Jesu und der Apostel der Urgemeinde war. Johannes der Apostel Jesu war von den Behörden des römischen Reiches auf die steinige Insel Patmos im ägäischen Meer verbannt worden. Noch war er nicht wie Jakobus, Petrus und Paulus den Märtyrertod gestorben. Aber man hatte ihn gefangen gesetzt. Er war abgeschoben. Er konnte nicht mehr als Prediger und Seelsorger unter seinen Gemeinden wirken. Johannes war auf dem Abstellgleis. Wenn Johannes als junger Mann – er mag damals 20 Jahre alt gewesen sein – von Jesus berufen worden war, dann muss er jetzt im Jahre 96 ein Greis von etwa 85 Jahren gewesen sein. Seine Sache war es nicht, einen beschaulichen Lebensabend zu verbringen. Christen gehen nicht auf Rente! In jeder Lebensphase können wir uns mit unseren Erfahrungen und Gaben für die Gemeinde Jesu einbringen. Das tut der Gemeinde gut, und das tut uns gut. Johannes konnte gar nicht anders. Er hatte mitbekommen, wie die Verkündigung des Evangeliums in der Weite des römischen Reiches voran ging. Er durfte es miterleben, dass Gemeinden über Gemeinden gegründet wurden. Und er hatte dafür gearbeitet, dass Gemeinden wuchsen. Wie ein Lauffeuer ging das Evangelium damals um die Welt. Er erlebte aber auch Erschütterungen, als die Christenverfolgungen einsetzten und immer wieder Menschen dahin rafften.

Es waren Konflikte, die uns bis auf den heutigen Tag zu schaffen machen. Da sind auf der einen Seite die Christenmenschen, die Jesus als dem verborgenen Weltenherrscher dienen und ihn ehren. Und auf der anderen Seite waren da damals die Machtdemonstrationen und Unterhaltungsspiele im römischen Reich, an denen die Verkündigung des Evangeliums abprallte. Und dann hatte sich der Konflikt zwischen dieser Gemeinde, die glaubte, dass Jesus der verborgene Herrscher der Welt ist und den Priestern des römischen Kaiserkultes zugespitzt. Auch in unserer Gesellschaft gibt es viele Trends, die Menschen davon ablenken, auf das Evangelium zu hören und in der Gemeinde richtig mit zu machen. Es ist zum Irrewerden und zum Verzweifeln! Wie wird Johannes an seinem Verbannungsort gebetet und gefragt haben! Er hat gegrübelt, und er hat die alten Schriften gelesen und seine Zeit beobachtet. Und dann greift Jesus, der erhöhte Herr, erneut nach seinem Jünger und Apostel und gebraucht ihn für eine tiefgründige Botschaft. Und der alte Johannes steht seinem Herrn erneut für eine aufregende Botschaft zur Verfügung. Es ist schon erstaunlich, wie wach und lebendig dieser im Dienste Jesu grau gewordene Apostel geblieben ist. Es lohnt sich auch heute, auf die Botschaft von Patmos zu hören. Dabei bleibt es ein Geheimnis, wie die Offenbarung entstanden ist. Sie ist nicht zu verstehen, ohne dass Johannes Auditionen und Visionen, besondere Hör- und Sehereignisse hatte. Gleichzeitig offenbart dieses Buch eine exzellente Kenntnis des Alten Testamentes. Es ist aber auch nicht zu leugnen, dass Johannes die Eigenart des römischen Reiches scharfsinnig beobachtete, dass er seine Gemeinden in Kleinasien gut kennt und dass er in allem, was er schreibt, ein begnadeter Seelsorger ist.

Wie eine ärmliche Gemeinde zum Vorbild der Treue des Glaubens wird

Bevor die Offenbarung des Johannes mit prophetischen Bildern und Begriffen in die Geheimnisse der Weltgeschichte und in die Abgründe entarteter Politik hinein leuchtet, wird die Situation der sieben kleinasiatischen Gemeinden ins Licht der Ewigkeit gestellt. Christus, der erhöhte Herr, nimmt zu ihrem Leben in letzter Wahrhaftigkeit Stellung. Jesus zeigt ihnen, wie er sie selbst sieht. Smyrna war die alte, berühmte Metropole Lydiens. In ihr lebten reiche, einflussreiche griechische und jüdische Kaufleute. In Smyrna war die Christengemeinde eine kleine Gemeinde im orientalischen Armenviertel der Stadt geblieben. Griechische und jüdische Kaufleute waren ihr nicht beigetreten. Die Christen trafen sich in ärmlichen Räumen, sangen dort ihre Lieder, redeten von ihrem Herrn Jesus Christus und feierten miteinander das Abendmahl. Sie blieben eine Gemeinde am Rande. Es ist durchaus nicht normal, dass eine christliche Gemeinde auffallende Gebäudekomplexe besitzt, große Haushalte fährt und im Gefüge einer Stadt eine gewichtige Rolle spielt. Gerade wenn das Geld in unseren Kirchen weniger wird, wenn die Besserverdienenden austreten, wenn man Kirchen und Gemeindehäuser verkaufen oder abreißen muss, lohnt es sich, auf das zu achten, was Christus dieser Gemeinde sagt. Diese Gemeinde in Smyrna war von der jüdischen Gemeinde klein gehalten worden. Ihr drohte eine Verfolgung, zu der die Juden der Stadt die römischen Beamten anstachelten. Christus hat an dieser seiner Gemeinde in Smyrna nichts zu tadeln. Eine tadel-lose Gemeinde – wo gibt’s das denn? Er weiß um ihre Bedrängnis und Armut. Er lobt ihre kleine Kraft, ihre Treue und ihre Bereitschaft zu kämpfen und zu überwinden. Er stärkt sie in ihrer Treue zu ihm. Und er bereitet sie auf Zeiten mit großen Versuchungen vor.

Den Christen in Smyrna wird nicht angekündigt, dass sie als Supergemeinde von sich reden machen werden und dass sie eines Tages zu den privilegierten Bevölkerungsschichten gehören werden. Ihr Weg führt sie wie der Weg Jesu selbst, ins Leiden hinein. Auf der Treue zu Jesus, zu seinem Wort und zu seinen Geboten liegt sein Segen. Dieser Gemeinde und allen ihren Mitgliedern verheißt dieses Sendschreiben, dass Christus sie letztlich bewahren wird. Das muss genug sein.

Eine selbstbewusste jüdische Gemeinde verliert ihre Würde

Man hält den Atem an, wenn man diese scharfen Worte über die Judenschaft in Smyrna liest. Christus sagt. „Ich weiß …die Lästerungen von denen, die da sagen, sie seien Juden und sind’s nicht, sondern sind des Satans Synagoge.“ Christus bezeichnet sie wegen ihrer Verlästerung und Bedrückung der Christengemeinde als Synagoge des Satans. Müssen uns solche Worte aus dem Neuen Testament, die Christus gesagt haben soll, nicht im Halse stecken bleiben, gerade an einem Sonntag im November, 68 Jahre nach dem Judenpogrom in unserem Land? Es gibt ja Theologen und Theologinnen, die sagen: Hier in den Schriften des Urchristentums, in der Bibel, beginnt die Geschichte des Antisemitismus. Wir müssen in dem uns lieb gewordenen Neuen Testament Sachkritik betreiben. Texte, in denen so etwas steht, kann man nicht mehr lesen, auslegen und predigen. Otto Michel in seinem Aufsatz: „Polemik und Scheidung“ zeigt, wie die scharfe Polemik im NT gegen das jüdische Volk nicht erst mit Johannes dem Täufer und Jesus, dem Jünger Johannes und Paulus beginnt, sondern seine tiefe Wurzel in der Prophetie Israels hat. Die Polemik der Propheten gegen das halbherzig und hartherzig gewordene Gottesvolk, gegen seinen Unglauben und und gegen seinen Ungehorsam sind in der prophetischen Rede als ein letztes Ringen der Liebe Gottes um sein Volk zu verstehen. Die scharfe Gerichtspredigt will nicht vernichten, sonder aufrütteln. Hier im zweiten und dritten Kapitel der Offenbarung zeigt Christus seinen Gemeinden in Smyrna und Philadelphia, dass es dem Wesen des Gottesvolkes widerspricht, wenn sie die verlästern und verfolgen, die an Jesus, den Messias Israels glauben. Dann wird aus der „Synagoge des Herrn“ (4.Mose 16,3) die „Synagoge des Satans“. Auch wenn Jesus die Judenschaft in Smyrna so bezeichnet, kann es in der Synagoge und überall auf der Welt Menschen wie Simeon und Hanna, Nikodemus und Josef von Arimathia geben, die nicht argwöhnen und lästern, die nicht unterdrücken und Fallen stellen, nein, die Morgen zur Anbetung Jesu als Messias bereit sind, wenn ER sich ihnen zeigt.

Inzwischen gibt es soviel mehr jüdische Synagogen, die so viel mehr von Christen unterdrückt, verlästert und verfolgt wurden, ja, die in den Tod getrieben wurden, dass man auch von „Kirchen und Gemeinden Satans“ sprechen kann. Es gibt Juden, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Es gibt Christen, die sagen, sie seien Christen, und sind’s nicht, sondern lügen. Es gibt Bekehrte, die sagen, sie seien bekehrt und sind’s nicht, sondern lügen. Und es gibt Friedensstifter, die sagen, sie seien Friedenstifter, und sind’s nicht, sondern lügen. Unechte, falsche, doppelbödige Frömmigkeit lauert überall. Das will aufgedeckt, bearbeitet und überwunden sein, wo auch immer Menschen an Gott glauben.

Wie hier ein im römischen Reich als Verbrecher Hingerichteter Menschen, die an ihn glauben, auf den Weg der Nachfolge ruft

Mich tröstet es sehr, zu sehen, dass gerade in der gegenwärtigen Situation unserer evangelischen Kirchengemeinden einer da ist, der “mit Augen wie Feuerflammen” (Kap. 1,14) seine Gemeinden sieht, der durchblickt und der sie dann führt. Jesus weiß um alles. Er ist “der Erste und der letzte, der tot war und ist lebendig geworden”. Der Weg Jesu selbst erwies sich am Ende als ein Passionsweg, der zur Verurteilung und zur Kreuzigung führte. Auf diesem Leidensweg nimmt er seine Gemeinden mit. Die Christen in Smyrna gerieten in Angst und wurden verlästert. Ihnen drohte die Gefangennahme und der Märtyrertod. Die Judenschaft in Smyrna war zu ihrem Gegner geworden. Sie war bereit, die Christen an die Vertreter der römischen Staatsmacht auszuliefern. Wie Jesus hatten sie es hinter allem mit der brutalen Staatsmacht des Teufels zu tun. Von ihnen war gefordert, treu zu sein bis in den Tod, und gerade das würde sie erretten vom zweiten Tod, von dem ewigen Verderben beim Jüngsten Gericht. Es kommt die Zeit, da ergeht es den Jüngern und den Jüngerinnen Jesu nicht anders als ihrem Herrn und Meister. Dann hört die Toleranz auf. Dann zerplatzt das Mäntelchen der Humanität. Dann bricht der Sturm der schärfsten geistlichen Auseinandersetzung los. Dann zeigen sich die wahren Fronten zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Treue zu Gott und Gottesfeindschaft, zwischen Kindern Gottes und Menschen, die der Gegenspieler fest im Griff hat. Aber nach seinem Leiden und Sterben wurde Jesus von den Toten auferweckt. Sein Vater im Himmel hat ihn, seine Worte und sein Werk bestätigt und seinen Namen über alle Namen erhoben. Und wo wir Jesus treu sind, wo wir den uns verordneten Kampf aufnehmen und durchstehen, wo wir Überwinder werden, da wartet auf uns die Teilhabe an der Erfüllung aller Verheißungen, die gerade im letzten Buch der Bibel so großartig beschrieben werden. Die größte Verheißung ist die, dass Jesus wiederkommt und dass sich seine Gemeinschaft mit uns dann vollendet. Dick gedruckt ist in diesem zweiten Sendschreiben der Satz: “Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“. Jesus hat das letzte Wort. Vielleicht braucht man in kritischen Situationen nur ganz wenige Worte, an die man sich ganz fest halten kann. Der Gemeinde in Smyrna wurde mit diesem Satz ein so starkes Wort gesagt.

Amen.

 

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