Sammle meine Tränen in deinen Krug
Meditation für Leidtragende anhand von Trostworten aus der Bibel und Liedern aus dem Evangelischen Gesangbuch
Psalm 56,9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel, du zählst sie.Vorbemerkung
Einige Bemerkungen zur Entstehung dieser Verkündigungsform zum Ewigkeitssonntag bzw. Gedenktag der Entschlafenen seien vorausgeschickt. Ich wollte einmal eine "indirekte" Predigtform finden, in der ich mich mehr als sonst im Vollzug der Predigt "zurücknehmen", mehr als sonst selbst hörend, auf meine Gefühle achtend und mit der Gemeinde still sein kann. Da im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag der Trost des Evangeliums die trauernden Menschen besonders erreichen möchte, kam mir der Gedanke, für die Predigt Bibelworte, die bisher mich ganz persönlich getröstet hatten, aus dem Gedächtnis aufzuschreiben und sie vor der Gemeinde - gleichsam der "(Selbst)wirksamkeit des Wortes Gottes" (efficacia verbi divini) vertrauend, mit nur wenigen und zurückhaltenden situationsverbindenden Hinweisen auszusprechen. Diesen Hinweisen sollte darum kein besonderes Gewicht zukommen. Sie könnten sogar ganz entfallen. Der trauernde Mensch wird den Trost aus der Tradition der Bibel und des Kirchenliedes empfinden. Zu den biblischen Trostworten suchte ich (ebenfalls aus dem Gedächtnis) Liedstrophen aus dem Kirchengesangbuch, welche die biblischen Inhalte fragend, antwortend oder bekräftigend aufnehmen, "meditieren" und weiterführen. In der kirchenmusikalischen Tradition der sogenannten Orgelstrophe fand ich eine Anregung, die meinem Anliegen einer "indirekten" Verkündigungsform auch im Hinblick auf die Gesangbuchlieder entgegenkam: Eine Liedstrophe wird durch einen Orgelchoral zu Gehör gebracht, während die Gemeinde die Gelegenheit hat, den Liedtext still mitzulesen und auf sich wirken zu lassen. Dabei besteht die Möglichkeit, dass der/die Liturg/in die Anfangsworte bzw. bei kürzeren Strophen den ganzen Text zunächst vorliest. Vor Beginn des Gottesdienstes wird ein Textblatt mit Angabe der Bibelstellen und vollständigem Ausdruck der Orgelstrophen ausgeteilt. Für die hier vorgelegte "indirekte" Verkündigungsform habe ich in der Literatur (vgl. etwa die ältere, immer noch lesenswerte, Arbeit von H. Arens, F. Richardt, J. Schulte, Kreativität und Predigtarbeit. Vielseitiger denken, einfallsreicher predigen, 4.Aufl., München 1982, S.141-144: "Gestaltungsideen") keine mich zufriedenstellende Bezeichnung gefunden. Ich nenne sie nur behelfsmäßig "Meditation", wohlwissend, dass dieser Begriff heute ebenso schillernd wie viel beansprucht ist. Über den Austausch von Erfahrungen im Umgang mit dieser Art und Weise der hier beschriebenen Verkündigung am Ewigkeitssonntag würde ich mich freuen.Liebe Gemeinde!
Wir sind zusammengekommen, um unserer Verstorbenen zu gedenken und für die Angehörigen zu beten. Trostworte aus der Bibel und Lieder aus unserem Kirchengesangbuch möchten uns dabei helfen. Das ausgeteilte Textblatt soll uns die Möglichkeit geben, die Liedstrophen still mitzulesen, während wir dazu einen Orgelchoral hören. Die Angabe der Bibelstellen möchte uns anregen, den biblischen Trostworten auch zu Hause und auf den weiteren Wegen der Trauer unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Das Evangelium zum Ewigkeitssonntag (Altarlesung Matthäus 25, 1 – 13) mündet in den Ruf Jesu zur Wachsamkeit: (Matthäus 25, 13) – “Wachet”, ruft uns Jesus mit dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen zu, die ihre Lampen nahmen und hinausgingen, dem Bräutigam entgegen. Als sie schon alle nach längerem Warten müde wurden, wurde um Mitternacht sein Kommen ausgerufen – mitten in der Nacht…
Orgelstrophe EG 147, 1 – Wachet auf, ruft uns die Stimme der Wächter sehr hoch auf der Zinne, wach auf, du Stadt Jerusalem! Mitternacht heißt diese Stunde, sie rufen uns mit hellem Munde: Wo seid ihr klugen Jungfrauen? Wohlauf, der Bräutigam kömmt, steht auf, die Lampen nehmt! Halleluja! Macht euch bereit zu der Hochzeit; ihr müsset ihm entgegengehn.
Psalm 103, 15 – 16 – Jenen letzten Abschied nehmen müssen von einem Menschen, der zu uns gehörte, lässt uns schmerzlich bewusst werden, wie hinfällig, vergänglich und kurz unser Leben ist: “Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr”.
Orgelstrophe 528, 1 – Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!
Psalm 56, 9 – Unsere Verstorbenen zu beweinen, ist kein Ausdruck mangelnden Gottvertrauens. Gott sieht nicht nur unsere Tränen, sondern er fängt sie sogar wie kostbares Wasser auf. Von dieser Gewissheit lebt die Bitte: “Sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel, du zählst sie”.
Orgelstrophe 371, 3 – Wie dirs und andern oft ergehe, ist ihm wahrlich nicht verborgen; er sieht und kennet aus der Höhe der betrübten Herzen Sorgen. Er zählt den Lauf der heißen Tränen und faßt zu Hauf all unser Sehnen. Gib dich zufrieden!
Hiob 19, 25 – “Aber Ich weiß, daß mein Erlöser lebt”, bekannte Hiob, obwohl er sich in seinem Leid von Gottes Hand schwer getroffen fühlte. Hiob antwortete mit diesem Bekenntnis Bildad, einem seiner Freunde, die ihn ständig mit der Frage nach einer Ursache seines Unglücks bedrängten. Lernen möchte ich von Hiob. Auch im unverständlichen Leid ließ er von Gott nicht ab und wusste sich trotz allem unter seinem Gottes Schutz.
Orgelstrophe 374, 5 – Und meines Glaubens Unterpfand ist, was er selbst verheißen, daß nichts mich seiner starken Hand soll je und je entreißen. Was er verspricht, das bricht er nicht, er bleibet meine Zuversicht; ich will ihn ewig preisen.
Psalm 42, 6 – Wie bin ich aufgelöst vor Trauer – aber ich will geduldig auf die Hilfe Gottes warten: “Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? – Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist”.
Orgelstrophe 345, 4 – O mein Herr Jesu Christ, der du geduldig bist für mich am Kreuz gestorben, hast mir das Heil erworben, auch uns allen zugleiche das ewig Himmelreiche.
Psalm 139, 2 + 3 + 5 + 8 – Welch ein Trost, dass Gott um meine auch nur leisesten inneren Regungen weiß und immer bei mir ist, sogar bei den Toten. “Du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege… Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir… Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, so bist du auch da.”
Orgelstrophe 165, 1 – Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitten. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.
1. Mose 8, 15 – 17 – “Da redete Gott mit Noah und sprach: Geh aus der Arche, du und deine Frau und deine Kinder und alle Tiere, die bei dir sind.” Hoffen möchte ich mit Noah: Lange Zeit hat er in der Arche zugebracht, bis sich die Tür geöffnet hatte. Bedrängendes war geschehen, aber Gott bewahrte ihn in der großen Flut. Noah durfte heraufsteigen wie aus einem Grab. Seine Füße konnten die Erde betreten und trugen ihn in das neugeschenkte Leben.
Orgelstrophe 361, 6 – Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
Johannes 16, 33 – “Jesus Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” Die Hoffnung und der Trost des Evangeliums heben die Trauer nicht einfach auf. Auch als Christen sind wir vom Tod angefochten und tun uns schwer mit der unabwendbaren Tatsache, “mitten im Leben vom Tod umfangen” zu sein. Aber die Botschaft von Jesu Auferstehung will alle Trauernden ermutigen, “aufzustehen”, weiterzugehen und sich dem Leben mit all seinen Gaben und Aufgaben erwartungsvoll zuzuwenden.
Orgelstrophe 406, 1 – Bei dir, Jesu, will ich bleibe, stets in deinem Dienste stehn; nichts soll mich von dir vertreiben, will auf deinen Wegen gehn. Du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trieb und Kraft, wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft.
Offenbarung 21, 4 + 5 – In der Offenbarung wird uns eine Neue Welt vor Augen gestellt, die uns in unserer Trauer und für unsere Toten hoffen lässt: “Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!”
Orgelstrophe 16, 1 – Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.
(Die Gemeinde stimmt nach der Orgelstrophe in diese letzte Liedstrophe ein.)