Comfort ye
Es gibt Situationen im Leben, in denen man für ein ermutigendes Wort dankbar ist
Predigttext: Jesaja 35, 3-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht da, euer Gott” hören wir. Mit diesen Worten beginnt auch Georg Friedrich Händels ‘Messias’, den er in knapp drei Wochen vollendete. “Beim ersten Wort fuhr er auf. >Comfort ye<, so begann der geschriebene Text. >Sei getrost!< – wie ein Zauber war es, dieses Wort – nein, nicht Wort: Antwort war es, göttlich gegeben, Engelsruf aus verhangenen Himmeln in sein verzagendes Herz. >Comfort ye< – wie dies klang, wie es aufrüttelte innen die verschüttete Seele, schaffendes, erschaffendes Wort. Und schon, kaum gelesen, kaum durchfühlt, hörte Händel es als Musik, in Tönen schwebend, rufend, rauschend, singend. O Glück, die Pforten waren aufgetan, er fühlte, er hörte wieder Musik.” So beschrieb Stefan Zweig die ‘zweite Auferstehung’ Händels. Die erste war geschehen, als der Komponist, nach einem Schlaganfall rechtsseitig gelähmt, sich in Aachen wieder so weit erholte, dass er wieder gehen, sprechen, schreiben und musizieren konnte. Aber widrige Umstände brachten Händel an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. “Es gab keinen Trost mehr für ihn”, notiert Stefan Zweig. Doch gerade in diese trost-lose Situation hinein erreichte Händel das Libretto des ‘Messias’. Eine Sternstunde der Menschheit begann.
Es gibt Situationen im Leben, in denen man für ein ermutigendes Wort dankbar ist. Situationen, in denen man sich schwach oder hilflos fühlt. Situationen, in denen man sich fragt: “Wie soll es weiter gehen?” Situationen, die einen den Blick in die Zukunft verstellen. “Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den ‘abgehetzten’ Herzen: “Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!”
Die Adventszeit könnte so eine Situation sein. Eigenartiger Weise spricht man einerseits von der besinnlichen Zeit und andererseits empfindet man eine gewisse Art von Hektik und Gehetztsein. Was soll in dieser Adventszeit noch alles erledigt werden? Berufliche Angespanntheit treffen wir, weil die Jahresabschlüsse bevorstehen. Familiäre Nervosität macht sich breit: Habe ich auch ja die richtigen Geschenke eingekauft, dass alle zufrieden sind! Plätzchenbacken wird zum Stress anstatt zum Vergnügen. Weihnachtskartenschreiben wird als Belastung anstatt als Freude empfunden, die man anderen Menschen damit macht. Der Erwartungsdruck in der Adventszeit ist ungemein hoch. Und wer sich selbst unter Druck setzt, wird von Besinnlichkeit wenig spüren. Eher, wie Jesaja formuliert, spürt man die ‘müden Hände’, die ‘wackligen Knie’ und die ‘abgehetzten Herzen’.
Das mag jetzt merkwürdig klingen. Aber genau in diese Situation trifft das ermutigende Wort: “Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!” Wer im Adventsgetriebe unterzugehen droht, erhebe seinen Blick und stelle fest: Weihnachten wird es nicht erst, wenn wir ausgelaugt und am Ende mit unseren Kräften sind. Weihnachten wird es, weil Gott in einem Kind Mensch geworden ist. Wer da hin schaut, in die Krippe im Stall zu Bethlehem, dem wird bewusst, dass dieses Kind uns zu trösten vermag. Diesen Trost erfahren wir so, dass der Erwartungsdruck, den wir uns stets selbst machen, von uns genommen wird. Weihnachten muss ich nicht machen, Weihnachten wird mir geschenkt. Ganz so, wie das Kind in der Krippe ein Geschenk ist, das ich sehen und bestaunen kann.
Wer diesen Trost ernst nimmt und auf Gott schaut in Gestalt des Kindes in der Krippe, dem macht es auf einmal Freude, Plätzchen zu backen und Geschenke auszusuchen. Der schreibt gerne seine Weihnachtskarten, um anderen eine Freude zu machen. Der wird locker und gelassen und findet Zeit zum Entspannen und besinnlich werden. Aus den ‘müden Händen’ werden Hände, die feinfühlig das tun, was ihnen Freude macht und darum auch gelingen wird. Aus den ‘wackligen Knien’ werden ruhige Beine, die langsam, aber alles bewusst wahrnehmend, voranschreiten und die Zeit genießen und auch mal entschieden Nein sagen zu dem, was wohl über ihre Kräfte geht. Aus den ‘abgehetzten Herzen’ werden gelassene Menschen, die sich Zeit nehmen für das Schöne in dieser Zeit und sich davon ermutigen und aufbauen lassen. “Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!”
Dann wird Freude sein und kein Jammer in dieser Adventszeit, dann wird das Wohlgefühl sich breit machen und nicht der Schmerz über Weihnachten. Dann wird man nicht mehr sagen: Hoffentlich ist diese Zeit bald vorüber. Nein, sie werden kommen und das Kind in der Krippe sehen und jauchzen und sagen: Gott meint es gut mit uns! Er hat uns etwas geschenkt, was uns diese Welt mit neuen Augen sehen lässt. Sie werden sich freuen und dankbar sein und ihre Kraft daraus schöpfen.