Die Stummen und Geplagten finden ihre Sprache wieder

Warten kann eine erfüllte Zeit sein

Predigttext: Jesaja 35,3-10
Kirche / Ort: Frankfurt a.M.
Datum: 10.12.2006
Kirchenjahr: 2. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrerin Ute Pietsch

Predigttext: Jesaja 35, 3-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Zur Exegese

Jesaja I (Kapitel 1-39) enthält Teilsammlungen und Anhänge, die nicht dem gleichen Verfasser zuzuordnen sind und andere historische Gegebenheiten reflektieren als Jesaja I. Kapitel 33-35 sind ein Anhang, in dem das Gericht über Edom (34) und eine Heilsweissagung über Zion (35) ausgesprochen werden. In der exegetischen Literatur werden die Kapitel 34 und 35 bisweilen als zusammengehörende Apokalypse aufgefasst: Edom wird die umfassende Vernichtung angesagt, während die Erlösten des Herrn auf einem heiligen Weg heimkehren. Kulturland wird zur Wüste (34) und Wüste zum blühenden Land (35); dem Tod in Edom (34), steht die Heilung Israels (35) gegenüber. Kapitel 35, 4b deutet das Heil Zions als eine Rache Gottes. Andere Exegeten halten Kapitel 35 für eine selbstständige Einheit. Es setzt ohne Anknüpfung ein, zielt auf die Rückkehr der Erlösten und hat einen deutlichen Schluß. Anspielungen auf zeitgeschichtliche Ereignisse fehlen ebenso wie konkrete Bezüge zur übrigen Völkerwelt, insbesondere zu Edom. Ob die Heilszukunft Zions etwas mit dem Gericht über Edom zu tun hat, bleibt mindestens unausgesprochen. Auch nimmt der Verfasser keinen Bezug auf die babylonische Vorherrschaft - Babylon erscheint nicht mehr als realer Gegner. Die Worte sind vorstellbar in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Exils. Die RückkehrerInnen hatten das Land anders vorgefunden als erhofft und erlebten Jahre der Not. Zwar ist vorausgesetzt, dass Israel teilweise immer noch in der Diaspora wohnt, aber es muss nicht unbedingt an das babylonische Exil gedacht werden. Der Verfasser des Kapitels bleibt undeutlich. Er verwendet Motive des Deuterojesaja, aber ist vermutlich ein späterer Autor in der nachexilischen Zeit. Das Kapitel 35 wäre dann ein Zeugnis der Hoffnung Israels: dass alle Zerstreuten die Herrlichkeit Gottes schauen und aus der Zerstreuung zurückkehren werden. Die Worte sind auch als Ermutigung für die bereits Heimgekehrten denkbar, die unter widrigen Umständen und Leiderfahrungen einen scheinbar ohnmächtigen Gott erleben. Die Hoffnung des Verfassers ist es, dass Jerusalem und Juda wieder an Bedeutung gewinnen mögen und dass es für das Diasporajudentum einen sicheren Hin- und Rückweg in die heilige Stadt gäbe.

Zur homiletischen Situation

Der Advent ist die Zeit der Erwartung, ursprünglich eine Zeit der Besinnung auf die erhoffte, ersehnte und zuweilen eingeklagte Ankunft Gottes. Auch wenn viele Menschen den Advent nicht mehr als Zeit der Besinnung erleben – sie kennen Symbole und Bräuche, die das Warten kultivieren und hinter denen mehr liegt als die Sehnsucht nach einem Festessen unter dem Weihnachtsbaum. Jetzt sind sie in den Gottesdienst gekommen. Der Predigttext malt eine Zukunft aus, die weit über die Erwartungen hinaus greift. Er kann aber anknüpfen, den Blick weiten und - vielleicht - die große Hoffnung für die Gegenwart wirksam werden lassen.

Zur Predigt

Israels Heil Die ganze Schöpfung ist in das Heil einbegriffen: Blinde sehen, Taube hören, Lahme springen und Sprachlose jauchzen; die Steppe blüht, die Wüste hat Wasserquellen und im trockenen Land entstehen Teiche. Der menschliche Körper und die irdisch-natürliche Umgebung sind der Ort, an dem sich das Heil Gottes verwirklicht. Sie sind gewürdigt der Lebensraum zu sein, an dem das göttliche Handeln sichtbar wird. Der Verfasser hat (auch im hebräischen Text) sicher nicht zufällig das Wort „Herrlichkeit“ und „Pracht“ für Gott und für das Land parallel gesetzt (V 4) und diese Zuordnung beabsichtigt. Beim Menschen drückt sich das Heil als Heilung aus und geschieht mit einem „Überschuss“ an Gutem: Die Unbeweglichen können sich nicht nur wieder bewegen, sondern springen; die Sprachlosen können nicht nur wieder reden, sondern frohlocken (V 6). Und ein heiliger Weg führt die Erlösten durch das verwandelte Land zur heiligen Stadt. Das Heil schließt aber auch die Rache Gottes ein. Der Text täuscht nicht darüber hinweg, dass Gott ein leidenschaftlicher Gott ist. Wer Unrecht tut, der macht sich Gott zum Gegner. Gottes Rache enthebt den Menschen davon, selbst Rache zu üben. Unsere Hoffnungsbilder Seit biblischen Zeiten leben Menschen mit der Erfahrung, dass das Heil nicht so eintrifft, wie es ausgemalt wird. Die Hoffnung findet nicht eins zu eins in die Realität. Aber die Hoffnungsbilder bleiben, sie werden weitergetragen, variiert und neu erzählt - unter ganz anderen Bedingungen, in anderen Ländern, aber mit der gleichen Sehnsucht. Und sie wirken. Die Gruppe „Frauen für den Frieden“ veranstaltete 1984 ihr zweites Nachtgebet in der Auferstehungskirche in Berlin (Ost). Unter Anwesenheit zahlreicher Stasi-Mitarbeiter fanden Frauen diese Worte und Bilder für ihre Hoffnung. „Ich bin eine Frau, die sät. Ich säe, weil ich Hoffnung habe. Und während ich hoffe, verändere ich den Boden: Das Gras legt über die Felsen Teppiche. Das Grün wächst über die Wege. Ob die Dornen im nächsten Jahr noch dort stehen werden, wo sie heute sind? Denn Saat vermehrt sich selbst. Manchmal möchte ich nach Utopia fliehen, an den Nicht – Ort. Dort ist der Boden gut. Dort wäre ich nicht ich selbst. Dort wäre ich nur ein Idealbild von mir – ohne Versagen, ohne eigenen Unfrieden. Ein solcher Ort fragt nicht nach mir. Meine Hoffnung hier an diesem Ort braucht mich, braucht meine Möglichkeiten, mich zu verändern, zu leben. Wenn ich hoffe, gehe ich ein bedrohliches Risiko ein. Enttäuscht kann ich werden – wie in der Liebe. Wer wagt es schon zu lieben angesichts der möglichen Verletzung? Wer wagt es schon, zu hoffen angesichts der möglichen Enttäuschung? Ja, Hoffnung ist bedrohlicher als Dornen, Weg und Fels. Aber ich brauche die Hoffnung, um die Bedrohung von Fels, Weg und Dornen zu überstehen. Gefesselt sind unsere Erwartungen an die Vernunft. Und doch gibt es wider Erwarten gute Ernte. Darum lasse ich mich ein auf das Wagnis der Hoffnung. Meine Hoffnung braucht mich, um sich zu erfüllen, braucht mich und meine Lebendigkeit. Und das macht ihre Hilfe aus.“ (Christa Sengenspeick-Roos) Schon jetzt – Noch nicht „Stärkt die müden Hände, macht fest, die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht da ist euer Gott!“ (V 4a) Die Hoffnungsbilder haben Wirkung auf die Gegenwart. Im Blick auf die Zukunft werden die Knie fest und die Hände kräftig; die verzagten Herzen werden ermutigt, jetzt schon auszuschauen nach den Zeichen der Gegenwart Gottes. Denn Gott ist zum Greifen nah.

Lieder

„Macht hoch die Tür“ (EG 1) „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7) „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11) „Seht, die gute Zeit ist nah“ (EG 18)

Literatur:

Otto Kaiser, Der Profet Jesaja, Göttingen 1976; Uwe Ranft, Christa Fuhrmann in: Erhard Domay (Hg.), Gottesdienstpraxis Serie A, V 1, Gütersloh 2000; Hans Wildberger, Jesaja, Biblischer Kommentar AT, X/3, Neukirchen-Vluyn 1982; Christa Sengenspeick – Roos, Das ganz Normale tun, Widerstandsräume in der DDR-Kirche, Edition Hentrich 1997.

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Liebe Gemeinde!

Ich bin kein sehr geduldiger Mensch. Wenn ich mir etwas vornehme, dann möchte ich auch, dass es bald geschieht. Wenn ich mich um etwas bemühe, dann hoffe ich, dass ich Erfolg habe. Wenn ich an etwas arbeite, soll es auch bald gelingen. Aber wenn sich dann immer wieder etwas dazwischen schiebt, wenn ich unterbrochen werde, wenn sich Hindernisse einstellen, dann werde ich unruhig. Warten – das ist nicht meine Stärke. Nicht nur ich – wir alle – sind eilige Zeitgenossen. Wir wollen so viel. Wir haben viel vor. Wir haben wenig Zeit. Warten ist nicht unsere Sache.

Warum sollten wir auch auf den Sommer warten bis die Erdbeeren reif sind? Im Treibhaus und mit künstlichem Licht wachsen die Früchte schon jetzt und so kommen die Erdbeeren bereits an Weihnachten auf den Tisch. Wir warten auch nicht, bis unser Kind auf dem Weg stehen geblieben und alles angesehen und in die Hand genommen hat; wir warten nicht, bis es die Schaufenster betrachtet und einen Hund gestreichelt hat. Wir müssen ja zur Arbeit oder nach Hause; das Kind muss in den Kindergarten oder zur Musikstunde oder ins Training. Wir sind eilige Zeitgenossen. Warten passt nicht in unsere Zeit.

Aber manchmal müssen wir warten. In einem Konflikt warten wir auf ein klärendes Gespräch, in Krankheit warten wir auf Heilung, wir warten auf den lang ersehnten Besuch, auf das Ende einer Einsamkeit, oder einen Menschen, der wieder zu uns gehört. Jugendliche warten auf das Ergebnis einer alles entscheidenen Klassenarbeit, auf eine berufliche Chance, auf Arbeit… Manchmal müssen wir warten.

Die Menschen, für die der Predigttext zuerst aufgeschrieben wurde, hatten es noch schwerer. Sie hatten schon so lange gewartet – und das in einer Situation, die überhaupt nicht lebensfreundlich war. Es waren Menschen, die einen weiten Weg hinter sich gebracht hatten. Aus dem Exil waren sie in die Heimat zurückgekehrt, aus der Gefangenschaft in die Freiheit – endlich Freiheit, endlich Zuhause. Jetzt kann das Leben wieder anfangen. Angekommen. Aber das Zuhause war nicht mehr das, was sie einmal verlassen hatten. Überall zerstörte Häuser. Verwüstete Felder und gebrochene Brunnen. Und mit den Steinen Mauern ist auch anderes zerbrochen, vieles, was man nicht so schnell wieder herstellen kann: Das Vertrauen, der Glaube, die Beziehungen, die Normalität. Wir können uns an der Seite der damaligen Israeliten auch Menschen unserer Zeit vorstellen: Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber. Menschen, deren Lebensplan durcheinander geraten ist; Menschen ohne Arbeit, zerstörte Familien. Sie warten auf eine Zusage, darauf, dass etwas besser, klarer wird. Das sind lange Entwicklungen. Sie brauchen viel Geduld.

Jesaja schreibt im 35. Kapitel:

(Lesung des Predigttextes)

Liebe Gemeinde, es ist ein starkes, ein weit ausgreifendes Lied. Vorbei sind Zeiten der Dürre und des Mangels. Vorbei die Zeiten der Niedergeschlagenheit. Da ist eine Landschaft, die blüht. Bäche und Seen, wo vorher Dürre war. Das Grün tut dem Auge wohl. Wüste und Wildnis jubeln. Den Menschen gehen die Augen auf. Die Ohren werden geöffnet, dass sie den Trost hören können. Die Stummen und Geplagten finden ihre Sprache wieder. Aus den Wüsten des Lebens, wo kaum Leben möglich ist, sind wieder Oase der Lebensfreude geworden. Erreichen uns diese Worte? Oder ist das Bild zu schön, ist die Hoffnung zu groß? Halten Jesajas Worte der Wirklichkeit stand? Oder müssen wir die Verheißung zurückgeben, an Jesaja, den Träumer. Adressat unbekannt. Nicht für uns?

Manchmal, wenn ich Radio höre, und so ein überschwängliches, ganz positives, rosarotes Lied höre, dann muss ich schnell hinlaufen und ausschalten. Ich bin genervt. Wenn der siebte Himmel sich so ungetrübt auftut, das Leben nur aus locker-flockigen Sprüchen besteht – alles wird gut – dann ist mir das manchmal zuviel. Bei Jesajas Lied ist das anders. Ich kann seine Wort hören, ohne auszuschalten. Dafür gibt es drei Gründe:

Bodenhaftung

Das Lied hat Bodenhaftung. Es beginnt bei den müden Händen und den wankenden Knien. Es beginnt mit den schwierigen Wegen, damit, dass Menschen etwas nicht sehen können – ihren Weg z.B., Möglichkeiten für die Zukunft, helfend ausgestreckte Hände. Es beginnt damit, dass sie etwas nicht hören – ein klärendes Wort z.B., die Bitte um Verzeihung, ein tröstendes Wort, damit, dass nicht laufen, vorwärts kommen können. Das alles, alles, was unser leben schwer macht, darf sein. Wir leben damit und Jesaja setzt sich nicht darüber hinweg. Er lässt gelten, was ist.

Warum mir das so wichtig ist? Es gibt ja auch andere Möglichkeiten mit dem Schweren umzugehen und eine gute Welt zu erhoffen, so wie z.B. Peter Singer, der Gentochnologe aus Australien das in den 80ger Jahren propagiert hat. Wir wollen eine leidfreie Welt. Und deshalb gehören behinderte und schwerkranke Menschen und Tiere nicht dazu. Deshalb sollen sie den sog. Gnadentod bekommen. Oder wie fundamentalistische, rechtsradikale Gruppen, die sagen: Wir wollen unseren Wohlstand unsere Kultur erhalten. Deshalb gehören AusländerInnen, Wirtschaftsflüchtlinge und Asylbewerber nicht dazu. Aber das ist nicht der Schalom Gottes. Das ist nicht die Vision, von der Jesaja spricht. Jesajas Vision hat Bodenhaftung. Sie schließt uns ein, wenn wir es schwer haben und sie schließt alle, die nicht zu ihrem Leben kommen konnten oder können, die es schwer haben.

Die Hoffnung bleibt

Die Hoffnung Jesajas bleibt. Auch wenn wir wie die Israeliten damals die Erfahrung machen, dass das Heil nicht so eintrifft, wie es ausgemalt wird. Auch wenn die Hoffnung nicht eins zu eins in die Realität findet. Die Hoffnung bleibt. Die Worte und Bilder werden weiter getragen. Sie werden variiert und neu erzählt – unter ganz anderen Bedingungen, in anderen Ländern, aber mit der gleichen Sehnsucht. Und sie wirken.

Zum Beispiel: Miguel, 10 Jahre, Immigrant aus Kolumbien (Sonderbeitrag in der 5. Klasse zum Thema Träume):

„Mein Traum ist, dass ich und meine Mutter in einem Haus wohnen. Ein großer Garten ist dort und ein großer Hund. Meine Schwester soll ein eigenes Zimmer haben. Das Haus soll in Kolumbien sein und die Gegend soll friedlich sein. Und die Kirche , in die ich gehe, soll groß werden. Und die Leute in Frankfurt sollen an die in Kolumbien denken, die unbedingt Hilfe brauchen. Ich danke dir, lieber Gott, dass ich dich kenne. Danke, dass meine Oma deine Wege geht. Und ich hoffe, dass der Rest der Familie auch Gott kennenlernt“.

Ein anderes Beispiel: Die Gruppe „Frauen für den Frieden“ veranstaltete 1984 ihr zweites Nachtgebet in der Auferstehungskirche in Berlin (Ost). Unter Anwesenheit zahlreicher Stasi-Mitarbeiter fanden Frauen diese Worte und Bilder für ihre Hoffnung.

„Ich bin eine Frau, die sät. Ich säe, weil ich Hoffnung habe. Und während ich hoffe, verändere ich den Boden: Das Gras legt über die Felsen Teppiche. Das Grün wächst über die Wege. Ob die Dornen im nächsten Jahr noch dort stehen werden, wo sie heute sind? Denn Saat vermehrt sich selbst. Manchmal möchte ich nach Utopia fliehen, an den Nicht – Ort. Dort ist der Boden gut. Dort wäre ich nicht ich selbst. Dort wäre ich nur ein Idealbild von mir – ohne Versagen, ohne eigenen Unfrieden. Ein solcher Ort fragt nicht nach mir. Meine Hoffnung hier an diesem Ort braucht mich, braucht meine Möglichkeiten, mich zu verändern, zu leben. Wenn ich hoffe, gehe ich ein bedrohliches Risiko ein. Enttäuscht kann ich werden – wie in der Liebe. Wer wagt es schon zu lieben angesichts der möglichen Verletzung? Wer wagt es schon, zu hoffen angesichts der möglichen Enttäuschung? Ja, Hoffnung ist bedrohlicher als Dornen, Weg und Fels. Aber ich brauche die Hoffnung, um die Bedrohung von Fels, Weg und Dornen zu überstehen. Gefesselt sind unsere Erwartungen an die Vernunft. Und doch gibt es wider Erwarten gute Ernte. Darum lasse ich mich ein auf das Wagnis der Hoffnung. Meine Hoffnung braucht mich, um sich zu erfüllen, braucht mich und meine Lebendigkeit. Und das macht ihre Hilfe aus.“ (Christa Sengenspeick-Roos)

Liebe Gemeinde, die Hoffnung bleibt, auch wenn sie nicht eins zu eins in die Wirklichkeit findet. In immer anderen Bildern malt sie aus, was sein könnte und was einmal ganz sein wird. Ihre Bilder wirken schon jetzt. Im Blick auf Gottes Zukunft werden die Knie schon jetzt fest und die Hände kräftig; die verzagten Herzen werden weit und erkennen schon jetzt die Zeichen der Gegenwart Gottes. Besonders das Zeichen: Jesus Christus , geboren in einem Stall. Gott ist zum Greifen nah.

Liebe Gemeinde, ich bin kein sehr geduldiger Mensch. Aber ich liebe den Advent – die große Wartezeit. Im Advent lerne ich zu wünschen und zu warten. Früher habe ich meinen Wunschzettel, fein säuberlich aufgeschrieben, mit einem bunten Stein beschwert und vor das Fenster gelegt. Nicht alles ging in Erfüllung, aber vieles. Die notwendigen Dinge zuerst, Strümpfe und Schuhe, Kleidung und Bücher. Fast immer gab es aber auch das Besondere, Überflüssige, Festliche. Eine Puppe vielleicht, später einen Skikurs oder Heute haben sich meine Wünsche verändert. Aber ich habe gelernt, dass es sich lohnt zu wünschen. Es ist gut, Wünsche wahrzunehmen, auszusprechen, vielleicht gemeinsam zu wünschen: den Frieden, Versöhnung, soziale Gerechtigkeit, eine menschliche Wirtschaftsform…

Im Advent lerne ich, dass es sich lohnt, zu wünschen und zu warten. Und dass Warten nicht immer eine leere Zeit ist. Da geschieht schon etwas im Voraus, etwas gutes, helles, freundliches, ein Hinweis auf die Erfüllung. Alle vier Tage ein Adventspäcken im Wechsel mit den Geschwistern, jeden Sonntag eine Kerze mehr, Barbarazweige und am Nikolaustag gefüllte Stiefel. Im Advent lerne ich, dass schon das Warten eine erfüllte Zeit sein kann – erfüllt mit Hinweisen auf das Ganze, auf das Heil Gottes, auf den Schalom. Auf Jesus Christus, in dem sich der Schalom schon einmal ganz verwirklicht hat.

Amen.

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