“Unterwegs im Auftrag des Herrn”
Jesus weiß von einem Gott, der nicht dazu da ist, Menschen Angst einzujagen, sondern ihnen Lebensfreude zu geben, Freiheit für das Leben, Liebe für alle Menschen
Predigttext: Johannes 7,28-29 (nach Klaus Berger / Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften)
Dagegen sagte Jesus, als er im Tempel lehrte: „Ihr kennt mich zwar und wisst, woher ich komme, aber ich bin nicht im eigenen Auftrag hier, sondern Gott, der Wahre, hat mich geschickt, und den kennt ihr nicht. Ich kenne ihn, denn ich komme von ihm her, und er hat mich gesandt.Vorüberlegungen
1. Würde ich nach der ersten Lektüre diesen Predigttext für meine Christvespern nutzen? Bei vollen Kirchen mit vielleicht zwei Dritteln Kirchenfremden ist dieser Predigttext schon wenig volksnah. Aber man sollte es wirklich überlegen, ihn als Chance für eine intellektuell anspruchsvolle, aber volksnahe Predigt zu nutzen. 2. Das Motiv, das im Predigttext vorliegt, ist das der Verborgenheit, die bei Lukas in der Armut seiner Geburt zu finden ist, bei Johannes 7,27ff geradezu „obligatorisch“ ist. Vgl. Berger: Theologiegeschichte des Urchristentums, § 178, S.310. 3. Die Menschwerdung und das Nicht-Erkanntwerden des Sohnes Gottes zieht sich durch das Johannesevangelium. Schon in Johannes 1 wird die Verhüllung des weisheitlichen Geheimnisses auf das gesamte Auftreten Jesu erweitert und nicht auf seine Kreuzigung beschränkt, was nach Berger (s.o.) auf ein fortgeschrittenes Stadium der Überlieferung deutet. 4. Diesen theologiegeschichtlichen Zusammenhang an Heilig Abend aufzugliedern – 2000 Jahre, nachdem die Verborgenheit des Messias aufgelöst ist – erscheint mir eine Überforderung der Gottesdienstgemeinde zu sein. 5. Aus diesem Grund wurde eine Fokussierung auf den „Auftrag“ Jesu gewählt, in Anspielung auf die Blues Brothers.Liebe Gemeinde,
an Weihnachten feiern wir die Geburt Jesu. Damals vor über 2000 Jahren war es zunächst nur ein kleines Kind von kleinen Leuten, von Armen oder „Prekariern“, wie das neudeutsche Wort des Jahres 2006 lautet: Ein Kind von Menschen, deren Lage wirklich prekär ist. Wir heute wissen natürlich um die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Geburt, um die heilsgeschichtliche Bedeutung Jesu für alle Menschen. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, weil man das Ende kennt und sagen kann: Hätte man doch gleich sehen können! Aber zu Lebzeiten Jesu? Das Neue Testament ist voll davon, dass die Menschen diesen Jesus begreifen wollten, aber nicht begreifen konnten: War er ein Prophet? Manche verglichen ihn mit dem Elia, dem großen Propheten der Königszeit im Alten Testament. War er der Nachfolger von Johannes dem Täufer, der am Jordan die Menschen taufte und hingerichtet wurde? Für manche war er einfach nur ein Verrückter, der das Volk aufwiegelt. Und nur wenige sahen in ihm den „Menschensohn“, wie er sich selber nannte, dem Menschensohn aus dem Prophetenbuch Daniel, den Gott zu den Menschen senden wollte, um ihnen die Wahrheit zu verkünden.
In unserem heutigen Predigttext gibt Jesus selbst Auskunft darüber, wer er ist und warum er damals in der Krippe in dieser Höhle Bethlehems geboren wurde. Der Evangelist Johannes überliefert uns dieses Wort im 7. Kapitel:
(Lesung des Predigttextes)
Die Jerusalemer rätseln vor seinen Worten über Jesus: Ist er ein Aufwiegler? Der, den die Mächtigen umbringen wollen? Sollte er der Messias sein? Nein, das ist völlig unmöglich: Denn beim Messias, beim Christus weiß man doch nicht, woher er kommt: Aber seine Eltern kennen wir, Maria und Joseph, seine Geschwister sind uns nicht unbekannt und er kommt aus Galiläa – das hatte damals ungefähr den Beliebtheitsgrad von Sachsen aus mancher westdeutscher Sicht. Er war über 30 Jahre alt, hat mit den Leuten gelebt, wahrscheinlich Zimmermann oder Tischler, vielleicht hat er für manchen der Leute einen Stuhl oder einen Dachstuhl gemacht. So jemanden hält man nicht für den „Menschensohn“, für den Gesandten Gottes. So jemandem stellt man eher einen Schoppen Wein hin und unterhält sich über Schäden am Holz und am Dach. Vielleicht lebt ja der Wirt von damals noch, der Maria und Joseph die Höhle für die Nacht gegeben hat. Vielleicht ist er unter den Leuten und sagt: Der Messias? Kann nicht sein: Seine Windeln hingen zum Trocknen vor meinem Stall. So kommt der Christus, der Menschensohn nicht zu uns. Der kommt mit Macht und eindrucksvoll. Das, was für uns an Weihnachten so freudenvoll ist: Dass Gott Mensch wird in diesem Kind, sich selbst machtlos macht, wie es in den Weihnachtsliedern heißt, das ist für Jesus 30 Jahre später wirklich ein Problem.
Jesus muss also reagieren auf diese Gespräche: „Klar kennt Ihr meine Herkunft, klar haben wir zusammen geschwitzt, zusammen gefeiert, zusammen getrunken und zusammen gelebt. Aber hier steht kein galiläischer Zimmermann, der sich selbst berufen hat: Hier steht der Gesandte Gottes – und von diesem Gott habt Ihr keine Ahnung. Ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs, ich muss Euch etwas sagen von diesem Gott, weil ihr ihn bisher immer falsch gesehen habt, weil ich sein Wesen kenne, weil ich weiß, dass er nicht dazu da ist, Menschen Angst einzujagen, sondern ihnen Lebensfreude zu geben, Freiheit für das Leben, Liebe für alle Menschen. Das ist dieser Gott: Und ich kann Euch das sagen, weil ich von ihm her komme, weil er mich gesandt hat. Ich bin berechtigt, Euch von ihm zu erzählen, denn ich bin im Auftrag des Herrn unterwegs.
„Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!“ Erinnern Sie sich an den Film „Die Blues-Brothers“? Zwei schräge Vögel mit Hut und Sonnenbrille kommen gerade aus dem Knast und hören davon, dass ihre kirchliche Schule kein Geld mehr hat und aufgelöst werden muss. Daraufhin machen sie sich auf den Weg, innerhalb kürzester Zeit Geld zu sammeln, eben auch mit ihrer Blues-Band. Sie überwinden alle Hürden, die ihnen im Weg stehen und ihr Erkennungsspruch ist „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!“. Ob sie nun in einem Country-Club wegen ihrer Musik mit allem beworfen werden, was fliegen kann – das wäre ungefähr so, als würde Tokio Hotel im Musikantenstadl auftreten -, ob sie von Neonazis verfolgt werden: Sie halten durch bis zum Schluss: „Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!“ Diesen Auftrag des Herrn hätte Jesus nicht ausführen können, wenn er immer das Christkind in der Krippe geblieben wäre, wenn er zu Hause in Nazareth Zimmermann geblieben wäre – ihm blieb gar nichts anderes übrig, als aufzustehen und laut zu reden: „Ihr macht einen Fehler! Rennt nicht in die Gottesdienste und meint, Ihr würdet dadurch in den Himmel kommen! Ihr müsst handeln: Ihr müsst erkennen, dass Gott die Menschen liebt und dass Ihr sie auch lieben sollt: Schaut Euch um, wo Arme, Kranke und Benachteiligte leben! Wendet Euch ihnen zu! Der barmherzige Samariter macht es Euch vor: Erwartet keine Belohnung dafür und genau dann werdet Ihr belohnt werden! Wer heute leidet, wartet auf Euch und dann werdet Ihr gemeinsam zu Gott, dem Vater gehören!“
„Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs!“ Man macht sich nicht beliebt mit solchen Worten und den Taten, die Jesus getan hat: Als er den Leuten, die die Todesstrafe an der Ehebrecherin vollziehen wollen, die Steine aus der Hand nimmt! Als er sich mit Leuten umgibt, die nicht dazu gehören zur Kirchengemeinde, zu den Angesehenen im Stadtteil, im Dorf, die man meidet, weil sie lästig sind und von denen alle wissen: „Die werden sicher nicht in den Himmel kommen!“ Jesus ist erwachsen geworden, er ist nicht immer das Christkind geblieben – er ist kratzbürstig geworden, manchmal grob, um die Menschen aufzurütteln. Und er war im Auftrag des Herrn unterwegs: Im Auftrag der Liebe zu den Menschen, zu allen Menschen.
Wir alle, die wir heute mehr wissen von Gott, weil wir Jesu Leben nicht nur von der Krippe im Stall von Bethlehem betrachten, sondern vom Kreuz her, von der Gesamtschau seines Lebens, wie es im Neuen Testament sich spiegelt: Wir kennen den Herrn, den Vater Jesu und unser Vater; wir kennen seinen Auftrag, für einen menschenfreundliches Leben in unserem Land und in unserer Welt einzutreten. Wir selbst sind im Auftrag des Herrn unterwegs. Jesus hat heute unsere Hände, er hat unseren Mund, damit wir das tun, was er getan hat oder heute tun würde. Damit wir das sagen, was er gesagt hat oder heute sagen würde: Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs – das wünsche ich uns allen, wenn wir heute die Kirche wieder verlassen, wenn wir in unsere Häuser zurückkehren, um Weihnachten zu feiern, wenn wir nach den Feiertagen wieder in die Arbeit, in die Schule, in unseren Alltag zurückkehren: Dass wir alle im Auftrag des Herrn unterwegs sind, weil wir – im Unterschied zu den Leuten damals – Jesus kennen, Gott durch ihn erkennen und seinen Auftrag für die Welt.
Ach – wer den Film nicht kennt: Die Blues Brothers bekommen das Geld zusammen, sie haben sich verändert in ihrem Einsatz für den Herrn, und sie haben erfolgreich den Auftrag des Herrn ausgeführt. Das wünsche ich uns allen, heute, in den kommenden Tagen und in unserem Leben.
Amen.