Mein Päckchen

In der Kirche gut aufgehoben

Predigttext: Johannes 8,31-36
Kirche / Ort: Wertheim-Bestenheid
Datum: 31.12.2006
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pfarrer Jürgen Steinbach

Predigttext: Johannes 8,31-36 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(31) Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger (32) und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. (33) Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden? (34) Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. (35) Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. (36) Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.

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Liebe Gemeinde!

Ich habe heute ein Päckchen mitgebracht. Ich verrate nicht was drin ist, denn es ist mein Päckchen. Jeder hat so ein Päckchen, das er mit sich herumträgt. Bei den einen ist es größer, bei andern kleiner. Aber jeder hat eins. Nur dass Verschiedenes drin ist. Und auch verschieden Schweres. Die einen haben vor allem Kummer drin. Weil sie etwas erlebt haben, das ihnen Kummer macht. Bei andern ist es mit Trauer gefüllt, weil sie einen Menschen verloren haben, den sie mochten, der zu ihnen gehörte. Andere haben Wut drin, weil sie jemand ungerecht behandelt hat und schikaniert. Und weil sie aus dieser Situation nicht herauskommen. Andere Enttäuschung, weil sich ein Traum nicht erfüllen lässt. Alle, aber das ist eine Behauptung, die sie für sich selbst überprüfen müssen, haben in ihrem Päckchen auch ein Stück Schuld drin. Weil sie irgendjemanden nicht so behandelt haben, wie es recht ist.

Wenn ich versuche mein Päckchen irgendwo abzustellen oder es zu vergessen, dann gelingt das meist für kurze Zeit. Aber dann trägt es mir meist jemand nach. Manchmal schaue ich allerdings auch selber nach ihm und nehme es rechtzeitig wieder mit, damit nicht doch noch jemand Fremdes auf die Idee kommt reinzuschauen. Ich werde es jedenfalls nicht los. Dabei wäre ich es gern los. Weil manches was drin ist mich belastet und manches davon mir auf die Nerven geht, mir aufs Gemüt schlägt. Das geht nicht nur mir so, sondern auch anderen, die mit seinem Inhalt in Berührung kommen.

Wir reden in der Kirche ja davon, dass wir bei Gott unsere Last ablegen können. Vielleicht sind einige von Ihnen auch deshalb heute Abend hergekommen, am Ende dieses Jahres. Weil sie sich Entlastung erhoffen von ihrem Päckchen. Oder doch zumindest eine gewisse Zeit, in der sie sortieren können, wie es weiter gehen soll, was sie loswerden möchten und was sie wieder mitnehmen müssen. Um das „Frei- sein“ geht es heute Abend. Es ist auch das Thema in dem folgenden Abschnitt aus dem Johannesevangelium, Kapitel 8, die Verse 31 – 36.

(Lesung des Predigttextes)

Jesus begegnet Menschen, die glauben. Die an ihn glauben heißt es ausdrücklich. Und trotzdem verstehen sie nicht, was er sagt. Weil sie ihr Leben und das von andern nicht mit seinen Augen sehen. Jesus sagt zu ihnen: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Und sie meinen: Frei machen, schön und gut. Aber wo sind wir denn unfrei? Wir sind doch Abrahams Kinder. Wir glauben an denselben Gott wie du. Lügen wir uns da irgendetwas in die Tasche? Oder wie meinst Du das: Die Wahrheit wird euch frei machen. Ist das etwa nicht die Wahrheit? Jesu widerspricht ihnen nicht. Wie könnte er auch. Sie haben ja in diesem Punkt Recht. Sie sind Kinder Abrahams. Aber diese Wahrheit macht sie nicht frei.

Erinnern wir uns: Ein paar Stunden früher (und im Johannesevangelium ein paar Verse weiter vorne) hatte sich Folgendes abgespielt: Eine Frau, die beim Ehebruch erwischt wurde, sollte gesteinigt werden. Jesus sagte: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Als die Ankläger das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst. Die Wahrheit war: Die Frau war schuldig. Und die Konsequenz daraus war: nach den Gesetzen Moses das Todesurteil. Das alles war folgerichtig und nicht zu beanstanden. Genau darin lag für Jesus das Problem: Die Wahrheit führte dazu, dass ein Gesetz angewendet wurde. Die Frau musste sterben. In dieser Zwangsläufigkeit lag kein Spielraum. Keine Möglichkeit zum Erbarmen. Sie führte in den Tod.

Die Wahrheit, die Jesus meinte führte dagegen ins Leben zurück. Er spielte dazu die Wahrheit nicht etwa herunter. Er kehrte sie auch nicht unter den Teppich. Er sah, was die Frau getan hatte und forderte sie auf, nicht wieder zu sündigen. Aber Jesus brachte die Ankläger selbst ins Spiel. Als Menschen, die ihr eigenes Päckchen mit sich herumtragen. Ihre Selbsterkenntnis war ein Teil der Wahrheit, die der Frau ein neues Leben schenkte und sie frei machte.

Hier auf der Kanzel habe ich immer noch mein Päckchen zu tragen. Da ist die Wahrheit über mich drin. Nicht die ganze Wahrheit, aber doch ein wesentlicher Teil. Wenn ich mir den Ausgang der Geschichte von der Ehebrecherin anschaue, dann stimmt mich der optimistisch, dass mein Päckchen hier in der Kirche gut aufgehoben ist. Weil Gott mich ins Leben zurückschickt. Weil er mich frei sehen will für die Fülle, die dieses Leben auch im kommenden Jahr für mich bereithält. Wir sind frei, das soll die Botschaft sein, mit der wir dieses Jahr beenden und in ein neues starten. Das ist allerdings noch nicht das Ende der Übung. Der schwierigere Teil wartet noch auf uns, wenn wir wieder nach Hause gehen, zurück zu den Menschen, die unser Leben teilen. Denn dort warten sie, die in unsere Schuld verstrickt sind. Und wünschen nichts mehr, als dass es anders wird mit uns.

Vielleicht ist das der schwierigste Vorsatz noch in diesem Jahr: Reinen Tisch zu machen. Zuzugeben, was schwierig war im vergangenen Jahr, und Schuld zu bekennen. Dazu gebe uns Gott Mut, denn vor allem den werden wir brauchen. Bleibt zu hoffen, dass die andern selbstkritisch genug sind und darum barmherzig mit uns umgehen.

Amen.

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