„Das alles hat Christus für mich getan“

Vielleicht bedarf es gerade meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi in dieser Welt aufleuchtet

Predigttext: Johannes 1,29-34
Kirche / Ort: Schornsheim/Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 7.01.2007
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Johannes 1,29-34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

29 Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! 30 Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. 31 Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser. 32 Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herab fuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. 33 Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herab fahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. 34 Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

Vorbemerkungen

Exegetisches Der Evangelist Johannes setzt Johannes den Täufer zu Jesus in Beziehung. Der Täufer ist der, der von Gott gesandt ist, mit der Wassertaufe auf den Gesandten Gottes, sprich Jesus hinzuweisen. Damit erfährt Johannes der Täufer seine Vor- bzw. Unterordnung in Bezug auf Jesus. Johannes der Täufer bezeugt Jesus als den, auf dem der Geist Gottes ist. Das hat er bei der Taufe Jesu, die er an ihm vollzog und worauf Vers 32 anspielt, wahrgenommen. Er bezeugt Jesus als den, der mit dem heiligen Geist tauft. Das verdeutlicht die höhere Qualität gegenüber dem Täufer-Tun des Johannes. Er bezeugt Jesus als den, der das Lamm Gottes ist. Ein klarer Hinweis auf das Ende Jesu und die Bedeutung seines Todes als sühnendes Opfer und heilschaffende Tat. Er bezeugt Jesus als den, der Gottes Sohn ist. Jesus kommt von Gott, dem Vater, und verkörpert Gottes Wille in Person. Homiletisches Es ist gut denkbar, die Zeugen-Aussage Johannes des Täufers: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!" zum Thema der Predigt zu machen. >Schuld und Vergebung< ist ein spannendes Thema. Unter uns Evangelischen, denen die Beichte im ritualisierten Sinne fremd ist, mag es ein nicht immer hinreichend beachtetes sein. Aber der Ausdruck >Lamm Gottes< mit all seiner religionsgeschichtlichen Überfrachtung ist kein "leichtes" Thema für eine Predigt, die Menschen im 21. Jahrhundert erreichen soll. Ich habe mich für das Thema >Zeugenschaft< entschieden und versucht, dieses behutsam auszuführen, so dass nicht nur Johannes als der besondere Zeuge im Mittelpunkt der Betrachtung steht und die damalige Situation verklärt erscheint. Gerade die Hörerin / der Hörer von heute soll in Beziehung zu Jesus treten und ihre/seine eigene Zeugenschaft ausloten.

zurück zum Textanfang

Ein überraschendes “Aha-Erlebnis”

Wann ist Ihnen das letzte Mal “ein Licht aufgegangen”? Denken Sie einmal kurz nach. War es erst gestern oder liegt es schon ein wenig zurück? Ihnen fällt bestimmt etwas ein. So ein “Aha-Erlebnis” ist eine glücksbringende Sache. Es kann sich einstellen nach einer gewissen Zeit des Grübelns und Nachsinnens. Es kann aber auch ganz unverhofft und überraschend kommen. Solch eine Erleuchtung wirft in jedem Falle ein Licht, das uns etwas klarer sehen lässt, was wir bis dahin nicht so verstanden oder empfunden haben.

Ist das so ein “Aha- Erlebnis”, das Johannes dem Täufer ein Licht aufgehen ließ? Nämlich, dass Jesus der ist, den er bezeugen soll! “Ich kannte ihn nicht!” muss er zweimal offen eingestehen. Wohl hat er Jesus schon eine Weile gekannt, aber er hat nicht den in ihm gesehen, der nach ihm kommen soll. Er hat nicht den in ihm erkannt, der nach ihm kommen und auf den er hinweisen soll. Er hat nicht den in ihm wahrgenommen, der die Menschen mit dem Heiligen Geist tauft und der Gottes Sohn genannt wird.

Johannes geht ein Licht auf! Eins, das Jesus für Johannes ins rechte Licht rückt. Mit einem Male sieht er in ihm mehr als nur den Menschen Jesus von Nazareth. Ihm wird bewusst, dass Jesus unter einem himmlischen Lichtkegel steht. Seine Ausstrahlung macht deutlich, dass er nicht irgendwer ist. Es ist der, auf den der heilige Geist herab fuhr wie eine Taube. Es ist der, von dem Johannes sagt: “Dieser ist Gottes Sohn”. Es ist der, den Johannes “Gottes Lamm” nennt, “das der Welt Sünde trägt”.

Nicht wenige Menschen begegnen solchen Aussagen mit totalem Unverständnis. Selbst Johannes sagt zweimal von sich: “Und ich kannte ihn nicht!” Es gab eine Zeit für ihn, in der ihm Jesus absolut gleichgültig war. Gleich gültig wie jeder andere Mensch auf dieser Erde. Wie viele damals und heute ist er an Jesus vorbeigegangen, ohne eine besondere Empfindung gespürt zu haben. Warum sollte er auch. Er kannte ihn ja nicht. Und schon gar nicht so, wie er ihn erst durch sein “Aha-Erlebnis” – wie immer das auch gewesen sein mag – kennen lernte.

Hinweis auf Jesus

Manchmal brauchen wir jemanden, der uns aufmerksam macht. Oder etwas. Da wir gerade von Weihnachten kommen, sei an den Stern von Bethlehem erinnert. Er machte die Weisen aus dem Morgenland aufmerksam auf den neugeborenen König. Durch ihn fanden sie das Kind in der Krippe im Stall zu Bethlehem. Oder denken wir an den Kämmerer aus Äthiopien. Er las – von Jerusalem kommend – den Propheten Jesaja. Aber er verstand ihn nicht. Da kam Philippus – vom Geist geschickt – vorbei und erklärte ihm, was er las und was es bedeutete. Und als der Kämmerer verstand, ließ er sich taufen und wurde ein Christ.

Solche Schlüsselerlebnisse eröffnen eine neue Sichtweise. Man kann sie nicht machen oder erzwingen. Sie müssen einem geschenkt werden. Überraschend und unverhofft. Ein Stern plötzlich am Firmament, der einen Weg erleuchtet. Ein Mensch, der uns begegnet, der uns auf einen neuen Gedanken bringt und uns Dinge sehen lässt, die wir vorher nicht wahrgenommen haben. Das alles ist jederzeit möglich. Und manchmal ist es auch eine innere Eingebung, die uns ein Licht aufgehen lässt. So ungewöhnlich sich das anfühlen mag, es ist niemals auszuschließen.

Wer oder was hat uns aufmerksam gemacht für diesen Christus, dem wir vielleicht lange gleich gültig begegnet sind?! War es ein barmherziger Samariter, dem wir zuschauten, wie er sich um einen Menschen bemüht. Mir fällt an dieser Stelle Mutter Theresa ein, die über alle Grenzen hinaus durch ihr großes Engagement für Menschen im Elendsviertel von Kalkutta bekannt geworden ist. Sie hat ihr ganzes Leben in den Dienst Jesu gestellt. Durch ihre Bescheidenheit und Selbstlosigkeit hat sie an die armen Menschen gedacht, denen sie helfen wollte. Ihnen galt ihr ganzes Tun und Trachten. Dafür hat sie gelebt und gearbeitet.

Aber ich denke auch an meine Nachbarin, die sich in rührender Weise um ihre altersdemente Schwiegermutter kümmert. Dass ihre selbstlose Zuwendung manchmal über ihre Kräfte geht, stört sie nicht weiter. Sie versteht sich als Christin in der Nachfolge Jesu. Und dadurch wird ihr nichts zuviel. Sie macht es gern, wie sie sagt, und sie macht es freiwillig. Und sie macht es mit Liebe. Das beeindruckt mich tief. Und selbst, wenn mir dieser Jesus fremd vorkommt, wird mir solche Barmherzigkeit zum Zeichen, welche Kraft und Ausstrahlung Jesus in unserer Welt hat. Offenbar gibt er sich darin zu erkennen und kann so auf menschliche Weise erkannt werden.

Was mir Jesus bedeutet

Wie Johannes auf den, der nach ihm kommt, hingewiesen hat, so haben viele seither mit ihrem Leben und Wirken auf Jesus hingewiesen. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise, versteht sich. Je nach dem, wie sie Jesus selbst erkannt und verstanden haben. Ob als mahnender Prophet oder politischer Erneuerer, ob als “barmherziger Samariter” oder religiöser Einsiedler, ob als Vorbild guter Tugenden oder Vertreter bestimmter Werte. Immer ist eine Begegnung mit Jesus vorausgegangen, die zu einem Impuls, möglicher Weise zu einem “Aha-Erlebnis” geführt hat. Einem Impuls, der zunächst das eigene Leben verändert hat. Der eine ganz bestimmte Betonung im eigenen Sein und Wollen hervorgerufen hat. Und diese Betonung wurde oder wird nach außen getragen, um Jesus in unserer Welt sichtbar werden zu lassen.

Die Frage bleibt an mich, wo oder wie ich auf Jesus hinweise? Ohne Frage gibt es da ungezählte Möglichkeiten. Es wird davon abhängen, was mich an Jesus – im wahrsten Sinne des Wortes – begeistert. Und dieser Geist wird es sein, der in mir wirkt und vollbringt, was ich selbst nicht zu leisten vermag. Ich denke hierbei an das Pauluswort, das mich immer wieder ermutigt: “Lass dir an meiner Gnade genügen: Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi in mir wohne.” (2. Kor. 12,9) Das ist mir immer dann zur Ermutigung geworden, wenn mir die Stärke gefehlt hat, Jesus in dieser Welt zu bezeugen. Vielleicht bedarf es gerade meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi in dieser Welt aufleuchtet.

Ein Gespräch zwischen einem kürzlich zu Christus bekehrten Mann und einem ungläubigen Freund brachte folgendes zutage:

“Du bist also zu Christus bekehrt worden?”
“Ja.”
“Dann musst du eigentlich gut über ihn Bescheid wissen. Sag mir: In welchem Land wurde er geboren?”
“Das weiß ich nicht.”
“Wie alt war er, als er starb?”
“Das weiß ich nicht.”
“Wie viele Predigten hat er gehalten?”
“Das weiß ich nicht.”
“Du weißt sehr wenig über jemand, der behauptet, zu Christus bekehrt worden zu sein!”
“Du hast Recht. Ich schäme mich, so wenig von ihm zu wissen. Aber soviel weiß ich: Noch vor drei Jahren war ich ein Trinker. Ich hatte Schulden. Meine Familie brach auseinander. Meine Frau und Kinder fürchteten sich jeden Abend vor meiner Heimkehr. Aber jetzt habe ich das Trinken aufgegeben; wir haben keine Schulden mehr; wir sind eine glückliche Familie. Meine Kinder erwarten mich ungeduldig jeden Abend. Das alles hat Christus für mich getan. Soviel weiß ich von Christus!”

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.