“Wasser, das in das ewige Leben quillt
Wir müssen unser Verständnis der Ewigkeit vor uns und vor anderen verantworten
Predigttext: Johannes 4,5-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief, woher hast du denn lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten, wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.Zum Predigttext
Jesus, der sich eigentlich nur an das eigene Volk Israel gesandt wusste, hat doch gelegentlich die Grenzen zu anderen Menschen hin überschritten. Die Jünger, Apostel des Auferstandenen „in aller Welt“(Matthäus 28,19), haben solche Geschichten gern aufgegriffen und, wie der Verfasser des Johannesevangeliums, auch gestaltet. Nichts lag näher, als die Samariter, die nächsten Fernen, dabei in den Blick zu nehmen. Im bekannten Gleichnis hat Jesus einen Angehörigen dieser Gruppe zum (befremdlichen) Beispiel erkoren, dem nachzueifern ist. In unserem Text geschieht eine zweifache Verfremdung. Jesus redet mit einem Glied des Stammes, mit dem die Juden keine Gemeinschaft pflegen. Und er redet mit einer Frau. Und das auch noch allein. „Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen“. Barrett zu Vers 9 (S. 231): „Die Glosse ist nicht(wie allgemein angenommen wird) eine explizite Aussage über allgemeine Beziehungen zwischen Juden und Samaritanern, sie bezeugt aber tatsächlich die allgemeine Einstellung der Juden gegenüber den Nachbarn, die von Argwohn geprägt war. Die Samaritaner waren (nicht im strengen Sinn Feinde, sondern) Separatisten und Nonkonformisten. Die rituelle Reinheit ihrer Frauen z. B. konnte ... nicht von vornherein vorausgesetzt werden.“ Eine verfängliche Situation! Aber sie verfängt nicht bei dem, der nicht von Vorurteilen geprägt ist. Er kommt von weiter her. Er ist zwar müde und durstig und bittet um Wasser. Aber – gegen den Augenschein – hat er etwas zu bieten, mehr als alles bisher Vertraute, mehr auch als die Tradition, als Vater Jakob und seine Nachfahren. Hier geht es nicht nur um Wasser, das den Durst der Mittagshitze löscht, und nicht nur um Leben für den Tag, sondern um Leben auf Dauer, um ewiges Leben. Wer sich an die Gabe dessen hält, der mit der Samariterin spricht, hat ausgesorgt, ihn wird nimmermehr dürsten, er hat Leben ohne Bedürfnisse, Leben in Ewigkeit. Wie ist das in unserer skeptischen Zeit zu vermitteln? Die Menschen schauen selten über den Tellerrand. Und sie pflegen ihre Vorurteile. Sie halten nichts von Wunderversprechen, von Illusionen, aber auch nichts von Menschen, die sie, wie sie sagen, nichts angehen. Wir haben als Ausleger der heiligen Schriften das größte Angebot, wir haben Leben, ewiges Leben, zu vermitteln. Aber auch bei uns sind Kleinmütigkeit und Vorurteile anzutreffen. Begreifen wir, dass die Begegnung mit Jesus „eine radikale Umkehr der geläufigen Maßstäbe bedeutet: menschlicher Besitz ist in Wahrheit Bedürftigkeit, und Jesu Bedürftigkeit verbirgt nur den Reichtum seiner Gabe“? Das Missverständnis der Frau „soll lehren, dass dasjenige Wasser, das von den Menschen `lebend` genannt wird, gar nicht wirklich `lebendiges Wasser` ist“. „Allein, was die göttliche Offenbarung schenkt, hat den Charakter des Eigentlichen.“ (Bultmann S. 132f.) Das Missverständnis seitens der Frau wird noch einmal potenziert in Vers 15: „Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss, um zu schöpfen.“ Der Vers gehört nicht mehr zu unserer Perikope, aber er weist daraufhin, dass man die Gaben Gottes und allgemein die Religion auch zur eigenen Bequemlichkeit nutzen kann (oder gar zum eigenen Machterhalt, wofür es auch Beispiele bis über den Atlantik hinaus gibt). Was Jesus vermitteln will, ist die Begegnung mit Gott, ist, paulinisch gesprochen, das Evangelium, das selig macht alle, die daran glauben, aber die Menschen auch fordert, sich ihren Mitmenschen zuzuwenden. Nicht von ungefähr schließt unser Kapitel mit dem Hinweis auf die Mission in Samarien. Ewige Seligkeit und Hinwendung zum fremden Nächsten, das sind die beiden Pole unseres Textes.Literatur:
Kommentare (beide im Meyerschen Kommentarwerk) von Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes, Göttingen 1952, und Charles Kingsley Barrett, Das Evangelium nach Johannes, Göttingen 1990.Lied zur Predigt:
„Jesus ist kommen, die Ursach zum Leben“ (EG 66,8)Ein müder Wanderer
Liebe Gemeinde, Jesus von Nazareth zieht durch Samaria auf dem kürzesten Weg zurück von Judäa in seine Heimat Galiläa. Es ist Mittagszeit, der Wanderer ist müde, hungrig und durstig. Seine Gefährten sehen sich in der Stadt nach etwas Essbaren um. Jesus rastet am Brunnen. Wir können uns die Szene vorstellen. Aber für die damalige Zeit weniger verständlich ist, dass dieser Mann eine Frau, die um Wasser zu schöpfen hinzukommt, anspricht und sie bittet, ihm zu trinken zu geben.
Die Frau wundert sich, und das umso mehr, als da nicht nur eine Grenze zwischen Mann und Frau besteht sondern noch eine weitere zwischen den Menschen verschiedener Stämme, die seit Jahrhunderten aufgerichtet ist. Als die Einen nach Babylon verschleppt wurden und erst nach fünfzig Jahren wieder heimkehrten und die Anderen im Lande bleiben konnten, da waren die Angehörigen dieser Gruppen jeweils mit ihrer andersartigen Geschichte belastet. Sie sind es bis heute.
Und das hatte auch Folgen für die religiösen Anschauungen und Gebräuche. Zwar sind allen die ersten Schriften der Bibel, die fünf Bücher Moses gemeinsam, doch die Juden hatten in Jerusalem ihren Tempel wieder aufgebaut und ihn inzwischen unter dem König Herodes zu neuer Pracht entfaltet. Die Samariter aber gingen weiter zu ihrem Berg in Samaria, dem Garizim, und hielten ihn heilig. Unterschiede gibt es auch heute noch bis in die Nebensächlichkeiten hinein. Wer nicht weit vom Jakobsbrunnen ihre Synagoge aufsucht, wundert sich, dass er als Mann nicht nach jüdischer Art eine Kopfbedeckung tragen, wohl aber wie in einer Moschee die Schuhe von seinen Füssen beim Eintritt lösen muss. Unser Text bemerkt es zurecht: Die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.
Die Gabe
Aber der da auf dem Brunnenrand in Samaria sitzt, ist nicht nur müde und hat Hunger und Durst, er hat etwas für die Frau übrig. Nicht nur, dass er um Wasser bittet, nicht nur, dass er die Wand beiseite schiebt, die Menschen zwischen Mann und Frau, zwischen Samariter und Jude aufgerichtet haben – er der scheinbar selbst bedürftig ist, bietet der Frau eine Gabe an, die ihr in einer ganz anders gearteten Bedürftigkeit helfen will.
Lebendiges Wasser nennt Jesus seine Gabe. Ist das eine Flüssigkeit, die nie versiegt, wie weiland bei Elia der immer gefüllte Ölkrug der Witwe, von der die Bibel erzählt. Oder ist es ein Wunderwasser, das den mühseligen täglichen Weg zur Quelle unnötig macht? Doch Jesu Gabe ist etwas ganz anderes und besonderes. “Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Was für ein Angebot! Die Geschichte zwischen Jesus und der Frau geht in unserem Kapitel weiter. Über ihre Lebenssituation, über den rechten Ort der Anbetung Gottes wird gesprochen. Und schließlich wird noch der Anfang einer erfolgreichen Samaritermission erwähnt. Es gibt Menschen, die das Angebot Jesu ernstnehmen. Sie finden auf mancherlei Wegen zu ihm. Auch dies, dass sich die Frau in ihrem Innersten mit ihren Männergeschichten von Jesus erkannt weiß, motiviert sie. Doch am Ende soll das stehen, was die Samariter zu der Frau sagen: „Von nun an glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen; denn wir haben selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland“.
Worte des Lebens
Jesus hören, seine Worte aufnehmen und bewahren, das ist mit der Gabe gemeint, die er darreicht, das bedeutet Trinken aus der Quelle, die das Wasser in das ewige Leben fließen lässt. Am Ende der großen Predigt Jesu auf dem Berg am See Genezareth, die uns das Matthäusevangelium überliefert, steht das Gleichnis vom Hausbau: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf einen Fels baute“.
Liebe Gemeinde, dahin will uns jeder Sonntag führen und jedes Wort leiten, das wir in der Heiligen Schrift lesen: dass wir die Gabe Gottes aufnehmen, von und mit ihr leben und damit unserem Dasein ein festes Fundament und eine klare Perspektive geben. Für gewöhnlich sind wir auf andere Gaben aus. Doch wenn wir innehalten mit dem, was wir zusammengerafft haben, dann merken wir: All das, was uns angeboten wird, macht wieder hungrig und durstig. Es lässt uns nicht zufrieden werden. Wer nichts hat, will haben, wer hat, will immer mehr haben.
Und wer viel zuviel hat, kommt schließlich dahin, dass er nichts mehr hat, wie der Kornbauer, von dem Jesus im Gleichnis erzählt: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wem gehört all dein schöner Besitz? Das letzte Hemd hat keine Taschen! Wir können nichts mitnehmen. Es sei denn, wir sitzen in einem Boot, das auf dem Wasser dahingleitet, das, wie Jesus sagt, ins ewige Leben quillt.
Ewigkeit
Wir leben alle in einer Zeit, in der uns keiner anhält, wirklich bis an den Horizont und darüber hinaus zu blicken. Zwar gibt es viele Ermahnungen und Berechnungen über die Zeit des Erwerbslebens hinaus: Wir sollen lernen, uns eine auskömmliche Rente zu sichern, so tönt es von allen Seiten. Aber die Politik tut sich schwer, über die nächsten vier Jahre zu planen und zu sorgen. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot, ist eine weit verbreitete Devise, schon die Propheten Israels haben sie zu hören bekommen.
Ewigkeit ist ein fremdes Wort, ein Fremdwort gerade in unserer hektischen Zeit. Aber die Ewigkeit ragt hinein in unsere Gegenwart. Sie begegnet uns als das Angebot Jesu, unser Leben in einer neuen Perspektive zu sehen, hinausgenommen aus den kurzen Blicken des Alltags, hinaufgeführt vor den Thron Gottes, von dem wir kommen und vor den wir wieder gerufen werden.
Wir können ein anderes Wasser trinken als das aus der Leitung und aus den Flaschen, die um uns herumstehen. Wir gewinnen mit dem Wasser, das uns Jesus darreicht, wieder Verbindung zu unserem Lebensgrund. Wir haben wieder Gelassenheit auf dem Weg, den wir gehen, wir haben ein Ziel. Dieses Ziel wird mit dem schönen Wort Ewigkeit bezeichnet. Wohl uns, wenn uns dieses Wort wichtig ist, wenn uns, besser gesagt, die Worte Jesu, die auf dieses Ziel hinführen, wichtig sind.
Hören auf die Heilige Schrift
Wir sollten versuchen, uns jeden Tag Worte Jesu, oder auch Worte unserer gesamten Heiligen Schrift vor die Augen zu bringen. Es gibt viele Hilfen zum Bibellesen. Die tägliche Lektüre eines Abschnitts unserer Bibel führt heraus aus der Kurzsichtigkeit, die unser Leben bestimmt.
Manche nehmen das Angebot unserer Schwestern und Brüder von der Herrenhuter Brüdergemeine mit ihrem Losungsbüchlein wahr. Gewiss ist das eine gute Hilfe für Menschen, die sich wenig Zeit nehmen wollen oder können. Aber die zwei Worte, jeweils eines aus dem Alten und aus dem Neuen Testament, sind etwas für Menschen, die in der Schrift zuhause sind und die damit an die Zusammenhänge erinnert werden, aus denen diese Worte stammen. Diese und der Gesamtzusammenhang der Bibel müssen aber immer wieder neu erarbeitet werden. Es geht doch nicht nur um kurzfristige Losungen, Tröstungen und Mahnungen, es geht um nicht mehr oder weniger als die Ewigkeit. Und die sollte jede Anstrengung wert sein.
Es gibt auch noch einen anderen Grund für die Anstrengung, auf den uns das Gespräch Jesu mit der Samariterin hinweist, von dem unser Kapitel im Johannesevangelium des weiteren berichtet: Wir leben in einer religiös sehr bunten Gesellschaft, in der es nicht nur um das rechte Beten in Jerusalem auf dem Tempelberg oder auf dem Garizim in Samaria geht. Heute steht weltweit der Dialog der Religionen auf der Tagesordnung. Wir müssen unser Verständnis der Ewigkeit vor uns und vor anderen verantworten. Denn wir verstehen darunter kein Paradies, in das wir uns als Märtyrer hineinstehlen, indem wir andere Menschen mit einem Selbstmordgürtel zu Tode bringen. Wir verstehen darunter in der Nachfolge Jesu das Reich Gottes, in das wir unsere Schwestern und Brüder mitbringen sollen.
Hier zeitlich und dort ewiglich
Die Quelle des Wassers, das in das ewige Leben quillt und uns damit eine Hoffnung gibt, die auch den Tod überwindet, soll uns so schon hier auf Erden die Füße benetzen. Und zwar so, dass sie unsere Schritte zu anderen Menschen hinbewegt. Jesus kann uns gute, neue Wege führen, die unsere Welt reicher machen. Er, der uns das Wasser des Lebens bringt, ist ja selbst unterwegs zu anderen Menschen. Er spricht sie an, er bietet ihnen seine unvergleichliche Gabe an.
Jesu Lebenswasser macht reine Augen, das in den uns begegnenden Menschen solche sehen lehrt, mit denen man reden kann, auch wenn Wände dazwischen stehen. Es lehrt uns, einander das Wasser zu reichen, einer dem anderen, damit die Welt nicht mehr in Juden und Samariter, Freunde und Feinde geteilt wird.
Um die Güte Gottes „hier zeitlich und dort ewiglich“ haben unsere Altvorderen gebetet, wir wollen es auch tun und uns an dem Wasser laben, das uns der besondere Gast auf Erden angeboten hat als das Wasser, das in das ewige Leben quillt.