Der Blick, von dem Befreiung erwartet wird

Es gehört Mut dazu, sich zu seinen Ängsten zu bekennen

Predigttext: Jeremia 20,7-11a
Kirche / Ort: 04288 Leipzig-Holzhausen
Datum: 11.03.2007
Kirchenjahr: Okuli (3. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrin Ursula Bürger

Predigttext: Jeremia 20,7-11a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

7 HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. 8 Denn sooft ich rede, muß ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muß ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. 9 Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, daß ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. 10 Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht läßt er sich überlisten, daß wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« 11a Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt.

Theologisch-homiletische Gedanken

Der Textabschnitt Jer 20,7-13 wird zu der letzten der „Konfessionen oder Klagelieder Jeremias“ gezählt. Für die Predigt legt sich die Begrenzung bis v.11a nahe, da hier eine erste Ruhe und Halt von Jeremia gefunden werden, bevor er noch einmal negative Gedanken über seine Feinde äußert und er Vergeltung Gottes an ihnen zu sehen wünscht, bis dann v.13 wieder das Gotteslob formuliert wird, bevor dann mit unverminderter Wucht wieder Selbstverwünschungen und Klagen hervorbrechen. Jeremia beschreibt sein Auf und Ab der seelischen Stimmungen, wie sie auch jeder kennt, der sensibel und selbsterfahren ist. Der Predigtabschnitt beginnt v.7 mit ziemlich blasphemischen Worten Gott gegenüber. „Du(Gott) hast mich überredet, übertölpelt, meine Einfalt ausgenutzt, verführt, zum Narren gemacht.“ Das Verb patah, das Jeremia hier verwendet, um zu beschreiben, wie Gott ihn ins Prophetenamt gebracht hat, wird auch in Ex 22,15 verwendet, wo es um die Verführung einer Jungfrau geht. Was ist das für ein Gott, der Menschen gegen ihren Willen in Ämter bringt, wo sie seinen Willen verkünden sollen? Kann das gut gehen? Jeremia klagt, daß er ja nicht mit eigenem Wunsch und innerer Überzeugung in den Prophetenberuf gegangen ist, und nun mit den Schmähungen, die zu erwarten waren, schlecht umgehen kann. v.8:Er muß: „Frevel, Gewalt“, rufen, wenn er sieht, was in Politik und Gesellschaft los ist und was dagegen Gottes Wille ist. Dafür erntet er aber keine Anerkennung, im Gegenteil, jeder verlacht und verspottet ihn. Man sollte aber daraus auch keine Ideologie machen in der Weise, daß alles echte Prophetentum von Spott und Hohn begleitet wird und niemand darauf hört. Siehe Jona und sein „Missionserfolg“ in Ninive. Jeremia ist nie der Gedanke gekommen, die Schmähungen könnten der Beweis sein, daß sein Prophetenamt nicht von Jahwae sei, daß sein prophetisches Sendungsbewußtsein eine Selbsttäuschung ist. v.9: Jeremia hatte hin und wieder versucht zu schweigen. Aber das gewaltsam zurückgehaltene Gotteswort zerriß und verbrannte sein Inneres. Er mußte das Wort Jahwaes sagen, ob er wollte oder nicht. Und dieser Zustand des inneren Brennens war schlimmer als das Verspottetwerden, sodaß ihm auch in der größten Not der Mißhandlungen und Verspottungen nie der Zweifel an seiner Sendung kam. Der Prophet redet, weil er muß, selbst wenn er nicht will. v.10: Das heimtückische Belauertwerden, sogar von seinen Freunden und Verwandten, ist Jeremia schrecklich. Er m u ß doch Jahwaes Botschaft sagen und kann keine Rücksicht nehmen, aber andererseits kann er nicht in dieser vergifteten Atmosphäre leben. Wenn ihn schon Jahwae zum Prophetenamt zwingt, dann darf er ihn auch nicht im Stich lassen. v.11: Nun erfolgt der Umschwung in die Glaubensgewißheit: Jahwae ist bei mir wie ein starker Held – meine Verfolger werden fallen und nicht gewinnen. Das sind keine Haßwünsche Jeremias, sondern einfache Feststellungen: So wird es sein. Die Geschichte wird es erweisen. Jahwae wird sich zu seinem Propheten bekennen, wird ihn rechtfertigen, indem sich die Deutungen des Propheten als wahr erweisen. Die Geschichte wird als Wahrheits- und Rechtfertigungsbeweis des Gottesmannes erscheinen. Und so ist es dann ja auch gekommen. Die Unheilsweissagungen Jeremias über die Herrschenden seiner Zeit und die Voraussicht der politischen Ereignisse haben sich bewahrheitet. Jeremia ist für uns heute der Prototyp des Verkünders der göttlichen Wahrheit wider Willen, mit seinen Seelenkämpfen, die sehr modern anmuten, seine Zerrissenheit zwischen Selbst- und Gottesbehauptung. Indem er seinem Auftrag treu bleibt, findet er wieder zur Glaubensgewißheit, daß Gott ihm helfen wird. Das Herz wurde ihm wie ein brennendes Feuer, und dem hat er nachgegeben und es nicht ausgelöscht! Das Gebet am Anfang der Predigt, das den Predigttext paraphrasiert, stammt von Ursula Thomé, in: Gottesdienstpraxis Serie A 1994.

zurück zum Textanfang

Zuerst ein Gebet:
Gott, du hast mich verführt
Und ich habe mich betören und verführen lassen.
Du bist mir zu stark gewesen
Und hast mich überwältigt, ja vergewaltigt.
Ich konnte nichts dagegen tun.
Und jetzt verspotten mich alle, und ich mache mich mit meiner Arbeit lächerlich.
Denn wenn ich etwas sage, dann ist es immer derselbe Aufschrei:
Das ist Unrecht! Das ist Gewalt!
Gott, dein Wort ist für mich zum Hohn geworden.
Wie oft dachte ich: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr
In Gottes Namen für mehr Gerechtigkeit kämpfen.
Aber ich konnte nicht anders, es ließ mir keine Ruhe;
Ich spürte es in meinem Herzen, in meinem Inneren wie eine innere Stimme,
nein: wie ein verzehrendes Feuer.
Ich konnte es nicht ertragen;

Ich wäre zugrunde gegangen –
Ich mußte weitermachen!
Hinter meinem Rücken reden sie über mich,
sogar meine Freunde wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.
Ich weiß nicht woher;
Aber dennoch ist Gott mir ein Halt in allem,
was auf mich zukommt.
Amen.

Liebe Gemeinde!

So könnte Martin Luther King damals in seiner Küche in der Nacht gebetet haben, voller Angst, denn man hatte es auf ihn und seine Familie abgesehen, voller Resignation, denn was war schon aus der Bewegung für die Gleichberechtigung der Farbigen in den USA herausgekommen? Sollte er lieber verstummen, lieber seine Universitätskarriere verfolgen in den Nordstaaten, als hier im Süden der Vereinigten Staaten zum Opfer des Rassenhasses zu werden? Er fühlte sich in dieser Nacht von Gott bestätigt, er hörte die Worte: „Steh auf für die Gerechtigkeit, und ich will an deiner Seite sein.“ M. L. King wurde 1968 ermordet, aber das, wofür er im Namen Gottes eingetreten war, die Gleichbehandlung der Menschen ohne Ansehen der Hautfarbe, begann sich immer mehr durchzusetzen.

Das Gebet zu Beginn ist der heutige Predigtabschnitt. Es sind Worte des Propheten Jeremia, der Angst hat, resigniert ist, es satt hat, nicht mehr kann, der unter den Verhältnissen leidet, unter Mitmenschen, die nicht verstehen, worum es eigentlich geht, oder, die sehr wohl verstehen, worum es geht, das aber auf keinen Fall wollen. Diese so persönliche Klage eines Menschen, der Gottes Willen und Wort verbreiten will, geht mir näher, als eine unpersönlich gefaßte Zustandsbeschreibung eines Gottesmannes. Es gehört schon Mut dazu, sich zu seinen Ängsten, seinen Einsamkeiten, seinen Müdigkeiten zu bekennen. Aber genau das scheint der Punkt zu sein, an dem Mitgefühl entstehen kann, wenn jemand es wagt, sich zu seinem Versagen zu bekennen.

Daß Jeremia von seinem brennenden Herzen schreibt, das ihn fast gezwungen hat, weiterhin Gottes Willen zu verkündigen, zeigt, daß die göttlichen Dinge Herzensangelegenheiten sind, die oft vom Verstand ganz anders eingeschätzt werden. Diese Klageworte des Jeremia zeigen auch, daß der göttliche Wille nicht immer unsern menschlichen Wünschen entspricht. Zwischen Gott und Mensch geht es oft um Widerstand und Ergebung. Die Größe des Jeremia besteht m. E. darin, daß er sich vollkommen klar ist über seine Mission, und daß er mit ihr keine Orden und Ehrenzeichen erringen wird. Im Gegensatz dazu werden ja die Propheten, die Friede und Freude ansagen, geliebt und gelobt.

Er, Jeremia wird als Nestbeschmutzer beschimpft und verfolgt. Und das macht auf Dauer müde und läßt resignieren. Aber Jeremia hat dann doch das Gefühl, daß Gott bei ihm aushält, daß er ihn einmal in sein Recht setzen wird und seine Widersacher verschwinden läßt. Jeremia glaubt, daß Gott sich einmal zu ihm, dem in seinem Dienst sich verzehrenden, bekennen wird. Auch wir haben unsere Verzweiflungen, Einsamkeiten, Resignationen, die wir eigentlich erst richtig tief in der Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes wahrnehmen.

Der Glaube an Gott und Jesus Christus bringt auch Einsamkeit, nämlich, wenn mir sonst liebe Menschen nicht mitziehen, vielleicht sogar mich belächeln, oder nach dem Nutzen fragen in einer scheinbar aus dem Ruder zu laufenden Welt. Wo und wie hilft denn „dein“ Gott? Ist er nützlich bei Krisenbewältigungen? Schafft er den Hungernden Brot und den Kranken Heilung und den Sterbenden Leben? Immer wieder Gottes guten Willen über unser Leben und die Welt zu verkünden, macht auch müde. Das alles gehört zum Leiden eines gläubigen Menschen.

Heute ist der 3.Sonntag in der Passionszeit. Der Leitvers für diesen Sonntag steht im Psalm 25: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen“. Wieder spricht ein Beter, dem eine Falle gestellt wurde, dessen Fuß im Netz steckt. Auch da ist der Blick auf den Herrn gerichtet, von dem Befreiung erwartet wird. Und dann Jesus Christus! An ihm können wir ablesen, wie das aussieht, wenn sich Gott zu ihm bekennt. Wir nennen es Auferstehung, ein ganz neues Leben nach Schmerzen, Einsamkeit, Angst, Resignation. In alldem ist Jeremia auch ein Vorläufer Jesu gewesen. Gott hat sich zu beiden bekannt. Daraus können wir die begründete Hoffnung ziehen, daß Gott es auch mit uns aushalten wird, uns rechtfertigen wird. Und ich kann mit Jeremia beten: „Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held.“ So gehen wir weiter in die Passionszeit hinein, getragen von diesem Glauben, daß Gott uns nicht verläßt.

Amen

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.