Kreuz, auf das ich schaue

Eine Themenpredigt zur Kreuzigung Jesu

Predigttext: Matthäus 27,33-54
Kirche / Ort: Melanchthonkirche, Johannes-Brenz-Kirche / 70734 Fellbach
Datum: 6.04.2007
Kirchenjahr: Karfreitag
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Matthäus 27, 33-54 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 52 Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Vorbemerkung zum Predigttext und Gottesdienst

Die Predigt, der Gottesdienst steht unter der Leitfrage: Was kann die Passion Jesu, die Passion Gottes, dem modernen Menschen bedeuten, der ja auch und gerade in komplexen Schuldzusammenhängen lebt und dem innerlich und äußerlich Bösen ausgesetzt ist? Die Predigt ist dabei angelegt als Themenpredigt zur Kreuzigung Jesu, ohne den Predigttext Mt. 27, 33-54 näherhin auszulegen. Dieser wird als Lesung vorgetragen – damit er für sich wirken kann. Der Blick auf das Kreuz provoziert und lädt dabei ein, bei Gott zu stehen in seinem Leiden und damit also Verantwortung zu übernehmen für diese Welt, um so Gott die Ehre zu geben, seine, Gottes unverschuldete Hingabe als Dank weiter zu geben. Eine weitere Folie könnte damit auch Dietrich Bonhoeffers Gedicht „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not“ sein. Anlässlich des 400. Geburtstages von Paul Gerhardt werden aber als ein weiterer Hintergrund der Predigt seine Passionslieder, EG 84 O Welt, sieh hier dein Leben, und EG 85, O Haupt voll Blut und Wunden, verwendet, die beide auch im Gottesdienst gesungen werden.

Lieder:

„Kreuz auf das ich schaue“ (EG 548, Regionalteil Württemberg) „O Welt, sieh hier dein Leben“ (EG 84) „O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85)

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Liebe Gemeinde!

Kreuz, auf das ich schaue

Den Predigttext haben wir vorhin als Lesung gehört. Das Kreuz ist aufgerichtet worden. Das Kreuz Jesu, das Kreuz Gottes. Wir schauen auf sein Kreuz – in seinem Kreuz können wir auf viele Kreuze schauen. Wenn wir nicht wegschauen. Viele Kreuze, die aufgerichtet wurden und wohl noch weiter aufgerichtet werden. Sein Kreuz und die vielen Kreuze, am Straßenrand, auf den Friedhöfen, in der Steppe Afrikas, in den von Anschlägen verwüsteten Städten…. Den Spott und Hohn, den er zu ertragen hat, die Folter. Wieviele Menschen werden immer wieder verspottet verlacht, verhöhnt, gefoltert? Kreuz, auf das ich schaue – Gottes Kreuz, ein Zeichen der vielen Kreuze. Es erinnert an Gewalt, die Menschen einander antun, an Elend und Leid, das Menschen anderen zufügen. Und: Jesus, Gott zufügen.

Warum?

Warum? So schreit Jesus, so schreit Gott. Warum? Dieser Schrei steht auch hinter vielen anderen Kreuzen. Mein Gott, mein Gott, warum? Und: Warum hast du mich verlassen? Oftmals bleibt der Schrei ohne Antwort, wenn es sie denn überhaupt gibt. Warum der Tod Gottes? Warum die vielen sinnlosen Tode, Kreuze und Leiden?

Und dann auch noch Gott am Kreuz. Endgültig ist es aus mit Gott – ein Gott am Kreuz, ein Jammerbild am Holze -. Und das mir zum Gott, dieses Jammerbild, sinngemäß nach Goethe. Ja, es ist wahrlich ein Ärgernis, das Kreuz, das Kreuz Jesu, das Kreuz Gottes. Ein Ärgernis, weil es einem immer allzu deutlich Leid und Elend vor Augen führt und einen miteinbezieht. Der Blick aufs Kreuz – er provoziert, ist immer wieder ein Ärgernis. Er lässt einen nicht außen vor, man bleibt kein unbeteiligter Zuschauer. Wie steht man dem Bösen gegenüber, wie steht man zu Gott?

„Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast.“ (EG 85, Str. 4) So verhält sich Paul Gerhardt. Im Kreuz erkennt man sich selbst als Teil des Verstrickungszusammenhang von Schuld, Schulden und dem Bösen, im Kreuz erkennt man, dass man verantwortlich ist.

Warum das Böse? Manche sagen: zur Erziehung – wir leben in der besten aller Welten, besser geht es nicht. Manche heben das Böse und Sinnlose auf ins Ästhetische, in Bilder, und finden sich so damit ab.

Das Kreuz Jesu – es findet sich nicht damit ab. Es durchkreuzt Fluchten und Ausreden, die gerne in Schuldzusammenhängen gesucht werden, schon von Anbeginn an: Die Eva war’s, sagt der Adam, die Schlange war’s, sagt die Eva. Das Kreuz durchkreuzt das Böse, überlässt ihm nicht das Feld. Es durchkreuzt auch den Unsinn und das Absurde – ohne freilich eine abschließende Antwort zu bieten. Es steht da. Es will auch die Schuldigen zur Ruhe kommen lassen, zur Einsicht, damit Schuldzusammenhänge durchbrochen werden können, damit ein Neuanfang möglich ist. (Eventuell zu Mohnhaupt und Klar sich äußern?) Ich kann mich an ihm, am Kreuz hochziehen.

Verlassen

Aber: dennoch oft die Verlassenheit – allein, wie eben Jesus am Kreuz, verlassen: “Manchmal kommt es uns vor, als müssten wir dir nachrufen, sagen, was aus uns geworden ist. Allein gelassen zwischen Tür und Angel….. Es hat dir gefallen, uns auszutrocknen wie gelben Stockfische. Tränenlos.“ (Marie Luise Kaschnitz).

Oft kommt einem nicht nur die Welt kalt vor, sondern sogar Gott, der, der verheißen hat mit einem zu sein – kalt, alles nur eisige Kälte: „Und manchmal kommt es uns vor, als müssten wir vor Dein Angesicht bringen alles, was du gemacht hast, es aufzuheben gegen Deine Kälte. Ausschreien will ich Dir wie auf dem Jahrmarkt Das Pappellaub, das silbern steht im Windsturz, den Schuppenglanz der Fische, das seltsame Auge des Zickleins, das schöne Ahornblatt…. ausschreien will ich dies alles und zuletzt die Freude meiner Liebe…..” (Kaschnitz) Alles ausschreien, so wie Jesus: Warum?

Ausbrechen

Und doch: Unbegreiflich bist du Gott, unbegreiflich ist vieles in der Welt. Das, was mit dem sogenannten Sinn zu tun hat, du wirst dich uns nicht mehr begreiflich machen: doch vielleicht: dein Fernsein, deine Nähe, dein Zuendesein, dein Anfang, deine Kälte, dein Feuer – ja: Kreuz: der Anfang. Zugleich der Anfang vom Ende der Gewaltzusammenhänge und Schuldverstrickungen. Ausbrechen. Gott am Kreuz bricht aus und will uns mitnehmen für einen gewaltlosen Anfang, bereit zu sein, Verantwortung zu übernehmen.

Schau hin nach Golgatha

Schau hin nach Golgatha: der Welt Erlöser, der Befreier, der, der auf die Gegenwelt der Liebe und des Umarmens gewiesen hat, sie verkündet hat, der das Träumen beflügelt, da hängt er, der Erlöser, der Befreier, allein, am Kreuz.

Schau hin nach Golgatha – da hängt er am Kreuz, Jesus, der die Welt befreien wollte mit Wort und Tat, der vom Friedensreich und Liebesreich Gottes erzählte, wo Menschen einander zugetan sind. Da hängt er, der uns in dieses Neuland führen wollte. Da hängt er. Und wir?

„Laß die heiligen Parabolen,
Laß die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif zu lösen.

Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzeslast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger,
Trabt auf hohem Roß der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig
Bis man uns mit einer handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?“
(Heinrich Heine, Zum Lazarus, SW XI, S.201f.)

Ist das eine Antwort? Ich weiß es nicht. Ich schaue aufs Kreuz – weitere Fragen tun sich auf: „Und du, Meister, machst dich bereit zur grausamsten Hinrichtung, auf dass der Mensch sich für Güte und Mitgefühl öffne, dass er vernehme, was im Urgrund den Vernünftigen vom Unvernünftigen unterscheidet, denn mühselig ist der Weg des Menschen auf Erden, tief wurzelt in ihm das Böse. Erreichen wir etwa auf dem Weg das absolute Ideal – den Verstand, den die Freiheit des Denkens beflügelt? Und die erhabene Persönlichkeit, die in sich das Böse für alle Zeit überwindet, so wie eine ansteckende Krankheit besiegt werden kann? Oh, wenn dies zu erreichen wäre! Mein Gott, welch eine Bürde hast du dir auferlegt, eine unverbesserliche Welt zu bessern?“ (Cingiz Ajtmatov, Der Richtplatz, 1986, deutsch 1987, S. 247)

Unverbesserlich?

In dieser unverbesserlichen Welt – sein Schrei, sein Kreuz. Warum? Vielleicht wirklich auch dafür: Damit die Schuldigen zur Ruhe und Einsicht kommen, damit der Schuld- und Schuldenkreislauf unterbrochen wird – für einen aufbauenden Anfang – das Kreuz als der Lebensbaum, den wir da sehen können, uns hinein versenken können, in dies Meer der Liebe. Für das Erfüllte im Hier und Jetzt, in dem Beziehungen gelingen können, in dem Leben gelingen kann, ohne noch mehr Opfer zu fordern. Sein, Gottes Opfer genügt.: „Ich will daraus studieren, wie ich mein Herz soll zieren mit stillem sanftem Mut, und wie ich die soll lieben, die mich doch sehr betrüben mit Werken, so die Bosheit tut“ (EG 84 Str. 10) Damit die Welt doch freundlicher wird.

Amen.

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