Der Fels ist weggerollt

Jesus setzt an Ostern neue Werte

Predigttext: Johannes 20,11-18
Kirche / Ort: Starnberg
Datum: 8.04.2007
Kirchenjahr: Ostersonntag
Autor/in: Pfarrer Dr. Hermann Ruttmann

Predigttext: Johannesevangelium 20,11-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab 12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. 13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist. 15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Exegetische und homiletische Vorüberlegungen

Das Postulat Bultmanns, das Johannesevangelium auf verschiedene Quellen zurückzuführen (in unserem Zusammenhang wäre es dann die „Passions- und Osterquelle“) wird inzwischen als unnötig angesehen. Ob nun Johannes die Synoptiker bei Passion und Ostern nutzte (z.B. Thyen) oder umgekehrt (Berger), dürfte für die Predigt nebensächlich sein: Wichtig ist das Kontinuum zwischen Synoptikern und Johannes. Das Spezifische der johanneischen Eschatologie – ohne Geheimnis des Christus wie bei Markus beispielsweise und die Einheit von irdischem Wirken, Kreuz und Auferstehung – sollte bei der Predigt nicht unberücksichtigt gelassen werden. Maria von Magdala und die Bedeutung der Frauen als Zeuginnen bieten sich zur Veranschaulichung an. Bei allen meinen Ostervorbereitungen im Team sind die Widersprüche der Osterevangelien Thema: Waren es nun drei Frauen, oder waren es nur Maria von Magdala. Deshalb erscheint es mir in der Predigt sinnvoll, a) auf die Rolle der Frauen unterm Kreuz und am Grab und b) auf den festen Bestandteil der Maria von Magdala bei den Erscheinungen am Grab einzugehen: als Umwertung des bis dahin Gewohnten. Um das Spezifische der Johannes-Ostergeschichte herauszubilden, erscheint es mir angebracht, die Zeit zwischen Kreuz und Entdeckung des leeren Grabes in der Einleitung vor dem Predigttext zu referieren und dabei bereits das anzulegen, was kommen wird.

Vorschläge zur Liturgie

Lied „Er ist erstanden, Halleluja“ (EG 116,1-4) Wochenpsalm 118 Dreimaliger Bußruf (Verstärkung durch Taizé-Kyrie, EG 178,12): Vater im Himmel, Dein Sohn ist auferstanden von den Toten. Fröhlich sollen wir sein, Kraft daraus schöpfen. Wir bekennen unseren Pessimismus und unsere Zögerlichkeit und bitten Dich… Vater im Himmel, Dein Sohn ist auferstanden von den Toten. Wir sollen das Zeichen des Lebens sein, das er in die Welt gebracht hat. Wir bekennen, dass wir zu selten strahlen aus seinem Licht und bitten Dich… Vater im Himmel, Dein Sohn ist auferstanden von den Toten. Wir schauen weg, wenn wir den Tod sehen, anstatt uns ihm entgegenzustellen. Das bereuen wir und bitten Dich… Gnadenzusage: Gott erhört uns. Er hört nicht weg, wenn wir unsere Sünde bekennen: Er erbarmt sich, gestern, heute und morgen. Er hat sein Licht in die Welt gebracht und verdunkelt sie nicht wieder. Er vergibt uns und schenkt uns Kraft, seine Boten zu sein für sein Reich. Als Gloria: „Er ist erstanden, hat uns befreit“ (EG 116, 5) Tagesgebet: Gott, unser Vater, eine neue Zeit ist angebrochen mit der Auferstehung Deines Sohnes Jesus Christus. Wir danken Dir, dass der Tod in ihm überwunden ist. Schenke uns Deinen Geist, der uns dieses unfassbare Ereignis aufschließe in diesem Gottesdienst – im Hören Deines Wortes, im Bekenntnis der Beichte und in der Gemeinschaft Deines Mahles. Durch Deinen Sohn Jesus Christus. Amen Dank und Fürbitten: Gott, unser Vater, wir danken dir, dass du uns im Mahl Jesu gestärkt hast. Wir danken Dir dafür, dass das Grab Deines Sohnes leer war und er als erster von uns allen auferstanden ist. Wir bitten Dich: Schenke Du uns Deinen Geist, dass wir es wagen, die Auferstehung mitten in unserem Leben zu vollziehen und Neues zu beginnen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geiste lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Segen: Den Weg des Friedens geleite Euch der, der Mensch wurde, der unser Friede ist und in dessen Auftrag Ihr unterwegs seid. Er belebe Euren Geist und erfrische Eure Sinnen, damit Ihr von seinem Sohn Zeugnis ablegen könnt. Es segne und behüte Euch der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

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Kanzelgruß: Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und seinem Sohn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Wer begleitet Jesus auf seinem letzten Weg?

Der Tag vor dem Sabbat, den wir Christen als Karfreitag begehen, endet mit einem Sieg des Todes: Jesus stirbt am Kreuz. Er hat nur eine kleine Schar von Anhängern in seiner letzten Stunde bei sich: Seine Mutter Maria, seine Tante, Maria, die Frau des Klopas und Maria von Magdala. Von seinen männlichen Jüngern sind es nach dem Johannesevangelium nur sein Lieblingsjünger, den wir mit dem Apostel Johannes gleichsetzen. Vier Frauen und ein Mann bleiben bei Jesus, so überliefert es uns der Evangelist. Pilatus gibt einigen angesehenen Anhängern Jesu die Erlaubnis, den Leib vom Kreuz zu nehmen – Josef von Arimatia und Nikodemus werden erwähnt. Am Sabbat sind Bestattungen nicht erlaubt und bis Sonnenuntergang ist es nicht mehr weit. So entschließen sie sich, nach einer kurzen Einbalsamierung, Jesus in ein Felsengrab nahe Golgatha zu legen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. So schreibt es uns der Evangelist Johannes.

Am Morgen nach dem Sabbat, unserem Ostersonntagmorgen, treibt es Maria von Magdala zum Grab, aber sie sieht den Felsen weggerollt. Sie macht kehrt und holt Petrus und Johannes, damit sie sich davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Sie äußert die Vermutung, dass der Leichnam entführt wurde. Johannes eilt voraus, schaut ins Grab, Petrus folgt ihm und sieht, dass die Grabtücher ohne Leichnam im Grab liegen. Beide ahnen bereits, dass dies keine Entführung war, sondern etwas Neues – die erste Auferstehung eines Toten. Sie kehren heim und werden am Abend die furchtsamen Jünger zusammenrufen, die sich einschließen vor Angst. Vor dem Grab verharrt Maria von Magdala und nun fährt Johannes fort:

(Lesung des Predigttextes)

Die Trauer verschleiert den Blick auf Jesus, auf das neue Leben

Maria von Magdala erkennt Jesus nicht – was uns verwundert: Sie zählt Lukas zu den Jüngerinnen Jesu, die namentlich erwähnt werden. Sie war von Jesus geheilt worden und zog mit ihm durch die Lande, hörte ihm zu und kannte ihn wohl in- und auswendig. Aber sie hält Jesus für den Gärtner. Warum wohl? Nun, sie hat sich von der Trauer wegreißen lassen. Ihre Augen sind im wahrsten Sinne des Wortes getrübt. Getrübt von Trauer und Tränen, die sie daran hindern, die Welt um sie herum wahrzunehmen. Wer in letzter Zeit einen Verwandten, einen lieben Freund verloren hat, wird sich vielleicht in sie hineinversetzen können: Die Welt scheint zusammenzubrechen. Nichts ist mehr, wie es war. Die Trauer überlagert alles, trübt alles. Vor allem kann man sich nicht so recht vorstellen, wie das sein soll, mit der Auferstehung.

Die Pfarrerin predigt von der Auferstehung der Toten im Trauergottesdienst, aber sie ist so unendlich weit weg. Der Trost, der aus der Auferstehung erwächst, kommt noch nicht an. Die Macht des Todes umfängt einen, so wie die Maria von Magdala. Ein dunkler Schleier umgibt einen Trauernden, die Vorstellungskraft schwindet und selbst alltägliche Handlungen werden zur Qual. So ist es verständlich, dass sie Jesus mit dem Gärtner gleichsetzt, obwohl sie seine Stimme hört und er vor ihr steht. Maria von Magdala ist eine Trauernde, umfangen von der Macht des Todes. Aber an diesem Ostermorgen sieht sie als erste plötzlich klar: „Rabbuni!“ / „Meister“ ist ihre Erkenntnis: Sie erkennt plötzlich die Gegenwart wieder, sie hat einen neuen Blick durch den Tränenschleier, sie nimmt das Leben wieder wahr: Die neue Sicht des Ostermorgens.

Jesus setzt an Ostern neue Werte

Die Geschichte der Maria von Magdala lässt uns auf jeden Fall etwas festhalten: Ostern ist zunächst weiblich: Maria von Magdala sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen. Selbst Petrus und Johannes, die doch im Grab waren, sehen sie nicht. Nun könnte jemand sagen: Naja, Frauen sind eben empfänglicher für Religion als die Männer. Ich denke, das wird dem nur bedingt gerecht, was wir bei Johannes lesen: Frauen stehen unter dem Kreuz, weil sie Jesus auf seinem letzten Weg begleiten, eine Frau schließt sich nicht von der Umwelt ab vor Angst, sondern macht sich auf zum Grab. Eine Frau sieht die Engel – oder lassen sich die Engel nur von der Frau sehen? Jesus erscheint zuerst einer Frau. Und: Jesus spricht nach der Auferstehung zuerst mit einer Frau und macht sie zur Botin für seine anderen Jünger. Mit diesen Offenbarungen, Erscheinungen und der Rolle von Frauen werden wir sagen können: Jesus setzt an Ostern neue Werte!

Jesus setzt an Ostern neue Werte! Und das nicht erst an Ostern: Jesus hat in seinem ganzen Leben neue Werte gesetzt: Jesus hat ein langes Leben vor seiner Kreuzigung – und da hat er die Werte der Welt gehörig umgekrempelt: Er hat mit Menschen Umgang gehabt, die man nicht einmal berühren durfte, mit Menschen am Rand der Gesellschaft, mit Frauen ist er in der Öffentlichkeit aufgetreten und hat sie als vollwertig angesehen. Die zwei Tage von Kreuzigung und Auferstehung sind der Mittelpunkt unseres Glaubens. Aber Jesus hat ja aus gutem Grund mindestens ein Jahr lang gepredigt, geheilt, gehandelt, geredet, gelebt: Karfreitag und Ostersonntag sind die Zusammenfassung dessen, was er von Gott gesagt hat, sind die Zusammenfassung seines Lebens, in dem er zu uns gesagt hat: „Folget mir nach!“

Die Hinwendung zum Leben. „Lasst die Toten ihre Toten begraben“ sagt er einem Jünger. Das Leben heute und jetzt ist wichtig und Ihr seid mittendrin. Alles, was ihr tut, soll sich am Leben orientieren, an der Liebe zu Euch, zu Gott und zu anderen Menschen. Alles andere ist kalt und tot. Kreuz und Auferstehung sind gerafft die Zusammenfassung des Wirkens Jesu – und da passt es gut, dass er auch hier umkrempelt und eine Frau zur Botin des Lebens macht. Die Frau war im damaligen Judentum nur bedingt fähig, etwas zu bezeugen. Sie hatte in etwa das Gewicht wie bei uns heute Jugendliche, nur bedingt mündig. Wenn wir uns das vor Augen stellen, wird die große Rolle der Maria von Magdala als Zeugin der Auferstehung erst so richtig skandalös für damalige Augen und Ohren. Es bleibt dabei: Jesus setzt an Ostern neue Werte!

Und die Maria von Magdala ist in allen Evangelien DIE Frau am Grab. Sie, die Jesus ein neues Leben verdankt – sie war von „sieben bösen Geistern“ besessen, wie der Evangelist Lukas das ausdrückt. Wir würden in unserer heutigen Sprache sagen: Sie war psychisch krank. Jesus hat sie geheilt und sie hat ein neues Leben geschenkt bekommen. Sie ist das Zeichen dafür, dass das neue Leben durch Jesus Kräfte freisetzt, dass Dankbarkeit mehr ist als ein flüchtiges Wort: Sie steht mit ihrer ganzen Person, die nicht ernst genommen wird, die später gar mit zweifelhaftem Ruf eines leichten Mädchens belegt werden sollte, sie steht mit ihrer ganzen Person für das Neue, das Jesus in die Welt brachte. So ist es nur klar, dass alle Evangelien sie zur ersten Botin der Auferstehung machen. Sie ist glaubwürdig, orientalische Gesetze hin oder her. Sie werden gesprengt durch Jesus. Jesus setzt an Ostern neue Werte!

Johannes eröffnet uns mit seinem Blick auf den Ostermorgen noch mehr als den Ruf: „Das Grab ist leer!“ Er fügt die erste Erscheinung Jesu als des Auferstandenen ein in das Zeugnis seines Lebens, das den Sieg des Lebens über die Macht des Todes verkörpert. Eine Zusammenfassung seines Lebens und ein Zeichen für die Zukunft, aus dem wir unsere Kraft schöpfen, wenn scheinbar der Tod übermächtig wird in unserem Leben, wenn es dunkel ist wie ein Grab: Der Felsen ist weggerollt und der Herr ist auferstanden!

Was kann ich mitnehmen?

Heute am Ostersonntag mögen wir von der Auferstehungserzählung des Johannes folgendes in diese Feiertage mitnehmen:

Der Ostermorgen mit der Auferstehung Jesu kann unsere Trauer über Verstorbene verändern: Der Tränenschleier lüftet sich und der Blick auf Jesus, auf das Leben, wird frei, so wie Maria von Magdala plötzlich klar sieht.

Fast ausschließlich Frauen sind es, die Jesus in den Tod und nach der Auferstehung begleiten: Jesus setzt an Ostern neue Werte – über die alten Festlegungen hinaus.

Jesus überwindet die Macht des Todes durch seine Auferstehung – und das ist die Zusammenfassung seines Lebens, für uns ein Vorbild.

Maria von Magdala ist die Botin der Auferstehung, weil sie das neue Leben verkörpert, das durch Jesus in die Welt gekommen ist. Sie ist glaub-würdig.

Der Friede Gottes, der weiter reicht als alle menschliche Vernunft sei mit uns allen. Amen.

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