Ostern schon vor Ostern?

Die Lehre über Ostern ist nicht einfach ein Gedankending

Predigttext: Jesaja 25,8-9
Kirche / Ort: Darmstadt
Datum: 9.04.2007
Kirchenjahr: Ostermontag
Autor/in: Prof. Prof. h. c. Dr. theol. OKR und Pfarrer i. R. Karl Dienst

Predigttext: Jesaja 25,8-9 (Übersetzung nach der „Guten Nachricht“)

Beim Propheten Jesaja heißt es im Blick auf das Ende der Zeiten: (8) Der HERR vernichtet für immer den Tod. Und abwischen wird der HERR die Tränen von jedem Angesicht, und die Schmach seines Volkes nimmt er von der ganzen Erde hinweg. Wahrlich, der HERR hat’s gesagt. (9) Und an jenem Tage wird man sagen: Siehe, da ist unser Gott, auf den wir hoffen und der uns helfen wird. Der HERR ist’s, auf den wir hoffen, wir wollen jauchzen und seiner Hilfe uns freuen, wahrlich, des HERRN Hand ruht auf diesem Berg.

zurück zum Textanfang

Ein Hoffnungstext

Das ist ein Hoffnungstext! In seinem Zusammenhang ist von einem festlichen Mahl die Rede, an dem alle Völker teilnehmen werden. Eine großartige und für Israel neue Vision taucht auf: Die Völker ziehen in einer Wallfahrt zum Berg Zion, um Israels Gott anzubeten! Um es in heutige Sprache zu übersetzen: Am Ende der Zeiten geht es auf dem Berg Zion in Jerusalem wohl „multikulturell“ zu, aber keinesfalls „multireligiös“! Denn Israels Gott ist der einzige Gott! Und dieser Gott ist ein großzügiger Gastgeber. Er hat alles für die Eingeladenen vorbereitet. Weit ausgestreckte Arme verkörpern diesen einladenden Gott.

In diesem Hoffnungstext wird auch die Hoffnung auf Überwindung des Todes laut! Der Tod ist nicht das Letzte, das uns begegnet! Israels Gott verschlingt den Tod für immer! Und das hebräische Wort für „Tod“ ist noch umfassender als das deutsche: „Tod“ bezeichnet hier alles, was das Leben beeinträchtigt, was unseren Lebensraum einengt, was unser Wohlergehen mindert, was die Gemeinschaft mit Gott und Menschen hemmt. Das will sagen: Längst vor dem „Gehirntod“ kann man tot sein!

Ostern: Zuerst gefeiert, dann bedacht

Israels Gott verschlingt den Tod für immer! Das heißt: Wenn am Ende aller Zeiten der Gott Israels auf dem Berg Zion König ist, dann kennt seine Macht keine Grenzen mehr. Dann hat auch der Tod als lebensbedrohende Macht ausgespielt. Ein grandioses Bild! Am Ende aller Zeiten herrscht allein Israels Gott. Und dieser Gott überwindet sogar den Tod!

Hier begegnet uns ein Ostertext, hier begegnet uns Ostern längst vor Ostern! In Umkreis dieses Textes lebten Jesus und seine Jünger. Und die christlichen Kirchen haben diese Botschaft auf ihre Weise aufgenommen, bedacht und vor allem gefeiert. Ostern wurde zuerst gefeiert, dann bedacht! Die Lehre über Ostern ist nicht einfach ein Gedankending. Sie ist auch gedachte Liturgie, Gottesdienst! Ohne diesen Bezug auf den Gottesdienst wird aus der Lehre schnell Moralphilosophie, politische Rede oder Zeitkritik.

Ein Danklied

Ostern wurde zuerst gefeiert! Dieses Prophetenwort ist zugleich ein Danklied. Und dieser Dank für Gottes Sieg über den Tod klingt auch in den Osterliturgien weiter! Da heißt es zum Beispiel in der orthodoxen Kirche:

„Christus ist von den Toten auferstanden, der Anführer der Entschlafenen, der Erstgeborene der Schöpfung und Mitgestalter von allem, was da ist. Er hat unsere vergängliche Natur erneuert. Niemand bleibt mehr tot, denn der Herr hat die Macht des Todes zerstört.“

Ostern als Fest, als neue Schöpfung, als Verwandlung schon mitten in der alten, vergehenden Welt! Deshalb ist kein Fest mit Ostern zu vergleichen! Ostern ist das Grunddatum der Christenheit.

„Barocke“ Protestanten?

Ob das auch für Protestanten stimmt? Ich habe es noch im Religionsunterricht gelernt, daß eigentlich der Karfreitag der höchste protestantische Feiertag sei. Überhaupt scheint „Feiern“ kein protestantischer Höchstwert zu sein. „Protestantisch“ sein meint eher aufrichtig, ehrlich, wahrhaftig, nüchtern, kühl und aufgeklärt sein. „Barocke Protestanten“ – das klingt eher nach einem Widerspruch in sich! Ihnen liegt es nicht, außer sich zu sein, sie gehen eher in sich. Sie suchen die Tiefe eher im Alltäglichen und nicht im Außerordentlichen, Geheimnisvollen!

Das hat auch geschichtliche Gründe! Schon Martin Luther war den „Ceremonien“ gegenüber kritisch. Der Puritanismus und die Aufklärung des 18. Jahrhunderts haben das eher karge und strenge Bild des Protestantismus weiter ausgeprägt. Immanuel Kant, der oft als „Philosoph des Protestantismus“ bezeichnet wird, verkündete: „Ob der Andächtler seinen statutenmäßigen Gang zur Kirche oder ob er eine Wallfahrt nach den Heiligtümern in Loretto oder Palästina anstellt, ob er seine Gebetsformeln mit den Lippen oder, wie die Tibetaner, sie durch ein Gebets-Rad an die himmlische Behörde bringt, das ist alles einerlei und von gleichem Wert.“

Und sein Zeitgenosse Friedrich von Schiller schrieb in seiner berühmten „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung“ (Leipzig 1788): „Einem romantischen Volke war eine Religion angemessener, deren prächtiger Pomp die Sinne gefangen nimmt, deren geheimnisvolle Rätsel der Phantasie einen unendlichen Raum eröffnen, deren vornehmste Lehren sich durch malerische Formen in die Seele einschmeicheln. Einem Volke im Gegenteil, das, durch die Geschäfte des gemeinen bürgerlichen Lebens zu einer undichterischen Wirklichkeit herabgezogen, in deutlichen Begriffen mehr als in Bildern lebt und auf Unkosten der Einbildungskraft seine Menschenvernunft ausbildet – einem solchen Volke wird sich ein Glaube empfehlen, der die Prüfung weniger fürchtet, der weniger auf Mystik als auf Sittenlehre dringt, weniger angeschaut als begriffen werden kann. Mit kürzeren Worten: Die katholische Religion wird im ganzen mehr für ein Künstlervolk, die protestantische mehr für ein Kaufmannsvolk taugen.“ Soweit Schiller.

Die Sprache von Ostern

Wie kann aber in einem solchen „Kaufmannsvolk“ die Osterbotschaft zu Wort kommen? Darunter verstehe ich heute eine Gesellschaft, in der das Rationale, das Meßbare, das nüchterne „Wort“ der Zeitung oder des Fernsehens überwiegen. Die Osterbotschaft auszurichten: Dazu bedarf es auch einer „Sprache“, die auch Licht, Ton, Farbe, Gebärde und Poesie ist, einer „Sprache“ als Fest und Feier, Liturgie und Dichtung. Eine solche Änderung der „Sprache“ läßt sich aber nicht einfach durch einen kirchenamtlichen Beschluß einführen.

Unsere Hoffnung über den Tod hinaus, die wir als Christen an Ostern feiern, hat ihren Anhalt an Jesu Auferstehung. Die Auferstehung der Toten war für Jesus – wie für seine jüdische Umwelt – eine Endzeiterwartung: Die „Auferstehung der Toten“ geschieht am Ende der Zeiten. Für die ersten Christen ist dieses Ende der Zeiten aber mit Jesu Auferstehung schon vorweggenommen worden. Und alle, die mit Jesus verbunden sind, stehen mit ihm nach Ostern in einem neuen Lebenszusammenhang, der auf unsere Auferstehung von den Toten am Ende der Zeiten zielt. So hat es zum Beispiel der Apostel Paulus in zeitgenössischen Bildern, Stoffen und Symbolen im 1. Korintherbrief Kapitel 15 formuliert.

Es ist die Vorstellungswelt der Apokalyptik, die solche intensiven Hoffnungsbilder gegen den Tod, gegen das Leid und Elend dieser Welt zum Ausdruck bringt. In diesen Bildern, Geschichten und Symbolen geht es schon jetzt um die Teilnahme an der Endzeit, an der Wende der Welt, am Reich Gottes, an der besonderen Beziehung zwischen Gott und Jesus Christus. Passion und Ostern repräsentieren den Gott der Bibel! Das will sagen: In Jesus ist die Nähe des Reiches Gottes als gute Schöpfung Gottes und als Neuschöpfung durch Gott wahrnehmbar. Es geht um Gottes Kreativität!

Neue Bilder des Reiches Gottes

Wie können wir dies heute verstehen? Auch religiöse Sprache ist eingebettet in die Auffassungsmöglichkeiten der jeweiligen Zeit. Die einfache Wiederholung biblischer Formeln genügt nicht, auch wenn an der Wende zum 21. Jahrhundert zum Beispiel apokalyptische Bilder und Schrecken kein fremdartiges Thema sind. Es geht heute darum, im Rückgriff auf die biblische Überlieferung neue Bilder des Reiches Gottes, des ewigen Lebens zu entwerfen. Marie Luise Kaschnitz versucht es poetisch so:

„Glauben Sie fragte man mich
An ein Leben nach dem Tode
Und ich antwortete: ja
Aber dann wußte ich
keine Auskunft zu geben
Wie das aussehen sollte
Wie ich selber
Aussehen sollte
Dort

Ich wußte nur eines
Keine Hierarchie
Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend
Kein Niedersturz
Verdammter Seelen
Nur
Nur Liebe frei gewordne
Niemals aufgezehrte
Mich überflutend

Mehr also fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antworte
Weniger nicht.“

Etwas weniger poetisch

Auch hier wird deutlich: Es ist schwer für uns, mit den Dingen des Endes umzugehen. Ohne Bilder und Gleichnisse kommen wir da nicht aus. Da spielen Bilder von Herrschaft, Gewalt und Verurteilung eine Rolle: „Hierarchie“, „goldene Stühle“, „Niedersturz verdammter Seelen“. Aber diese Vorstellungen werden in neue Bilder eingefangen, die durch ein in Liebe geheiltes Leben bestimmt sind. Da werden eher Vorgänge als fertige Zustände beschrieben: „mich überflutend“, es „empfängt mich“. Das alles kann nicht „gewußt“ werden, wie wir es neuzeitlich gewohnt sind, nur experimentell bestimmtes Wissen als letzte Instanz gelten zu lassen. Ein solches handgreifliches „Wissen“ ist für Marie-Luise Kaschnitz nur ein Teil einer umfassenden Wirklichkeit, nicht das Ganze. Um dieses Ganze aber geht es der Dichterin: Sie führt hier die aus der griechischen Philosophie stammende Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele und die biblische Vorstellung der leibhaften Auferstehung der Toten zusammen. Sie markiert Defiziterfahrungen des Lebens, rückt sie aber gleichzeitig in das Licht ihrer Heilung durch die Liebe Christi. Der Tod wird nicht verharmlost. Und doch erscheint er im Licht der Liebe Christi, der Neuschöpfung Gottes.

Jesaja als Sprachhelfer

Unser Prophetenwort will uns hier Sprache leihen! Der Prophet ist dessen gewiß: Es ist Gottes Wesen, fort und fort Unerhörtes zu schaffen, alles neu zu machen. Dazu gehört auch das, was die biblische Botschaft von der Überwindung des Todes eher andeutet als beschreibt. Unsere Hoffnung über den Tod hinaus hat ihren Anhalt an Jesu Auferstehung. Allerdings bleibt diese neue Wirklichkeit Jesu für uns heute wie auch für den Propheten damals noch unbegreiflich, nur in Bildern, in Gleichnissen ausdrückbar: durch Bilder, durch Riten, durch Erfahrungen von einem Neuwerden, von einem Getröstet- und Getragensein, von einem ins Offene hineinstehenden Leben, das im Sichtbaren und Begreifbaren nicht aufgeht. Diese guten Erfahrungen werden auch hervorgelockt, unterstützt und vertieft durch die Osterfeier und das Osterlob der Kirche, in das wir einstimmen dürfen, weil der auferstandene Jesus uns dazu einlädt:

„Du hast uns zur Freude geschaffen,
schenke uns und unseren Verstorbenen
neue Existenz in Deinem Reich,
laß uns leuchten wie Sterne am Himmel
am Tage Deiner Herrlichkeit.
Vereinige Lebende und Tote in unendlicher Freude.
Gib, daß wir alle gemeinsam
Das unvergängliche Ostern feiern können.“

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.