Österliche Zukunftsmusik
Ostern, das ist die große Chance, dass wir Menschen uns von Jesus, dem Auferstandenen, dem neuen Menschen, ergreifen und anstecken lassen
Predigttext: Jesaja 25, 6-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
6 Und der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. 7 Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. 8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat's gesagt. 9 Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«Vorbemerkungen
Der Text Jes 25, 8.9 ist Teil der sogenannten „kleinen Jesaja – Apokalypse“ (Kap. 24-27), welche die Völkersprüche Kap. 13-23 abschließt. Für die Predigt empfiehlt es sich, die Verse 6 und 7 mit einzubeziehen, da die gewählte Abgrenzung zwei formgeschichtliche Einheiten zerschneidet, die an den formelhaften Wendungen „denn der Herr hat’s gesagt“ bzw. „An jenem Tage“ zu erkennen sind. Der Text spricht als Hoffnungsbild einmal die Ebene des Einzelnen an und weitet dies dann ins Politische. „Vielmehr muss der in und mit der Auferstehung Christi geglaubte und hoffend antizipierte Sieg Gottes über die Herrschaft des Todes sich auch umsetzen und fortsetzen bis hinein in den liebesbewegten politischen Protest und Kampf gegen alle todbringende Herrschaft und Unterdrückung.“ (Rainer Lachmann, Predigtstudien V/2, Stuttgart, Berlin, 1983, S. 21) Gerade am Ostermontag bietet es sich an, die Auferstehungsbotschaft als mutmachende, gegen Resignation sprechende, aufbauende Botschaft über die seelsorgerliche Ebene, die den Einzelmenschen mit seinen Lasten ansprechen möchte, auszudehnen. Auszudehnen auf die politische Ebene im Sinne einer hier und jetzt schon bewegenden „Utopie Gottes“ (Jürgen Moltmann), die den Menschen ermutigt, verantwortlich für eine bessere Welt einzutreten und sich also als „Haushalter“ des Auferstandenen zu verstehen, an dem er im Glauben Teil hat. Oder anders ausgedrückt und dabei das Motiv des Festmahls aufnehmend, welches an den Bundesschluss am Sinai (Ex. 34) erinnert: Ostern – Fest des Lebens, in dem Gott seinen Bund mit den Menschen erneuert und bestätigt, dabei Gott diesen Bund dann über Israel hinaus auf die Völkergemeinschaft ausdehnt, damit sich die Menschheit als Ganze als Vertragspartner Gottes verstehen kann, um für das Leben einzutreten, das Fest des Lebens gemeinsam zu begehen.Lesung:
Matthäus 28,1-10Lieder:
„Wach auf mein Herz“ (EG 114) „Er ist erstanden“ (EG 116)Nachweis/ Literaturempfehlung:
Eberhard Jüngel, zitiert nach EG (Württemberg) S. 239. - Zur Vorbereitung empfiehlt sich: Roland Gratwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Band 3: Die alttestamentlichen Predigttexte des 5. Jahrgangs, Stuttgart, 1988, S. 166 - 175.Liebe Gemeinde!
Ein Zukunftsbild versus Tod und Leid
Welch ein Zukunftsbild, das Jesaja hier malt. Wenn dem doch so wäre, dann würden die Waffenfabriken Güter für den täglichen Bedarf herstellen. Schwerter würden in Pflugscharen umgewandelt. Wenn dem doch so wäre, dann würde es in der Zeitung keine Schlagzeilen von Anschlägen, Drohungen, Mord und Todschlag mehr geben. Wenn dem so wäre, dann bräuchte es keine Todesanzeigen mehr.
Wir sind mitten im Leben vom Tod umfangen. Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt. Auch nach der Auferstehung Jesu ist es so. Trotz Ostern leben wir existentiell in einer Situation ähnlich der Jesajas. Immer noch werden Menschen und Schöpfung geopfert für Ideologien, für Machtstreben und Herrschaftssicherung, für Profite und Rendite. Immer noch müssen wir Leid tragen, Abschied nehmen. Immer noch weinen wir und kommen uns Tränen. Immer noch spüren Schmerzen. Und immer noch schreien Menschen.
Dem allem steht dies Zukunftsbild gegenüber. Wir feiern Ostern. Die Auferstehung Jesu. Wir feiern die Zukunft. Der Stein ist weggerollt. Es hat sich etwas aufgetan. Als Lesung haben wir den Ostertext nach dem Matthäusevangelium gehört. Sehr plastisch und bildhaft. Man kann es sich gut vorstellen: Ein schwerer Stein wird von einem Grab gewälzt. Ein riesiger Grabstein, der das Grab so unzugänglich macht, dass kein Hinaus und kein Hineinkommen möglich ist. Auf einmal ist der weg.
Sorgensteine
Der Stein bedeckt, behindert und beschwert. Der Stein erdrückt. Steine belasten – und liegen einem manchmal nicht Steine auf dem Herzen, auf der Seele. Manchmal fühlt man sich, als ob einem ein Zentnergewicht auf der Schulter lastet und drückt. Was kann das nicht alles sein. Manchmal fühlt man sich und seine Pläne und seine Hoffnungen so, als ob sie unter Steinen begraben seien. Kein Ausweg. Kein Ausblick. No future.
Wer wälzt uns den Stein weg, den Sorgenstein, der auf dem Herzen drückt und lastet? Das ist eine Lebensfrage, die sich uns stellen kann, eine existentielle Frage, diese Osterfrage, wer uns den Stein wegwälzt, damit man frei wird für die Zukunft, frei für Leben, das aufblüht und nicht zerdrückt wird.
Auf-decken von Verhüllungen
Anstatt des Steins wird in unserem Predigttext die „Hülle“ weggenommen. Und zwar den Völkern, allen Völkern. Eine Hülle verhüllt, eine Decke bedeckt. Der klare Blick ist verunmöglicht. Am Tisch Gottes, im Angesicht Gottes, da wird den Völkern der klare Blick aufeinander ermöglicht, da erkennen sie sich, face to face, sind sich auf Augenhöhe gegenüber.
Ja, es ist eine politische Dimension, die Jesaja anspricht, von der wir uns auch als Christinnen und Christen, und das jetzt an Ostern, ansprechen lassen. Der Friede zwischen den Völkern. Christen sind Protestleute gegen den Tod – auch und gerade gegen den Tod, den Völker und Ethnien über andere bringen, gegen den Tod, den Rassenhass und ökonomische Gier, den Religionen und Weltanschauungen über Menschen bringen können. Die Hülle wird weggenommen. Angesichts Gottes erkennen die Völker, dass sie einander bedürfen und brauchen, um Gottes Schöpfung und damit auch ihr Leben und das der kommenden Generationen zu bebauen und zu bewahren – als Gottes Ebenbilder, als Gottes Haushalter, die das anvertraute Gut, den blauen Planeten Erde mit allem, was da lebt und webt, sorgsam zu hegen und zu pflegen haben. Sie erkennen: Wir sind eine Familie, eine Menschheitsfamilie, die Familie Gottes, auf diesem einen Planeten. Welch eine Zukunftsmusik.
Österliche Zukunftsmusik
Der Stein ist weg, das Leben hat gesiegt. Die Hülle ist weggezogen. Klarheit kann einziehen und sich ausbreiten. „Siehe, ich mache alles neu.“ Das Licht der neuen Stadt, der neuen Welt, wo einer den anderen im Arme hält. Dass wir Menschen uns in solche Bewegung versetzen können: zur Welt, zum Mitmensch, zur Mitkreatur. Hoffnung auf Leben, auf Zukunft – trotz alledem. Oder mit Worten von Helmut Gollwitzer: „Nicht ins Endlose wälzt sich der Strom der Weltgeschichte, dieser Geschichte von Blut und Tränen, von Morden und Gemordetwerden. Der Sieg der Liebe wird diesem schrecklichen Strom ein Ende bereiten – ein Ende, in dem Gott abwischen wird alle Tränen von allen Augen, ein Ende, in dem der Tod abgetan sein wird und Gottes Liebe sein wird alles in allem“.
Welch eine Zukunftsmusik, die an Ostern erklingt, die sowohl den einzelnen Menschen ergreifen und einstimmen lassen will als auch die ganze Völkerwelt, die ganze Menschheit, um die Geschwisterlichkeit und den Frieden zu besingen und zu bejubeln.
Mit Worten Eberhard Jüngels: „Wenn es so etwas wie Zukunftsmusik gibt, dann war sie damals, dann ist sie am Ostermorgen an der Zeit: zur Begrüßung des neuen Menschen, über den der Tod nicht mehr herrscht. Das müsste freilich eine Musik sein – nicht nur für Flöten und Geigen, nicht nur für Trompeten, Orgel und Kontrabass, sondern für die ganze Schöpfung geschrieben, für jede seufzende Kreatur, so dass alle Welt einstimmen und groß und klein, und sei es unter Tränen, wirklich jauchzen kann, ja so, dass selbst die stummen Dinge und die groben Klötze mitsummen und mitbrummen müssen: Ein neuer Mensch ist da, geheimnisvoll uns allen weit voraus, aber doch eben da“. Der Beginn der neuen Schöpfung, einer Welt des umfassenden Friedens. Ostern, das ist die große Chance, dass wir Menschen uns von Jesus, dem Auferstandenen, dem neuen Menschen, ergreifen und anstecken lassen; die Chance muss ergriffen werden, von einer geeinten Menschheit, die ihr Vertrauen in Gott setzt, ihm zur Ehre, und dem Leben in seiner bunten Vielfalt zum Wohl und zur Zukunft. »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.« Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn. Fürchtet euch nicht. Jesus lebt. Ansporn zum Leben.
Amen.