“Hast du mich lieb?”
Es gibt auch heute Situationen, in denen wir mit dem Herzen erkennen, dass unsere ganz Liebe gefragt ist
Predigttext: Johannes 21,15-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
15 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. 19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!Liebe Gemeinde!
Der Tag beginnt mit einem schönen Frühstück. Man ist ausgeschlafen und für den bevorstehenden Tag gestärkt. So begannen damals die Tage, und so ähnlich beginnen auch unsere Tage. Bei jenem Frühstück war aber alles anders, auch wenn es der erste Satz des Predigttextes nicht erkennen lässt.
Die Personen, die gemeinsam gegessen haben, sind die Jünger und Jüngerinnen Jesu. Jesus erschien ihnen zum dritten Mal nach seinem Tod und seiner Auferstehung, seiner Auferweckung. Sie waren auch nicht ausgeschlafen, sondern sie waren dabei, als Fischer ihr Brot zu verdienen. Die Fischer fahren in der Nacht aus und kehren am Morgen von ihrer Arbeit zurück. Sie kommen aus der Nacht in den neu beginnenden Tag, und Jesus erwartet sie. Welch eine Symbolik. Vom Dunkel ins Licht, ins Erkennen – und der, den sie erkannt haben, lädt sie zu diesem Frühstück ein. Die Begegnung mit Jesus wird ganz leiblich, soll sie sättigen in der Sehnsucht nach seiner Lebendigkeit und leibhaftigen Gegenwart.
Die biblische Geschichte beginnt wie der neue Tag, wie eine neue Zeit. Der auferweckte Jesus lässt seiner Einladung eine Frage an Petrus folgen: „Liebst du mich mehr als die anderen?“ Jesus stellt diese Frage dreimal an Petrus, und Petrus wird drei Mal antworten, und er wird drei Mal einen Auftrag bekommen.
Die Zahl Drei ist eine Ganzheitszahl. Wir sprechen von der Dreieinigkeit Gottes, seiner Dreifaltigkeit. Jesus ist am dritten Tag auferstanden, und wir selbst zählen manchmal „eins, zwei, drei“, und bei „drei“ passiert, was passieren soll. Jesus fragt Petrus drei Mal, ob dieser ihn lieb habe. Der Auferstandene, der die Liebe in Fülle ausgeteilt hat, vergewissert sich der Liebe des Jüngers, zu dem er an einer anderen Stelle gesagt hat, dass Petrus der Fels sei, auf den Jesus seine Gemeinde bauen wolle. Es scheint doch so, als würde Jesus Petrus sagen: Jetzt ist es soweit, erinnere dich an die Liebe, die das Größte und Wertvollste ist, was ich euch gegeben habe und wovon ich in meiner Lehre immer wieder gesprochen habe. Jetzt ist es soweit, Petrus, jetzt brauchst du sie. Weide meine Schafe, meine Lämmer, meine Gemeinde, dazu brauchst du diese Liebe zu mir, die Liebe zu meiner Verkündigung. Diese Liebe muss größer sein als zu allen anderen, größer auch als zu deinen Gefährten und Gefährtinnen – sonst wirst du nicht ertragen können, was dich erwarten wird.
Jesus gewährt Petrus einen kleinen Ausblick in die Zukunft, wir könnten darüber erschaudern. Es ist erschreckend, wie Petrus erkennen muss, was auf ihn zukommt: ein gewaltsamer und grausamer Tod. Folge mir, sagt Jesus, folge mir als Hirte – und folge mir in den Tod. Wir können es nur erahnen, was in Petrus vorgegangen sein muss. Erst noch – wie die Morgenröte – die Freude darüber, dass Jesus lebt, sich Zeit nimmt für seine Jünger und Jüngerinnen, dann die etwas lästige Frage nach der Liebe. Sein Meister weiß doch alles. Und zuletzt dieses „Folge mir“ in aller Konsequenz. Ist ihm heiß und kalt geworden, hat er innerlich gezittert oder war er ganz souverän, etwa mit der Einstellung „ich pack’ das schon“?
Wir hier im Gottesdienst verfolgen heute diese Bibelerzählung, und wir fragen uns vielleicht, wie es mit unserer „Nachfolge“ aussieht. Jede, jeder von uns muss ihren/seinen Weg finden. Es gibt auch heute Situationen, in denen wir mit dem Herzen erkennen, dass unsere ganz Liebe gefragt ist. Unsere Liebe zu diesem Jesus, der uns noch genau so wie vor zweitausend Jahren begegnet. Jesus fragt auch noch heute nach der Liebe. Oft scheitern wir, so wie Petrus, der alles andere als ein perfekter Jünger und Nachfolger war. Aber vielleicht fragt auch uns Jesus mehr als einmal, und vielleicht gelingt uns dann eine Nachfolge, wie sie für uns vorgesehen ist. Es wird uns nicht, wie es Petrus erdulden musste, der Märtyrertod erwarten, es geht auch oft ganz anders aus. Bei Petrus zeigt sein Tod die Liebe, sie ist so groß, dass der Tod mit einbezogen wird. Das Bekenntnis zu der Liebe Jesu, die ein Bekenntnis zur Liebe Gottes ist, und das Nachfolgen in dieser Liebe fordern eine Konsequenz, egal wohin der Weg führt.
Es gibt keine Halbherzigkeit, keine Liebe, die nur fünfzig Prozent umfasst. So wie Jesus uns Menschen geliebt und uns die Liebe Gottes verkündigte, so soll sich unsere Liebe in der Nachfolge Jesu spiegeln. Eine solche Liebe geht weit über den Tod hinaus. Sie spiegelt sich seit über zweitausend Jahren als Hoffnung in der österlichen Auferstehung. Die eindringliche Frage, die Jesus Petrus damals stellte, bleibt nicht allein auf jenen prominenten Jesusjünger bezogen. Der auferstandene Christus fragt auch uns heute, seine Gemeinde, jede und jeden Einzelnen von uns, ganz persönlich: „Hast du mich lieb?“, und er ruft uns zu: „Folge mir nach!“ Jesus, der Christus Gottes, gibt uns als Gottes Ebenbildern einen Auftrag, seine Gemeinde in Freude und Leid auf dem Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu leiten, sie zu begleiten, den Frieden Gottes in die Welt zu tragen, jenen Frieden, der höher ist als alle Vernunft, unser menschliches Fassungsvermögen weit übersteigt und dessen Geheimnis die Liebe ist.
Amen.