“Liebst du mich”

…weil wir Liebe niemals besitzen oder garantieren können

Predigttext: Johannes 21,15-19
Kirche / Ort: 69493 Hirschberg (Leutershausen)
Datum: 22.04.2007
Kirchenjahr: Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez

Predigttext: Johannes 21,15-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(15)Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!(17) Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb? Und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! (18)Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. (19) Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Vorbemerkungen

Zur Exegese Lange Zeit wurde der sogenannte „zweite Schluss des Evangeliums“ für einen Nachtrag aus kirchlicher Redaktion gehalten. Inzwischen gibt es Tendenzen, das 21. Kapitel als ursprünglich zum Evangelium gehörig anzusehen wie einen Epilog, der dann auch dem Prolog 1,1-18 entspräche. Die Verse 15-19 erzählen die „Rehabilitation“ des Petrus. L. Steiger sieht das ganze Kapitel als eine „Rufereneuerung“ der durch die Passion in Verruf geratenen Jünger. Petrus muss besonders nach seiner Liebe gefragt werden, weil er auch besonders schwankend war in seiner Liebe. Man kann die dreimalige Frage Jesu durchaus als Entsprechung zur dreimaligen Verleugnung durch Petrus betrachten. Aber Petrus erhält auch einen besonderen Auftrag, nämlich die Lämmer und die Schafe zu weiden. Gleichzeitig wird aber auch der „Lieblingsjünger“ mit großer Autorität für die Zeit nach dem Märtyrertod des Petrus ausgestattet. Zum Sonntag Miserikordias Domini Der zweite Sonntag nach Ostern ist dem Erbarmen Gottes gewidmet. Geläufigerweise wird er auch der „Sonntag vom Guten Hirten“ genannt. Jesus hat sich durch seinen Tod als der gute Hirte erwiesen, der sein Leben für seine Schafe lässt. Dieses Hirtenamt überträgt er auf seine Jünger, insbesondere auf Petrus. In diesem Jahr bekommt dieser Sonntag seine besondere Nuance durch den 80. Geburtstag Papst Benedikts, der nach katholischem Verständnis der rechtmäßige Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi auf Erden ist. Das 1. Vatikanische Konzil liest in unserem Predigttext der V. Reihe die Grundlage für die besondere Stellung des Papstes: „Dem einen Simon Petrus hat Jesus nach seiner Auferstehung die Jurisdiktion des obersten Hirten und Leiters über seine ganze Herde übertragen“ (Siegfried Schulz, Das Evangelium nach Johannes, Göttingen 1987, S. 252). Zur Predigt In unserer Gemeinde wird am Sonntag Miserikordias Domini traditionellerweise das Fest der Jubelkonfirmation gefeiert. Meine Predigt wird also weniger in Richtung Autorität des Petrus durch die besondere Beauftragung gehen, was eine Woche nach dem Papstgeburtstag zugegebenerweise sehr reizvoll wäre. Den Schwerpunkt werde ich vielmehr auf die fast intime Begegnung des Auferstandenen mit dem schuldig gewordenen Petrus legen, der erst durch dieses Gespräch sein persönliches Ostern erlebt. Die PredigthörerInnen möchte ich die Frage Jesu: „Liebst du mich?“ als Frage hören lassen, die ihr und ihm und mir selber gestellt ist. Und die sie und ihn und mich nach meinem Auftrag fragen lässt, den Jesus uns gibt.

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Liebe Gemeinde – und heute ganz besonders – liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden,

wenn ich morgens die Zeitungen aus dem Briefkasten hole, dann lese ich auf dem Weg vom Tor bis hoch in die Küche die Schlagzeilen und die kleinen Artikel auf der ersten Seite. Wenn ich mich dann aber in der Küche mit meiner Tasse Kaffee hinsetze, um die Zeitung gründlich zu lesen, dann drehe ich sie um und fange hinten an zu lesen.

Ich glaube, dass ich nicht die Einzige bin, die ihre Zeitungslektüre so gestaltet. Denn hinten, da stehen meistens die interessantesten Dinge. Nicht die hohe Politik, sondern, wer gestorben ist, welche Familie ein Baby bekommen hat und auch die „lustigen“ Geburtstagsgrüße: „Kaum zu glauben aber wahr, die Lotte wird heut 80 Jahr…“ Leben und Tod, Glück und Leid nicht von Paris Hilton oder Mario Adorf, sondern von den Menschen aus unserer Nachbarschaft, von denen, die wir kennen oder die doch zu unserer Umgebung dazugehören. Menschen wie Sie und ich eben.

Manche Menschen lesen nicht nur die Zeitung, sondern auch Bücher so: Sie blättern schon mal die letzten Seiten durch, schauen, wie es denn ausgeht. Und entscheiden dann, ob es sich lohnt, dieses Buch zu lesen oder ob sie es besser bleiben lassen.

Ich möchte heute mit Ihnen zusammen auch hinten in einem Buch blättern. Die letzten Zeilen lesen. Schauen, ob es in diesen letzten Seiten vielleicht auch um Leute wie Sie und mich geht. Und hoffentlich entdecken, dass es sich lohnt, das ganze Buch zu lesen.

Und so lesen wir im letzten Kapitel des Johannesevangeliums. (Lesung des Predigttextes)

Die Frage unseres Lebens

„Pah“ – höre ich jetzt den einen oder die andere unter uns schimpfen. Das war ja wohl eine Finte. Von wegen, es geht um Leute wie Sie und mich. Petrus und Jesus, Leute wie Sie und ich? Jesus ist – so haben wir es ja nicht zuletzt im Konfirmandenunterricht gelernt, Jesus ist doch der Sohn Gottes. Und Petrus? Sagt nicht die Katholische Kirche vom Papst, dass er der Nachfolger des Petrus sei? Nun sind wir Deutschen laut Aussage einer populären Zeitung zwar seit zwei Jahren „alle Papst“, aber doch nicht so richtig und so ganz wirklich. Wir haben ja auch nicht alle gerade unseren 80. Geburtstag in Rom gefeiert und ein viel beachtetes Buch über Jesus geschrieben.

Und dann wird da in diesen letzten Zeilen des Johannesevangeliums dem armen Petrus auch noch angekündigt, dass er den Märtyrertod sterben wird. Ist das die geeignete Lektüre für eine Jubelkonfirmation? Für ein fröhliches Fest, in dem wir Gott danken wollen für seine bisherige Begleitung?

Bevor Sie jetzt das Buch innerlich zuklappen und anfangen, mit Ihrem Nachbarn oder Ihre Nachbarin zu erzählen, wie das damals war, als Sie im Konfirmandenunterricht den Pfarrer zur Verzweiflung getrieben haben – bevor das geschieht, möchte ich Ihren Blick und Ihr Ohr auf das Gespräch zwischen Petrus und Johannes lenken. Ich bin sicher, dass wir uns hier doch wieder erkennen. Wiedererkennen in der Frage, die Jesus dem Petrus stellt: „Liebst du mich?“

„Liebst du mich?“ – das ist die Frage unseres Lebens. Wir haben sie – lange bevor wir sprechen konnten – unseren Eltern gestellt. Mit all unserem kleinkindlichen Charme haben wir um die Liebe unserer Eltern gebuhlt. Waren glücklich in den Momenten, wo wir uns dieser Liebe gewiss waren. Wo sie uns übers Haar strichen oder in den Arm nahmen oder uns einfach nur so anschauten dass wir spüren konnten. „Ja, meine Mutter liebt mich. Ja, für meinen Vater bin ich richtig.“

Aber wehe, sie entzogen uns diese Liebe. Wenn sie um uns zu bestrafen mit Eisesmiene und Nichtbeachtung oder sogar mit Schlägen begegneten. Welche Momente, Stunden, Tage der Qual waren das? Was haben wir nicht unternommen, um uns die Gunst unserer Eltern zurückzuerobern? Wieder neu von ihnen zu erfahren: egal, was geschieht, du bist mein geliebtes Kind! Denn ohne diese Sicherheit kann kein Kind leben und sich gesund und zuversichtlich entwickeln. Ohne diese Erfahrung geht die Seele eines Kindes kaputt.

„Liebst du mich?“ – vielleicht waren Sie gerade Konfirmandin oder Konfirmand, als Sie zum ersten Mal diese Frage in sich spürten, die auf einmal nicht mehr den Eltern galt, sondern dem glutäugigen Peter oder der bezaubernden Anna. Wahrscheinlich noch nicht ausgesprochen, aber eben doch schon da: „Liebst du mich?“ Und hoffentlich erinnern wir uns bis ans Ende unserer Tage an den Moment, wenn er oder sie uns zu verstehen gegeben hat: „Ja, ich liebe dich!“

„Liebst du mich?“ – auch wenn wir schon 5, 15, 40 oder gar noch mehr Jahre das Leben mit einem Menschen teilen, der diese Frage einmal mit „Ja“ beantwortet hat, bleibt sie immer bestehen. Weil wir Liebe niemals besitzen oder garantieren können. Dreimal fragt Jesus den Petrus, ob er ihn liebe. Nach jeder Frage hätte die Antwort anders ausfallen können. Das glaubt Petrus zwar nicht. Aber Jesus weiß es.

„Liebst du mich?“ – das ist die Frage unseres Lebens. Ob wir nun glücklich verheiratet oder schon seit langem geschieden sind. Ob wir uns niemals ganz für einen Menschen entschieden haben oder schon durch den Tod getrennt wurden. Immer bleibt diese Frage in uns. Weil jeder und jede von uns Liebe braucht. Nicht immer und durchgängig als erfüllte Liebe. Aber immer als Sehnsucht nach Liebe.

Gott fragt nach unserer Liebe

„Liebst du mich?“ ist die zutiefst menschliche Frage. Und ist doch noch viel mehr. Im auferstandenen Jesus fragt nicht nur der Mensch, sondern fragt auch Gott: „Liebst du mich?“ Nicht nur wir Menschen können ohne Liebe nicht leben. Auch Gott kann ohne Liebe nicht sein.

„Liebst du mich?“ fragt Jesus Petrus. Nicht nur einmal, nicht zweimal, dreimal stellt er ihm diese Frage. Und erst, als er sich dieser Liebe des Petrus ganz sicher ist, weiß er, dass seine Geschichte weitergeht. „Weide meine Schafe“ antwortet er ihm. Er, der gute Hirte, gibt Petrus den Auftrag, von nun an das weiter zu führen, was er gelebt und gewirkt hat. In diesem Auftrag kommt die Auferstehung Jesu erst zu ihrer Vollendung.

„Weide meine Lämmer.“ „Kümmere dich um die Schwachen und Benachteiligten, so wie ich es getan habe! Setze dich für die ein, die unter den Lasten des Lebens stöhnen. Stelle dich schützend vor die, denen die Moralkeule um die Ohren gehauen werden soll. Richte die auf, die nicht mehr weiter können.“

In dem Gespräch zwischen Petrus und Jesus erlebt Petrus, der kurz zu vor noch beim Anblick Jesu vor Scham über sein Versagen ins Wasser gesprungen ist, dass er ins Leben zurückkehren kann. Er, der Verleugner, wird zum Hirten. Erst in diesem Moment wird es für Petrus wahrhaftig Ostern. Erst jetzt weiß er, dass Jesus auch für ihn von den Toten auferstanden ist.

„Liebst du mich?“ – Diese Frage stellt Jesus dem Petrus. Und setzt damit etwas in Gang, was Petrus niemals für möglich gehalten hätte.

„Liebst du mich?“ – Diese Frage stellt Jesus aber nicht nur dem Petrus. Er stellt sie auch uns. Ihnen, mir.

Gott stellt die Frage neu

„Liebst du mich?“ – vor 25 oder 50, vor 60, 65 oder gar 70 Jahren haben Sie, liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden, diese Frage mit „Ja“ beantwortet. Sie wurden gefragt, ob Sie diesem Jesus nachfolgen wollten. Ob Sie sich zu ihm bekennen wollten. Ob Sie nach seinen Geboten leben wollten.

„Ja“ haben Sie damals gesagt und wurden daraufhin von ihrem Pfarrer eingesegnet. Sicherlich haben Sie sich heute Morgen schon an diesen besonderen Moment in Ihrem Leben erinnert. Vielleicht haben Sie auch gedacht: „Naja, so überzeugend habe ich dieses „Ja“ nun nicht gerade gelebt. Oft habe ich es auch gar nicht mehr wirklich gespürt, dieses „Ja“ in mir.“ Vielleicht gab und gibt es Zeiten in Ihrem Leben, wo Sie sich nicht einmal mehr sicher waren, dass diese Frage überhaupt einen Sinn gemacht hat, weil Sie an Gottes Gegenwart nicht mehr glauben konnten. Da kann ich Ihnen versichern: Da sind sie mit Petrus ja in bester Gesellschaft!

Vielleicht erinnern Sie sich an diesem Morgen aber auch daran, wie dieses „Ja“ in Ihrem Leben gewirkt hat. Wie Sie erfahren haben, dass die Liebe Gottes Sie trägt. Wie Ihre Liebe gewachsen ist im Laufe der Jahre. Vielleicht sind Sie heute Morgen in diese Kirche gekommen und haben einfach nur in sich gespürt: Wie gut, dass ich damals dieses „Ja“ gesprochen habe. Vielleicht haben Sie sich daran erinnert, wie Sie vor dem Altar knieten, die Hand aufgelegt und dabei zugesprochen bekamen: Gott ist bei dir. Immer. Egal, was auch geschehen wird, er ist für dich da. Er liebt dich.

Er liebt dich. Auch heute noch nach 25 oder 50, nach 60, 65 oder 70 Jahren. Egal, wie dein Leben auch verlaufen ist. Ob du glücklich bist oder in deinen eigenen Augen an vielen Stellen gescheitert. Ob du ein frommer Kirchgänger geworden bist oder heute zum ersten Mal seit Jahren hier bist. Ob du mitten in der aufregenden und anstrengenden Familienzeit steckst oder du dich darauf vorbereitest, dass deine Lebenszeit sich langsam ihrem Ende zuneigt: Gott liebt dich.

Und er fragt dich heute: „Liebst du mich?“ Ängstlich, hoffend, vorsichtig, erwartungsvoll fragt er dich: „Liebst du mich? – Gott, von dem wir als dem Allmächtigen sprechen, der Himmel und Erde geschaffen hat, der hat nur diesen einen Wunsch: Dass du ihn liebst. Dass du „Ja“ sagst und er in dir wirken kann. Dass in dir die Geschichte Jesu weitergehen kann.

„Liebst du mich?“ – Ich wünsche Ihnen, liebe Jubelkonfirmandinnen und Jubelkonfirmanden, dass Sie heute diese Frage Jesu hören können, die er Ihnen stellt. Dass dieser Tag Ihrer Jubelkonfirmation Ihnen neu ins Herz und ins Bewusstsein bringt, dass es Gott um Sie geht. Um jede und jeden von Ihnen.

Vielleicht haben Sie Lust bekommen, dieses Buch, in dessen letzten Zeilen wir jetzt geschmökert haben, von Vorne zu lesen. Das Johannesevangelium oder vielleicht auch eines von den anderen Evangelien, in denen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes erzählt wird. Ich bin sicher, es lohnt sich.

Amen

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