Was müsste geschehen, damit wir wieder einmal etwas zu lachen haben

Ohne dass wir den gewohnten Lauf des Lebens für einen Moment unterbrechen, kann kein Fest stattfinden

Predigttext: Jesaja 12,1-6
Kirche / Ort: Providenz-Kirche Heidelberg (Altstadt/City)
Datum: 6.05.2007
Kirchenjahr: Kantate (4. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Eva Loos

Predigttext: Jesaja 12, 1-2 und 4 – 5 (eigene Übersetzung Eva Loos)

(Wie am Tag, da Israel aus Ägypten auszog) wirst auch du an diesem Tag sagen: Ich danke dir, JHWH. Du hast mir gezürnt, doch dein Zorn hat sich gelegt, und du hast mich getröstet. Siehe, Gott ist meine Hilfe, ich bin ohne Sorgen und erschrecke nicht. Denn meine Kraft und mein Lied ist JHWH und ist mir zur Hilfe geworden. Und an diesem Tag werdet ihr sagen: Lasst uns JHWH danken, lasst uns in seinem Namen sprechen. Bekennt unter den Völkern seine Taten. Singt JHWH ein Lied, Erhebendes hat er hervorgebracht. Kundgetan soll es werden auf der ganzen Erde.

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Liebe Gemeinde,

ich will mit einer Frage beginnen. Was müsste geschehen, dass Sie eines Tages sagen können: „Ich danke dir, mein GOTT. Du hast mir gezürnt, doch dein Zorn hat sich wieder gelegt, und du hast mich getröstet. Siehe, GOTT ist meine Hilfe, ich bin ohne Sorgen und erschrecke nicht. Denn meine Kraft und mein Lied ist mein GOTT und ist mir zur Hilfe geworden“. Oder was müsste geschehen, dass wir alle eines Tages sagen können: „Lasst uns unserem GOTT danken, lasst uns in seinem Namen sprechen. Bekennt unter den Völkern seine Taten. Singt unserem Gott ein Lied, Erhebendes hat er hervorgebracht. Kundgetan soll es werden auf der ganzen Erde“.

Was müsste geschehen, dass Sie, dass wir eines Tages einstimmen können in das Loblied auf Gott. Einstimmen in das Loblied, das Israel auf seinen Gott angestimmt hat am Tag, da es aus Ägypten zog. Einstimmen in das Loblied, das der Teil des Volkes, der nach der babylonischen Gefangenschaft wieder ins Land zurückkam, angestimmt hat. Was müsste geschehen?

Das große Ereignis auf das wir uns als christliche Gemeinde gemeinsam beziehen, heißt Ostern. „Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, halleluja, halleluja, in deiner Urständ fröhlich ist. Halleluja, halleluja“, haben wir zu Beginn des Gottesdienstes gesungen, und jetzt haben wir eingestimmt in ein Volkslied aus Israel: „Kommt herbei, singt dem Herrn, ruft ihm zu der uns befreit“.

Das Du des Propheten Jesaja gilt nicht einem einzelnen, das Du gilt Israel. Du, Israel, wirst, ihr alle vom Volk Israel, werdet eines Tages wieder sagen können: Ich danke dir, mein Gott. Und der Prophet hat Recht behalten. Immer wieder gab es Gelegenheiten in der Geschichte des Volkes Israels, Gott zu danken.

Auch wir danken dem Gott Israels, seine Propheten sind auch unsere Propheten und seine Psalmen sind auch unsere Psalmen. Doch das Ereignis, dass uns eint, das Ereignis, weshalb wir Gott loben, trennt uns von Israel. Der herrliche Tag ist für uns Christen Ostern, der Sonntag, der erste Tag der Woche, der Tag, an dem Jesus von den Toten auferstanden ist. Was müsste geschehen, dass wir eines Tages gemeinsam, Juden und Christen, einstimmen können in das Loblied des Gottes Israel?

Das ist eine große Frage. Ich will diese hier nur stellen, weil sie sich hier, wenn wir redlich mit dem Text umgehen, stellt. Die Worte des Propheten Jesaja gehören nicht allein uns, sie gehören zuerst und noch immer auch Israel. Das ist wie bei einem gemeinsamen Erbe, das sich schwer einfach in gleiche Teile teilen lässt, ohne dass es sich dabei verändert. Jede von uns, die gemeinsam mit anderen ein Erbe antritt, weiß, wie schwierig das ist. Ein gemeinsames Erbe antreten, ist der Anfang für langwierige und äußerst schwierige Auseinandersetzungen. Da muss das Problem gar nicht so groß sein, wie zwischen Juden und Christen, da genügen schon zwei Nachbargemeinden, die zukünftig Gemeinsames und Eigenes zusammen- und auseinander halten können müssen. Da genügt schon eine ganz normale Familie.

Für das Verständnis des Textes ist es entscheidend, dass die alttestamentlichen Propheten ihre Zusage nicht einem einzelnen, sondern einer Gemeinschaft machen. Verkündet der Prophet Unheil und Gottes Zorn, dann weil sich Gottes Zorn an den Missständen in der Gemeinschaft entzündet hat. Verkündet der Prophet Heil, dann weil ein neues Kapitel anfangen soll zwischen Gott und dem ganzen Volk, dem ganzen Volk und nicht Teilen des Volkes. Das neue Kapitel heißt neue Gerechtigkeit im Volk.

Im hebräischen Teil der Bibel geht es bei allem immer um das Verhältnis von Gott zu seinem Volk. Und Gott spricht durch seine Propheten, wenn die Verhältnisse im Volk seinem Willen nicht entsprechen. Die Unheilspredigt des Propheten zeigt immer zugleich auch, worin das Heil dann einmal liegt. Ungerechtigkeit bringt Unheil. Gerechtigkeit heilt.

Im Kontext des ersten Jesajabuches beantwortet sich meine Frage: „Was müsste geschehen, damit wir Gott wieder loben können?“, so: Die Ältesten und Fürsten des Volkes besinnen sich wieder auf die Aufgabe, die Gott ihnen gegeben hat. Sie sorgen sich um die Gerechtigkeit im Volk, damit nicht einer den anderen ohne Strafe übervorteilen kann. Die Elenden wieder zu dem kommen, was ihnen gehört und die überzogenen Ansprüche der Reichen zurechtgerückt werden. Mit dieser Sicht der Dinge ist unser Predigttext nicht außerhalb unserer Welt. Das wäre noch heute ein Grund, Gott zu loben und zu danken, wenn das Unrecht, das unter uns geschieht, an ein Ende kommt, die Armen und Elenden wieder frei atmen können und „Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Amos 5, 24) strömt.

Kommen wir zu uns. Das große Ereignis für uns Christen ist die Auferstehung Christi. Die Eingangsfrage wäre also anders zu stellen. Also nicht, was müsste geschehen, sondern, was ist geschehen. Was ist geschehen, dass wir sagen können: Lasst uns Gott danken, lasst uns in seinem Namen sprechen, bekennt unter den Völkern seine Taten.

Was ist geschehen? Da gibt es nicht viel zu berichten. Eigentlich gibt es überhaupt nichts zu berichten. Die vier Evangelisten sind sich lediglich darin einig: Jesu Grab war leer. Das ist auch schon alles. Und die Nachricht von einigen Frauen, die diese Tatsache mit eigenen Augen gesehen haben. Jesus Grab war leer. Gesehen haben die Frauen am Ostermorgen einen Engel. Ein Engel deutet ihnen, was sie sehen: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferweckt worden“, heißt es im Lukasevangelium. Ist es das, was geschehen müsste, dass wir einstimmen können in das große Loblied Gottes? Es war jedenfalls dieses Ereignis, welches die Trauer von Jesu Freunden in Freude verwandelt hat. Und es ist dieses Ereignis, das bis auf den heutigen Tag Grund zur Freude und zum Osterfest gibt.

Es soll Zeiten in der Geschichte der Kirche gegeben haben, in denen sich die Geistlichen im Ostergottesdienst alle Mühe gegeben haben, die Gemeinde an Ostern zum Lachen zu bringen. Das Lachen an Ostern hat sogar einen Namen bekommen, Risus Paschalis, zu deutsch Ostergelächter. Also nicht nur Lobgesänge sind denkbar, sondern Lachen aus vollem Halse. Lachen aus vollem Halse darüber, dass dem Tod ein Schnippchen geschlagen wurde. Etwas anderes ist die Botschaft von der Auferstehung ja nicht. Nicht dass Jesus in unser Leben zurückgekommen wäre. Das wäre nicht Auferstehung, das wäre allenfalls Wiederbelebung. Doch davon ist an Ostern nicht die Rede.

Was müsste geschehen, so könnten wir jetzt die Eingangsfrage stellen, damit die christliche Gemeinde einmal wieder aus vollem Herzen lachen kann? Als das Ostergelächter noch ein Teil der Osterliturgie war – und das ist schon eine ganze Weil her – sollen die Geistlichen es mit Witzen und die Gemeinden mit Sketchen im Gottesdienst versucht haben. Umberto Eco, ein italienischer Philosoph und Zeichendeuter, der in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden ist, hat dem Thema des Lachens in der Kirche sein viel gelesenes und gut verfilmtes Werk „Der Name der Rose“ gewidmet. Das liest sich spannend, ist echt gute Unterhaltung, auch wenn es weniger zum Lachen als zum Nachdenken anregt. Ich habe in meiner theologischen Ausbildung vieles gelernt, aber nichts, wie ich Sie heute morgen zum Lachen reizen könnte. Die Reformation soll auch nicht ganz unschuldig sein am Verstummen des Osterlachens. Protestantische Freude ist ja nicht wirklich ein Protest, sondern eine wohlüberlegte, theologisch begründete Haltung, unser Gotteslob weniger eine spontane Sangeslust aus vollem Halse als eine gut vorbereitete musikalische Angelegenheit. Nun hat allerdings auch das seinen besonderen, eben protestantischen Reiz. Das Lachen ist, weil reflektierter, eben etwas verhaltener, trockener. Da ich nicht, wie Sie wahrscheinlich auch, in der Tradition eines ausgelassenen Ostergelächters aufgewachsen bin, will ich es auf meine, eben reflektiertere und trockenere Weise versuchen, Sie heute morgen zu ermuntern. Ich lese ihnen dazu einen Text, der mir vor einigen Jahren zum leeren Grab eingefallen ist. Ist jemand da, wo er eigentlich nicht hingehört oder gehört jemand wo hin, ist aber nicht da, dann ist das noch kein Grund zum Lachen, aber zumindest weht ein Hauch von Freiheit. Die Ordnung der Welt kommt durcheinander. Die Welt wird verkehrt. Der gewohnte Lauf des Lebens wird unterbrochen. Ohne dass wir den gewohnten Lauf des Lebens für einen Moment unterbrechen, kann kein Fest stattfinden.

Das leere Grab. „Der Tote ist nicht an seinem Platz. Er ist aufgestanden und weggegangen. Die Tote ist nicht an ihrem Platz. Sie ist aufgestanden und weggegangen. Der Blinde ist nicht an seinem Platz. Er ist aufgestanden und weggegangen. Die Lahme ist nicht an ihrem Platz. Sie ist aufgestanden und weggegangen. Der Zöllner ist nicht an seinem Platz. Er ist aufgestanden und weggegangen. Die Hure ist nicht auf ihrem Platz. Sie ist aufgestanden und weggegangen. Die Fischer sind nicht an ihrem Platz. Sie sind aufgestanden und weggegangen. Maria von Magdala ist nicht an ihrem Platz. Sie ist aufgestanden und weggegangen. Die Frauen sind nicht an ihrem Platz. Sie sind aufgestanden und weggegangen. Der Bettler ist nicht an seinem Platz. Er ist aufgestanden und weggegangen. Der reiche junge Mann ist an seinem Platz. Er ist nicht aufgestanden und ist nicht weggegangen. Der Tote ist an seinem Platz. Er ist nicht aufgestanden und er ist nicht weggegangen. Die Grabwächter sind an ihrem Platz. Sie sind nicht aufgestanden und sind nicht weggegangen. Die Hohenpriester sind an ihrem Platz. Sie sind nicht aufgestanden und sie sind nicht weggegangen. Pontius Pilatus ist an seinem Platz. Er ist nicht aufgestanden und er ist nicht weggegangen. Frauen sind an ihrem Platz. Sie stehen nicht auf und gehen nicht. Die Jünger – sie sind, sie sind nicht an ihrem Platz. Sie sind nicht aufgestanden, sie sind aufgestanden und sind nicht an ihrem Platz, sind an ihrem Platz. Ich bin an meinem, nicht an meinem Platz. Ich bin aufgestanden nicht aufgestanden, steh auf. Ich bin nicht weggegangen, bin weggegangen, gehe. Du bist auferstanden, weggegangen, vorausgegangen, wiedergekommen, wirst wiederkommen, kommst.“ (Veröffentlicht in: Textspuren, Konkretes und Kritisches zur Kanzelrede, herausgegeben von Peter Härtling, Stuttgart 1992)

Was müsste geschehen, damit die ganze christliche Gemeinde – also nicht nur Einzelne oder Teile – einmal wieder aus vollem Herzen lachen kann oder doch wenigstens aus vollem Hals Gott loben kann? Darauf gibt unser Predigttext keine Antwort. Das ist auch nicht seine Absicht. Auch ich habe darauf keine Antwort. Doch soviel lässt sich sagen. Es wäre einmal wieder höchste Zeit. Ein gutes Projekt wäre es auf alle Fälle. Das Projekt ließe sich vielleicht sogar kostenneutral durchführen. Natürlich nicht, wenn jede und jeder auf ihrem Standpunkt beharrt, sondern aufsteht und weggeht.

Amen

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