Beten heißt nicht weltflüchtig zu werden

Das Beten als Innenseite

Predigttext: Matthäus 6,7-13
Kirche / Ort: Melanchthonkirche, Johannes-Brenz-Kirche, 70734 Fellbach
Datum: 13.05.2007
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Matthäus 6, 7-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.] Amen.

Vorbemerkungen

Predigttext ist das Vater unser. Diese Predigt legt nun weniger das Vaterunser selbst aus, denn dieses war bei den noch nicht lange vergangenen Konfirmationen ausgiebig Thema gewesen. Deshalb ist (vgl. Mt 6, 7.8) diese Predigt für den Sonntag Rogate eine Themenpredigt über das Beten. Dabei ist der Ausgangspunkt das Vaterunser, verstanden als jesuanische „Hilfe zum Beten“, das „dem Menschen, der es nachspricht, helfen“ will, „die liebende Nähe des Vaters zu entdecken“ (U. Luz). Immer im Blick ist das Motto „ora et labora“, die auch im Vaterunser impliziert ist. „Für Matthäus ist das Gebet keine Flucht aus der Praxis, sondern ihre Innenseite. Das Gebet ermöglicht es den Jesusjüngern, die Forderungen Jesu als Willen des Vaters zu erfahren und daraus Kraft zu schöpfen.“ (U. Luz) Die seelsorgerlich-therapeutisch Ebene des Gebetes (Klagen, zur Ruhe finden, Loslassen können, frei werden....) läuft dabei mit. Konfirmation und Katechismus können demnach auch eine gut eigene Materialquelle für eine Predigt dieses Sonntags sein. Wir sind bei der Konfirmation der Auslegung der einzelnen Bitten des Vaterunsers mit Zink/Röhricht nachgegangen.

Literatur:

Ulrich Luz, EKK 7/1 Das Evangelium nach Matthäus, Zürich, Einsiedeln, Köln, Neukirchen-Vluyn, 1985.- Jörg Zink, Rainer Röhricht, Was Christen glauben, 11. Aufl. 1987.- Zur Anregung auch: Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, München 15. Auflg. 1985. (Die beiden Zitate im letzten Abschnitt der Predigt, dem Zettelkasten entnommen, konnten leider nicht verifiziert werden.)

Lieder:

„Danke für diesen guten Morgen“ (EG 334) „Vater unser“ (EG 188) „Bewahre uns Gott“ (EG 171)

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Liebe Gemeinde!

Beten oder arbeiten

heute am Sonntag Rogate steht das Thema Gebet im Mittelpunkt. Der Predigtext für heute ist die Mitte der Bergpredigt, das Gebet Jesu, das er uns gegeben hat, und das die weltweite Christenheit bis heute betet. Das Vaterunser. Ich möchte nun nicht das Vaterunser im Einzelnen auslegen, zumal wir vor einigen Wochen bei der Konfirmation eine Auslegung der einzelnen Bitten gehört haben. Ich möchte Sie heute einladen, mit mir dem nachzugehen, was Beten bedeutet. Eine kleine Geschichte möge uns ins Thema hinein nehmen. Sie stammt von Helder Camara und heißt „Die beiden Lastkutscher“:

Beide kamen mit vollgeladenen Karren einher. Die Wege waren verschlammt, und beide Karren fuhren sich fest. Einer der beiden Kutscher war fromm. Er fiel dort im Schlamm auf die Knie und begann, Gott darum zu bitten, er möge ihm helfen. Er betete, betete, betete ohne Unterlass und betrachtete dabei den Himmel. Währenddessen fluchte der andere, arbeitete aber. Er suchte sich Zweige, Blätter und Erde zusammen. Er schlug auf den Esel ein. Er schob am Karren, Er schimpfte, was das Zeug hielt. Und da geschah das Wunder: aus der Höhe steigt ein Engel nieder. Zur Überraschung der beiden Kutscher kommt er jedoch demjenigen zu Hilfe, der geflucht hat. Der arme Mann wird ganz verwirrt und ruft aus: „Entschuldige, das muss ein Irrtum sein. Sicher gilt die Hilfe dem anderen.“ Aber der Engel sagte: „Nein, sie gilt dir. Gott hilft dem, der arbeitet.“ Und Helder Camara fährt fort: „Natürlich werden wir daraus nicht den Schluss ziehen, es sei richtig zu schimpfen, und es liege nichts Schlimmes darin, zu fluchen. Aber derjenige, der Gott die Verantwortung für alles auflädt und nur betet und Gelübde ablegt, ohne Anstrengungen zu unternehmen, der hat das Christentum nicht verstanden.“

Beten und arbeiten

Beten und arbeiten, beide gehören zusammen. Not lehrt beten, sagt das Sprichwort. Aber sie lehrt auch denken, und wer immer satt ist, der betet nicht viel und denkt nicht viel. (Theodor Fontaine) Beten, Denken und Tun, die gehören einfach zusammen.

Und darum geht es Jesus. Beten und Handeln, den Lebensraum, die Beziehungen vom Gebet aus gestalten, gehören zusammen. Oft geht es einem ja nicht nur wegen äußerer materieller Gründe schlecht, sondern eben auch wenn die Beziehungen nicht stimmen, die zu sich selbst und zu den Mitmenschen. Da hängt viel zusammen, was man nicht nur von einer Seite aus aufdröseln kann.

Beistand und Vertrauen

Was tun wir, wenn es uns nicht gut geht? Wenn Sorgen und Nöte, seelischer aber auch materieller Art, uns umtreiben und plagen? Natürlich wird man versuchen, sich so schnell wie möglich Abhilfe zu verschaffen, man wird sich einen Rat einholen, Unterstützung besorgen, das Problem anpacken, und, so man sich nicht selbst helfen kann, nach Beistand umschauen. Eine Möglichkeit, die gut tun kann und helfen, ist das Gebet.

Not lehrt beten, sagt man. Das Gebet ist ein Gespräch, ein intimes Gespräch, ein Reden des Herzens mit Gott. Es kann ein Schrei sein, ein Stoßseufzer, ein Dankeschön, eine Bitte: Herr hilf…. Es können wenige Worte sein, es können viele Worte sein. Überall, wo man liegt, geht, sitzt oder steht kann man beten, kann man mit Gott sprechen.

Das Gebet verbindet, es stellt eine Beziehung her, eine intime und vertrauensvolle. Man rechnet jedenfalls mit jemandem, der einen hört, man rechnet mit Gott, dass er einem beisteht, das er für einen da ist, dass er zumindest einem zuhört. Das Gebet, das Reden mit Gott, mit Jesus es lässt einen aussprechen, was einen umtreibt, es entlastet, es lässt zur Ruhe kommen. Es zeugt von Vertrauen – man geht davon aus, ja, man weiß: Da ist einer der hört mir zu, bei dem kann ich mich fallen lassen, ohne in Abgründe zu fallen, ohne verlassen zu sein. „Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.“ (Mt. 6,8)

Und gerade solch ein Vertrauen, das gibt Kraft. Angst essen Seele auf. Vertrauen hält dagegen. Zu diesem Vertrauen lädt Jesus ein, ihm in diesem Vertrauen zu folgen. „Das Unservater ist eine Hilfe zum Beten und will dem Menschen, der es nachspricht, helfen, die liebende Nähe des Vaters zu entdecken“ (U. Luz)

Beten heißt nicht weltflüchtig zu werden

Angst und Sorge, sie sind Teil unserer Grundbefindlichkeit, sie gehören zu unserem Leben, zu unserer Existenz, zu unserem Dasein. Wir sind hineingeworfen in diese Welt, mit ihren dunklen Seiten, mit ihren schönen Seiten. Wir sind hineingeworfen in diese Welt, mit ihren unendlichen Möglichkeiten, zum Guten, zum Bösen. Wir sind Teil dieser Welt und gestalten, bauen sie mit – ein klein wenig zumindest. Wir sind in der Welt, in der Geschichte, wir schreiben mit, sind aber auch ausgeliefert. Und Letzteres macht Angst. Ausgeliefert zu sein, das bedroht, das ängstet. Wie steht es um das Brot, den Arbeitsplatz, das Einkommen, das Wasser…. Was bringt die Zukunft? Was kann nicht alles über einen kommen? Über die Menschheit, die Erde? Kriege, Terror, Veränderungen, schnelle Umwälzungen, Schuldenberge, Naturkatastrophen, Krankheiten, Abschiede, Umbau des Sozialsystems…… die Bevölkerungsentwicklung…. Angst vor anderen Menschen, vor dem Fremden……, soweit einige Stichworte. Ja, Angst essen Seele auf. Angst kann zu Resignation führen oder zu rasender Weltsucht, die genau so abbauend sein kann. Da wieder Position zu gewinnen, Stand, dabei ist das Gebet, das Unservater ein starkes Hilfsangebot. Beten heißt nicht weltflüchtig zu werden, sondern in sie eintauchen, Kraft schöpfen wollen, verändern wollen, auftanken, um aufbauen zu können.

Neustart aus Ruhe und Gottvertrauen

Das Gebet gibt den notwendigen Abstand, in dem man auftanken kann, um zur Ruhe zu kommen, um dann neu anfangen zu können. Die Verbindung mit ihm, mit Jesus, mit Gott, die man im Gebet pflegen kann, sie gibt diesen erfrischenden Abstand, die Verbindung eben mit der Lebensquelle, wo man verbrauchte Energien auftanken kann, einen anderen Blick für Sorgen und Probleme gewinnen kann. – Nicht dass diese dann weg wären, aber: Das Gebet kann zur Lösung anregen und inspirieren, man kann sich aussprechen, wird so frei.

„Du willst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr in Gott ausruhen? Dann versagst du es dir, deine Gedanken abzuschütteln, dann hast du keinen Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten, dann bleibst du ohne den Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupt hat, dann gibt es keine Vernunft und keine Liebe mehr für dich, in dem, was geschieht, dann steht deinem Herzen keine Ruhestatt mehr offen. Mensch, alledem willst du entsagen? Wer wird dir dann Kraft geben?“

Das Gebet, das innig intime Gespräch mit Gott will Kraft geben und einen Ruhe verspüren lassen, hilft, Beziehungen neu zu sortieren, will so eine Art inneren Frieden geben, um dann tatkräftig Welt gestalten zu können, den Sorgen zu widerstehen, sich nicht von ihnen aufsaugen zu lassen und die Probleme als Herausforderungen angehen zu können. „Gott hat uns den Verstand zum Denken und den Leib zum Arbeiten gegeben. Er würde seine eigene Schöpfung verleugnen, wenn er uns gestattete, durch das Gebet zu erlangen, was durch Arbeit und Intelligenz erreicht werden kann. Das Gebet ist eine wunderbare Ergänzung unserer Mühen, und stärkt zur verantwortlichen Tat (aber es wäre ein gefährlicher Ersatz.)“ Darin will und Jesus bestärken und gibt uns deshalb das Unservater, das uns mit ihm und unseren Mitgeschwistern weltweit verbindet.

Amen.

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