Zuversicht, die nicht ins Leere läuft

Die Gewissheit, dass Gott ist, ist unverfügbar und kann nicht besessen werden

Predigttext: Johannes 14,15-19
Kirche / Ort: Göttingen
Datum: 20.05.2007
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Vikarin Dr. Matina Janßen

Predigttext: Johannes 14,15-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Exegetisch-homiletische Anmerkung

Der Predigttext für Exaudi, Joh 14,15-19, ist Teil der johanneischen Abschiedsreden (Joh 13,31-14,31; vermutlich sekundär 15,1-16,33). In Anlehnung an die Testamentliteratur versammelt Jesus vor seinem Tod seine Jünger, um mit ihnen ein letztes Mal zu reden und ihre Jüngerschaft für die Zeit nach seinem Tod in den Blick zu nehmen. Zentrales Thema der Perikope ist die Verheißung des Parakleten (vgl. weiter z.B. 14,25f; 16,4b-15). Das Verhältnis des Parakleten zu Jesus kann treffend auf die Formel „Identität bei gleichzeitiger Differenz“ (J. Becker) gebracht werden (vgl. ähnlich das Verhältnis Jesu zu Gott 10,30). Im Heiligen Geist ist Jesus selbst gegenwärtig. Redet Jesus in 14,16f vom Parakleten wie von einer von ihm unterschiedenen Person, die an seiner statt die Jünger auf ihrem Weg begleiten wird, so verheißt er in 14,18 sein eigenes Kommen; das Parusiemotiv klingt an. Der Predigttext bietet viele Aspekte; ich nenne nur das Leben im Geist unter dem Gebot der Liebe (14,15; vgl. 13,24), der Geist der Wahrheit (14,17), der Dualismus zwischen der Welt, die Jesus nicht erkennen kann, und den Jüngern, die ein „Organ“ dazu haben (14,17), und das Verhältnis von Jesus, Paraklet und Vater. Mich reizt in homiletischer Hinsicht die Situation, die der Evangelist Johannes voraussetzt. Zwischen der Erwartung des Todes Jesu und dem Osterereignis, das im Johannesevangelium mit der Verleihung des Geistes zusammenfällt (20,22), laufen die Jünger Gefahr, zu Waisen zu werden – und das heißt nichts anderes als verlassen zu sein und die Gewissheit der Gegenwart Jesu und Gottes zu verlieren. In gewisser Weise analog der Sonntag Exaudi: Auch zwischen Himmelfahrt und Pfingsten kann – freilich jenseits theologischer Überlegungen (auch wenn Christus im Himmel ist, ist er auf der Erde!) - ein Gefühl der Verlassenheit entstehen: Christus ist im Himmel, der Heilige Geist noch nicht da. Ist die Gemeinde allein? Spontan ist mir Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei...“ eingefallen und – gewissermaßen als Gegentext – die Christophanie des Auferstandenen auf dem Ölberg (Mt 28,16-20). Ob man die Welt erlebt, als gebe es Gott oder als gebe es ihn nicht, ist Sache des Glaubens oder Nicht-Glaubens. Die Gewissheit, dass Gott ist und dass Gott mit uns ist, „wirkt der Heilige Geist in Glauben“ (M. Luther). Die Verheißung des Geistes aber ist Thema dieses Sonntags.

Zur Liturgie

Gebet Komm, Heiliger Geist, in unsere Städte, in unsere Häuser, in unsere Familien, in unsere Augen, in unsere Herzen. Ohne Dich lesen wir Bücher und werden nicht weise. Ohne Dich reden wir lange und werden nicht eins. Ohne Dich sehen wir nur Fälle, Zahlen und Fakten. Ohne Dich zerfällt unser Leben in eine Reihe von sinnlosen Tagen. Ohne Dich werden wir treulos. Ohne Dich endet unser Denken in Wahnsinn. Ohne Dich zerstört uns die Technik. Ohne Dich werden die Kirchen Museen. Ohne Dich wird das Beten Geschwätz. Ohne Dich wird unser Lächeln erstarren. Ohne Dich wird unsere Umwelt verwüstet. Komm, Heiliger Geist... (Martin Gutl)

Liedvorschläge

„O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136,1-2+7) „Bewahre uns Gott“ (EG 171,4)

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Liebe Gemeinde!

Glaube ist keine Selbstverständlichkeit

„Die entfärbten Schatten zerflattern, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauche zerrinnt, und alles wurde leer. Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: Jesus! Haben wir keinen Vater? – Und er antwortete mit strömenden Tränen: Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater!“ (Jean Paul) – Eine düstere Vision, die der Literat Jean Paul vor ungefähr zweihundert Jahren entworfen hat. Vielleicht mag sie dem einen oder anderen sogar geschmacklos vorkommen. Die Grenze zur Hoffnungslosigkeit ist sicherlich überschritten. „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich! (…) Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf!“ (Psalm 27,7.10) Der Beter des heutigen Psalms würde in dieser Vision vergebens rufen; seine Zuversicht würde ins Leere laufen. In Jean Pauls Vision ist Christus tot, vom Vater verlassen wie die Menschen. Welt ohne Gott. Über ihr schweben Worte ohne Hoffnung, in ihr fließen Ströme toten Wassers. Christustränen. Ohne Licht, ohne Heil. Selbst die Schatten sind entfärbt. Eine weiße Hölle. Leer, von Waisen bevölkert, das Antlitz Gottes verborgen.

Das Szenario eines Alptraums. Und doch Wirklichkeit. Für all die Menschen, die Anfechtung und Gottesferne erleiden, lässt sich Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei…“ nicht auf eine literarische Vision reduzieren. Sie wird zum Bild für reales schmerzhaftes Erleben, zur Illustration der Frage, wo denn Gott sei in dieser Welt. In Verzweiflung, in Ungerechtigkeit. Vater, wo bist du? In Krieg, Schuld und Tod. Die Antwort auf solche Fragen kann man sich nicht mit dem Verstand geben. Bei solchen Fragen – „schrecklich für das Herz“ – laufen Erklärungen ins Leere, sind Rechtfertigungen vergebens. Die Antwort ist Sache des Glaubens. Glauben aber ist keine Selbstverständlichkeit. Für niemanden. Auch nicht für den, der glaubt. Die Gewissheit, dass Gott ist, ist unverfügbar und kann nicht besessen werden. Niemand kann sie sich selbst zusagen, weder das Kind Gottes noch der von Gott verlassene. Das ist Sache des Heiligen Geistes!

Exaudi

Exaudi ist ein leerer Sonntag. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Christus ist schon im Himmel. Der Heilige Geist ist es noch. Die Gemeinde wartet wie verwaist. Eine zwielichte Zeit. Zwischen den Schatten der Verlassenheit und dem Licht von Pfingsten ist alles möglich. „Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, verstoße nicht im Zorn deinen Knecht! Denn du bist meine Hilfe. Verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil (Ps 27,9)!“ – Die Angst der Kinder Gottes zu Waisen zu werden.

Tröstlicher Abschied

(Lesung des Predigttextes)

Es ist die Nacht vor Jesu Tod. Jesus versammelt seine Jünger ein letztes Mal um sich. Wie ein sterbender Vater regelt er seinen Nachlass. Er kennt die Sorgen derer, die zurückbleiben, er weiß, wie ängstlich sie sind, wie schrecklich es ihnen um Herz ist. Weil der geliebte Mensch geht, mehr noch, weil der, von dem sie Leben und Heil erwarten, sich dem Schmerz und dem Tod unterwirft. Trauer und vielleicht auch Wut über enttäuschte Hoffnung und geplatzte Träume können sich allzu leicht einstellen. Angst, dass alles zuende ist…

Und dann der tröstliche Abschied, den der Evangelist Johannes schildert. Lange Reden in der Nacht, das Zulassen von Fragen und die Bereitschaft zu antworten. Verheißungen, Trost und Gebet. Der Tenor der letzten Reden Jesu ist nicht zu überhören: „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch!“ (Johannes 14,18) Abschiedsworte wie ein letztes Winken, das schon den Willkommensgruß in sich trägt. Jesus lässt seine Jünger nicht allein, sein Tod macht sie nicht zu Waisen.

Drei Dinge lässt Jesus seinen Jüngern zurück: die Hoffnung, dass er wiederkommt, eine Regel, wie sie leben können, und eine Wegzehrung für diese Zeit der Trennung, einen Fürsprecher und Tröster, den Parakleten. Das ist der Heilige Geist. In ihm ist Jesus selbst gegenwärtig. Was für ein Abschiedsgeschenk an seine Jünger! Nichts anderes als das Geschenk seiner lebendig machenden Gegenwart. Jesu Testament ist die Verheißung des Lebens angesichts des Todes. „Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben (Johannes 14,19)!“ Im Johannesevangelium fallen Ostern und Pfingsten zusammen (Johannes 20,22), der Sieg des Lebens über den Tod und das Geschenk des Heiligen Geistes.

Mich rührt es an, dieses Versprechen, die Jünger nicht wie Waisen zurückzulassen, sondern ihnen etwas zu geben, vom Vater zu erbitten, damit sie nicht allein sind. Ein allzu menschliches Ritual. Und wie viele menschliche Rituale voller Liebe, Zeichen der Verbundenheit: Ein Stofftier, das ein Kind mit auf die Klassenfahrt nimmt, welches das Kind tröstet, bis es seine Eltern wiedersieht. Ein Ring, ein Maskottchen, einen Brief, den die Freundin an ihr Herz drücken, immer wieder lesen, berühren kann, bis der Freund wiederkommt – von seiner Reise, vom Bund, aus dem Krankenhaus. „Auch wenn ich nicht da bin, ich gebe dir etwas von mir, ein unsichtbares Band. Damit du weißt: Ich bin bei dir – wo immer du bist, wo immer auch ich bin. Es kommt die Zeit, wo wir uns wiedersehen. Und uns nie mehr loslassen. Siehe, mit diesem Zeichen ich bin bei dir, auch wenn du mich nicht siehst, hörst und fühlst. Du bist nicht allein.“ Oft sind diese Zeichen für Außenstehende nicht zu verstehen. Ihr Sinn ist nicht für jeden ersichtlich und ihre Bedeutung nicht aller Welt offenbar. Doch für den, der sie kennt, der aus ihnen lebt, sind solche Wegzehrungen wertvoll, ein unsichtbares Band und eine zauberhafte Verheißung. In solchen Zeichen ist der Geliebte, ist die Mutter gegenwärtig. Überall und jederzeit.

Dämmerlicht

Exaudi ist ein verheißungsvoller Sonntag. Wir warten auf den Heiligen Geist. Jesu Verheißung schwebt über uns. Ein Dämmerlicht, das den strahlenden Morgen schon in sich trägt. „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Land der Lebendigen!“ (Psalm 27,13) – Die Gewissheit der Kinder Gottes, dass Gott ist.

Gewissheit

Wir warten an diesem Sonntag auf Pfingsten – wie an einem Adventssonntag auf Weihnachten. Voller Freude und Zuversicht hoffen wir auf den Tröster. Seine Geschenke sind vielfältig. Im Raum des Geistes erwächst Hoffnung, ist Lieben leicht und Glauben stark. Da, wo der Geist weht, ist Leben möglich. Mitten in Verzweiflung, Ungerechtigkeit und Schuld. Die Gewissheit, dass Gott ist. „Der Heilige Geist ist kein Skeptiker. Nicht Zweifel oder Meinungen schreibt er in unsere Herzen, sondern Gewissheiten…“ (Martin Luther) Wie tröstlich für das Herz! Die Gewissheit, dass mein Gott ist! Da, wo wir in Jesu Gegenwart leben, ist das Leben neu. Mitten in der Geistlosigkeit der Welt ist Geist. Mitten in der Lieblosigkeit kann die Liebe wachsen, zueinander und zu Gott (Johannes 14,15; 13,24). In Jesu Kirche herrscht sein Geist. Dafür will ich mein Herz öffnen! Das verändert den Blick und schärft die Augen. Die Gewissheit, dass Gott da ist, bewegt. Da „wird das Wort zum Gesang und das Gehen zum Tanz“ (Michel Houellebecq). Da werden die Waisen zu Kindern Gottes…

Die Schatten füllen sich mit Licht

Die Schatten füllen sich mit Licht, wie ein schillernder Regenbogen, der die Erde umspannt, in tausend Farben aus dem Himmel bricht, und alles wurde heil. Da gingen, Hoffnung und Zweifel im Herzen, die elf Jünger, die aufgebrochen waren, nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte, und sahen ihn, fielen vor ihm nieder und sagten: Jesus, haben wir einen Gott? Und er antwortete aus überströmender Liebe: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

Amen

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