Vom Heiligen Geist durchweht gemeinsam unterwegs in Gottes Zukunft
Lasten und Verantwortung teilen, Fähigkeiten einsetzen – viele Schultern tragen leichter
Predigttext: 4.Mose 11, 10-12.14-17. 24-25 (Übersetzung nach „Gute Nachricht Bibel“)
10 Mose hörte die Leute klagen. Überall standen sie in Gruppen vor ihren Zelten. Er war verärgert, denn er wusste, dass sie damit den Zorn des HERRN erregten. 11 Er sagte zum HERRN: »Warum tust du mir, deinem Diener, dies alles an? Womit habe ich es verdient, dass du mir eine so undankbare Aufgabe übertragen hast? Dieses Volk liegt auf mir wie eine drückende Last. 12 Schließlich bin ich doch nicht seine Mutter, die es geboren hat! Wie kannst du von mir verlangen, dass ich es auf den Schoß nehme, wie die Amme den Säugling, und es auf meinen Armen in das Land trage, das du ihren Vätern zugesagt hast?... 14 Ich allein kann dieses ganze Volk nicht tragen, die Last ist mir zu schwer. 15 Wenn du sie mir nicht erleichtern willst, dann hab wenigstens Erbarmen mit mir und töte mich, damit ich nicht länger diese Qual ausstehen muss.« 16 Der HERR antwortete Mose: »Versammle siebzig angesehene Männer aus dem Kreis der Ältesten Israels, die sich als Aufseher bewährt haben, und hole sie zum Heiligen Zelt. Dort sollen sie sich neben dir aufstellen. 17 Ich werde herabkommen und mit dir sprechen, und dann werde ich von dem Geist, den ich dir gegeben habe, einen Teil nehmen und ihnen geben. Dann können sie die Verantwortung für das Volk mit dir teilen, und du brauchst die Last nicht allein zu tragen…. 24 Mose ging hinaus und teilte dem Volk mit, was der HERR gesagt hatte. Er versammelte siebzig Männer aus dem Kreis der Ältesten Israels und stellte sie rings um das Heilige Zelt auf. 25 Da kam der HERR in der Wolke herab und redete mit Mose. Er nahm einen Teil des Geistes, den er Mose gegeben hatte, und gab ihn den siebzig Ältesten. Als der Geist Gottes über sie kam, gerieten sie vorübergehend in ekstatische Begeisterung wie Propheten.Zum Predigttext (I.) und zur homiletischen Situation (II.)
I. Die Perikopenordnung filtert aus Num 11 sorgfältig alle Teile heraus, welche die Lust Israels auf eine Fleischmahlzeit behandeln. Ich folge dieser Textauswahl weitgehend. (nur V. 10 nehme ich mit hinzu, um den Grund für Moses Stimmungstief mit zu liefern.) Auch ohne Wachteln ist an der Perikope genug „Fleisch“ für eine Predigt. Da ist zunächst die hemmungslose Klage des Mose: Mir ist meine Last zu groß! Sofort fallen mir Beispiele ein von Menschen, die große Lasten tragen müssen (oder wollen?). Gott antwortet auf die Klage des Mose mit einer Verwaltungs- oder Strukturreform. Statt weiter einsame Spitze zu sein, bekommt Mose ein umfangreiches Leitungsteam, eine durchorganisierte Hilfe. Über die konkreten Aufgaben der „Ältesten“ schweigt sich die Geschichte in ihrem weiteren Verlauf aus. Das gibt mir Raum für eigene Überlegungen. Waren die „Aufseher“ Seelsorger, Manager, Handwerker oder Pädagogen? Die Brücke zur Pfingstgeschichte ist das Stichwort Geist. V 17 schildert Gottes Plan: Die 70 Ältesten werden nicht mit dem Geist Gottes ausgestattet, sondern mit dem Geist des Mose. Ich deute das positiv: wenn alle an einem Strang ziehen, ein Ziel haben, in einem Geiste handeln, dann geht es voran. Ein kurzer Hinweis auf das Pfingstwunder der Apostelgeschichte soll zeigen, dass die versammelte Gemeinde auch heute von einem Geist lebt. Ich wähle den Predigttext in der Version der Guten Nachricht. II. Der Pfingstgottesdienst der Kirchengemeinde Mulsum findet unter freiem Himmel statt. Seit Jahren geht der Gottesdienst sozusagen über die Dörfer. In diesem Jahr werden wir unter hohen Eichen vor einem alten Schafstall sitzen. Da bedarf es einiger einführender Worte, um die Hörer vom Vogelgezwitscher und grünen Bäumen in die Wüste Sinai zu führen. Ich werde also nicht mit dem Predigttext anfangen, sondern erst die Wüstensituation Israels beschreiben, wie ich sie mir vorstelle. Meine Hörer an diesem Sonntag die „ jungen Alten“. Sie sind im Ruhestand und werden den zusätzlichen freien Tag deshalb nicht für einen Kurzurlaub nutzen. Aber sie sind noch aktiv, und wenn das Wetter mit spielt, werden viele von ihnen mit dem Fahrrad zum Gottesdienst kommen. Die Menschen sind im besten Sinn konservativ und bereit, sich in Dorf und Gemeinde einzusetzen. Daran möchte ich in der Predigt anknüpfen.Lesungen:
Wenn es mir gelingt, ein kleines Team zusammenzustellen, würde ich gern die Epistel (Apg 2,1-18) mit verteilten Rollen lesen. Benötigt wird ein Erzähler, mehrere Passanten, Petrus und der Prophet Joel.Lieder:
Im Paul Gerhardt Jahr wähle ich als Rahmen für den Gottesdienst sein Lied: „Zieh ein zu deinen Toren“ (EG 133). Zu Beginn des Gottesdienstes die Strophen 1+2. 6+7. Das Fürbittengebet formuliere ich in Anlehnung an die Strophen 8,10 und 11 und lasse diese Strophen jeweils dazwischen singen. Weitere Lieder: „O komm du Geist der Wahrheit“ (EG 136, 1-4+7) „Dir, Dir o Höchster will ich singen“ (EG 328, 1-3) Komm, o komm, du Geist des Lebens (EG 134, 1-4) Und bei einem Gottesdienst in der Natur selbstverständlich einige Verse aus „Geh aus mein Herz“ (EG 503).Überall nur Steine und grauer Sand. Selbst die kniehohen Dornensträucher sind eher grau als grün. Der feine Staub ist längst in jedem Hemd, in jeder Hose. Jeden Morgen werden die Zelte abgebaut, die paar Habseligkeiten verpackt und alles auf die Schultern oder Karren geladen. Abends alles wieder auspacken, die Zelte aufstellen. Wasser ist knapp. Zu essen gibt es, aber jeden Tag das Gleiche: Manna, Brot vom Himmel. So stelle ich mir die Lage Israels vor, als sie von Ägypten aus aufgebrochen waren in ein Neues Land. Die Sklaverei hatten sie hinter sich gelassen, sie waren in die Zukunft aufgebrochen. Aber die Dauer der Wanderung machte sie mürbe.
Immer wieder gab es Ärger. Mal hatten sie kein Wasser, dann dauerte es den Leuten zu lange, wenn Mose mit Gott redete, um seinen Rat einzuholen. Und jetzt lag wieder etwas in Luft. Hören Sie den Predigttext aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 11.
(Lesung des Predigttextes)
„Das Volk liegt auf mir wie eine erdrückende Last. Gott mach mir diese Last leichter oder töte mich.“ Mose tut mir echt leid. Mose ist am Ende. Der kann nicht mehr. Er hat die Aufgabe übernommen, das Volk Israel in ein neues Land zu bringen, aber es ist einfach zu viel.
Mose beschwert sich bei Gott. Und Gott reagiert. Gott reagiert nicht mit schönen Worten. So nach dem Motto: Kopf hoch, du schaffst das schon. Du hast doch noch immer alles geschafft, diese Krise meisterst du auch noch. Nein, Gott schlägt eine strukturelle Maßnahme vor. Die Last und die Verantwortung für das Volk soll geteilt werden. Mose soll nicht länger alles allein machen, sondern 70 Menschen sollen ihm zur Seite stehen. Auf viele Schultern soll verteilt werden, was bisher Einer tragen musste.
Mir fallen spontan Menschen ein, die genau wie Mose Grund hätten, über eine zu große Last zu klagen. Z. B. die Frauen und Männer, die Angehörige pflegen. Viele bei uns hier auf den Dörfern haben den Anspruch, ihre Ehepartner, ihre alten Eltern nicht in ein Heim zu geben, sondern sich selbst um die Pflege zu kümmern. Aber niemand schafft es, für einen Menschen 24 Stunden am Tag da zu sein. Schon gar nicht, wenn bei dem Kranken der Tag-Nacht-Rhythmus nicht mehr stimmt. Diese Last können nur viele Schultern tragen. Eine große Familie kann eine Rundumbetreuung leisten, wenn man sich abwechselt und gegenseitig entlastet. Wenn jeder mal eine Nacht durchschlafen kann. Oder man muss sich Hilfe von außen holen. Dafür gibt es die Diakoniestation. Für viele ist es aber ein großer Schritt „fremde Hilfe“, wie sie sagen, in Anspruch zu nehmen. Aber so sieht Gottes Hilfe aus. Moses bekommt Hilfe von außen. Und er hat offenbar kein Problem, sich helfen zu lassen. Weil er an seiner Leistungsgrenze angekommen ist.
Große Last tragen meiner Meinung nach auch die Alleinerziehenden. Meistens sind es Mütter. Sie müssen sich um alles kümmern: dass Geld ins Haus kommt, dass Essen auf dem Tisch steht, die Wäsche fertig ist, die Kinder in der Schule mitkommen, das Auto repariert wird…. Oft haben die Mütter nur die Wahl zwischen Armut oder totalem Stress.
Unsere Bundesministerin für Familien setzt sich verstärkt dafür ein, Krippen und Hortplätze für Kinder zu schaffen. Kinder in öffentlichen Einrichtungen zu betreuen, bedeutet, die Last der Erziehung zu teilen. Auf den ersten Blick scheint es bei uns auf dem Dorf gar nicht nötig zu sein. Viele Frauen bleiben bei uns gern für die Erziehung der Kinder zu Hause. Aber von meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden leben etliche bei nur einem Elternteil. Ihre Eltern tragen die Überlastung oder die Armut still. Sie klagen nicht öffentlich, dass wir bessere Kinderbetreuung brauchen. Ich vermute, viele rufen nicht um Hilfe, weil sie eine gescheiterte Beziehung hinter sich haben. Sie geben sich die Schuld an ihrer Lage und übernehmen die Verantwortung für die Kinder allein. Aber allein Verantwortung zu tragen ist schwer. Mit neuen Strukturen, wie Ganztagsschule und Kinderkrippe ist sehr wohl zu helfen. Den Eltern und den Kindern. Aber für gute Strukturen braucht man auch gute Leute.
Die Antwort Gottes auf die Klage des Mose lautet: Versammle siebzig angesehene Männer aus dem Kreis der Ältesten Israels, die sich als Aufseher bewährt haben. Mose soll seine Last nicht mit irgendwelchen Leuten teilen. Er soll Menschen aussuchen, die sich bewährt haben. Älteste, so heißt es. Älteste, das würde ich nicht mit alt übersetzen, sondern mit kompetent. Leute, die wissen, wie das Leben spielt. Menschen, die auch fähig sind, Verantwortung mit zu tragen.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie gern Menschen bereit sind, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Auch die den Dienst unserer Kirchengemeinde. So wurde bei uns vor Wochen im Kirchenvorstand besprochen, dass unser großer Gemeindesaal dringend neue Lampen braucht. Die alten sind einfach abgängig. Ja, aber in so einen großen Raum, der auf ganz verschiedene Art genutzt wird, kann man nicht einfach ein paar Lampen aus dem nächsten Baumarkt hängen. Da braucht es ein Beleuchtungskonzept. Das von einer Firma erstellen zu lassen, kann sich die Kirchengemeinde nicht leisten. Aber es gab jemanden in der Gemeinde, der seine Kompetenz ehrenamtlich eingebracht hat. Er hat Pläne ausgearbeitet und Vorschläge gemacht. Kirchenvorsteher haben sie in einem kleinem Team beraten, den ausführenden Elektromeister hinzugezogen. Ich bin begeistert über so viel Sachverstand und Einsatz. Und ich vermute: diese Arbeit hat den Beteiligten auch Spaß gebracht. Sie sind begeistert, was Neues, was Schönes für unsere Gemeinde zu schaffen.
Von den 70 Israeliten, die von Mose Aufgaben übernehmen, heißt es: „Sie gerieten vorübergehend in ekstatische Begeisterung wie die Propheten“. Nun, wir Norddeutschen sind selten so begeistert, dass wir in Ekstase geraten. Bei uns heißt das eher: „Ich hab das gern gemacht“. Und das ist ja auch schon was.
Die Israeliten standen vor ihren Zelten und murrten, dass es mal wieder nichts Vernünftiges zu essen gab. Das bringt bei Mose das Fass zum Überlaufen. Er beklagt sich bei Gott und bekommt Hilfe: 70 kompetente Lastenträger und Mitverantwortliche.70 Leute! Das sind viele. In der biblischen Geschichte steht nicht drin, was sie für Aufgaben hatten. Wahrscheinlich haben sie nicht alle das Gleiche gemacht. Die neuen Mitarbeiter hörten sich vielleicht erst einmal das Murren an. Stellten ihre Ohren bereit. Und die Menschen konnten in diese Ohren jammern. Das würde heißen: Die Mitarbeiter übernahmen Verantwortung für die Seelsorge. Waren so eine Art Besuchsdienst. Oder vielleicht hatten Einige besondere Fähigkeiten, den Alltag zu organisieren. Sie erkundeten den Weg für den nächsten Tag. Suchten Quellen und Lagerplätze. Sie machten praktische Arbeit. Andere kümmerten sich womöglich um die Kinder, weil die Eltern keine Hand frei hatten. Wieder andere verklarten den Leuten zum hundertsten Mal, warum sie unterwegs waren; dass Gott es so wollte und das es gut sei, in Freiheit zu leben unter Gottes Führung. Diese Leute verkündeten die gute Botschaft, das Evangelium von Mensch zu Mensch. Mose konnte sie nicht jedem einzelnen jeden Tag sagen.
Funktioniert hat diese Aufgabenteilung, weil alle Mitarbeitenden so etwas hatten wie eine „corporate identity“. Sie hatten alle einen Geist. Mose bestellt sie zum Heiligen Zelt, zu ihrer transportablen Kirche, und dort teilt Gott den Geist des Mose unter sie alle auf. Der Geist wurde dadurch nicht weniger. Sondern nun arbeiten alle in dem einen Geist. Wir nennen das auch: Es ziehen alle an einem Strang. Die 70 Leute verfolgen alle das eine Ziel: Nach vorn zu schauen und Gottes gelobtes Land zu erreichen.
Wir feiern heute Pfingsten. Die Geburtsstunde unserer Kirche. Kirche beginnt damit, dass der eine Heilige Geist die Christen durchweht. Die Apostel werden Feuer und Flamme für das Evangelium Jesu Christi. Sie wagen sich hervor aus ihrem Kämmerlein und bringen die gute Botschaft Jesu Christi unter die Leute. Auch wir haben diesen einen Geist Gottes. Wir sind durch unsere Taufe mit diesem Geist beschenkt. Ich bin immer wieder begeistert von Kirche, wenn dieser Geist sichtbar wird. Wenn Menschen mitmachen, Lasten mittragen, Verantwortung übernehmen, ihre Fähigkeiten einsetzen. Dann macht Kirche Spaß. Und ich freue mich daran, dass ich mit so vielen unterwegs bin. Unser Ziel nennen wir nicht mehr das Gelobte Land. Dennoch sind wir gemeinsam unterwegs zu Gott.