Aus dem Vollen schöpfen
Sich nicht abspeisen lassen
Predigttext: Jesaja 55,1-5 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(1) Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! (2) Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. (3) Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. (4) Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. (5) Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.Alles hat seinen Preis …
“Gibt’s hier was umsonst?” So fragen wir schon mal flapsig-ironisch, wenn irgendwo Menschen in Scharen zusammenströmen und wir den Anlass hierfür nicht erkennen können. Natürlich eine rein rhetorische Frage, die zusammen mit der vorgestellten Situation deutlich macht: Etwas umsonst zu bekommen ist ebenso anlockend wie unwahrscheinlich. Nein, umsonst gibt es nichts im Leben, in unserer durch ökonomisierten Welt. Und wenn es doch mal was umsonst gibt, dann ist es garantiert nichts wert. Alles, was etwas wert ist, kostet etwas; und je mehr etwas kostet, desto hochwertiger ist es nach unserem Verständnis. Wir denken in der Kategorie des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Umsonst ist nur der Tod, wie der Volksmund sagt, um sofort spöttisch hinzuzufügen: und der kost’ bloß das Leben. D. h., genau genommen gibt es überhaupt nichts zum Nulltarif. Alles hat seinen Preis. Das ist unsere tagtägliche Lebenserfahrung.
… oder doch nicht?
Da fällt mir eine kleine Anekdote ein. Jemand sagte zu Mutter Teresa: “Ihre Arbeit würde ich nicht für eine Milliarde Dollar tun!” – “Ich auch nicht”, erwiderte Mutter Teresa. Ich glaube, diese winzige Geschichte spricht für sich. In ihr atmet etwas vom Geist des heutigen Bibeltextes.
(Lesung des Predigttextes)
Mit Verwunderung, vielleicht sogar mit Befremdung hören wir, wie hier unsere Lebenserfahrung, unsere Lebensordnung, in der wir uns ganz gut eingerichtet haben, geradezu auf den Kopf gestellt wird durch Gottes Wort: “Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!” Da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ohne Geld etwas zum Essen kaufen? Ganz umsonst gar Wein und Milch, also nicht nur Wasser und Brot? – Wein und Mich – das ist das gelobte Land. Israel hat Ägypten verlassen und die Wüste auf sich genommen mit diesem Traum im Herzen.
Was nicht satt macht …
Aber es kommt noch toller, wenn Gott, gleichsam als Bekräftigung seiner Worte alles auf den Kopf stellt: “Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?” (Jes 55,2) So paradox sie klingen: Sind das nicht Worte, die ganz nah an unsere Erfahrung heranreichen? Viele von uns kennen das Phänomen des “Frust-Fraßes”: Wir fühlen uns irgendwie unwohl – leer, enttäuscht, missmutig, wie auch immer – und versuchen, diesen unangenehmen Zustand durch Essen zu beseitigen, in der Regel erfolglos – selbst die raffiniertesten, teuersten Nahrungs- oder Genussmittel machen uns nicht satt, können unser Unbehagen nicht beseitigen. So dass wir dann noch zusätzlich wegen ihrer Unwirksamkeit frustriert sind. Und setzen dann wider besseres Wissen noch eins drauf, und noch eins …. So kommt leicht ein Teufelskreis in Gang, wie er ja z. B. für Suchterkrankungen kennzeichnend ist. Wir erfahren: Es gibt ein Brot, das nicht satt macht; Konsumgüter können nicht halten, was sie versprechen. Aber trotzdem fallen wir immer wieder auf die leeren Versprechungen herein – die ganze Werbebranche lebt davon. Gott bestätigt also unsere eigene Erfahrung, wenn er uns hier auf den Kopf zu sagt, dass unser Verhalten paradox, widersinnig, schlichtweg verkehrt ist; dass wir mit uns auf dem Holzweg sind.
… und was den Hunger stillt
Und welches wäre denn der richtige Weg? Der Weg, der eine Perspektive bietet, eine gute Aussicht auf unsere Zukunft? Der Weg, der zu einer echten Nahrungsquelle führt? “Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. […] Höret, so werdet ihr leben.” Gott kennt den Hunger, der Menschen umtreibt – bei aller Übersättigung, wie wir sie hierzulande häufig antreffen: den Hunger nach Sinn, den Hunger nach Liebe, den Hunger nach Lebendigkeit … Und Gott verspricht: Wenn wir auf ihn hören, wenn wir seinem Wort vertrauen, so werden wir dies alles finden, so wird unser Hunger nach dem, was für uns lebensnotwendig ist, gestillt werden. Ja, mehr noch: Sein Wort i s t geradezu das Lebens-Mittel, dessen wir bedürfen, um wirklich satt zu werden, um die innere Leere zu füllen und erfüllt zu leben: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht”. So heißt es schon bei Mose (5 Mose 8,3) und Jesus hält es keinem Geringeren vor als dem – Teufel. Als der ihn versuchte, aus Steinen Brot zu machen (Mt 4,4).
Einladungen …
Ein solches Lebenswort Gottes stellt die Einladung dar, die er immer wieder ausspricht und die in den Worten gipfelt: “Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gaben Davids zu geben”. Gott, der hier spricht, ist ein verlässlicher, ein treuer, ein schenkender Gott, der sich dauerhaft an die Menschen bindet; der ihnen seine Unterstützung, seine Großzügigkeit, seine Liebe unverbrüchlich zusagt. Und so dürfen wir seiner beständigen Einladung ins Leben vertrauensvoll folgen und die Erfahrung machen, dass uns “Wein und Milch”, “Gutes” und “Köstliches”, alles, was das Leben schön und reich und “schmackhaft” macht, von ihm gegeben wird, und zwar ganz umsonst. Die wirklich wesentlichen und kostbaren Dinge in unserem Leben können wir nicht selber herbeiführen, wir können sie uns nur schenken lassen. Von Gott, der selbst die Fülle des Lebens ist. Wir können offen dafür sein – mit den Worten der Bibel: unsre Ohren herneigen -, um die Einladung Gottes in unserem Leben, die Einladung Gottes ins Leben, wahrzunehmen.
… und Ausstrahlungen?
Wenn wir dieser Einladung folgen, werden unsere innersten und größten Bedürfnisse von Gott gestillt. Wir entdecken unser eigentliches Wesen. Wir werden von innen heraus zum Leuchten gebracht – so heißt es beim Propheten Jesaja: “der dich herrlich gemacht hat”. Dann kann kraft dieser Ausstrahlung Gottes bei uns ein Licht aufgehen: Menschen, wildfremde, namenlose, werden aufmerksam, werden angezogen, finden bei uns Liebe, Freundschaft und Nähe – “um des Herrn willen”.
Als Jesaja Gottes Wort weitergab, hatten die Menschen eine lange Durststrecke hinter sich. Und große Träume begraben. So klein das Volk Gottes geworden war, auch innerlich – die Erfahrungen, die die Menschen gemacht hatten, sollten auch anderen gut tun: “Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels”.
Etwas Grosses liegt in der Luft. Die ganze Welt macht sich auf. Und nichts wird so sein, wie es einmal war. Weil Gott die Menschen, die er lieb hat, frei macht von dem ewigen Gefühl, nicht genug zu haben und ihnen schenkt, was zu einem gestillten, erfüllten Leben reicht. Im Abendmahl feiern wir das mit erhobenen Herzen. Ein Stück Brot – das ganze Leben. Ein Schluck Wein – das Reich Gottes. In den kleinen Zeichen sehen wir Jesus. Er hat sich uns geschenkt. Er sagt: Ich bin das Brot des Lebens.
Jetzt können wir aus dem Vollen schöpfen – abspeisen lassen wir uns nicht mehr.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.