Begegnung und Gemeinschaft

Wer das Wesentliche geschenkt bekommt, kann auf Ersatz verzichten

Predigttext: Lukas 19,1-10
Kirche / Ort: 97877 Wertheim
Datum: 24.06.2007
Kirchenjahr: 3. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Stefanie Fischer-Steinbach

Predigttext: Lukas 19, 1-10 (Martin Luther, Revision 1984)

1Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

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Liebe Gemeinde!

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist vielen sehr vertraut. Es ist eine Geschichte, die uns schon als Kindern erzählt wurde, im Kindergottesdienst, in der Grundschule oder der Jungschar. Es ist die Geschichte von Zachäus.

(Lesung des Predigttextes)

Wie gesagt, viele von uns kennen die Geschichte – das ist einerseits schön, es freut uns, wenn wir etwas Bekanntes, Vertrautes, hören. Da gibts so eine gewisse Wiedersehensfreude. Ach – Zachäus, nett, dich mal wieder zu treffen und von dir zu hören. Auf der anderen Seite kann etwas Bekanntes aber auch bewirken, dass wir denken: Naja, das kenne ich schon, da weiß ich, worauf es hinausläuft. Das wäre aber schade, denn vielleicht entgehen uns dabei ein paar interessante Aspekte, wenn wir in den vertrauten Bahnen weitergehen. Und so möchte ich mich heute mit ihnen auf den Weg machen, die Zachäusgeschichte neu zu bedenken, in der Hoffnung, dass wir hier und da doch etwas Neues entdecken.

Zum einen ist da die Person des Zachäus. Er ist neben Jesus der Sympathieträger der Geschichte. Wir wissen es, er war ein Gauner. Aber ist er nicht auch liebenswert, wie er da auf den Baum klettert, um besser sehen zu können? Zachäus dient ganz gut als Identifikationsfigur. Oft auch für Kinder, denn schließlich ist auch Zachäus klein. Und es gibt ja auch ein gutes Ende: Schließlich verspricht er, sich zu bessern. Und so lesen wir die Geschichte als die glückliche Bekehrung eines kleinen Schwindlers. Und ziehen für uns das Fazit: Jesus wendet sich Sündern zu und fängt mit ihnen neu an – wie beruhigend und tröstlich, denn das heißt für mich auch, dass Jesus mit mir neu anfängt, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Soweit so bekannt und so richtig. Aber:

Nehmen wir uns doch einmal die Zeit und schauen uns Zachäus näher an. Er entpuppt sich als gar nicht so liebenswert. Zachäus war Zöllner. Heute sind Zöllner Zollbeamte und das aus gutem Grund. Sie sollen unabhängig und unbestechlich prüfen, welche Waren zu welchen Bedingungen eingeführt werden dürfen. Zachäus war kein Beamter in unserem Sinn. Er durfte im Auftrag der Römer die Händler kontrollieren, die in die Stadt wollten und durfte Zoll erheben. Sozusagen als Mehrwertsteuer. Es gab zwar gewisse Richtlinien, aber den Mehrgewinn durfte er selbst festlegen und dann für sich behalten. Zachäus war reich, das heißt, er hat von seinen Landsleuten ordentlich abkassiert. Ausgerechnet die Kleinbauern und Händler traf das besonders hart. Zur Zeit Jesu war eine Kopfsteuer eingeführt worden, sodass jeder und jede Steuern zahlen musste und nicht die Familien als Ganzes wie zuvor. Das hatte zur Folge, dass gerade die Kleinbauern und Händler um Ihre Existenz kämpfen mussten. Manche konnten die Steuern einfach nicht erwirtschaften und verloren dann ihr Land und ihre Häuser. Diese Menschen hat Zachäus ausgenommen. Ihre Abhängigkeit missbraucht, um sich zu bereichern. Und als ob das noch nicht reichte – er tat es im Auftrag der Römer, die doch nach der Meinung vieler an der ganzen Misere schuld waren. Die Besatzer, die Unterdrücker mit ihren fremden Göttern und ihrer willkürlichen Machtpolitik. Nein Zachäus ist nicht liebenswert, er ist nicht einmal sympathisch. Er war einer, der sich auf Kosten der Ärmsten schamlos bereichert hatte.

Solche Typen gibt es heute immer noch zu Genüge. Ob das jetzt Firmenchefs sind, deren Management dazu führt, dass immer mehr Arbeitsplätze eingespart oder in Billiglohnländer verlegt werden, damit am Ende die Rendite stimmt. Weil der Börsenkurs wichtiger wird als die Menschen, die ihn erwirtschaften. Oder andere in Führungspositionen, die auf krummen Touren zu ihrem Erfolg kommen. Ab und zu bekommen wir Normalsterblichen das ja mit, und wir lesen dann fassungslos davon, wie man Menschen und Meinungen kaufen und manipulieren kann. Da sind wir dann zu Recht empört – wir erwarten von Verantwortungsträgern auch verantwortliches Handeln. Was würden wir dazu sagen, wenn Jesus heute zu bestimmten berühmt-berüchtigten Leuten sagen würde: „Heute muss ich bei dir zu Gast sein?“ Da ständen wir dann plötzlich Seite an Seite mit der mosernden Menge und würden sagen: Mit so jemandem setzt der sich an einen Tisch – das ist unerhört: Damit legitimiert Jesus doch, was die tun, und er stößt die vor den Kopf, die wegen und an solchen Menschen leiden.

Wenn wir uns diese Varianten des Zachäus näher betrachten, identifizieren wir uns doch nicht so gerne, wir leben und handeln ja auch in anderen Größenordnungen. Aber fragen wir uns denn, unter welchen Bedingungen die Kinderhose für sechs Euro hergestellt wurde, die wir in einem Kaufhaus ergattert haben? Interessieren wir uns dafür, ob die Frau in China, die diese Hose genäht hat, krankenversichert ist, ob sie Ausschlag und Bronchitis von den Pestiziden bekommt, mit denen die Hose gespritzt wurde? Interessiert es uns, dass sie nur eine halbe Stunde Pause bei vierzehn Stunden Arbeit täglich hat und pro Monat nur einen Tag frei? Wollen wir es wissen, dass diese Frau so wenig Lohn bekommt, dass sie im firmeineigenen Schlafsaal mit neun anderen Frauen schlafen muss? Nein nicht wirklich. Wir freuen uns über das Schnäppchen, obwohl viele locker das Doppelte bezahlen könnten, um immer noch gut wegzukommen.

Es hilft alles nichts, gewollt oder nicht, bewusst oder nicht – wir leben hier in unserem reichen Deutschland auf Kosten der Armen in vielerlei Zusammenhängen, und damit sind wir auf er Seite von Zachäus. Zumindest in diesem Punkt. Auch wenn wir uns gerne auf die Seite der Empörten stellen.

Schön wäre, wenn wir bei Zachäus bleiben würden. Denn Zachäus ändert seine Position und setzt sich in Bewegung. Als er hört, dass Jesus kommt, rennt er eilends voraus und steigt auf einen Baum, um Jesus besser sehen zu können. Gleich in zwei Richtungen bewegt er sich, nach vorne und nach oben. Auf der Ebene, auf der er vorher war, kann er von Jesus nichts erkennen. Er ist zu klein. In unserem Sprachgebrauch wird klein oft auch mit kleinlich, erbärmlich oder kleingeistig übersetzt. Ich finde, das könnte hier passen. Sein Horizont ist zu begrenzt, er kann nur sich selber sehen. Da wo er ist und so wie er lebt, kann er Jesus und das was er vertritt nicht wahrnehmen. Also rennt er voraus und versucht, an Größe zu gewinnen. Trotzdem ist Jesus es, der Zachäus entdeckt. Von Jesus geht auch die weitere Initiative aus. Jesus möchte bei ihm zu Gast sein, in sein Haus einkehren – das ist ein Geschenk für Zachäus. Er, der bei niemandem eingeladen wird, er, der sich durch seine Machenschaften außerhalb der Gemeinschaft bewegt, darf Gastgeber für Jesus sein. Was für eine Ehre, Jesus wird bei ihm wohnen, und damit kann etwas anderes bei ihm einziehen. Bisher hat er sich durch das definiert, was er hat. Sein Besitz war ihm wichtiger als die Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen. Manchmal ist es ja so, dass Besitz eine Leerstelle in unserem Leben ausfüllen soll. Bei manchen wertet der Besitz von bestimmten Dingen das Selbstwertgefühl auf. Andere kaufen sich etwas, weil sie traurig oder unzufrieden sind und sie sich selbst etwas schenken wollen. Weil sie im Leben sonst nichts geschenkt bekommen. Ich vermute, dass Zachäus die Leerstelle Freundschaft, Beziehung und Anerkennung mit seinem Reichtum ausfüllen wollte. Nur ist das ein Teufelskreislauf. Er war reich, aber allein. Und weil er den Reichtum auf Kosten der anderen anhäufte, wurde er immer einsamer, je reicher wer wurde. Eine Zeitlang kann man sich vielleicht einreden, dass man damit glücklich ist – aber nicht auf Dauer.

Jesus bietet Zachäus genau das an, was ihm fehlt: Begegnung und Gemeinschaft. Weil er das Wesentliche geschenkt bekommt – kann er sofort auf seinen Ersatz verzichten. „Die Hälfte von meinem Reichtum gebe ich den Armen, und was ich erpresst habe, gebe ich vierfach zurück.“ Auffallend ist, dass Jesus keine Bedingungen stellt. Zuerst kommt das Geschenk, ohne vorher abverlangte Reue, ohne Schwüre, sich zu ändern, ohne Wenn und Aber. Genau das ist für die Umstehenden anstößig. Verständlicherweise, und für uns heute ja auch. Wir erwarten zuerst eine Strafpredigt, dann die Einsicht und die Reue und schließlich als Folge die Vergebung und eine gnädige Annahme. Aber in den Evangelien ist es genau umgekehrt. Zuerst kommt das Geschenk, und dann hat der/die Beschenkte die Möglichkeit, sich zu ändern.

Jesus stellt Zachäus auf eine völlig neue Basis. Gemeinschaft statt Ausgeschlossensein, eine besondere Ehre statt Missachtung. Wahrheit und volles Leben statt Betrügereien und Ersatzbefriedigung. Weil er in einem neuen Zusammenhang steht, fällt es Zachäus leicht, sich von seinem bisherigen Leben zu verabschieden und einen neuen Weg zu gehen. Was könnte das für uns heißen? Wir könnten gelassener werden. Eine Untersuchung hat festgestellt, dass es oft gar nicht die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft sind, welche die Schnäppchen bei bestimmten Firmen abgrasen, sondern durchaus auch besser Verdienende. Was treibt uns also dazu, immer billiger einkaufen zu wollen und unser Glück bei den kleinen Preisen zu suchen? Untersuchungen besagen, es ist die Angst, zu kurz zu kommen, die Angst, es könnte zum Leben nicht reichen. Jesus sagt: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung? und der Leib mehr als die Kleidung?…Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen/weben sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Felde so kleidet…, sollte er das nicht viel mehr für euch tun…? (Matthäus 6,25ff)

Diese Gelassenheit könnte uns vielleicht dazu bringen, einfach weniger, dafür aber fair gehandelte Kleidung zu kaufen. Und die Menschen, die außen herum stehen? Die sind zunächst vor den Kopf gestoßen, an sie richtet sich eigentlich die Geschichte. Jesus sagt zu ihnen: Auch Zachäus ist ein Nachkomme Abrahams. Für Gott bleibt Zachäus in der Gemeinschaft seines Volkes. Auch wenn er falsch handelt. Gott unterscheidet zwischen dem Täter und der Tat. Zachäus ist und bleibt ein Kind Abrahams – ihm gilt die Fürsorge Gottes. Was er tat war falsch. Der Mensch aber ist es immer wert, geliebt zu werden. Das ist die Lektion für die Menschen um Jesus herum. Sie gilt auch für uns. Wir sind oft geneigt, Beides zu vermischen. Wir sind dann schnell fertig mit denen, die etwas falsch gemacht haben. Aber Gottes Rechnung ist anders. Jesus sagt: Ich bin gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ging. Gott sei Dank:

Amen

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