Sich vom Du finden lassen, sich im Du finden
Zachäus, der Handel, die Neubesinnung
Predigttext: Lukas 19, 1-10 (Martin Luther, Revision 1984)
1Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.Vorbemerkung
Zachäus ist ja nun altes „Kinderkirchwissen“ – man meint ihn zu kennen. Auch das ist eine reizvolle Ausgangsbasis – diese Predigt malt die Geschichte nach, in sozialgeschichtlichen und existenzialtypologischen Farben. Dabei hat zumindest die Autorin gelernt, dass aus altgedienten Geschichten stets noch viel Unerwartetes zu gewinnen ist und sie oft weit aktueller sind, als man denkt -- und hofft, dass es der Gemeinde auch so gehen möge. Manche Gedichtverse verdanken sich dem Text einer musikalischen Einlage – das kann gegebenenfalls auch gekürzt werden.Liedvorschlag:
„Komm in unsre stolze Welt“ (EG 428)Liebe Gemeinde!
Unser heutiger Predigttext erzählt von einem Menschen, der von Jesus in Bewegung gebracht wird, auf ganz verschiedene Weise. Sie kennen die Geschichte wahrscheinlich, aber sie ist es allemal wieder wert, gehört und bedacht zu werden. Sie erzählt von einem kleinen Mann, der nach außen hin ein Großer ist, der sein Leben ertragreich organisiert hat – auf Kosten anderer! – und am Schluss ganz, ganz anders auf seine Kosten kommt.
(Lesung des Predigttextes)
Vom Handel und von Profiteuren
Jesus „ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Wochenspruch): Auf diesem Weg findet die Begegnung zwischen Jesus und Zachäus statt, “der war ein Oberer der Zöllner und war reich”. Hinter dieser kleinen Notiz verbirgt sich so einiges: Die Herrscher halten ihre Völker nieder und die Mächtigen tun ihnen Gewalt an (Matthäus 20,25) – so ging es auch Palästina zur Zeit Jesu, wie sich auch in der Schriftlesung gespiegelt hat: Der “römische Friede”, die pax romana des römischen Imperialismus, diente vor allem zur Bereicherung Roms und legte den eroberten Ländern harte Steuern auf: Import und Exportsteuern und Steuern auf alle Erzeugnisse; Gelder, die die römische Macht sicherten. Und wo eine Besatzungsmacht ein Volk auspresst, kann auch für einzelne aus diesem Volk etwas abfallen. So zum Beispiel für den, der sich die Zollstelle von Jericho sichern konnte. Jericho als Knotenpunkt verschiedener wichtiger Handels – und Verbindungsstraßen lag ideal – der ständige Fluss vom Menschen und Waren ließ das Geld in die Kassen fließen und die Preise zugunsten der eigenen Tasche in die Höhe schnellen. Einer, der von der Besatzungsmacht profitiert und sich rigoros auf Kosten der Landsleute bereichert – kein sympathischer Mensch, dieser Zachäus.
“Zachäus ist der Mensch, der vollends in sich selbst, in seiner Schuld, im Vergangenen gefangen ist. Er ist der Inbegriff des Menschen, der sich selbst der Nächste sein wollte und deshalb auch sein muss. Er hat seine Mitmenschen ausgenutzt, ausgebeutet, um ihre Freiheit gebracht… Er ist buchstäblich zu sich selbst verdammt.” (Ernst Lange) Eine längst vergangene historische Figur? Das ja, aber keine einmalige! Und gar nicht so weit weg. Er hat profitiert von einem System, das die kulturellen und materiellen Schätze ferner Länder in ein reiches Land verbracht und dort verbraucht hat – bei uns wachsen weder Tropenhölzer noch Ananas noch Baumwolle und schon gar kein Kaffee.
Weil er reich wurde, hatten die anderen nicht einmal mehr das Lebensnotwendigste – mir fallen sechsjährige Kinder ein, von armen Eltern verkauft, die für unseren Import billige Teppiche knüpfen, Urlaubsländer, wo den Menschen das Wasser streng rationiert wird, aber sich in den Hotels unbegrenzt über Gartenanlagen, in Swimmingpools und Duschen ergießt… Weltweit gesehen sind wir reichen Industrienationen das, was in Palästina Rom war, und doch gab es auch in Rom viele Arme… So weit ist Zachäus gar nicht von uns weg, wir stehen ihm eher schrecklich nahe.
Außen- und Innenseite
Das ist die Sicht von außen, wie sie auch Jesus etwas früher auf seinem Weg dem reichen Jüngling vorlegt, der ihn fragt, was er tun soll: “Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! (Lukas 18, 22) Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme“. (Lk 18, 25)
Liebe Gemeinde, manchmal fühle ich mich da wirklich wie der Ochs vor dem Berg und das Kamel vor dem Nadelöhr. Der Dienst der Menschen aneinander als gerechtes Verteilen, von Zeit, von Geld, von Rohstoffen, von Geben und Nehmen, es ist alles andere als einfach – und doch so nötig.
Das Loslassenkönnen – es hat ja auch eine innere Seite, dass man das Zuviel an dem, was uns lieb und teuer wird, loslassen kann und die Hände wieder für Nötige frei bekommt. Käthi Hohl sagt das, so paradox wie ein Kamel im Nadelöhr, in der Sprache der Dichtung(Käthi Hohl, Windsteg):
Wer im Wind über den Steg muss, lasse los.
Nur Loslassende kommen hinüber.
Nur die mit den leeren Händen.
(Sie tasten der Windwand entlang
unter sich gurgelnde Tiefe.)
Vor sich das Land, das Land der Verheißung.
Ist da nicht einer, der auf uns wartet?
Warten und Suchen
Ist da nicht einer, der auf uns wartet? Wir warten ja auch. Auf das Land der Verheißung. Auf Gott. Darauf, dass alles besser werden soll. Hie Warten, da Warten – so würde freilich gar nichts anders. Wenn alles am Fleck bleibt. “Der Menschensoh ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ Gott ist auf dem Weg zu den Menschen, in Jesus und immer wieder. Und auch der Zachäus der Geschichte macht sich auf den Weg, setzt sich in Bewegung, und das sehr dynamisch – das geht auch ohne ausgefeilte Vorgehensplanung, denn er weiß ja selbst nicht, was er eigentlich genau will und was geschehen könnte.
“Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge, denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen, denn dort sollte er durchkommen.” Klein ist er, der Zachäus, man wird es symbolisch deuten können, vielleicht auch psychologisch, dass er dieses “Manko” mit seinem äußeren Reichtum kompensieren will, immer Stärke zeigen und Macht erringen, wo man vielleicht verletzlich sein könnte…
Oben und weit weg
Er kann Jesus nicht sehen, “wegen der Menge”, heißt es, und da zeigt sich der Preis, den er für seine Macht zahlt: Er gehört nicht zu ihnen, den anderen Menschen, und keiner würde ihm einen Gefallen tun, keiner würde sagen “Komm, ich lass dich vor, sonst kannst du ja gar nicht teilhaben!” Dazu passt es schon wieder, dass er auf einen Baum klettert, denn da können ihn die anderen schlechter sehen, bleibt er erst einmal unbemerkter, fast versteckt – und er ist wieder einmal über ihnen, betrachtet das Geschehen aus einer gewissen Distanz und nicht so hautnah. Man weiß ja nie…. – lieber Abstand. Nicht so ganz nah an sich ranlassen, das würde sicher wieder unbequem oder gar schmerzhaft. Lieber einsam und oben. Aber Zachäus hat sich darauf eingelassen, er will etwas über Jesus erfahren, wenn auch, auf seinem Baum, wortwörtlich “über” Jesus. Und was erfährt er “über Jesus”?
Nähe
“Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.” Zachäus erfährt weniger Dinge, Nachrichten, Berichte über Jesus. Er erfährt Jesus selbst, der sich ihm zuwendet. Als erstes holt er ihn von seinem Baum herunter, entdeckt das Versteck, stellt ihn auf den Boden der Tatsachen und mitten unter die anderen Menschen, stellt ihn sich gegenüber.
Zachäus hätte auch auf seinem Baum sitzenbleiben können, er hätte sich nicht auf diese Bewegung einlassen müssen, er hätte sagen können
“Oh nein, Jesus, ich will nicht” oder
“ich traue mich nicht” oder
“ich bin’s nicht wert” oder
“was sagen dann schon wieder die anderen?” und vieles andere.
Stattdessen freut er sich unbändig, dass er nicht länger alleine oben sitzen muss, dass Jesus ihn von dort in die Gemeinschaft der Menschen zurückholt und selbst mit ihm freundschaftlich Tischgemeinschaft haben möchte. Er freut sich, das ist eine ganz andere Freude als die nach einem erfolgreichen Geschäftstag, als die an einem vollen Beutel, als die, wieder besonders elegant jemand übervorteilt zu haben.
Sich vom Du finden lassen und im Du finden
Jetzt merkt er, was er von Jesus wissen wollte, was er für sein Leben wissen wollte, was ihn an diesen Weg getrieben hat, den er mit Jesus zusammen weitergeht. Er selbst hat gesucht, hatte eine Sehn-sucht, und er hat sich von Jesus finden lassen. Er hatte keine Angst, sich auf Jesus einzulassen, und er wurde von seiner Angst vor anderen Menschen befreit, von der Angst, nicht genug zu bekommen und deshalb raffen zu müssen, von der Angst, hinter der äußeren Fülle irgenwann eine innere Leere erkennen zu müssen, von der Angst, anderen bei einer Begegnung von gleich zu gleich unterlegen zu sein, zu klein. In Jesus begegnet ihm, der sein “Ich” so groß schreiben musste, ein “Du”. Wieder Käthi Hohl:
Du, der in Verlorenheit nachsuchst und in der Heimatlosigkeit heimholst.
Du, dessen Name mir auf den Lippen stirbt vor Sehnsucht.
Sie tragen, deine Flügel tragen über den Abgrund von dunkelgeästetem, wirrem Gesträuch von Angst,
sie tragen, deine Flügel.
Nun bin ich getrost.
Das kann nicht folgenlos bleiben
“Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.” Doch hat die Begegnung mit Jesus Zachäus so verändert, dass das eben nicht mehr stimmt: “Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.” Und damit ist Zachäus ist nicht mehr der Mensch, der vollends in sich selbst, in seiner Schuld, im Vergangenen gefangen ist. Er stellt sich seiner Schuld, keine Erklärungen und Ausflüchte, und er hätte sicher viel zu seiner Entlastung vorzubringen. Er macht das Vergangene zur Vergangenheit, indem er es großzügig wiedergutmacht. Er ist nicht mehr der Inbegriff des Menschen, der sich selbst der Nächste sein wollte und deshalb auch sein muss. Er ist nicht mehr zu sich selbst verdammt: Weil er zur Gemeinschaft befreit ist, zur Gemeinschaft mit Jesus und den Menschen, von denen er abgesondert war. Er hat die Liebe Jesu erfahren und gibt sie tatkräftig an andere Menschen weiter.
Wahrscheinlich können es die anderen gar nicht unbedingt gleich fassen, was da geschehen ist, der Weg des Zachäus von “über ihnen” in ihre Mitte ist sicher nicht leicht, aber sie erleben ihn nun anders als früher, tätig zeigt er, dass es ihm ernst ist: Er teilt seine Habe, er macht sein Unrecht wieder gut, er begnügt sich mit dem, was er zum Leben wirklich braucht, dass er nicht mehr den anderen ihre Lebensgrundlage entzieht; er wird auf einigen Luxus verzichten müssen, aber er hat wieder gelernt, was Gerechtigkeit ist, das Kennzeichen der Kinder Abrahams, der Familie Gottes, wo alle einander dienen, indem sie füreinander sorgen, im Großen und im Kleinen, in unseren kleinen Haushalten und auf der ganzen Erde, unserem gemeinsamen Haus, auf Flügeln, die über die Angst hinwegtragen, vor sich das Land der Verheißung: “Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Kind. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.”
Amen