Überlegte Entschiedenheit

Werden wir dem Anspruch als Christinnen und Christen in der Nachfolge Jesu gerecht?

Predigttext: Lukas 14,25-33
Kirche / Ort: Heddesheim
Datum: 8.07.2007
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Herbert Anzinger

Predigttext: Lukas 14,25-33 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

25 Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: 26 Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. 27 Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. 28 Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? 29 damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, 30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen. 31 Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? 32 Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. 33 So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen

Der heutige Predigttext gibt uns eine harte Nuss zu knacken auf. Unsere Perikope besteht aus einer Zusammenstellung von Sprüchen Jesu, die dazu anhalten, sich die Bedingungen der Nachfolge vor Augen zu halten. Voraus geht das Gleichnis von der Einladung zu einem Gastmahl, bei dem sich die Eingeladenen entschuldigen lassen, so dass der Gastgeber schließlich Leute von der Straße, Arme und Krüppel, Blinde und Lahme holen lässt. Das Gleichnis macht deutlich, dass Jesus (und in ihm und durch ihn Gott selber) sich derer annimmt, die gesellschaftlich am Rande stehen. Bedingungen werden keine genannt, außer der Bereitschaft, der Einladung zu folgen. Die folgende Sammlung von Sprüchen zur Nachfolge nennt zwar auch nicht gerade Bedingungen der Nachfolge, aber doch den Preis, den zu zahlen einer bereit sein muss. Der Text gliedert sich nach der redaktionellen Einleitung (V. 25) in ein Paar von Sprüchen, die den Preis der Jüngerschaft in äußerst zugespitzter Weise zum Ausdruck bringen (V. 26f); darauf folgt ein Paar von Gleichnissen, das klar machen soll, sich genau zu überlegen, ob man diesen Preis zu zahlen bereit ist (V. 28-32); aus diesen beiden Gleichnissen soll eine Folgerung gezogen werden, die an die beiden ersten Sprüche anknüpft (V. 33). Damit stellt die Predigtperikope eine sinnvolle Einheit dar, obgleich zum lukanischen Text noch das Salzwort gehört (V. 34f). Exegetisch wie homiletisch schwierig ist gleich der erste Spruch, der davon spricht, dass nur der, der seine Familie „hasst“, ein Jünger Jesu sein kann. Interessanterweise bietet Mt 10,37 eine moderatere Fassung: Statt wie Lukas von „hassen“ spricht Matthäus von „mehr lieben als mich“; er hat die ursprüngliche Fassung des Wortes also offenbar ebenso problematisch empfunden, wie wir dies tun. Auch das Thomasevangelium formuliert weniger anstößig: „nicht loslassen“ (EvThom 55) bzw. „wer nicht ablehnt wie ich“ (EvThom 101). Möglicherweise geht die lukanische Formulierung auf eine Eigentümlichkeit semitischer Sprachen zurück, die eine Bevorzugung auch durch einen Kontrast ausdrücken können (z.B. in Gen 29,30f, worauf Bovon: EKK III/2, 533, Anm. 44 hinweist), so dass Matthäus der Sache nach treffender übersetzt hätte. Die Exegeten beeilen sich denn auch zu betonen, dass „Hass“ hier weniger eine Emotion bedeute, sondern für die Abgrenzung gegenüber der Familie stehe. In der Tat ließe sich der Vers sonst auch schwer mit der gesamten übrigen Botschaft Jesu in Beziehung setzen, die sogar das Gebot der Feindesliebe einschließt (Lk 6,27-35). Wichtig ist auch, dass Jesus in unserer Spruchsammlung nicht nur die Bereitschaft fordert, die eigene Familie, von der der einzelne damals in jeder Beziehung abhängig war, sondern auch „sich selbst“ zu „hassen“, eine Wendung und Zuspitzung, die wahrscheinlich Lukas vorgenommen hat. Gemeint scheint damit zu sein, was an anderer Stelle als „Selbstverleugnung“ (Mk 8,34 // Mt 16,24 // Lk 9,23 mit dem Kreuztragen verbunden!) bezeichnet wird. Dann ginge es in der Tat darum, alle eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, alle Sicherheiten preiszugeben, die der Schoß der Familie bot. Der eigenen Familie gegenüber sollte der Nachfolger Jesu sich verhalten, als hasste er sie, als wollte er alle Schranken hinter sich abbrechen. Eine harte Zumutung gerade für jemanden, der seine Familie liebte. Sie entspricht freilich dem Leben, das Jesus selber führte. Er selber hatte seine Familie verlassen, weshalb diese ihn für verrückt hielt (Mk 3,20f.31-35). Der zweite Spruch vom Kreuztragen soll m.E. nicht nur darauf hinweisen, dass der Kreuzträger seinem eigenen Tod entgegengeht, also bereit sein muss zu sterben, sondern er erinnert auch an das Spießrutenlaufen, dem ein so Verurteilter, der den Querbalken zur Richtstätte tragen musste, ausgesetzt war. Schläge und Spott begleiteten ihn auf seinem Weg zur Hinrichtungsstätte. Das könnte auch der Sinn des Spruches im Munde Jesu gewesen sein: Das Leben in der Nachfolge ist wie ein Spießrutenlaufen; du musst damit rechnen, dass die Leute dich zu allem Leiden noch mit Spott überziehen. Das Wort vom Kreuztragen findet sich – wie oben erwähnt – an weiteren Stellen in Verbindung mit der Aufforderung zur Selbstverleugnung. Lk 9,23 spricht sogar davon, dass man sich selbst verleugnen und sein Kreuz „täglich“ auf sich nehmen solle. Es gehörte eben jeden Tag aufs Neue Selbstüberwindung dazu, sich der sozialen Ächtung auszusetzen. Nachösterlich hat man diesen Spruch dann freilich sicher nicht mehr hören können, ohne an den Kreuzestod Jesu zu denken; dann hat er den Sinn bekommen: Du musst für deinen Glauben auch bereit sein zu sterben wie Jesus. Beide Sprüche interpretieren sich wechselseitig. Sie wollen deutlich machen, dass derjenige, der sich Jesus anschließt und mit ihm durch das Land zieht, vielfältige Einschränkungen in Kauf nehmen muss. Nachfolge ist kein Honigschlecken. Es ist heute weitgehend Konsens, dass diese und ähnliche Worte Jesu der Überlieferung der „Wandercharismatiker“ zu verdanken sind, wie Gerd Theißen diese Form der unmittelbaren Jesusnachfolge genannt hat (neben zahlreichen Aufsätzen auch in: G. Theißen: Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte, 2004). Die Wandercharismatiker hatten sich von ihren Familien gelöst und zogen heimat-, besitzlos- und schutzlos durch das Land. Sie waren freilich auf lokale Unterstützergruppen angewiesen, die sie aufnahmen und verpflegten. Das radikale Ethos der Wandercharismatiker galt also nicht für alle, die sich zur Jesusbewegung und dann später zu den ersten Christen rechneten, sondern nur für die Gruppe unter ihnen, die sich der Lebensform verpflichtet fühlten, die Jesus selber praktizierte. Die Sprüche des Wanderradikalismus wurden allerdings in den Unterstützergruppen gesammelt und aufgeschrieben. Dies bedeutete nicht, dass deren radikales Ethos von den lokalen Sympathisantengruppen übernommen wurde. Es gab also innerhalb der Jesusbewegung von Anfang an ein abgestuftes Ethos. Gerade der Bruch mit der Familie, der uns in unserem Text besonders tangiert, war von den Mitgliedern der Ortsgemeinden nicht gefordert. Es folgen dann zwei Gleichnisworte, die homiletisch keine besonderen Probleme aufwerfen, auch wenn sich die Exegeten über die Bedeutung einzelner Worte uneins sind. Für das Verständnis des Gleichnisses spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem Bauwerk im ersten Gleichnis um einen Festungsturm oder ein Gebäude handelt. Beide Gleichnisse wollen verdeutlichen, dass man sich eine so tiefgreifende Entscheidung, wie sie die Entscheidung für das Wandercharismatikertum darstellte, gut überlegen muss. Der abschließende Vers 33, den Lukas in Entsprechung zu V. 26 gebildet hat (so G. Schneider, Das Evangelium nach Lukas, ÖTK 3/2, 321), spitzt das in den beiden Gleichnisworten Gesagte noch einmal im Sinne der radikalen Verzichtforderungen aus den ersten beiden Sprüchen zu. Der Wandercharismatiker muss sich darüber im Klaren sein, dass er sich von allem, was er hat, lossagen muss, wenn er die Nachfolge Jesu antritt. Dies bezieht sich m.E. nicht nur auf den „Besitz“, sondern auf alles, was natürliche Sicherheit innerhalb der herkömmlichen gesellschaftlichen Strukturen garantiert. Warum überliefert Lukas diese radikalen Sprüche, wenn sie in den Ortsgemeinden, in denen die Evangelien entstanden sind, nicht praktiziert wurden? Vermutlich deshalb, weil sie zu einer lebendigen Tradition gehörten. Auch wenn nicht alle dieses Ethos teilen können, so ist es doch zu respektieren. Diejenigen, die dieses radikale Ethos nicht leben wollten und konnten, sollten ihrerseits dafür Sorge tragen, dass es für andere möglich blieb. Sie fühlten sich verpflichtet, die, die es lebten, zu unterstützen. Man kann anhand der Umformulierung bei Matthäus aber auch sehen, dass manche dieser Sprüche eine Spiritualisierung erfahren haben. Die Mitglieder der Ortsgemeinden haben diese Sprüche auf ihre Situation hin neu interpretiert. Jesus-Nachfolge bedeutete für sie dann nicht mehr den Bruch mit der Familie und die Bereitschaft, als Missionare durch die Lande zu ziehen, sondern die prinzipielle Bereitschaft, die Sache Jesu im Konfliktfall den familiären Verpflichtungen vorzuziehen. Das konnte dann einen Bruch mit der Familie bedeuten, wenn diese nicht bereit war, anzuerkennen, dass ein Familienmitglied Christ geworden war. Aber es musste diesen Bruch nicht geben, wenn darin kein Problem gesehen wurde oder die Familie als Ganze sich dem Christentum anschloss. Die homiletische Aufgabe besteht darin, den Predigthörern den Unterschied aus den damaligen gesellschaftlichen Strukturen heraus verständlich zu machen. Nur so entgeht man dem Dilemma, die Jesusworte entweder ermäßigen oder spiritualisieren oder sie als eine unzumutbare und mit der sonstigen Botschaft Jesu nicht in Einklang zu bringende Härte verstehen zu müssen, die das Evangelium verschluckt. Deshalb werde ich der Gemeinde vom Leben der Wandercharismatiker erzählen und verdeutlichen, dass die ihnen geltenden Worte nicht umstandslos auf unsere heutige Situation anzuwenden sind. Nicht weil wir die Radikalität der Lebensform Jesu nicht ertragen könnten, sondern weil die sozialen Bedingungen, unter denen wir leben, völlig andere sind. Wenn überhaupt, dann sind diese höchstens in Ansätzen denen der damaligen Ortsgemeinden vergleichbar.

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Vertrautes Jesusbild

Vielleicht haben Sie einmal einen Jesusfilm gesehen. Da wandert Jesus mit seinen Jüngern durch karge, aber malerische Landschaften, wendet sich freundlich den Menschen zu, heilt Kranke, segnet Kinder, erzählt Gleichnisse vom Reich Gottes und vollbringt hin und wieder ein Wunder. Hand aufs Herz: So wollen wir Jesus auch sehen. Einen Jesus, der lieb und sanft ist, barmherzig, ohne Aggressionen. Nur einmal, bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel, wird er so richtig zornig. Das können wir ja auch gut verstehen. Ein heiliger Zorn für eine gerechte Sache. Das verträgt sich durchaus mit unserem sonst eher moderaten Jesusbild, das wir lieben und pflegen: Jesus als der gute Hirte, der geduldig dem verlorenen Schaf nachgeht und es auf seinen Schultern nach Hause trägt. Besonders Kinder verstehen deshalb oft nicht, warum es dann Menschen geben konnte, die diesem lieben Jesus ans Leben wollten. Der heutige Predigttext ist geeignet, unser Bild vom sanften Jesus doch gewaltig ins Wanken zu bringen.

(Lesung des Predigttextes)

Schrille Dissonanz oder: Wie passt der Bibeltext mit unserem vertrauten Jesusbild zusammen?

Mit einer schrillen Dissonanz beginnt unser Text. „Wer nicht seinen Vater und seine Mutter, seine Frau und seine Kinder, seine Geschwister und dazu auch sich selbst hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Wer seine Familie nicht hasst, kann kein Jünger Jesu sein. Habe ich mich verlesen? Kann Jesus so etwas gesagt haben? Ich dachte immer, Jesus lehrt uns, die Menschen zu lieben, nicht nur die Angehörigen und Freunde, sondern sogar den Feind. Wie soll das, bitteschön, zusammenpassen?

Wir kennen das ja durchaus, dass jemand seine Familie hasst – aber wir würden ihn deshalb keineswegs für einen besonders guten Christen halten. Mir fallen da bestimmte Sekten ein, die versuchen, ihre Mitglieder von den Familien zu entfremden. Fanatische Gruppen, die erreichen wollen, dass man alle seine bisherigen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen kappt und nur noch mit Mitgliedern dieser Gruppen verkehrt. Oft wird das durch eine Art Gehirnwäsche und massiven psychischen Druck erreicht. Ziel ist, den einzelnen jeglicher kritischen Distanz zur Ideologie der Gruppe zu berauben. Wie gesagt: Das alles kennen wir, aber wir sehen in solchen Methoden und Zielen, auch wenn sie christlich begründet werden, eher einen Missbrauch des christlichen Glaubens. Und nun dieser Text!? Kann man sich für solche Praktiken doch auf das Neue Testament, gar auf Jesus selber berufen? Und wenn nicht, wie sind dann solche Jesusworte, wie das eben gehörte vom Hass auf die Familie zu verstehen? Meint es Jesus nicht so, wie er es sagt? Aber warum sagt er es dann nicht so, wie er es meint? Oder meint er es am Ende doch so? Wir wollen uns dieser Frage stellen.

Unbequemer Jesus

Vielleicht fallen Ihnen doch noch andere Worte Jesu ein, die ähnlich befremdlich sind. Zum Beispiel das Wort von den Toten, die ihre Toten begraben sollen. Eine Pietätlosigkeit, die schwer zu verstehen ist. Jesus selber hatte ja in der Tat seine Familie verlassen, um mit einer Gruppe Gleichgesinnter durch die Gegend zu ziehen. Wir können gut verstehen, dass seine Familie davon nicht besonders erbaut war. Wir haben leider keine Informationen darüber, wann Josef gestorben ist; aber da nach der Episode des Zwölfjährigen im Tempel Josef nie mehr erwähnt wird, wird man davon ausgehen müssen, dass er jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als Jesus die Familie verließ, bereits gestorben war. Maria war also möglicherweise Alleinerziehende, wie man das heute nennen würde. Es gibt eine Passage im Markusevangelium, wo davon berichtet wird, dass seine Angehörigen versuchen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, denn – so heißt es (Mk 3,21) – „sie sprachen: Er ist von Sinnen“. Sie hielten ihn also für verrückt. Einige Verse später (Mk 3,31-35) wird erzählt, dass Maria und seine Brüder ihn durch einen Boten dazu bewegen wollten, zu ihnen zu kommen, was er mit den Worten ablehnte: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder? … Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“. Als ältester Sohn war er nach dem Tod des Vaters für die Familie verantwortlich. Dieser Verpflichtung hat er sich entzogen. Deshalb darf uns nicht wundern, dass er zunächst nicht nur von seinen Verwandten, sondern auch von anderen Menschen in seiner Heimatstadt Nazareth abgelehnt wurde (Mk 6,1-6).

Jesus hat sich dafür entschieden, die Botschaft von der nahe herbeigekommenen Herrschaft Gottes zu verkünden. Er hat dafür den Bruch mit der Familie in Kauf genommen und ein ruheloses Wanderleben in Galiläa geführt. In diesem Zusammenhang ist auch das Wort zu verstehen: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“ (Lk 9,58).

Wissen, worauf man sich einlässt

Für Jesus war das offenbar eine Entscheidung, die er sich genau überlegt hatte. Deshalb sagt er auch anderen, die ihm nachfolgen wollen, sich das genau zu überlegen. Die beiden Gleichnisse unserer Predigtperikope bringen dies zum Ausdruck: Wenn jemand einen Turm bauen will, dann wird er vorher genau überlegen, ob er genug Geld besitzt, um das Vorhaben auch finanzieren zu können. Wer mittendrin aus Geldmangel aufgeben muss, wird nur Spott auf sich ziehen. Oder stellt euch einen König vor, der von einem weitaus stärkeren Gegner mit Krieg bedroht ist; der wird sich doch zuvor auch genau überlegen müssen, ob es nicht besser ist, klein beizugeben und um Frieden zu bitten. In beiden Fällen muss man doch vorher überlegen, ob man das Unternehmen durchhalten und am Ende erfolgreich abschließen kann. So ist es auch, wenn jemand kommt, um sich uns anzuschließen. Er muss wissen worauf er sich einlässt.

Es ist keineswegs so, dass Jesus verschweigt, was die konkrete Nachfolge für den einzelnen bedeutet. Er will auch niemanden dazu überreden. Ganz im Gegenteil: Jesus warnt geradezu davor, sich unüberlegt in ein solches Abenteuer zu stürzen. Darin unterscheidet sich sein Ruf in die Nachfolge ganz entschieden von den Methoden, mit denen Psychosekten heute ihre Mitglieder werben und dann nach und nach von sich abhängig machen.

Zu seiner Entscheidung stehen mit allen Konsequenzen

„Überlegt euch das gut“, ruft Jesus den Menschen zu, die mit ihm ziehen wollen: „Ihr werdet dann nicht auf die Unterstützung eurer Familien rechnen dürfen. Möglicherweise werden sie mit euch brechen, weil sie nicht verstehen, warum ihr sie allein lasst. Macht euch keine Illusionen: Wenn ihr euch für diesen Weg entscheidet, dann ist das so, als würdet ihr eure Familien hassen. Eure Familien werden es jedenfalls so verstehen. Ihr müsst sie hassen um des Evangeliums willen, auch wenn ihr sie liebt. Ihr müsst euch jedenfalls gegen sie entscheiden. Bedenkt, was das bedeutet. Es wird euch das Herz zerreißen. Ihr setzt euch einem Leben aus, das mit einem zu vergleichen ist, der zum Tode am Kreuz verurteilt ist. Ihr habt das doch schon gesehen. Der Verurteilte muss den Querbalken seines eigenen Kreuzes zum Hinrichtungsort tragen. Die Menge am Wegesrand steht grölend dabei, bespuckt ihn, versetzt ihm Stöße und Schläge und verspottet ihn noch. So wird euer Leben auch sein, wenn ihr mit mir geht und mit mir das nahegekommene Reich Gottes verkündet. Die Menschen werden euch verspotten und vielleicht sogar misshandeln. Trotzdem sollt ihr eure Bedürfnisse ganz zurückstellen, ihr sollt euch selbst verleugnen und euer Kreuz auf euch nehmen“.

Wandercharismatiker

Trotzdem gab es Menschen, die sich damals nicht haben abschrecken lassen. Menschen, die mit Jesus dieses beschwerliche Leben auf sich genommen haben. Man nennt sie heute in der Wissenschaft „Wandercharismatiker“. Ihnen gelten die Worte, die heute so befremdlich auf uns wirken. Sie beschreiben einfach das tatsächliche Leben dieser ersten Nachfolger Jesu ganz ungeschminkt. Nach dem Tod Jesu haben viele von ihnen diese Lebensform fortgesetzt, sind also als heimat- und besitzlose Missionare von Ort zu Ort gezogen. Natürlich waren sie darauf angewiesen, dass es in den Orten, in die sie zogen, auch Menschen gab, die sie aufnahmen und versorgten. Lazarus und seine beiden Schwestern Maria und Martha waren solche Anhänger Jesu, die ihn unterstützten, ohne sein Wanderleben zu teilen. Jesus verlangte von ihnen auch nicht, dass sie es teilen sollten. Im Laufe der Zeit sind immer mehr solche Zentren entstanden, in denen Menschen sich um die Botschaft Jesu gesammelt haben. Sie fühlten nicht die Verpflichtung, ebenfalls auf Familie und Heimat und Besitz verzichten zu müssen, aber sie unterstützten die Missionare. Sie sammelten deren Traditionen und Verhaltensregeln, auch wenn sie diese nicht genauso in die Praxis umsetzen konnten und wollten. Sie versuchten allerdings manchmal, diese Regel für ihre Situation neu auszulegen. Sie sagten dann zum Beispiel: „Wir müssen zwar zum Glück nicht auf unsere Familien und unser Land verzichten, aber wir wollen uns doch bewusst machen, dass das alles uns nicht wichtiger sein darf als den Willen Gottes zu erfüllen. Wir wollen zuerst nach dem Reich Gottes trachten, dann wird uns alles andere von alleine zufallen. Wir wollen uns nicht vergänglichen Sicherheiten hingeben, sondern unser Leben Gott anvertrauen. Gott erwartet nicht von uns, dass wir alles aufgeben. Aber er erwartet von uns, dass wir, wenn es nötig ist, seinen Willen an die erste Stelle setzen, und bereit sind, dafür auch Nachteile hinzunehmen, vielleicht Spott zu ertragen, so wie die, die ihr Kreuz tragen mussten. Zu dieser Selbstverleugnung sind wir bereit“.

Christen folgen ihrem Herrn und nicht dem Zeitgeist

Ich denke, das ist es, was wir uns heute unter gänzlich anderen sozialen Verhältnissen zu eigen machen können. Das Leben als Christ führt in unserer Gesellschaft nicht automatisch ins Martyrium, aber das heißt nicht, dass es deshalb immer problemlos wäre. Es erfordert auch von uns mitunter Mut und Kraft und Standhaftigkeit. Denn Christen folgen ihrem Herrn und nicht dem Zeitgeist. Christen widersetzen sich der Erwartung einer Ellenbogengesellschaft, erfolgreich um jeden Preis sein zu müssen. Christen sind bereit, um der Liebe willen gegen den Trend zu schwimmen, auch wenn dies beschwerlich und unbequem ist. Das Christentum hat seinen Preis. Aber es ist seinen Preis auch wert.

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